Tag: Nationaltheater Radu Stanca

  • Premieren beim Internationalen Theaterfestival FITS 2016 in Hermannstadt

    Premieren beim Internationalen Theaterfestival FITS 2016 in Hermannstadt

    Das Internationale Theaterfestival in Sibiu (FITS) bringt jedes Jahr unzählige Künstler und Theatergruppen aus 70 Ländern der Welt zusammen. Vom 10. bis zum 19. Juni 2016 findet das Festival nun zum 23. Mal statt. Das Nationaltheater Radu Stanca“ in Sibiu/Hermannstadt präsentiert dabei drei Premieren.



    Das Stück Oameni obişnuiţi“ (Gewöhnliche Menschen“), Regie Gianina Cărbunariu, ist eine Aufführung im Rahmen des Projekts Be SpectACTive!“, das vom EU-Programm Kreatives Europa mitfinanziert wird. Von 2014 bis 2018 beteiligt sich auch das Hermannstädter Nationaltheater an diesem Programm. Das Projekt präsentiert acht Whistleblower-Fälle aus Italien, Gro‎ßbritannien und Rumänien — das sind Länder mit unterschiedlichen Kontexten und Gesetzen in Bezug auf Skandalaufdecker. Sechs Schauspieler bringen die acht Whistleblower-Geschichten auf die Bühne — sowohl das Publikum als auch die Darsteller erleben dabei eine besondere Theatererfahrung. Die Schauspielerin Ofelia Popii dazu:



    Es ist ein besonderes Erlebnis — von der Vorbereitungsarbeit bis zu dem Moment, wenn man die Rolle auf der Bühne verkörpert, verdoppelt sich die Verantwortung des Darstellers. Ich bin sowieso eine verantwortungsbewusste Schauspielerin, ich verantworte mich vor der Theaterfigur, vor mir selbst, vor meinem Beruf und vor dem Publikum. Die Tatsache aber, dass es einen Menschen aus Fleisch und Blut gibt, der all das auf eigener Haut erlebt hat und weiterhin dieses Drama erlebt, macht mich viel stärker — ich fühle, dass ich seine Geschichte erzählen muss. Gleichzeitig aber fühle ich mich verantwortlich dafür, ich spüre den Druck der Verantwortung.“



    Oameni obişnuiţi“ / Gewöhnliche Menschen“ — eine Aufführung, die nachdenklich stimmt. Wenn das Stück zu Ende ist, kann man nicht einfach unberührt nach Hause gehen. Ofelia Popii:



    Von dieser Aufführung versteht jeder, was er will, was er kann. Für mich geht es darum, den eigenen Instinkten, dem eigenen Gerechtigkeitssinn zu vertrauen. Und, vielleicht, weniger erwachsen zu sein, auch wenn das etwas komisch klingt. Als ich begann, erwachsen zu werden, als mir klar wurde, dass die Welt, in der wir leben, keine ideale Welt ist, bin ich gegen diese Denkart gesto‎ßen. Warum sollte ich mir vorstellen, es gäbe Gerechtigkeit auf diese Welt? Ich sollte lieber versuchen, zu überleben, unter Menschen zu leben, die nicht unbedingt ehrlich sind. Und das tue ich, mehr oder weniger. Während der Arbeit für diese Aufführung ist mir aber klar geworden, dass meine frühere, so zu sagen ‚noch nicht erwachsene‘ Art, zu denken und zu leben, eigentlich die richtige war. Es wurde mir klar, wie man mit der Zeit den Mut verliert, wie man Argumente findet, falsch zu handeln. Oder wie man nicht mehr darauf besteht, dass die anderen korrekt handeln. Das ist aber nicht in Ordnung. Darum geht es in dieser Aufführung. Wofür sollten wir uns entscheiden? Sollten wir den Kopf in den Sand stecken, sollten wir weggucken, sollten wir uns selbst vormachen, das wir ehrliche Menschen sind?“



    Für die Rolle Mephisto in der Faust-Aufführung des Regisseurs Silviu Purcărete wurde Ofelia Popii beim Internationalen Theaterfestival in Edinburgh 2010 mit dem Preis Harold Angel“ ausgezeichnet.




    Eine weitere Premiere des Nationaltheaters Sibiu, die beim Internationalen Theaterfestival FITS 2016 aufgeführt wird, ist Der 20. November“ nach Lars Noren, eine Inszenierung des Regisseurs Eugen Jebeleanu mit dem jungen Schauspieler Ali Deac in der Hauptrolle. Der Text bezieht sich auf den Amoklauf von Emsdetten am 20. November 2006. Der 18-jährige Sebastian Bosse betrat gegen 9:25 Uhr das Gelände seiner ehemaligen Schule maskiert, schoss auf Menschen und zündete Rohr-, Rauch- und Brandbomben. Anschlie‎ßend beging er Suizid. Mindestens sechs Personen wurden durch Geschosse, eine Person durch den Wurf einer Rauchgranate verletzt, weitere 30 mussten wegen eines Schocks oder einer Rauchgasvergiftung behandelt werden. Der Autor nimmt den echten Amoklauf als Grundlage und konstruiert eine dokumentierte Fiktion über das zerstörte Leben eines misshandelten Jungen. Der Schauspieler Ali Deac arbeitete zusammen mit dem Regisseur Eugen Jebeleanu auch an der Übersetzung des Textes ins Rumänische. Ali Deac:



    Als ich den Text zum ersten Mal las, empfand ich ihn als sehr hart, sehr radikal. Der Text war extrem hart, man brauchte fast nicht mehr zu spielen. Dann versuchte ich, diesen Jungen zu verstehen, ich wollte das Ganze auch von seinem Standpunkt aus sehen. Nach einer solchen Geschichte sagen alle, er sei verrückt gewesen. Die wenigsten wissen aber, dass nur zwei Jahre vorher Sebastian ein Musterschüler war. Es ist hochinteressant, dass nur einige Monate vor seinem Amoklauf, im August, er auf mehreren Online-Psychologie- und Psychiatrieforen geschrieben hatte, um Hilfe zu bekommen. Damals hatten sich die anderen über ihn lustig gemacht. Mit dieser Aufführung versuchten wir, Eugen Jebeleanu und ich, Sebastian den Zuschauern näher zu bringen, er sollte nicht abscheulich wirken. Nach der Aufführung sollten die Zuschauer nicht mit demselben Eindruck nach Hause gehen wie nach einer Nachrichtensendung. Es war mir wichtig, dies zu erreichen, und es wurde mir noch wichtiger, weil man einsehen sollte, wohin Missbrauch und Misshandlung von Kindern führen können. Manchmal kann ein Wort härter als eine Ohrfeige sein, es kann tiefe Schäden verursachen.“




    Die Geschichte von Sebastian Bosse, wie sie in der Aufführung Der 20. November“ erzählt wird, sollte dem Publikum als Startpunkt zum Nachdenken dienen, meint Ali Deac:



    Ich möchte, dass der Zuschauer über Sebastian Bosse nachdenkt und sich fragt: ‚Was könnte ich tun? Ich kann das System nicht ändern, aber ich könnte schon mit kleineren Dingen anfangen, zum Beispiel mit der Art, wie ich meine Kinder erziehe. Ich sollte meinen Kindern zeigen, dass sie andere falsch behandeln.‘ Auch wenn die Zuschauer Sebastian ablehnen, sollten sie doch daran denken, dass der Amoklauf tatsächlich stattgefunden hat. Sie sollten daran denken, was sie tun können, damit unsere Welt einigerma‎ßen besser wird. Sie sollten einfach mit kleinen Schritten anfangen.“




    In der Aufführung Moroi“ (Wiedergänger“) inszenierte der Regisseur Alexandru Dabija Texte von Cătălin Ştefănescu und Ada Milea, die sich von der rumänischen Folklore inspirieren lie‎ßen. In dem Stück geht es um die geheimen Pfade zwischen dem Diesseits“ und dem Jenseits“. Viel zu schnell vergessen wir unsere Toten, und es ist nicht richtig, sie aus unserem Leben zu beseitigen. Das Jenseits macht uns Angst, weil wir es nicht kontrollieren können“, sagte der Regisseur Alexandru Dabija in einem Interview. Auch wenn der Tod immer präsent ist, wird bei der Aufführung mit dem Stück Wiedergänger“ viel gelacht. Dazu der Schauspieler Adrian Matioc vom Nationaltheater Sibiu:



    In dieser Aufführung spiele ich mit Begeisterung, und das Publikum empfängt alles mit Begeisterung! Diese Aufführung ist voller Überraschungen, die Spannung lässt nie nach, jede Minute bringt etwas Neues! Es ist ein wilder Reigen voller Geschichten, Mythologie, Speisen und Küchengerüchen, voller Menschen! Es geht um Menschen, es geht um uns, es geht um die Menschen, die uns gro‎ßgezogen haben. Es geht um gottesfürchtige Menschen, die aber auch an übernatürliche Wesen glaubten, welche auf ihre Gärten aufpassten und ihnen manchmal den Getreideboden mit Mais füllten… Es geht um die Geschichten, die uns die Gro‎ßeltern erzählten, und darum, wie wir uns fürchteten, wenn das Kerzenlicht unheimliche Schatten an die Wände warf… Darum geht es in unserer Aufführung.“

  • Premieren im Hermannstädter Nationaltheater „Radu Stanca“

    Premieren im Hermannstädter Nationaltheater „Radu Stanca“

    Es ist bereits zu einer Tradition rumänischer Nationaltheater geworden, am Anfang der Spielzeit einige der Erstaufführungen und ihrer Projekte in Vorbereitung auf die Bühne zu bringen. Das Hermannstädter Nationaltheater Radu Stanca“, Veranstalter der berühmten Internationalen Theaterfestspiele, bildet auch keine Ausnahme. In der ersten Oktoberwoche erfreuten sich sowohl das Hermannstädter Publikum als auch zahlreiche Journalisten und Theaterkritiker der ersten fünf Premieren der insgesamt 14 in der Spielzeit 2014 — 2015.



    Eröffnet wurde die Spielzeit mit der Vernissage der Kunstausstellung FOCUS TNRS: Visionen des Aufstands und der Tragödie“ der Künstler Sebastian Marcovici und Dragoş Dumitru. In der Ausstellung bebildern die jungen künstlerischen Fotografen die fünf Aufführungen, die in der ersten Oktoberwoche beim Nationaltheater im mittelrumänischen Hermannstadt dargestellt wurden. Sebastian Marcovici mit Einzelheiten:



    Wir haben drei‎ßig Fotos ausgestellt, sechs für jede Aufführung. Ausgestellt werden die Fotos auf den Plakaten unseres Kunstvereins »Focus Sibiu«. Es handelt sich um repräsentative Bilder, die dem Publikum die Möglichkeit gibt, sich einen Eindruck über die Aufführung zu machen. Meiner Ansicht nach muss man zuallererst den Sinn der Aufführung verstehen, bevor man sie fotografiert. Deshalb bleibt die Theaterfotografie mein Lieblingsgenre der Fotografie. Es ist eine gro‎ße Herausforderung für mich, mich selber sehr schnell in die Stimmung zu bringen, innerhalb einer einzigen Stunde muss ich fühlen, mir ein Bild von der Aufführung machen und letztendlich fotografieren. Die Aufführungen finde ich sehr gut, sehr visuell, farbenfroh, dynamisch, und sie bieten uns allen ausgezeichnete Bilder an.“




    Die Reihe der Erstaufführungen, die in der ersten Oktoberwoche dargestellt wurden, wurde von Marat/Sade“ des luxemburgischen Regisseurs Charles Muller eröffnet, einer Inszenierung nach dem Stück von Peter Weiss Die Verfolgung und Ermordung Jean-Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“. Das Drama war 1964 uraufgeführt worden. Der berühmte britische Regisseur Peter Brook hat das Stück in jenem Jahr in London und 1965 am Broadway inszeniert. 1966 wurde das Drama verfilmt. Das international erfolgreiche Theaterstück wurde 1966 mit dem US-amerikanischen Theater- und Musicalpreis Tony Award als bestes Theaterstück ausgezeichnet. Peter Brook wurde mit dem Preis für den besten Regisseur geehrt. Im Mittelpunkt des Dramas um die Französische Revolution stehen die beiden zentralen Gestalten Marat und De Sade mit ihren gegenseitigen Weltanschauungen und den damit einhergehenden Staatsentwürfen.



    In dem Hospiz zu Charenton inszeniert der Marquis de Sade zusammen mit Patienten und politischen Gefangenen eine Aufführung über die letzten Stunden im Leben von Jean-Paul Marat, einem Schriftsteller und Politiker der Französischen Revolution, der für die Radikalität seiner Auffassung bekannt wurde. Charles Muller ist der Ansicht, dass der Text immer noch aktuell sei:



    Der Dialog zwischen De Sade und Marat vertritt zwei gegenseitige Auffassungen angesichts des Sinns des Lebens. Beide müssen dabei scheitern. Heutzutage fällt es den Menschen vor dem Hintergrund der Situation in der Welt sehr schwer ein, sich das eigene Leben zu organisieren. Selbst wenn er in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstand, ist der Text heute noch sehr aktuell. Es gibt Revolutionen in Ägypten, Tunesien, Syrien, die Situation in der Ukraine ist auch dramatisch, im Westeuropa nimmt die Arbeitslosenquote deutlich zu, genauso wie die Migrationsprobleme. Meiner Meinung nach sollte man in die Geschichte zurückblicken und verstehen, dass alle Aufstände zum Scheitern verurteilt waren. So wie die Franzosen sagen: ‚La révolution dévore ses propres enfants / Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder‘. Es liegt in der menschlichen Natur. Ich kann verstehen, warum die französische Revolution entstanden ist, ich kann auch verstehen, dass im Oktober 1917 in Russland ein Aufstand ausbrach. Ich verstehe perfekt dass es die Menschen satt hatten und gegen ihre Regierungen aufgestanden sind, aber was danach kam, war Diktatur. Wir brauchen doch keine Diktatoren.“




    Die deutsche Abteilung des Radu-Stanca-Nationaltheaters hat das Stück Amadeus“ von Peter Shaffer in der Regie von Gavriil Pinte erstaufgeführt. Das Stück begibt sich auf die Spuren Mozarts und seines rätselhaften Todes. Gerüchten zufolge sei er vergiftet worden. Beschuldigt wird Antonio Salieri, der ursprünglich erfolgreichste Komponist am Hof des Kaisers Joseph II., bevor das Wunderkind Mozart auftaucht. Doch das Rätsel interessiert den Regisseur Gavriil Pinte weniger:



    Das ist nicht, was mich direkt interessierte, sondern dass der Künstler oftmals den politischen und wirtschaftlichen Bedingungen zum Opfer fällt. Heute wird unser Schicksal nicht von ideologischen, sondern von wirtschaftlichen Bedingungen geprägt. Mozart wurde mit dem Not, dem sozialen Elend und dem eingeschränkten geistigen Horizont derer konfrontiert, die ihn finanziell unterstützen sollten. Man kann das Thema Situation des Künstlers nicht ansprechen, ohne den sozialen und politischen Aspekt zu berücksichtigen, genauso wie man die ästhetische Hinsicht nicht weglassen kann. Mozart war seiner Zeit voraus. In diesem Stück handelt es sich eigentlich um die Situation des Künstlers, um den dramatischen Dialog zwischen dem begabten und dem niveaulosen Künstler, zwischen Mozart und Salieri. Es geht vielmehr um das Entzücken und die Qual der Schaffung bei Mozart sowie um das Elend der Mittelmä‎ßigkeit, den erschütternden Neid Salieris, in dem Theaterstück der einzige, der die Musik von Mozart völlig verstehen konnte und sie dennoch am stärkten hasste.“




    Die Reihe der Erstaufführungen beim Hermannstädter Nationaltheater wurde von von Eugène Ionescos Lektion“ in der Regie von Mihai Măniuţiu, einem äu‎ßerst sinnvollen Text über politische Manipulation, Verführung und Grausamkeiten, De ce Hecuba?“ (Warum Hekuba?“) von Matei Vişniec in der Vision der Regisseurin Anca Bradu, einer modernen Tragödie über die Königin von Troja, Hekuba, Oedipus“ des Regisseurs Silviu Purcărete, nach einem Originaldrehbuch des Regisseurs und den ursprünglichen Texten König Oedipus“ und Oedipus auf Kolonos“ von Sophokles ergänzt. Die Aufführung Oedipus“ wurde ebenfalls bei dem diesjährigen Internationalen Theaterfestival in Hermannstadt dargestellt und soll 2014 bei den Nationalen Theaterfestspielen auf die Bühne gebracht. Im April 2015 geht die Aufführung auf Tournee nach Tokyo.




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  • Die 23. Auflage des Nationalen Theater-Festivals

    Die 23. Auflage des Nationalen Theater-Festivals

    Die Aufführung zur Eröffnung des 23. Nationalen Theater-Festivals trug die Unterschrift des Regisseurs Andrei Şerban. Die Troerinnen“ nach Euripides war auch das während der Festivaltage am häufigsten aufgeführte Stück. Andrei Şerban hatte Die Troerinnen“ zum ersten Mal 1974 am La MaMa“-Theater in New York inszeniert. 1990 wurde das Stück ein weiteres Mal mit den Schauspielern des Bukarester National-Theaters gespielt — als mittlerer Teil der Antiken Trilogie“, die als Symbol für die Wiedergeburt des rumänischen Theaters stehen sollte. Und schlie‎ßlich kehrte Andrei Şerban 2012 mit den Troerinnen“ ein weiteres Mal auf die Bühnen zurück, diesmal mit den Sängern der National-Oper aus Iaşi. Warum überhaupt? — lautet die logische Frage an den Regisseur.



    Beatrice Rancea, die zur Direktorin der Oper in Iaşi ernannt wurde, war 1990 Mitglied im Ensemble des Nationaltheaters, mit dem ich zum ersten Mal die griechische Trilogie inszeniert habe. Und sie verspürte immer diese Wehmut, wenn es um die Trilogie ging; sie wollte sie irgendwie wieder spielen. Und warum an der Oper? Weil ›Die Troerinnen‹ eine Art Oper ist, die von Schauspielern gespielt und gesungen wurde. Und diesmal sind es professionelle Opernsänger — der Chor und die Solisten der Oper aus Iaşi, die diese für sie völlig neue Erfahrung mit Begeisterung mitgemacht haben. Auch für das junge Publikum war es eine Erfahrung, denn die heute 20-Jährigen waren 1990 nicht einmal geboren. Einige von ihnen lernen in der Schule über das, was die Trilogie hier und in den USA bedeutet hat. Sie ist in die Geschichte des Theaters eingegangen, aber sie haben die Aufführung nie gesehen. Und wenn sie jetzt die Möglichkeit dazu haben, dann ist es sicherlich eine Erfahrung, und man bildet dadurch auch das junge Publikum, gegenüber dem ich mich zu der Neuinszenierung des Stücks verpflichtet gefühlt habe.“



    Andrei Şerban glaubt zudem, dass die Stücke von Euripides vor dem aktuellen sozialen Hintergrund Sinn ergeben.



    Eine Tragödie, die vor 2500 Jahren geschrieben wurde, ist universell gültig. Ich glaube, dass es zu jedem Zeitpunkt Spannungen gibt, jederzeit können wir Verbindungen zu der Aktion auf der Bühne herstellen, zu den Dingen, die auf sozialer oder menschlicher Ebene Gefangenschaft oder Freiheit bedeuten — wir tragen in uns selbst ein Gefängnis und einen Drang nach Freiheit. Diese zwei Begriffe sind sehr präsent in der Aufführung und die Zuschauer, die auch vor 20 Jahren das Stück gesehen haben und auch jetzt im Saal dabei waren, haben zu meiner Freude gesagt, dass es ebenso prägend, stark, lebendig und frisch wie damalis gewirkt hat.“



    Ferner war im Programm des Theaterfestivals, das am 3. November zu Ende ging, die Aufführung Solidarität“ von Gianina Cărbunariu. Dieses Stück wurde für den offiziellen Wettbewerb des Theaterfestivals in Avignon kommendes Jahr ausgewählt. Es ist eine Koproduktion des Nationaltheaters Radu Stanca“ aus Hermannstadt und des Nationalen Theaters der Französischen Gemeinde in Brüssel, mit Unterstützung des Festivals in Avignon. Das alles im Rahmen des europäischen Projekts Cities on stage/ Städte auf der Bühne. Solidarität“ ist aus der rumänischen Realität inspiriert, allerdings seien diese Symbole in unterschiedlichen Formen in jedem Raum unseres Jahrhunderts anzutreffen, sagt die Regisseurin Gianina Cărbunariu:



    Es sind lokale Symbole, aber ich glaube, dass sich die Menschen auf der ganzen Welt heute mit den ungefähr gleichen Problemen konfrontieren. Auch die Probleme sind global: Nationalismus, die Einkapselung in traditionellen Werten, Identitätsprobleme. Ich glaube, dass diese lokalen Symbole die gleiche Sprache sprechen. Ich habe mir nicht vorgenommen, unbedingt Rumänien darzustellen. Ich habe mir vorgenommen, ausgehend von mir bekannten Dingen ein Theaterstück aufzuführen. Ich finde, dass das Nationalismus-Problem dem Drang entspringt, eine Identität zu behaupten, und das manchmal in einer zu starken und störenden, aggressiven Art und Weise, die kurz-, mittel- und langfristig zum Scheitern verurteilt ist. Ich war eher an der fehlenden Solidarität interessiert, und das nicht nur in Rumänien. Wegen der Krise gibt es einen Gedanken, der vielleicht nicht ausgesprochen wird, aber den gibt es: Es rette sich, wer kann. Das war eigentlich schon immer so, aber die Krise hat dieses Gefühl vertieft. Ich wollte sowohl dem Publikum als auch mir und den Schauspielern Fragen stellen. Warum sind wir nicht fähig, uns zu solidarisieren? Warum sind wir nicht imstande, gemeinsam Dinge zu erreichen? Warum sind die Augenblicke der Solidarität so selten? Es gibt sie doch. Aber es dauert viel zu lange, bis wir uns dessen bewusst werden, dass wir Dinge erreichen können, wenn wir alle unsere Kräfte zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinen.“



    Die Sektion Schauspieler im Vordergrund“ des Nationalen Theaterfestivals beinhaltete eine Aufführung, die einem noch lange im Gedanken herumschwirren wird. Zumindest wegen des Textes. Eine extrem realistische Geschichte über das Leben: das Stück hei‎ßt Illusionen“, der Text stammt von dem russischen Dramatiker Iwan Wyrypajew, Regie führte Cristi Juncu. Die Aufführung ist eine Chance und eine Herausforderung für jeden Schauspieler. Einer davon ist Andi Vasluianu. Ihn fragten wir, wie seine Begegnung mit dem Text von Wyrypajew war.



    Als mir Cristi Juncu den Text schickte und ich ihn las, war ich sehr mitgenommen, aber gleichzeitig habe ich ihm gesagt, dass es extrem schwierig werden wird. Und das nicht nur aus schauspielerischer Sicht. Ich habe viele Sachen hinterfragt, ob das Publikum bereit ist für diesen Text. Diese Aufführung hängt sehr vom Publikum ab. Bei anderen Arten von Texten hängt sehr viel von den Schauspielern oder der Regie ab, aber hier hängt es von der Fähigkeit des Publikums ab, diese Geschichte zu begleiten. An dieser Geschichte hat micht die Illusion des Lebens gerührt. Und jedesmal wir dieser Illusion verfallen, jedesmal wenn wir glauben, zu wissen, worum es geht, kann ein Satz unser ganzes Leben auf den Kopf stellen. Ein Satz, der eine Illusion sein kann, eine Lüge. Und das macht diesen Text aus: Ein kurzer Satz kann das Leben einiger Menschen verändern. Das hat mich an diesem Text fasziniert: Er ähnelt uns selbst sehr. So wie wir sind, was wir tun und wieviel wir uns vormachen.“



    Im Rahmen der Abschlusszeremonie des Theaterfestivals wurde unter anderem der Preis für Das Theater von morgen“ verliehen: Er ging an die Aufführung von Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams, unter der Regie von Andrei und Andreea Grosu, eine Produktion von UNTEATRU in Bukarest. Die Begründung der Jury in diesem Fall: das originelle Bühnenbild, die einfallsreiche Nutzung des Raums und die sehr gelungene Umsetzung der Idee grö‎ßtmögliche Wirkung mit möglichst wenigen Mitteln“, das raffinierte und hochwertige Schauspiel, sowie die subtile Kunst, Beziehungen auf der Bühne zu schaffen. Das Nationale Theaterfestival wird jedes Jahr von dem Theaterverband UNITER organisiert.



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