Tag: Neutralität

  • Moldau: welche Form von Neutralität?

    Moldau: welche Form von Neutralität?


    Jüngst erklärten sich die EU, die USA und das Vereinigte Königreich bereit, der Republik Moldau aufgrund des Angriffskriegs auf die benachbarten Ukraine und der Lage in der separatistischen Region Transnistrien moderne Waffen zu liefern. Dies stellt, die in der Verfassung Chişinăus von 1994 verankerte Neutralität erneut infrage. Seit drei Monaten, seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, wird im Nachbarstaates intensiv darüber diskutiert. Aus einer Umfrage des Instituts für Entwicklung und soziale Initiativen “Viitorul” geht hervor, dass sich die Hälfte der Moldauerinnen und Moldauer für die Neutralität ausspricht. Regierungsvertreter versicherten, dass diese Neutralität, die von Moskau seit fast 30 Jahren streng überwacht wird, der rote Faden in der Sicherheitspolitik der Moldau bleibt.




    Der Experte in Fragen der von der Moldau abtrünnigen Republik Transnistrien, Ioan Leahu befürwortet die derzeitige Politik. Er ist der Ansicht, dass Russland in dieser Frage nicht herausgefordert werden sollte. “Die sterile Neutralität als solche ergibt keinen Sinn. Sie gehört dir. Du allein entscheidest. Du bist neutral oder du ergreifst Partei. Die Politik ist die Kunst des Möglichen. In der gegenwärtigen Situation bestünde die Kunst des Möglichen meines Erachtens darin, keine negativen Signale zu senden. Wer Frau Zaharova (Anmerkung der Redaktion: Maria Zaharova, die Leiterin der Informations- und Presseabteilung des russischen Au‎ßenministeriums) aufmerksam zuhört, stellt fest, dass sie jedes Mal einen Vorwand findet, um mit dem Finger auf uns zu zeigen. Wahrscheinlich hat die ganze Aufregung um diese Neutralität einen kurzfristigen politischen Hintergrund. Aber was die Ausarbeitung einer Strategie angeht, so scheint mir, dass die derzeitige Regierung der Republik Moldau im Prinzip berücksichtigt, dass die Neutralität in der Verfassung verankert ist, dass sie aber parallel dazu andere Fragen löst.”




    Sicherheitsexperten sind überzeugt, dass bei der Neutralität des kleinen Nachbarstaates Klärungsbedarf besteht. Nach Ansicht des Sicherheitsexperten Igor Munteanu, sollten die Urheber der moldauischen Sicherheitsstrategie den Begriff genauer hinterfragen und definieren. “Jeder Staat kommt letztendlich zu seiner eigenen Interpretation der Neutralität. Neutralität kann die Nichtzugehörigkeit zu einem bestimmten Verteidigungsblock bedeuten, sie kann aber auch einfach die Nichtbeteiligung an aggressiven Aktionen gegen andere Staaten sein. Die Interpretationen liegen recht weit auseinander. Was die Republik Moldau betrifft, so zeugt das Beharren der Russischen Föderation auf deren Neutralität von einer Strategie, die darauf abzielt, die Bevölkerung der Republik Moldau ruhig zu halten, sie zu entwaffnen und seinen Truppen im Vorgriff auf die Ausdehnung des westlichen Raums dort zu halten.”




    Das Au‎ßenministerium in Chişinău versicherte, dass jegliche internationale Zusammenarbeit und Partnerschaft bisher aufgrund des Verfassungsgrundsatzes der Neutralität der Republik Moldau durchgeführt wurde. Und die Vereinigten Staaten sagte der moldauischen Präsidentin Maia Sandu zu, ihre Hilfe nach dem Bedarf Chişinăus zu bemessen.







  • Erster Weltkrieg: Warum Rumänien 1914–1916 neutral blieb

    Erster Weltkrieg: Warum Rumänien 1914–1916 neutral blieb

    Der Ausbruch des 1. Weltkriegs stellte das Altreich Rumänien vor die wichtige Entscheidung der Kriegsteilnahme. König Karl I. zusammen mit weiteren deutschlandfreundlichen Politikern zeigte sich natürlich skeptisch gegenüber einer Teilnahme an der Seite der Entente. Die Befürworter der Entente meinten, die Interessen Rumäniens betreffend die Rumänen in Österreich-Ungarn würden einen Kriegseintritt Rumäniens auf der Seite Deutschlands und Österreichs unmöglich machen. Somit hat man die Entscheidung über die Kriegsteilnahme aufgeschoben und die Neutralität bevorzugt. Ein anderer Grund, neutral zu bleiben, war die mangelhafte Ausrüstung der rumänischen Armee. Auch wenn die politischen Eliten des Landes versucht hatten, die Kluft zwischen Rumänien und dem Westen zu vermindern, waren die veraltete Struktur der Wirtschaft und die mangelhafte Ausrüstung wichtige Gründe für Rumänien, in den ersten beiden Jahren des Krieges neutral zu bleiben. Der Historiker Alin Ciupală dazu:



    Die Lage Rumäniens war sehr kompliziert, weil es schon einen Bündnis-Vertrag mit Deutschland und seinen Alliierten gab. Es handelte sich um ein Verteidigungsabkommen, das aber der Öffentlichkeit und dem Gro‎ßteil der rumänischen Politiker nicht bekannt war. Otto von Bismarck, Kanzler des Deutschen Reiches, hatte auf der Geheimhaltung des Abkommens beharrt. In Rumänien war es nur wenigen Politikern und dem König Karl I. bekannt. Diese Allianz von 1883, womit das Land praktisch dem Dreibund beigetreten war, brachte Rumänien die Sicherheitsgarantien, die der junge rumänische Staat nötig hatte. 1914 bereitete dieses Abkommen Rumänien Probleme, denn völkerrechtlich schränkte es auf internationaler Ebene die Bewegungsfreiheit der rumänischen Politiker ein.“




    Rumänien waren die Rechte der Rumänen in Siebenbürgen, im Banat und in der Bukowina wichtig. Das waren Gebiete Österreich-Ungarns, in denen die rumänische Bevölkerung in der Mehrheit war. Die Argumente für die Ablehnung der Forderungen der Mittelmächte und für die Beibehaltung der Neutralität des Landes wurden vom Ministerpräsidenten Ionel Brătianu mit folgenden Worten vorgestellt:



    Ein Land wie unser Land, das als souveräner und gleichberechtigter Staat dem Dreibund beigetreten ist, darf nicht so behandelt werden. Andererseits darf Rumänien nicht an einem Krieg teilnehmen, dessen Ziel die Vernichtung einer kleinen Nation ist. Die öffentliche Meinung ist fast einstimmig gegen den Krieg. Das Schicksal der Rumänen auf der anderen Seite der Karpaten, das nationale Ideal der Rumänen darf von keiner rumänischen Regierung vernachlässigt werden.“




    Der Historiker Alin Ciupală erläutert die Umstände, die dazu führten, dass der Kronrat Rumäniens zunächst die Beibehaltung der Neutralität beschlossen hat:



    Die Politiker und der Ministerpräsident Ionel Brătianu, der zugleich auch Vorsitzender der National-Liberalen Partei war, waren sich dessen bewusst, dass die rumänische Armee nicht bereit war und technisch nicht ausgestattet war, um einen modernen Krieg zu führen. Man hatte die militärische Unfähigkeit der rumänischen Armee 1913, während des 2. Balkankriegs, erkannt, als sie nach Bulgarien, südlich der Donau, geschickt wurde. Die Gespräche über den Kriegseintritt Rumäniens waren sehr angespannt. König Karl I. hat den Kronrat einberufen. An diesem nahmen sowohl die Anführer der National-Liberalen Partei und die liberalen Minister von damals als auch andere wichtige Politiker, auch der Kronprinz Ferdinand, teil. König Karl I. forderte ausdrücklich den Kriegseintritt Rumäniens an der Seite Deutschlands und seiner Alliierten. Hauptargument dafür war der Verteidigungsvertrag von 1883. Für das erste Mal in seiner Regierungszeit wurde der König tief enttäuscht, weil die meisten anwesenden Politiker der Ansicht waren, dass Rumänien nicht an der Seite Deutschlands in den Krieg eintreten muss. Das hätte den Verzicht auf das nationale Projekt bedeutet, eine Vereinigung mit Siebenbürgen wäre anschlie‎ßend unmöglich gewesen. Wegen der mangelhaften Ausrüstung der Armee haben die meisten Kronrat-Teilnehmer die Beibehaltung der Neutralität bevorzugt. Die Rolle der National-Liberalen Partei und ihrer Anführer war genauso wichtig wie die Rolle anderer Politiker der Zeit. Ionel Brătianu selbst war sich dessen bewusst, dass die Verantwortung für die Entscheidung über einen Kriegseintritt Rumäniens eine Angelegenheit der gesamten politischen Klasse war. Insbesondere die liberalen Minister hatten sich bemüht, Rumänien auf den Kriegseintritt vorzubereiten. Ionel Brătianu wollte diesen Moment aber so lange wie möglich verschieben.“




    In den nächsten beiden Jahren nach dem Tod Karl I. haben sowohl die Alliierten als auch die Mittelmächte versucht, Rumänien zu überreden. Sowohl König Ferdinand als auch Ministerpräsident Ionel Brătianu, ein Freund Frankreichs und Englands, wollten die Neutralität beibehalten, bis der Krieg vorhersehbar sein würde, um das nationale Ziel zu erreichen. Rumänien trat im August 1916 auf der Seite der Alliierten in den Krieg ein. Diese Entscheidung machte nach dem Ende des 1. Weltkriegs die Gründung Gro‎ßrumäniens durch die Vereinigung Siebenbürgens, des Banats, Bessarabiens und der Bukowina mit dem Altreich möglich.