Tag: Obdachlose

  • Wohltätigkeit in der Pandemie: NGO helfen Obdachlosen, chronisch Kranken und Senioren

    Wohltätigkeit in der Pandemie: NGO helfen Obdachlosen, chronisch Kranken und Senioren

    Abgesehen von den unvermeidlichen Gesundheitsproblemen hat die Pandemie 2020 die sozialen Dramen vertieft und manchmal sogar neue geschaffen — vor allem ältere Menschen, Obdachlose und Menschen mit verschiedenen chronischen Erkrankungen sind betroffen. Einigen von ihnen hilft seit 2011 der Verein Carusel, dessen Freiwillige soziale und medizinische Dienste für extrem gefährdete Gruppen anbieten. Der Geschäftsführer von Carusel, Marian Ursan, erzählte uns, wie das Jahr 2020 für den Verein und seine Leistungsempfänger war:



    Es war ein schreckliches Jahr. Die Menschen haben sich mit gro‎ßen materiellen Problemen konfrontiert. Und das schlie‎ßt Menschen ein, die es geschafft hatten, in den Gro‎ßstädten zu überleben, gerade dank der vielen Restaurants und Geschäfte, die geöffnet hatten und wo sie Hilfe bekamen. Aber darüber hinaus fühlten sich die Menschen auch in Stich gelassen. Zum einen, weil Krankenhäuser geschlossen wurden, und viele dieser Menschen leiden an chronischen Krankheiten wie Hepatitis, Tuberkulose, Aids. Weil der Zugang zu Krankenhäusern eingeschränkt war, konnten sie keine Behandlung erhalten. Die Gesundheitsdienste konzentrierten sich auf die Pandemie und alle anderen Aktivitäten wurden zwar nicht ganz aufgegeben, aber in den Hintergrund gedrängt. Wir hingegen setzten unsere Arbeit fort. Schon in den ersten Phasen der Pandemie beschlossen wir alle, dass wir unsere Türen nicht schlie‎ßen dürfen, und wir gingen die ganze Zeit über auf die Stra‎ße. Zusammen mit unseren freiwilligen Helfern boten wir hei‎ße Getränke, Essen, Desinfektionsmittel, Medikamente, Schlafsäcke und Decken an, alles, was uns einfiel, um es diesen Menschen leichter zu machen.“




    Doch einige Projekte des Carusel-Vereins konnten in dieser Zeit nicht weitergeführt werden, darunter die Mobile Dusche und die Nachtunterkunft Odessa“. Die Mobile Dusche, ein Lieferwagen, der in Bukarest herumfuhr, um Obdachlose mit elementaren Hygienediensten zu versorgen, wurde mit der Begründung geschlossen, dass der sich darin bildende Dampf zur Verbreitung des Coronavirus beiträgt. Und das Obdachlosenheim wurde geschlossen, weil der vorgeschriebene Abstand nicht gewährleistet werden konnte. Dennoch half der Verein Carusel den örtlichen Behörden, eine Lösung zu finden, um Obdachlose nachts in gemieteten Räumen unterzubringen.



    Ein weiteres Problem war natürlich die Verbreitung des Virus unter den Leistungsempfängern des Vereins, ein Problem, das Marian Ursan wie folgt beschreibt:



    Aber wer kümmert sich um diese Kategorie von Menschen? Natürlich gibt es Covid-19-Fälle unter ihnen, wir haben unsere Vermutungen, aber ich denke, das ist nur die Spitze des Eisbergs. Was die Behörden betrifft, wissen Sie, wer sich beispielsweise um Obdachlose erkundigt, nach Personalausweisen fragt, um diesen Leuten Geldstrafen aufzudonnern, falls sie keine haben? Die Polizei. Das ist die einzige öffentliche Behörde, die im Leben dieser Menschen ständig präsent ist.“




    Und doch versuchten im Jahr 2020 viele Nichtregierungsorganisationen, denjenigen, die es brauchten, eine helfende Hand zu reichen. Eine von ihnen ist der Seneca-Verein, der im Rahmen des Projekts Unsere Gro‎ßeltern“, das im März begann, als der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, Lebensmittel und andere dingende Einkäufe an ältere Menschen lieferte, die zu Hause isoliert waren. Die Zahl der Empfänger ist mit der Zeit gewachsen, und derzeit decken die Freiwilligen 50 Städte und Dörfer im ganzen Land ab. Allein im Dezember lieferten sie 600 Pakete mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln aus, wie uns Anastasia Staicu berichtete:



    Wir versuchten zunächst, den älteren Menschen zu helfen, die ihre Häuser nicht verlassen durften. Aber wir fanden viele Menschen, die einfach niemanden in der Nähe haben, und Menschen, die, selbst wenn sie ausgehen dürften, sich die Einkäufe nicht leisten könnten. Also konzentrierten wir uns auf Orte, die schwerer zu erreichen waren, und wir ‚adoptierten‘ diese Gro‎ßeltern ohne Familien. Unsere Freiwilligen helfen ihnen seit März.“




    Aber, wie Anastasia Staicu uns weiter erzählte, ist das, was diese Gro‎ßeltern brauchen, nicht immer etwas Materielles:



    Ihre emotionalen Bedürfnisse sind die gleichen wie unsere. Unsere grö‎ßte Angst ist vielleicht die Angst vor dem Alleinsein, und die Pandemie hat diese Angst weiter vertieft. Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der nicht unter dem Mangel an menschlichem Kontakt und Wärme gelitten hat. Im Jahr 2021 werden wir also etwas Neues in das Projekt einbringen. Das Nationale Museum für Zeitgenössische Kunst organisiert unterschiedliche Workshops für Kinder, und einige dieser Kinder haben keine Gro‎ßeltern und würden gerne welche symbolisch adoptieren. Diese älteren Menschen werden also ab dem nächsten Jahr zusätzlich zu den Lebensmitteln und Hygieneartikeln auch Briefe von Kindern in ihren Paketen finden.“




    Sowohl der Verein Carusel als auch das Projekt Unsere Gro‎ßeltern“ werden auch im Jahr 2021 das Leben der Schwächsten unter uns leichter machen.

  • Ian Tilling: Britischer Polizist in Ruhestand engagiert sich für Opfer häuslicher Gewalt

    Ian Tilling: Britischer Polizist in Ruhestand engagiert sich für Opfer häuslicher Gewalt

    Nach der Revolution von 1989 waren die internationalen Medien voll mit Bildern von Kindern in Horrorheimen in Rumänien. Es dauerte nicht lange, und es kamen Dutzende Hilfstransporte ins Land. Es waren Ausländer, die, tief beeindruckt von dem, was sie in den Medien gesehen hatten, entschlossen waren, diesen Kindern zu helfen. Unter ihnen befand sich auch unser heutiger Gast, Ian Tilling aus Gro‎ßbritannien.



    Ian Tilling arbeitete zwei Jahre lang mit behinderten Kindern im Zentrum von Plătăreşti nahe Bukarest und beschloss, anschlie‎ßend für immer in Rumänien zu bleiben. Am Ende einer 23-jährigen Karriere bei der örtlichen Polizei in der britischen Stadt Kent wurde er mit der Medaille für vorbildliches Verhalten ausgezeichnet. Er zog nach Rumänien und gründete 1992 den Verein Casa Ioana“, ein Zentrum für Opfer häuslicher Gewalt und eine Unterkunft zwecks eines Neuanfangs für obdachlose Familien. Ian Tilling organisiert auch regelmä‎ßig humanitäre Aktionen für Obdachlose in Bukarest.



    Zum ersten Mal kam er im August 1990 nach Rumänien. Er erinnert sich noch genau, wie das Land einige Monate nach der Revolution aussah:



    Die Reise nach Bukarest war schrecklich und wunderbar zugleich. Schrecklich, weil es keine Stra‎ßen gab und die Bedingungen sehr schwierig waren. Stattdessen war die Aussicht fantastisch, die Natur war wunderschön. Das machte die Reise sehr interessant. Als wir in Bukarest ankamen, war es spät in der Nacht und die Stadt schien ärmlich zu sein. Das hatten wir nicht erwartet. Wir erreichten schlie‎ßlich das Hotel Athénée Palace, ein ziemlich luxuriöses und recht teures, aber wir hatten keine andere Unterkunft. Ich erinnere mich, dass wir am Morgen von einem Kind begrü‎ßt wurden, das der Krankenschwester, mit der wir zusammen waren, eine Blume gab. Es war eine nette Geste, und das Kind wurde in den folgenden Tagen unser kleiner lokaler Reiseleiter, der uns sehr half. Zunächst arbeitete ich im Waisenhaus der Mutter Teresa in Bukarest, bevor ich einige britische Krankenschwestern traf und ins Zentrum in Plătăreşti wechselte, wo ich einen Monat lang mit den dortigen Kindern arbeitete, die schwere körperliche und geistige Behinderungen hatten. Ich erinnere mich, dass ich nur auf dem Markt Lebensmittel kaufen konnte. Es gab zwar auch ein Lebensmittelgeschäft auf dem Magheru-Boulevard, aber meine Haupteinkäufe tätigte ich auf dem Markt. Vor den wenigen Läden bildeten sich Warteschlangen, und Stra‎ßenbeleuchtung gab es nur auf den Hauptboulevards. Alles war langweilig, es gab nirgendwo Farbe, es gab keine Werbetafeln, alles war eintönig. Als wir zurückfuhren und eine Nacht in Braşov (Kronstadt) verbrachten, einer Stadt, die so anders ist als Bukarest, so schön, in den Bergen gelegen, war ich überrascht.“




    Auf der Rückreise war er froh Rumänien, hinter sich gelassen zu haben. Er sagte, dass es vier Wochen extremer Gefühle waren. Er dachte nicht, dass er jemals zurückkehren würde. Doch es sollte anders kommen. Es war, als würde uns ein unsichtbarer Magnet zurückziehen, erinnert sich Ian Tilling. Jetzt ist er ein bekannter Leiter von Programmen im sozialen Bereich. In 30 Jahren in Rumänien koordinierte er mehrere Teams, die europäische Programme und ein Weltbankprogramm zur sozialen Eingliederung von Obdachlosen und Alleinerziehenden umgesetzt haben. Der von ihm gegründete und geführte Verein Casa Ioana“ beherbergt 20 Familien und neun Frauen, die betreut, psychologisch und professionell beraten werden, um ein unabhängiges Leben zu führen. Nach einem Jahr, denn solange dauert die Unterkunft im Casa Ioana“, finden über 80% der hier Untergebrachten ein neues Zuhause und einen Job. Seitdem er hier lebt, hat Ian viele Veränderungen wahrgenommen:



    Viele Dinge haben sich verändert und ändern sich immer weiter zum Besseren. Ich bin froh, das festzustellen. Rumänien ist jetzt NATO-Mitgliedsland und Teil der Europäischen Union. Ich bin in diesen Jahren viel gereist und habe nur gute Eindrücke und Lob für das Land und die Menschen hier erhalten, als ich sagte, dass ich aus Rumänien komme. Viele Rumänen gingen ins Ausland, und die überwiegende Mehrheit von ihnen leistete einen guten Beitrag in den Ländern, in denen sie leben. Rumänien sollte — und ich denke, das tut es schon — die natürliche Schönheit seiner fabelhaften Orte fördern, die das Herz von Prinz Charles und anderer Persönlichkeiten berührt haben, die Interesse an der Natur und den reichen Traditionen haben. Ein anderer wichtiger Bereich wäre das Gastgewerbe, einer in dem Rumänien Fortschritte machen und verstehen muss, dass es gegenüber Touristen eine einladende und freundliche Kultur entwickeln muss. Und nicht nur der rumänische Staat, sondern wir alle müssen dies tun, wir sollten uns alle bemühen, ein besseres Image und unsere Erfolge im Ausland bekannt zu machen.“




    Ian vermisst seine Familie in England, aber Rumänien bleibt sein jetziges Zuhause.



    Rumänien ist seit vielen Jahren meine Heimat. So gesehen, ist es das Land meiner Wiedergeburt, ich habe mein Leben komplett umgekrempelt, seit dem ich hier bin. Ich vermisse nichts Besonderes aus England, wahrscheinlich weil ich genau wei‎ß, dass mein Zuhause jetzt hier ist. Ich habe hier Wurzeln geschlagen und bin dankbar für diese Chance. Es waren au‎ßergewöhnliche drei Jahrzehnte für mich, eine emotionale Achterbahnfahrt, die bis heute andauert. Ich habe so viel über mich selbst gelernt. Dies wäre nicht passiert, wenn ich in Gro‎ßbritannien geblieben und ein gewöhnlicher Rentner gewesen wäre.“




    Zurückblickend begrü‎ßt Ian Tilling, dass die Kinderzentren geschlossen wurden. Er glaubt aber, dass der rumänische Staat nicht genug für die benachteiligten Menschen tut. Armut, mangelnde Ausbildung und Akzeptanz der häuslichen Gewalt als etwas fast Normales sind die gro‎ßen Herausforderungen jetzt in Rumänien, sagt er.

  • Rumänischer Dokumentarfilm „Acasă, My Home“ räumt Preise bei mehreren Festivals ab

    Rumänischer Dokumentarfilm „Acasă, My Home“ räumt Preise bei mehreren Festivals ab

    Die rumänische Dokumentation Acasă, My Home“ hat den Preis der Jury auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival in Thessaloniki erhalten. Die 22. Festspiele fanden zwischen dem 19. und dem 28. Mai online statt. Das ist die dritte Auszeichnung des Debütfilms des Regisseurs Radu Ciorniciuc nach dem Sonderpreis der Jury für das beste Bild beim Internationalen Filmfestival Sundance und dem Gro‎ßen Preis des Festivals DOK.fest München (das ebenfalls online, zwischen dem 6. und dem 24. Mai stattfand).



    Acasă, My Home“ erzählt die Geschichte einer obdachlosen Familie, die etwa zwanzig Jahre lang im Văcăreşti-Delta am Rande der rumänischen Hauptstadt lebte, einem verwilderten Ort, der zu einem Schutzgebiet und dem ersten städtischen Naturpark Rumäniens erklärt wurde. Vier Jahre lang verfolgte der Regisseur Radu Ciorniciuc das gro‎ße Abenteuer“, das die Familie Enache erlebt hat, ihren Weg von einem Leben in perfekter Harmonie mit der Natur zu einem Leben im Gro‎ßstadtdschungel. Der Reporter Radu Ciorniciuc ist einer der Gründer des unabhängigen Journalisten-Portals Casa Jurnalistului“ und Produzent von zahlreichen Reportagen bei The Guardian, Al-Jazeera, Channel 4 News, ZDF. Der Übergang von Reportagen zu Dokumentationen kam irgendwie natürlich, sagt Radu Ciorniciuc



    Acasă, My Home“ hat sich eines gro‎ßen Erfolgs beim Sundance Filmfestival 2020 erfreut. Die Dokumentation des rumänischen Regisseurs zeichnet die Porträts der Gebrüder Enache und spricht über die überwältigenden Herausforderungen im Leben dieser Kinder, die einen schweren Übergang von einem Leben ins nächste erleben müssen — dies in einer Zeit, in der die iPads zum allgegenwärtigen Teil des Alltags geworden sind“, schreibt die Publikation SOUNDVENUE. Der Regisseur bezeichnet den Dokumentarfilm als Familiendrama:



    Zwei Jahre lang haben wir das Leben der Familie Enache im Văcăreşti-Delta gefilmt und weitere zwei Jahre lang haben wir ihren Prozess der sozialen Integration verfolgt. Dieser Dokumentarfilm entstand in Zusammenarbeit mit der Drehbuchautorin Lina Vdovîi und mit Mircea Topoleanu. Keiner von uns hatte Filmerfahrung. Dann kam ein Produzent zu uns, der bereits in diesem Bereich gearbeitet hatte. Au‎ßerdem hatten wir als Journalisten Zugang zur Öffentlichkeit, und unser Projekt gewann immer mehr an Sichtbarkeit. Hinzu kam der Versuch, den Kindern und Eltern einen weniger traumatischen Übergang von einem Leben in das nächste zu ermöglichen. Es ist den Menschen zu verdanken, die uns unterstützt haben, dass wir dieses Multimediaprojekt auf die Beine stellen konnten. Unter anderem haben die Kinder in ihrem ersten Übergangsjahr ein Album produziert, in dem sie ihr Leben vom Zeitpunkt, an dem sie das Delta verlie‎ßen, bis zum Ende des ersten Schuljahres dokumentiert haben. Vorher waren sie noch nie in der Schule gewesen.“




    Der rumänische Dokumentarfilm wurde für 20 internationale Filmfestivals ausgewählt, darunter CPH.Dox Copenhagen International Documentary Festival (das zwischen vom 18.–29. März online stattfand), Vilnius IFF, DocAviv Israel, ZagrebDox, Hong Kong IFF (ausgesetzt), Crossing Europe, One World Prague, Movies That Matter, Cartagena FF, Oslo Pix und Sydney FF. Zwischen dem 31. Mai und dem 7. Juni wird die rumänische Dokumentation online beim Internationalen Filmfestival in Krakau gezeigt.



    Die rumänische Dokumentation erfreut sich weltweit eines gro‎ßen Erfolgs beim Publikum und wurde auch von der Fachpresse positiv aufgenommen. Anfang Mai war die rumänische Dokumentation Teil eines gro‎ßangelegten Geldbeschaffungsprojektes für die sozial benachteiligten Familien Rumäniens, die von der Coronavirus-Krise stark betroffen sind. Die Kampagne Alex Fund wird von Leslie Hawke koordiniert, Mutter des Darstellers Ethan Hawke. Beide waren unter den Zuschauern bei der Vorführung der rumänischen Produktion auf dem Sundance Filmfestival und eine Online-Diskussion mit Ethan Hawke hatte den Regisseur Radu Ciorniciuc zu Gast.

  • „Acasă, My Home“: Reporter Radu Ciorniciuc debütiert mit Dokumentarfilm als Regisseur

    „Acasă, My Home“: Reporter Radu Ciorniciuc debütiert mit Dokumentarfilm als Regisseur

    Acasă — Mein Zuhause“ erzählt die Geschichte einer obdachlosen Familie, die etwa zwanzig Jahre lang im Văcăreşti-Delta am Rande der rumänischen Hauptstadt lebte, einem verwilderten Ort, der zu einem Schutzgebiet und dem ersten städtischen Naturpark Rumäniens erklärt wurde. Vier Jahre lang verfolgte der Regisseur Radu Ciorniciuc das gro‎ße Abenteuer“, das die Familie Enache erlebt hat, ihren Weg von einem Leben in perfekter Harmonie mit der Natur zu einem Leben im Gro‎ßstadtdschungel. Der Reporter Radu Ciorniciuc ist einer der Gründer des unabhängigen Journalisten-Portals Casa Jurnalistului“ und Produzent von zahlreichen Reportagen bei The Guardian, Al-Jazeera, Channel 4 News, ZDF. Der Übergang von Reportagen zu Dokumentationen kam irgendwie natürlich, sagt Radu Ciorniciuc:



    Meine Reportagen nähern sich Themen, die alleine mit den Mitteln einer Reportage nicht beleuchtet werden können. Das gilt auch für den Dokumentarfilm »Mein Zuhause«. Ich war auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, um diese Geschichte so zu erzählen, wie ich sie erzählen wollte. Diese vier Jahre, in denen ich an der Dokumentation arbeitete, habe ich viel in diesem Bereich gelernt. Ich habe mich an Workshops beteiligt, wo ich so viele Fachleute aus ganz Europa kennenlernte, und von ihnen habe ich sehr viel gelernt. Alles entstand aus dem Wunsch, diese komplexe und rührende Geschichte auf eine ebenso komplexe und rührende Art und Weise zu erzählen.“




    Mein Zuhause“ hat sich eines gro‎ßen Erfolgs beim Sundance Filmfestival 2020 erfreut. Die Dokumentation des rumänischen Regisseurs zeichnet die Porträts der Gebrüder Enache und spricht über die überwältigenden Herausforderungen im Leben dieser Kinder, die einen schweren Übergang von einem Leben ins nächste erleben müssen — dies in einer Zeit, in der die iPads zum allgegenwärtigen Teil des Alltags geworden sind“, schreibt die Publikation SOUNDVENUE. Der Regisseur bezeichnet den Dokumentarfilm als Familiendrama:



    Zwei Jahre lang haben wir das Leben der Familie Enache im Văcăreşti-Delta gefilmt und weitere zwei Jahre lang haben wir ihren Prozess der sozialen Integration verfolgt. Dieser Dokumentarfilm entstand in Zusammenarbeit mit der Drehbuchautorin Lina Vdovîi und mit Mircea Topoleanu. Keiner von uns hatte Filmerfahrung. Dann kam ein Produzent zu uns, der bereits in diesem Bereich gearbeitet hatte. Au‎ßerdem hatten wir als Journalisten Zugang zur Öffentlichkeit, und unser Projekt gewann immer mehr an Sichtbarkeit. Hinzu kam der Versuch, den Kindern und Eltern einen weniger traumatischen Übergang von einem Leben in das nächste zu ermöglichen. Es ist den Menschen zu verdanken, die uns unterstützt haben, dass wir dieses Multimediaprojekt auf die Beine stellen konnten. Unter anderem haben die Kinder in ihrem ersten Übergangsjahr ein Album produziert, in dem sie ihr Leben vom Zeitpunkt, an dem sie das Delta verlie‎ßen, bis zum Ende des ersten Schuljahres dokumentiert haben. Vorher waren sie noch nie in der Schule gewesen.“




    Gleichzeitig startete das Team des Regisseurs ein soziales Projekt, zu dem viele Experten und humanitäre Organisationen beitrugen. Und das aus gutem Grund: die 11 Mitglieder der Familie Enache hatten ein Leben au‎ßerhalb der Gesellschaft geführt, ohne Identitätspapiere, ohne Bildung, ohne Zugang zu medizinischer Versorgung. Mittlerweile sind alle 9 Kinder dieser Familie behördlich registriert, sind in der Schule eingeschrieben und werden regelmä‎ßig von Ärzten besucht. Die Erwachsenen ihrerseits haben feste Arbeitsplätze. Radu Ciorniciuc sagte, was ihn dazu bewegt habe, den Film zu machen, seien widersprüchliche Aspekte:



    Zum einen wusste ich, dass sie aus prekären Verhältnissen stammen, zum anderen war ich sehr beeindruckt vom Zugehörigkeitsgefühl untereinander — diese Menschen sind in der Tat eine Familie, sie sorgen füreinander. Das ist eigentlich der Grund, warum ich diese Geschichte erzählen wollte, weil sie mich als Familie und wie sie miteinander umgingen, trotz der materiellen Schwierigkeiten, total beeindruckt haben. Das war für mich nicht neu, es war aber etwas, was ich vergessen hatte, denn ich bin früh von zu Hause weggegangen und ich hatte beinahe vergessen, wie es ist, deine Brüder und Eltern nah zu haben. Deswegen wollte ich aus dieser facettenreichen Geschichte mehr als eine Reportage machen. Dank dieses Films habe ich weniger Angst vor der Liebe und der damit verbundenen Vulnerabilität.“

  • Integrationshilfe für Obdachlose: die mobile Dusche

    Integrationshilfe für Obdachlose: die mobile Dusche

    Das Fahrzeug, in dem neben der Dusche auch Waschmaschinen und Trockner stehen, ist zweimal pro Woche unterwegs und bei den Obdachlosen bereits sehr bekannt, sagt Carmen Voinea, PR-Verantwortliche beim Carusel-Verein:



    Wir sind wöchentlich im Einsatz. Wir freuen uns sehr, dass es Menschen gibt, die uns speziell für die mobile Dusche aufsuchen. Auch Waschmaschinen und Wäschetrockner sind nachgefragt. Es ist noch schwer, genauer abzuschätzen, aber in diesen zwei Monaten haben Dutzende von Menschen die mobile Dusche benutzt. Das Gefährt ist ein Nutzfahrzeug, das von einer Spezialfirma aus Cluj (Klausenburg) für uns von Grund auf neu entwickelt wurde. Ich habe lange jemanden gesucht, um es nach unserem Wunsch zu gestalten, mit der ganzen Technik für den Innenraum, mit einer Dusche mit zusätzlicher Waschmaschine und Trockner.“




    Bei der Konzeption des Programms Mobile Dusche“ orientierte sich der Verein an ähnlichen Initiativen in den USA und in Frankreich. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Einrichtungen hat das Fahrzeug eine Toilette, einen Haartrockner, eine Haarschneidemaschine, kostenloses WLAN und Lagermöglichkeiten für alle Materialien, die das Team vor Ort verteilt, denn der Verein bietet auch Intimhygienemittel und Kleidung aus Spenden an. Momentan befindet sich die mobile Dusche im zentralen Bereich von Bukarest zwischen dem Universitätsplatz und dem Unirii-Platz, da sie vom Hydrantennetz abhängig ist, sagt Carmen Voinea.



    Die mobile Dusche ist eigentlich an einen Hydranten angeschlossen und parkt etwa acht Stunden am Tag in bestimmten Stadtteilen. Diese Stadtteile mit ihren Problemen wurden im Rahmen anderer Programme identifiziert, die wir durchführen. Es gibt Gebiete, in denen sich viele unserer Klienten befinden, und die für sie leicht zu erreichen sind. Momentan befinden wir uns in der Gegend Unirii-Universität und werden auch im Bereich des Nordbahnhofs Halt machen.“




    Wie Carmen Voinea ausführt, machen bei der Mobilen Dusche“ — wie auch in anderen Projekten des Vereins — vor allem Freiwillige mit.



    Carusel hat ein wundervolles Team von fast 70 Freiwilligen, die aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen kommen und extrem unterschiedliche Hintergründe haben. Ich denke, wir bilden ein sehr gutes Team mit unseren Freiwilligen, die entweder Studenten oder Mitglieder anderer NGO sind, entweder IT-Leute oder Mitarbeiter multinationaler Konzerne. Das ist wunderbar, denn wir sehen, dass die Menschen den Bedarf empfinden, sich zu engagieren, um etwas mehr zu tun als nur ihren täglichen Job. Wir glauben, dass Freiwillige eine Möglichkeit bieten, Zugang zu einer grö‎ßeren Gemeinschaft zu erhalten. Sie können unseren Aufruf zur Solidarität weitergeben, zum Verzicht auf Vorurteile und auf einen stigmatisierenden oder marginalisierenden Diskurs.“




    Eine der Freiwilligen ist Florentina Croitoru, Absolventin der Fakultät für Sozialhilfe, die derzeit an derselben Bildungseinrichtung einen Master macht. Für Florentina ist die mobile Dusche“ eine Gelegenheit, ihren Beruf auszuüben, aber eben auch mehr. Sie kann hier Einfühlungsvermögen erleben.



    Anfangs hatte ich gro‎ße Angst, dass ich es nicht schaffe. Als ich anfing, mich freiwillig zu engagieren, war ich jeden Mittwochabend ab 20:00 Uhr dabei. Anfangs fühlte ich mich nicht in der Lage, mit den Obdachlosen zu sprechen. Ich hatte Angst, etwas Falsches zu sagen, sie nicht zu beleidigen… Mit der Zeit lernten wir uns aber besser kennen und sie fassten Vertrauen zu mir. Diese Menschen durchleben auf der Stra‎ße verschiedene Traumata — physische und psychische Misshandlungen — und deshalb ist es für sie schwierig, sich vor Fremden zu öffnen und einen Tee, eine Decke oder ein Sandwich anzunehmen. Viele von ihnen lehnten Hilfe ab, und dann lernte ich, mit der Situation umzugehen und ihnen zu zeigen, dass ich da war, um ihnen Gutes zu tun und ihnen zu helfen.“




    Florentina Croitoru beeindruckte am meisten bei ihrem Engagement im Projekt, wie sich die Obdachlosen verändert hatten — sie sahen jetzt anders aus.



    Diese Menschen werden ja deshalb ausgegrenzt im öffentlichen Raum und in Verkehrsmitteln, weil sie verwahrlost aussehen. Wir geben ihnen so ihre Würde zurück, denn leider glauben viele Obdachlose, dass sie ihre Würde verloren haben.“

  • Suppenküchen in Rumänien: Spender und Freiwillige mittels App vernetzt

    Suppenküchen in Rumänien: Spender und Freiwillige mittels App vernetzt

    Für Menschen, die auf der Stra‎ße leben, für alleinstehende und kranke Menschen, für Kinder aus armen Familien kann eine tägliche oder zumindest wöchentliche warme Mahlzeit einfach einen Traum darstellen. Um sie diesem Traum, der für den Rest der Bevölkerung nichts Au‎ßergewöhnliches ist, näher zu bringen, hat ein Freiwilligenverband in Klausenburg im Jahr 2013 das Projekt Eine warme Mahlzeit“ ins Leben gerufen. Heute, fünf Jahre später, wurde diese Idee sozusagen in andere Städte importiert“. Die Zahl der Portionen, die den Hilfsbedürftigen gespendet werden, ist somit auf 900 in der Woche gestiegen. Raimonda Boian ist einer der Urhaberinnen dieses Projekts.



    Das Projekt ist sehr schön gewachsen. Die Zielgruppe oder die Nutznie‎ßer kommen aus allen Sozialschichten, die Mahlzeiten benötigen und sich diese nicht leisten können. In der Kantine, die ich koordiniere, wenden wir uns an jene, die auf den Klausenburger Museumsplatz kommen und nach einer Mahlzeit betteln. Es sind Stra‎ßenmenschen, aber auch Personen, die eine Wohnung haben, doch kein Essen. Wir sind aber keine Sozialarbeiter, wir führen keine Sozialermittlungen durch, wir überprüfen die Leute nicht, die hierher kommen, um Essen zu verlangen, denn es ist wichtig, dass sie dieses Essen bekommen.“




    Obwohl Eine warme Mahlzeit“ ein von den Verwaltungsbehörden unabhängiges Projekt ist, hätte dieses nicht ohne die Unterstützung der Lokalbürgermeisterämter oder der Sozialhilfeanstalten in Klausenburg, Constanţa, Adjud, Bistrita (Bistritz), Satu Mare (Sathmar) und Bukarest umgesetzt werden können. Die Lebensmittel kommen zu 100% aus Spenden. In Klausenburg gibt es weiterhin die meisten Orte, wo eine warme Mahlzeit serviert wird, ausschlie‎ßlich mithilfe der Freiwilligen. Überraschend oder nicht, gibt es sehr viele Bedürftige und diese kommen aus allen Sozialschichten und Alterskategorien. Raimonda Boian:



    In der Klausenburger Kantine, die ich koordiniere, habe ich Freiwilligenteams, die sich bis Januar 2019 eingeschrieben haben. Mit tut es bereits leid, dass ich womöglich Frustrationen unter hilfsbereiten Freiwilligen hervorrufen werde, da wir erst ab Januar nächsten Jahres weitere Bewerbungen entgegennehmen können. Sie sind auch von der Zubereitung des Essens angezogen. Auch wenn man sich nicht auskennt, möchte man dazugehören. Das ist auch eine Attraktion. Die Tätigkeit ist angenehm und die Freiwilligen sind nicht sehr beansprucht. Einige von ihnen haben maximal ein Sandwich zubereitet.“




    In Bukarest wurde das Projekt Eine warme Mahlzeit“ unlängst von einer der Freiwilligen, Monica Abagiu, umgesetzt.



    Ich habe dieses Projekt letztes Jahr im Oktober übernommen. Ich hatte mich als Freiwillige im Mai 2017 beworben und dann habe ich gemeinsam mit Raluca Apostol die Koordination in Bukarest übernommen. Wir wollten früher in ein solches Projekt einsteigen. Wir haben uns für »Eine warme Mahlzeit« entschieden, weil Kochen ein Hobby von uns ist, und wir wurden auch von dem Gedanken angezogen, jemandem zu helfen. Wir hatten sowieso gemeinsam auch an anderen Freiwilligenprojekten teilgenommen.“




    Das Volontariat ist eine Tätigkeit, die Monica Abagiu gleichzeitig mit ihren anderen Aktivitäten betreibt. Ihr fällt es nicht schwer, das Familienleben und die beiden Freiwilligentätigkeiten in Bukarest für das Projekt Eine warme Mahlzeit“ unter einen Hut zu bringen. Ein Ort, an dem sie tätig ist, ist die Kantine Ominis im 4. Bezirk, in einer benachteiligten Gegend der Hauptstadt. Der andere Ort befindet sich im Viertel Ferentari, einer weiteren Problemzone. Monica Abagiu:



    Dort haben wir eine mobile Kantine. Genauer gesagt einen Krankenwagen, der mit einer Küche ausgestattet ist und auf dem Hof einer Schule im Viertel Ferentari geparkt ist. Die Menschen, die in der Ominis-Kantine versorgt werden, sind überwiegend Erwachsene: zwischen 70 und 100 Menschen. Sie kommen auch unter der Woche in die Kantine, aber wir kochen nur am Wochenende. Was die Schule angeht, handelt es sich um die Kinder, die dort lernen. Dort bereiten wir das Essen auch samstags und sonntags zu.“




    Die warmen Mahlzeiten, die nur zweimal die Woche angeboten werden, sind bei den Hilfsbedürftigen sehr willkommen. Somit überlegt sich Monica Abagiu, das Projekt auch auf andere Orte in Bukarest zu erweitern. Dabei zählt man auch auf moderne Technologie. Zur Erweiterung des Projekts Eine warme Mahlzeit“ könnten die Freiwilligen von der App ShareFood Unterstützung bekommen. George Jiglău ist einer der Urheber in Klausenburg. Er hat die Entstehung der App unterstützt. Deren Ziel ist unter anderem auch die Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung. George Jiglău:



    Es handelt sich um eine Anwendung, wodurch wir versuchen, die Kommunikation zwischen den Lebensmittelherstellern und -Verkäufern und den Gemeinden, die Lebensmittel benötigen, zu vermitteln. In den fünf Jahren, seitdem das Projekt »Eine warme Mahlzeit« in Klausenburg läuft, ist es uns gelungen, mit den Leuten in Verbindung zu treten, die Lebensmittel spenden. Sie haben viele Nahrungsmittel, die sie nicht mehr verkaufen können und sowieso wegschmei‎ßen würden. Obwohl sich keiner wünscht, Essen wegzuschmei‎ßen. Die Anwendung kommt beiden Seiten entgegen. Sie ist ein Mittel zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung, das die Zusammenarbeit zwischen Spendern und Spendenempfängern vermittelt.“




    Die App ShareFood ist nur juristischen Personen gewidmet: einerseits mögliche Spender — Firmen — andererseits Verbände, NGOs oder Pfarreien, die das Essen an die Hilfsbedürftigen übermitteln können. Die Anwendung wurde von zwei Informatikern geschaffen, die mehr tun wollten, nachdem sie in das Projekt Eine warme Mahlzeit“ eingestiegen waren. Zwei Monate nach der Lancierung ist die App in allen Städten des Landes funktionsfähig.

  • Erwachsene Obdachlose: Buch eines Soziologen gibt ihnen ein Gesicht

    Erwachsene Obdachlose: Buch eines Soziologen gibt ihnen ein Gesicht

    In den Gro‎ßstädten gehören die Obdachlosen zum Stra‎ßenbild. Die sogenannten normalen“ oder sozial integrierten“ Bürger zeigen ihnen entweder Mitleid oder Verachtung. In der Regel werden die Obdachlosen als Gruppe betrachtet, aber in Wirklichkeit sind sie Individuen wie du und ich, Menschen mit einem persönlichen Schicksal. Und genau das wollte der Soziologe Ciprian Voicilă mit seinem Buch Die Stra‎ßenerwachsenen. 15 Obdachlosen-Biographien“ dem Publikum klarmachen. Das Buch enthält 15 Interviews mit Obdachlosen aus Bukarest und ist mehr als eine soziologische Untersuchung — es ist eine Einladung zu Empathie. Als studierter Soziologe formulierte aber der Autor auch einige theoretische Betrachtungen. Ciprian Voicilă:



    Meine Gesprächspartner haben eins gemeinsam: Die meisten von ihnen sind ‚chronische‘ Obdachlose, das hei‎ßt, dass sie etwa 45 oder 50 Jahre alt sind und den grö‎ßten Teil ihres Lebens obdachlos waren. Im Durchschnitt lebten sie zwischen 6 und 25 Jahre auf der Stra‎ße. Während dieser Zeit wurden sie alkoholsüchtig — das gehört leider oft dazu. Und noch etwas haben sie alle gemeinsam: Da sie zwischen 45 und 50 Jahre alt sind und im kommunistischen Rumänien gute Arbeitsstellen in verschiedenen Fabriken oder staatlichen Unternehmen hatten, erweisen sich die heutigen Obdachlosen, die ‚Stra‎ßenerwachsenen‘, als kollaterale Opfer der Entindustrialisierung in der postkommunistischen Zeit. Einige von ihnen waren qualifizierte Facharbeiter, Maschinenschlosser oder Zerspannungsmechaniker, aber das Staatsunternehmen, wo sie angestellt waren, musste geschlossen werden, die Behörden hatten kein Interesse daran, ihnen eine Umschulung anzubieten, sie wurden arbeitslos, mittellos, und schlie‎ßlich obdachlos.“




    Wie auch in anderen Bereichen sind die offiziellen Statistiken über Obdachlosigkeit in Rumänien alt und nicht vielsagend. Gemä‎ß einer Untersuchung, die 2010 von dem Mobildienst für Soziale Notfälle (Samusocial) Rumänien durchgeführt wurde, lebten zu jenem Zeitpunkt nur in Bukarest 5.000 Obdachlose. Samusocial erstellte auch eine Liste mit den Ursachen, die dazu geführt hatten, dass die Betroffenen auf der Stra‎ße landeten: Scheidung, Konflikte in der Familie, Entlassung, Arbeitslosigkeit, keine Mittel, um die Miete zu bezahlen, Alkoholismus, Gewinnspielsucht. Au‎ßerdem sind viele Stra‎ßenerwachsene“ ehemalige Heimkinder, die keinen Anschluss in der Gesellschaft finden konnten. Und viele andere wurden Opfer von Unfällen und konnten nicht mehr arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.



    Es gibt auch Fälle von sozialer Reintegration, aber viele Obdachlose bleiben einfach auf der Stra‎ße. Das sind die chronischen“ Fälle von Obdachlosen, die in einen Teufelskreis geraten. Ciprian Voicilă:



    Je länger ein Obdachloser auf der Stra‎ße lebt, desto niedriger werden seine Chancen auf eine soziale und professionelle Reintegration. Der Alltag eines Obdachlosen ist geprägt von zahlreichen Anfeindungen und Gefahren, Armut und dem täglichen Kampf ums Überleben. Andererseits fühlt sich ein Obdachloser sehr oft frei, er kann überallhin wandern, er muss keine Rechnungen bezahlen und er hat keinen Chef. Wenn ein Obdachloser eines Tages einen Job findet, fällt es ihm schwer, in einem geschlossenen Raum mehrere Stunden am Tag diszipliniert zu arbeiten — er denkt immer wieder an die Zeit, als er alles tun und lassen konnte, wie er es wollte. Es gibt sicherlich auch Erfolgsgeschichten bei Samusocial, wenn ehemalige Obdachlose sich wieder in die Gesellschaft integriert haben. Die Prozentzahl derer, die in einen Teufelskreis der wiederholten Obdachlosigkeit geraten, ist aber leider höher. Aus irgendeinem Grund, wegen versteckter Depressionen oder aus Nostalgie nach der absoluten Freiheit, als sie sich niemandem unterordnen mussten, geben viele von ihnen auf und kommen nicht mehr zur Arbeit.“




    Mit Hilfe der Organisation Samusocial konnten wir uns auch mit einigen Obdachlosen unterhalten. Călin Niculae Niculescu ist etwa 60 Jahre alt; seit mehr als 13 Jahren lebt er auf der Stra‎ße. Nach der Scheidung hat er seine Wohnung verloren — von da an ging alles bergab. So stellt er sich selbst vor:



    Von Beruf bin ich Metall-Ingenieur, und ich machte auch eine Weiterbildung im Bereich Marketing-Management. Immer wenn ich mich um eine Stelle bewarb, sagte man mir, ich wäre zu alt.“



    Călin Niculae Niculescu hat es irgendwie geschafft, jahrelang auf der Stra‎ße zu überleben. Etwas verbittert ihn aber sehr:



    Die meisten Leute hassen uns, weil sie uns für Drogensüchtige halten. Viele gehen uns aus dem Weg, aber doch nicht alle. Das ist schon etwas Positives… Es ist wirklich nicht dasselbe, wenn ein hektischer Junge, ein Schnüffelsüchtiger, aus einem Kanal herauskommt, und wenn ich, ein normaler Mann, Ihnen entgegenkomme… Ich halte mich noch für einen normalen Menschen.“




    Cristian ist 24 Jahre alt. Mit 17 Jahren kam er aus Tulcea (im Osten Rumäniens) nach Bukarest und lebte auf der Stra‎ße. Mit Hilfe von Samusocial schaffte er die Reintegration in die Gesellschaft:



    Ich kam nach Bukarest, weil ich gehört hatte, in der Hauptstadt gäbe es mehr Chancen auf eine gute Arbeit, auf eine positive Entwicklung. Am Anfang war es sehr schwer, ich war ganz allein und kannte niemanden in Bukarest. Eine Zeit lang lebte ich auf der Stra‎ße, ich versuchte in den Treppenhäusern der Wohnblocks zu schlafen, aber die Bewohner jagten mich davon, weil sie Angst hatten, ich würde das Treppenhaus schmutzig machen. Ich konnte nie eine ganze Nacht irgendwo schlafen — ich schlief eine Stunde da, zwei Stunden dort…“




    Dank der NGOs, die ihm geholfen haben, aber auch weil er den festen Wunsch hatte, ein geregeltes Leben zu führen, hat Cristian jetzt einen Arbeitsplatz und eine Wohnung:



    Viele Obdachlose sagten mir, es würde sich nicht lohnen, ein guter, ehrlicher Mensch zu sein, sie sagten, es sei besser, wenn wir von den Reichen stehlen würden. Aber ich antwortete ihnen, dass es auch reiche Leute gibt, die den Obdachlosen helfen wollen, aber wenn wir diese Menschen beklauen, werden sie uns logischerweise nicht mehr helfen. Die anderen Obdachlosen hielten mich für dumm, weil ich ehrlich sein wollte. Samusocial war das Beste, was mir passieren konnte. Ich hatte keinen Ausweis mehr, meine Obdachlosenkollegen hatten mir alle Papiere geklaut. Ein Freund erzählte mir von Samusocial und ermunterte mich, hinzugehen. Die Leute von Samusocial haben mir geholfen, neue Papiere zu bekommen, sie haben mir auch den Arbeitsplatz beschafft, wo ich jetzt angestellt bin — bei einer NGO, die sich mit Papier-Recycling beschäftigt. Mir gefällt diese Arbeit sehr gut.“




    Eine Samusocial-Erfolgsgeschichte — ein positiver Anfang, der hoffentlich zu einem neuen Leben wird.

  • Verein Samusocial hilft Obdachlosen über den Winter

    Verein Samusocial hilft Obdachlosen über den Winter

    Die eisigen Temperaturen und der Schnee sind im Winter die grö‎ßten Feinde der Obdachlosen, die ohnehin ein schweres Leben auf der Stra‎ße führen. Mehrere Nichtregierungsorganisationen helfen diesen in Bukarest. Sabina Nicolae ist Vorsitzende der Organisation Samusocial und berichtet:



    Insbesondere im Winter verteilen wir Schlafsäcke, Winterschuhe, Handschuhe, Mützen sowie warme Suppen und Tee. Dazu bieten wir unsere üblichen Dienstleistungen im sozialen, medizinischen, psychologischen Bereich an. Wir helfen ihnen, sich auch beruflich wieder zu integrieren. Im Winter wie auch im Sommer versuchen wir, für sie eine Unterkunft zu finden. Gesundheitlich sind die Frostbeulen ein Problem. Diejenigen, die sich weigern, Übernachtungsstätten aufzusuchen, haben darunter zu leiden. Wir versuchen ihnen zusätzliche Lebensmittel zu verteilen. Zudem helfen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger mit, indem sie ihnen insbesondere Nahrung schenken.“




    Den Obdachlosen wird geholfen, neue Papiere zu bekommen, weil viele von ihnen keine mehr haben. Und sie werden auch ermutigt, sich selbst zu helfen, nachdem ein Arbeitsplatz vermittelt wird. Cristian war einer der Nutznie‎ßer. Er ist 24 Jahre alt und kam mit 18 Jahren von Tulcea nach Bukarest, auf der Suche nach einem besseren Leben. Er hatte aber keine Verwandte oder Bekannte in der Hauptstadt und hat zuerst die harte Seite der Stadt kennen gelernt. Cristian berichtet:



    Die Hälfte der insgesamt sechs in Bukarest verbrachten Jahre habe ich auf der Stra‎ße verbracht. Im Winter ist es auf der Stra‎ße sehr schwer. Auch jetzt denke ich an diejenigen, die auf der Stra‎ße leben müssen. Manche wollen nicht, andere können nicht arbeiten. Wo finden sie Schutz? Ich habe diese Erfahrung gemacht, den Winter auf der Stra‎ße zu verbringen. Am Abend spürst du es nicht, aber nachts, nach Mitternacht, wenn sich der Frost zuspitzt… dann ist es schwer. Ernähren konnte ich mich ziemlich gut, denn ich arbeitete ab und zu mal als Tagelöhner und bekam etwas zu essen.“




    Seit Ende 2015, Anfang 2016 geht es ihm besser. Mit Hilfe von Samusocial hat er es geschafft neue Papiere — Personalausweis und Geburtsurkunde — zu bekommen. Andere Obdachlose hatten sie von ihm gestohlen. Samusocial hat ihm auch geholfen, einen Arbeitsplatz zu finden. Cristian berichtet weiter:



    Ich arbeite für eine Umweltschutz-Organisation. Mein Bereich ist die Papier-Wiederverwertung. Mir gefällt, wie sie das Papier auf Fahrrädern transportieren. Am Anfang zögerte ich ein bisschen, jetzt, nach zwei Monaten, macht es mir viel Spa‎ß, Fahrrad zu fahren. Ich wohne jetzt in einer Wohnung, die ebenfalls einer Nichtregierungsorganisation gehört. Ich zahle eine niedrige Miete, die aber langsam steigt. Die Menschen müssen verstehen, dass die arbeiten müssen, um für sich selbst sorgen zu können, das ist die Idee.“




    Nicht alle Obdachlosen-Geschichten haben aber ein glückliches Ende. Călin Niculaie Niculescu ist 59 Jahre alt und lebt seit 13 Jahren auf der Stra‎ße. Infolge der Scheidung hat er die Wohnung verloren. Dann hat er ohne Erfolg sein Glück in Deutschland versucht. Anschlie‎ßend erkrankte er an Tuberkulose. Er ist Metall-Ingenieur, wegen des Alters hatte er aber Probleme, einen Job zu finden. Wie hat er es aber so lange Zeit auf der Stra‎ße ausgehalten?



    Wie ich eben nur konnte… In meiner Jugend habe ich Alpinismus betrieben, ich nahm an unterschiedlichen Winter-Camps teil, da habe ich gelernt, unter allen möglichen Bedingungen zu überleben. Ich habe in Parks geschlafen, in einer verlassenen Kapelle, ich fuhr mit dem Zug nach Videle und schlief nachts im Zug. Ich habe in Friedhöfen gebettelt. Seit November 2015 lebe ich in einem Obdachlosen-Heim. Wenn du dort bleibst, gibt es drei Mahlzeiten pro Tag. Es gibt warmes Wasser, Heizung… Es ist gut.“




    Dieser Winter hat, neben den üblichen Problemen, auch einen zeitweiligen Job für Herrn Niculescu mit sich gebracht. Dieser passte auch gut zu seinem Bart:



    Ich hatte es nicht erwartet, ein Angebot zu bekommen. Es waren sogar mehrere. Ich konnte also wählen. Es war eine tolle Erfahrung. Ich habe den Weihnachtsmann gespielt. Ich habe auch für Coca-Cola gearbeitet. Ich habe keinen Internet-Zugang, Samusocial kann mir aber helfen.“




    Manche Obdachlose haben aber nicht mehr die Kraft, etwas in ihrem Leben zu ändern. Die Sozialhelferin Alina Mirea von Samusocial erklärt den psychologischen Mechanismus:



    Die meisten haben eine Geschichte voller Traumen, stammen aus Familien, die sie missbraucht haben. Wenn sie auf der Stra‎ße landen, wird es für sie noch schwieriger, ihre Lage zu bewältigen. Aber mit Geduld und mit Hilfe der Psychologen, Ärzte und Sozialhelfer kann die Lage ein bisschen verbessert werden. Auch wenn wir die Welt nicht ändern, können wir das Leben dieser Menschen besser machen. Manche überzeugen wir, zumindest zeitweilig, die Stra‎ße aufzugeben, wir zeigen ihnen, dass das Leben auch anders ausschauen kann, wenn sie sich bemühen. Andere freuen sich, dass sie Essen bekommen und sich waschen können.“




    Ab und zu mal passiert es, dass Obdachlose nicht ins Heim wollen oder das Heim verlassen. Nichtdestotrotz geben die Sozialhelfer nicht auf und versuchen weiter, diesen Menschen zu helfen, damit diese die Kraft finden, ihr Leben zu ändern.

  • Rumänien friert bei –28 Grad C

    Rumänien friert bei –28 Grad C

    Nach einigen sonnigen, milden Weihnachtstagen leiden nun die Rumänen unter extremer Kälte. In der Nacht zum Mittwoch wurden –28 Grad in Întorsura Buzăului, -24 Grad in Braşov, -22 Grad in Sibiu und –20 Grad in Târgovişte gemessen — die Nacht vom 30. auf 31. Dezember war die erste wirklich frostige Nacht in ganz Rumänien. Der Rekortdtiefstwert in Rumänien wurde mit -38,5 Grad C 1940 in Bod, in der Nähe von Brasov/Kronstadt, gemessen. Laut Wettervorhersage werden wir die kälteste Silvesternacht der letzten 53 Jahre erleben, sagte Mihai Timu, vom Rumänischen Wetteramt.



    Die letzte Nacht des Jahres 2014 wird noch kälter als die Nacht davor — wir erwarten Frost in allen Landkreisen Rumäniens. Die Tiefstwerte werden bei –20 Grad Celsius liegen, vereinzelt sogar tiefer. In der Landesmitte werden die Tiefstwerte sogar unter –25 Grad sinken. Nach dem 2. Januar erwarten wir eine allmähliche Erwärmung, zuerst im Norden des Landes und im Gebirge, und dann auch in den restlichen Regionen. Gegen Ende der Woche werden die Temperaturen auf normale Werte für diese Jahreszeit zurückkehren. Wir erwarten Tageshochstwerte zwischen –4 und +4 Grad Celsius, und in der Nacht sinken die Tiefstwerte nicht unter –10 Grad.“



    Während der Kältewelle wurden in Rumänien Sonderma‎ßnahmen zur Unterstützung der Obdachlosen getroffen. In Bukarest gibt es 550 Schlafplätze für Obdachlose in zwei Zentren des Sozialamtes; für diejenigen, die nicht in diesen Zentren übernachten wollen, gibt es warme Kleider und Schuhe. Auch in anderen rumänischen Städten sichert die Stadtverwaltung während der frostigen Zeit beheizte Unterkunftsmöglichkeiten für Obdachlose. Der schnelle Übergang von +20 Grad auf –25 Grad Celsius ist ein harter Schock für den menschlichen Körper, warnen die Ärzte. Ferner warnen sie vor übertriebenem Essen und Trinken, und empfehlen den Verzehr von Obst und Gemüse. Die ersten Personen, die gesundheitliche Probleme bekommen könnten, sind die chronisch Kranken, aber auch gesunde Menschen könnten sich unwohl fühlen. Man sollte sich nicht lange im Freien, in der Kälte aufhallten; besonders gefährdet sind Senioren und Kinder.



    Das frostige Wetter hat auch das Leben der Menschen in anderen europäischen Ländern beeinträchtigt. In Bulgarien wurde der Verkehr der LKWs und schwerer Transporter auf den Autobahnen eingeschränkt. Kroatien, Serbien und Italien wurden von Frost, starkem Schneefall und Schneeverwehungen befallen. Infolge der extrem niedrigen Temperaturen läuft der Schienenverkehr in der Schweiz mit Schwierigkeiten, und in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wurde in Gro‎ßbritannien die niedrigste Temperatur des Jahres gemessen.

  • Hörerpostsendung 7.12.2014

    Hörerpostsendung 7.12.2014

    Wie vergangen Sonntag angekündigt erfahren Sie heute und in den kommenden zwei Sendungen je ein Rezept eines rumänischen Weihnachtsgebäcks. Zuvor sei jedoch gesagt, dass Sie nicht unbedingt jeden Sonntag mitschreiben oder nachher auf unserer Homepage schauen müssen. Wer gerne jetzt schon seine Backkünste üben möchte, dem können wir alle drei Rezepte jederzeit per E-Mail zuschicken. Es war dies schon der Fall mit einer Hörergruppe aus Halle an der Saale sowie mit einem Hörer oder einer Hörergruppe aus der Schweiz. Im Internetformular hinterlie‎ß Stefan Bösch (aus Bichwil, Schweiz) eine Botschaft mit Bezug auf die Hörerpostsendung vom vergangenen Sonntag:



    Hallo RRI-Team!



    Am wöchentlichen Stamm des Eidgenössischen Verbandes der Übermittlungstruppen, Sektion Uzwil, hatten wir das Vergnügen, Eurem Programm zuzuhören. Für einmal nutzen wir unseren Kurzwellensender nur für den Empfang. Für uns war es sehr amüsant, so detailliert über die E-Mail-Problematik zu hören. Ein bisschen enttäuscht waren wir dann aber, als wir hörten, dass die Weihnachtsrezepte erst in den nächsten Wochen gesendet werden. User Koch hatte den Notizblock schon bereit. Da müssen wir mit dem Kosten noch eine Woche länger warten. Es wäre schön, von Euch für unser Stammlokal eine QSL-Karte zu bekommen. Besten Dank und freundliche Grü‎ße


    Stefan Bösch




    Vielen Dank für die Zeilen und Grü‎ß zurück, lieber Herr Bösch. Ich muss zugeben, dass ich googeln musste, was Übermittlungstruppen hei‎ßt — es ist die schweizerische Bezeichnung der Fernmeldetruppen. Dass die Kurzwelle beim Militär noch zur Anwendung kommt, war mir klar, sonst gibt es nicht mehr viele Sender in diesem Bereich. Gerne schicken wir eine QSL zum Ausschmücken Ihres Stammlokals, die drei Rezepte dürften Sie schon erhalten haben.




    Unser Stammhörer Paul Gager aus Deutschkreutz im Burgenland lie‎ß uns folgende nette Zeilen per Internetformular zukommen:



    Werte Redaktion, seit 7 Tagen kein Sonnenstrahl. Nebel und Wolken halten dicht. Umso schöner, dass es das Gemüt wärmende, tägliche deutschsprachige Programme aus dem sonnigen Bukarest gibt. Mit kurzwelligen Grü‎ßen



    Paul Gager




    Vielen Dank und Gru‎ß zurück, lieber Herr Gager. In Bukarest ist es leider auch trüb und bedrückend, ich als wetterfühliger Mensch bin da richtig ang´fressen, wie man in Österreich sagt, kein Sonnenschein seit zwei Wochen.




    Ebenfalls aus Österreich und zwar aus Wien erreichten uns zwei Briefe von Wolfgang Waldl, die noch im November abgeschickt worden waren. Hier eine Zusammenfassung der beiden:



    Sehr geehrte Redaktion,



    Zu Ihrer Sendung am 2. November zum Hörertag möchte ich Ihnen herzlich gratulieren!!!



    Die Sendung war ausgezeichnet gestaltet und die zahlreichen Beiträge zeigten wieder einmal, wie hoch das Niveau Ihrer Hörerschaft ist.



    Die Vielfalt der Beiträge war sehr interessant und es ist sicher so, dass der Fortschritt für viele Menschen, auch im Beruf, Erleichterungen gebracht hat. Als ich ein Kind war, waren fast 2/3 unserer Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig und plagten sich im Schwei‎ße ihres Angesichtes um das tägliche Brot. Heute gibt es industrielle Tierzucht usw. und die vielen kleinen Bauern sind verschwunden.



    Die Beiträge von Herrn Friedrich, Gager und Lindner waren ganz auf meiner Linie, aber auch die übrigen Zitate waren sehr interessant.



    In einem alten KW-Führer aus dem Jahr 1981 fand ich unter Radio Bukarest folgende Notiz: Der kleine rumänische Sprachkurs wird von Zeit zu Zeit wiederholt.“ Gibt es diesen noch in Ihrem Archiv? Eine Wiederholung wäre sehr interessant. Infolge Ihrer starken Präsenz im Äther möchte ich im kommenden Jahr mit dem Erlernen der rumänischen Sprache beginnen.




    Vielen Dank für Ihre Zeilen. Zum Thema Hörertag gibt es noch einen Nachtrag. Zwei Hörerbeiträge in deutscher Sprache wurden für eine kleine Belohnung mit einem Treuepreis ausgewählt. Es handelt sich um Hans-Martin Friedrich aus Wetzikon (Schweiz) und Andreas Pawelczyk (aus Mannheim). Sie werden jeweils eine CD mit der rumänischen Folkloresängerin Maria Tănase und eine Broschüre erhalten. Die Pakete waren schon letzten Mittwoch fertig, sie dürften kommende Woche verschickt werden.



    Zum Thema Rumänisch-Sprachkurs in unserem Archiv: Ich habe bisher leider keine entsprechenden Tonbänder oder Skripte gefunden; falls es solche gegeben hat, wurden sie wohl nicht aufbewahrt. In Wien gibt es aber mit Sicherheit genügend Möglichkeiten, Rumänisch zu lernen. Zum einen am Institut für Romanistik der Universität Wien, zum anderen sicherlich auch an diversen Volkshochschulen.




    Von unserem bereits erwähnten Hörer Andreas Pawelczyk erhielten wir gleich mehrere Fragen, eine davon möchte ich heute beantworten. Im Zusammenhang mit einem Sendebeitrag in der Reihe Sozialreport schrieb Herr Pawelczyk folgendes:



    Da lief bei Ihnen über den Sender ein Bericht über Obdachlose in Rumänien. Angeblich über “Versager” in der Gesellschaft. Sie seien verstärkt in Bukarest und anderen kleineren Städten zu finden. Es sollen verstärkt Drogenabhängige, elternlose und ehemalige Häftlinge sein. Man will ihnen über gewisse Werkstätten mit einem Mindestlohn, warmen Essen und einer Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr helfen.



    Das mag alles schön klingen, doch vermisse ich bei Ihnen im Bericht konkrete Zahlen, wieviele Obdachlose es konkret in Rumänien gibt. Können Sie da mit einer Statistik weiterhelfen? Ja, und wie viele werden nicht betreut und hängengelassen? Währenddessen sind in Rumänien in den ersten neun Monaten schon 244.000 Fahrzeuge von Dacia hergestellt worden. Bittere Welt in Rumänien.




    Vielen Dank für den Kommentar und für die Fragen. Dass heute nicht mehr so viele Zahlen in den Sendebeiträgen zu finden sind, ist mit der früheren Kritik zu erklären, dass unsere Beiträge zahlenlastig seien. Das war auch oft der Fall, beispielsweise im Wirtschaftsmagazin. Als Hörer kann man sich nur schwer Zahlen merken, da hilft es eher, Bruchzahlen zu verwenden, z.B. zwei Drittel aller Arbeitslosen, ein Fünftel aller Patienten usw. Zum anderen gebe ich Ihnen teilweise Recht, dass man aus dem erwähnten Beitrag nicht erfährt, wieviele Obdachlose es konkret in Rumänien gibt. Das Problem ist aber, es gibt nur wenige offizielle Statistiken dazu. Die in der Sendung erwähnten NGOs, die sich der Obdachlosen annehmen, beklagen selbst dieses Desinteresse der Behörden und versuchen anhand von eigenen, partiellen und ungenauen Schätzungen zu arbeiten. So etwa ist bei Samsusocial zu lesen, dass es allein in Bukarest etwa 5.000 erwachsene Obdachlose gebe, davon seien 22% Frauen. Nach Altersgruppen aufgeteilt sind etwa 33% der Obdachlosen im Alter von 40 bis 49 Jahren, 22% sind 30 bis 39 Jahre alt und jeweils 17% entweder 20 bis 29 Jahre alt oder älter als 50. Diese Statistik stammt allerdings aus dem Jahr 2010.



    Einer Doktorarbeit zum Thema Obdachlosigkeit als Merkmal der städtischen Verarmung, deren Abriss auf der Webseite der Bukarester Universität veröffentlicht wurde, konnte ich weitere Infos entnehmen. Auch dort wird beklagt, dass die Erhebung der Obdachlosenzahl bis 2011 nur sporadisch erfolgte und in einer eher unkoordinierten Zusammenarbeit von Staat und NGOs. Entsprechend grob geschätzt sahen die Statistiken auch aus: Im Jahr 2004 ging man von 11.000 — 14.000 Menschen aus, die auf der Stra‎ße leben würden. Mit der Volkszählung von 2011 habe sich aber die Methodik der Erhebung verbessert, sie habe den Empfehlungen der Europäischen Union Rechnung getragen und sei mit der Ausnahme eines einzigen Landkreises landesweit angewandt worden. Damit ergaben sich folgende Zahlen: Im ganzen Land waren im Jahr 2011 etwas mehr als 162.000 Menschen obdachlos oder sie hausten in improvisierten Bleiben. Spitzenreiter seien dabei ausgerechnet die vergleichsweise reichen westrumänischen Landkreise Arad, Timiș, Cluj (dt. Arad, Temesch, Klausenburg), in denen bis zu 3% der Bevölkerung keine feste Bleibe haben. In Bukarest habe sich die Situation in den Jahren 2008 — 2012 hingegen rasant verbessert, auch dank des engagierten Einsatzes von NGOs wie Samusocial. Die zitierte wissenschaftliche Arbeit nannte unter Berufung auf Samusocial eine Zahl von insgesamt knapp 120 Obdachlosen in Bukarest im Jahr 2013.




    Bevor Irina Adamescu das Rezept des rumänischen Weihnachtsstollens verrät, möchte ich noch einen Brief verlesen und einen Medientipp geben. Von Christoph Paustian (aus Murg, NRW) erreichte uns ebenfalls ein Brief, der nach den Präsidentschaftswahlen in Rumänien verschickt wurde:



    Ich gratuliere dem rumänischen Volk zur Wahl von Klaus Johannis zum neuen Staatspräsidenten. Es zeigt doch deutlich, dass Einschüchterungen der Regierung Ponta nichts bewirkt haben. Es geht auch um den Ruf Rumäniens auf der internationalen Bühne. Das Volk hat das Problem erkannt und will nicht mehr als EU-Land mit der grö‎ßten Korruption sein. Wie wichtig auch die Ausstrahlung über Kurzwelle im 21. Jh. ist, zeigen doch diese Tage zwischen den Wahlen zum Staatspräsidenten. Durch die Kurzwelle erhält der Hörer Informationen aus erster Hand. Denn in den deutschen Medien fällt die Berichterstattung doch deutlich kürzer aus. Somit hoffe ich, dass RRI noch viele Jahre auf der Kurzwelle senden wird.




    Vielen Dank für Ihre Zeilen, lieber Herr Paustian. Laut einhelliger Meinung der Wahlanalysten haben sich die Auslandsrumänen zwischen den beiden Urnengängen weniger über Kurzwelle informieren lassen, sondern meistens über Facebook, Twitter und Co ihren Frust über die mutma‎ßliche Wahlhinderung durch die Regierung abgelassen. Einen Tipp habe ich noch: Auf der Webseite der Deutschen Welle ist ein Interview in Deutsch mit dem gewählten Präsidenten Klaus Johannis zu lesen bzw. als Video zu sehen. Das Interview führte Robert Schwartz, der in den Spätachtzigern und Anfang der 1990er auch Mitarbeiter des Rumänischen Rundfunks war.




    Neue Postbriefe lagen nicht in der Zwischenablage. E-Mails erhielten wir bis einschlie‎ßlich Samstag von Arman Sabciyan (Türkei), Zahoor Ahmed Solangi (Pakistan), Georg Pleschberger (Östereich), Martina Pohl, Anna, Bernd und Andrea Seiser, Petra Kugler, Andreas Pawelczyk, Werner Schubert, Michael Lindner und Helmut Matt (Deutschland).



    Das Internetformular nutzen Hendrik Leuker und Werner Schubert (Deutschland), Paul Gager (Österreich) und Stefan Bösch (Schweiz).



    Ich sage an dieser Stelle tschüss und übergebe jetzt an Irina Adamescu, die Ihnen den rumänischen Hefeteigkuchen Cozonac“ vorstellt.



    Cozonac (Hefeteigkuchen)



    Zutaten:



    450 g Mehl


    1/2 gro‎ßes Glas Milch


    30 g frische Hefe


    80 g Zucker


    60 g Butter (80% Fettgehalt)


    2 Eier


    1 Löffel geriebene Zitronenschale




    Füllung:



    150 g geriebene Walnüsse/Haselnüsse


    150 Zucker


    120 g Sahne (32% Fett)


    1 Fläschchen Rumaroma


    150 g Bienenhonig




    Zubereitung:



    Kneten Sie das Mehl, die Milch, die Hefe, den Zucker, die Butter, die Eier, das Salz und die Zitronenschale zu einem ziemlich festen Teig und lassen Sie diesen 1 Stunde im Kühlschrank ruhen.



    Vermengen Sie alle Zutaten für die Füllung mit Ausnahme des Honigs.

    Rollen Sie den Teig zu einem 3 cm dicken rechtwinkligen Blatt mit den Ausma‎ßen 25 cm x 15 cm.



    Verteilen Sie darauf die Füllung, wobei die Ränder frei bleiben sollten.

    Rollen sie den Teig zusammen und schneiden Sie 4 cm dicke Stücke davon ab.

    Legen Sie die Stücke mit der spitzen Seite nach innen, sodass sie später aufblühen“ können, in eine eingefettete runde Backform.



    Lassen Sie die Backform 30 — 45 Minuten zugedeckt bei Zimmertemperatur ruhen.

    Heizen Sie den Backofen auf 200 Grad Celsius auf und backen Sie den Kuchen 10 Minuten bei dieser Temperatur. Drehen Sie anschlie‎ßend die Temperatur auf 175 Grad runter und backen Sie den Kuchen für weitere 30 Minuten.



    Zum Schluss wird der Honig erwärmt und auf den noch warmen Kuchen gestrichen.



    (Bilder können sie zum Beispiel unter dieser Adresse sehen: http://www.bucataras.ro/retete/cozonac-trandafir-45801.html)




    Audiobeitrag hören:




  • Projekte zur Wiedereingliederung der Obdachlosen

    Projekte zur Wiedereingliederung der Obdachlosen

    Vertieft in unseren Gedanken, gehen wir meistens an ihnen vorbei. Wir bemerken sie nicht oder tun nur so, als ob wir sie nicht sehen würden. Gemeint sind damit die Obdachlosen in Bukarest und in weiteren kleineren Städten Rumäniens. In vielen Fällen ist ihre Geschichte die Geschichte eines Versagens, das mit Hilfe anderer überwunden werden könnte. Wie kann man aber diesen Menschen helfen? Durch eine einfache Geste des vorübergehenden Mitleids oder durch den Versuch, sie wieder ins Berufsleben einzugliedern. Patrick Ouriaghli, Exekutiv-Direktor bei Werkstätten ohne Grenzen“ erklärt:



    Wir haben im Jahr 2009 in Partnerschaft mit der Stiftung Samusocial eine Werkstatt für die Wiedereingliederung ins Berufsleben gegründet. Seit 5 Jahren stellen wir Personen in gro‎ßer Not ein. Samusocial, die Anti-Drogen-Agentur, die Jugendheime oder die Bewährungshelfer schicken diese zu uns. Sie kommen mit ausgegrenzten Personen, die sich aus unterschiedlichen Gründen in dieser Lage befinden, in Kontakt: Sie haben keine Wohnung, sind ehemalige Drogenabhängige, sind elternlos, ehemalige Häftlinge. Es handelt sich dabei um Menschen, die auf dem konventionellen Arbeitsmarkt nicht angestellt werden. Wir stellen diese ein. Sie arbeiten zwei Jahre lang in unseren Werkstätten. In dieser Zeit bereiten wir sie auf den konventionellen Arbeitsmarkt vor.“




    In dieser Lage befand sich auch Cătălin, der bis 1998 beim Militär und nachher für private Sicherheitsfirmen gearbeitet hat. Infolge familiärer und beruflicher Probleme hat er seine Wohnung verloren.



    Vor einem Jahr wohnte ich zusammen mit einem Kollegen, der ebenfalls hier arbeitet, in einem Obdachlosenheim im Stadtteil Drumul Taberei. Jetzt aber wohne ich nicht mehr dort. Darum bin ich auch zu den Werkstätten gekommen. Ich wollte eine dezente Wohnung finden, mich selbst versorgen und einen Beruf erlernen.“




    Nach einem stabilen Arbeitsplatz suchte auch ein Angestellter der Werkstätten ohne Grenzen“, ein ehemaliger Elektriker. Zudem wollte er auch einen neuen Beruf erlernen.



    Ich bin aus einem Gemeinschaftzentrum, ‚Casa Ioana‘ hierher gekommen. Ich habe in einem verstaatlichen Haus, das rückerstattet wurde, gewohnt. Ich habe dann weiter in einer vermieteten Wohnung gewohnt, aber entweder fand ich keine Arbeit oder bekam mein Geld nicht rechtzeitig. Ich möchte einen sicheren Arbeitsplatz haben, um für meine Familie und vier Kinder sorgen zu können. Meine Frau arbeitet als Putzfrau. Seit drei Monaten wohnen wir nicht mehr in Casa Ioana“.




    Die Menschen, die in den Werkstätten ohne Grenzen“ arbeiten, bekommen am Anfang den Mindestlohn, eine warme Mahlzeit und eine Monatskarte für den öffentlichen Verkehr. Hier reparieren sie alte PCs und sind auch in einem anderen Projekt involviert — in der Wiederverwertung der Werbebanner, aus denen modische Taschen gefertigt werden. Auf diese Weise erlernen sie Fähigkeiten, die ihnen weiter helfen werden, einen Job zu bekommen. Zudem eignen sie sich einen Lebens- und Arbeitsrhythmus an, der für die soziale Eingliederung wichtig ist. Die Selbstschätzung sei aber das Wichtigste, meint Patrick Ouriaghli.



    Am schwersten fällt es ihnen, Vertrauen zu fassen, dass sie die Situation überwinden können, dass sie sich wieder integrieren können. Viele hatten Familie und gute Löhne, haben all das aber wegen des Alkoholmissbrauchs und aus anderen Gründen verloren. Am schwersten fällt es uns, ihr Selbstvertrauen wieder aufzubauen. In unseren Werkstätten fühlen sie sich nützlich und jemand dankt ihnen.“




    Im Norden des Landes, in der kleinen Ortschaft Beclean im Landkreis Bistriţa-Năsăud, haben die Behörden eine Lösung für die Unterstützung von 10 Obdachlosen gefunden: Sie haben die Kirchen aller Konfessionen eingebunden, wie wir vom Bürgermeister Nicolae Moldovan erfahren:



    Wir haben ein Sozialhilfe-Zentrum mit sechs Zimmern gebaut. Es werden 2-3 Personen in einem Zimmer untergebracht. Das Rathaus wird die Kosten für Wasser, Strom und Erdgas übernehmen. Für Nahrung und geistige oder moralische Beratung haben wir eine Partnerschaft mit allen 12 Kirchen der Stadt abgeschlossen. Jede Kirche kommt abwechselnd für eine Woche an die Reihe und kümmert sich um diese Leute, so gut sie es auch kann. Meine Empfehlung war, ihnen eine warme Mahlzeit zu Mittag zu sichern oder sogar alle drei Mahlzeiten. Wir haben auch eine Partnerschaft mit dem lokalen Krankenhaus abgeschlossen und sie werden auch ärztlich behandelt. Ich glaube, wir können sie langsam wieder in die Gesellschaft eingliedern. Bis jetzt hatten wir keine Lösungen für sie, vielleicht haben sie sich verlassen gefühlt. Wenn sie sehen, dass sich die ganze Gemeinde um sie kümmert, werden wir einige wieder eingliedern können, denke ich.“




    Die Unterstützung durch die anderen, aber auch die Wiederherstellung der eigenen Selbstständigkeit, stellt den Schlüssel für eine Rückkehr der Obdachlosen zur Normalität. Die Wiederherstellung der Normalität ist meistens schwer und problematisch.


  • Das Văcăreşti-Delta und seine Bewohner

    Das Văcăreşti-Delta und seine Bewohner

    Mitte der 1980er Jahre beschloss das kommunistische Regime, ein symbolisches Denkmal der Hauptstadt Bukarest niederzurei‎ßen: das Kloster Văcăreşti, das Mitte des 18. Jahrhunderts errichtet wurde. In der Nähe des ehemaligen Klosters sollte ein künstlich angelegter See eingerichtet werden, die Bauarbeiten hatten bereits früher begonnen. Als der antikommunistische Aufstand 1989 ausbrach, verzichteten die Behörden auf das geplante Projekt und das 190 Hektar breite Gelände wurde indes zu einem Feuchtgebiet, das ebenfalls einen gro‎ßen wissenschaftlichen Wert aufwies. Es handelte sich um ein wahres Ökosystem mit einer Tier- und Pflanzenwelt, die jener eines Deltas ähnlich sind. Über 90 Vogelarten (Reiher, Kormorane, Möwen, Schwäne, Blässhühner, Wildenten — viele davon durch internationale Regelungen geschützt), Säugetiere, Fische, Amphibien fanden hier ein Zuhause. Es gibt zudem klare Beweise dafür, dass im Văcăreşti-Delta“ auch der Otter lebte.



    Die Nichtregierungsorganisation Rettet die Donau und das Delta“ hat ein Projekt angesto‎ßen, das den Văcăreşti-Sumpf zu einem Naturpark in der Stadt umwandeln soll. Um ein deratiges Projekt zu entwickeln, müsste man nicht nur bürokratische, sondern auch soziale Schwierigkeiten aller Art überwinden. Der Leiter der Organisation Rettet die Donau und das Delta“, Dan Bărbulescu, erläutert:



    In diesem Gebiet üben viele die Wilderei aus. Wir sind der Meinung, dass sich die rumänischen Behörden mehr dagegen einsetzen müssten. Wir haben eine gute Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium entwickelt. Wir kommen mit Vertretern des Ministeriums regelmä‎ßig zu Gesprächen über dieses Projekt zusammen. Das Projekt ist auf den ersten Blick leicht umzusetzen, in Wirklichkeit müssen wir aber viele Schwierigkeiten überwinden. Selbst mit der Unterstützung des Umweltministeriums legt uns die Mentalität verschiedener Beamten zahlreiche Hindernisse in den Weg. Das Areal hat zudem das Interesse einiger Immobilieninvestoren erweckt, die hier Wohnblocks und Shopping Malls bauen wollen.“



    Der Văcăreşti-Sumpf gehört derzeit niemanden, das Areal bietet obdachlosen Menschen eine Beherbergung. Andere fischen oder sammeln Abfall, der hier in gro‎ßer Menge existiert. Die meisten erwarten Spenden von Wohltätigkeitsorganisationen. So ist der Fall von Aurelia, die in der Gegend in einer improvisierten Baracke wohnt. Sie ist nicht die einzige, die hier eine Unterkunft gefunden hat.



    Wir sind eine Familie — ich, der Ehemann, die Kinder und die Schwiegermutter — und neben uns wohnt sein Bruder, mit ihm auf dem selben Hof wohnen noch weitere 5-6 Familien. Etwas weiter vor leben noch drei Familien, sie haben sieben Kinder. In einer anderen Baracke lebt noch eine Familie mit 12 Kindern. Es ist sehr schwer für uns, so zu leben. Vor allem für die Kinder ist es schwer in der Schule, sie haben ja kein Licht, um ihre Hausaufgaben zu machen. Wir haben auch keine Heizung.“



    Die widrigen Bedingungen machen es den Familien sehr schwer, die Kinder zur Schule zu schicken. Und dennoch besuchen die zwei älteren Jungen und die zwei Mädchen ziemlich regelmä‎ßig den Unterricht. Weil ihre Familie seit geraumer Zeit über keine eigene Wohnung verfügt, konnte die mittlere Tochter, Alina, nicht rechtzeitig eingeschult werden. Sie ist jetzt 12 Jahre alt und erst in der dritten Klasse. Wenn sie manchmal danach gefragt wird, warum sie mit 12 erst die dritte Klasse besucht, antwortet Alina:



    Weil mich meine Mutter spät zur Schule geschickt hat. Es hätte mir gefallen, wenn ich früher dorthin gegangen wäre und mehr gewusst hätte. In Zukunft würde ich gerne gut lernen.“



    Die Familie muss seit vielen Jahren unter diesen Umständen leben, erzählt Aurelia.



    Seit 15 Jahren leben wir so, wie Sie sehen können, in Baracken. Wir hatten auch im Metalurgiei-Viertel früher Baracken; dort haben wir 13 Jahre lang gewohnt, auf einem Grundstück, das verkauft wurde. Hierher bin ich auf Empfehlung meines Bruders gekommen. Er hat mich hierher gebracht, weil er ebenfalls hier wohnt. Ich wei‎ß gar nicht, wem dieses Grundstück gehört. Wir gehen durch die Plattenbauten, sammeln wiederverwertbares Material ein, von Plastikflaschen bis hin zu Altpapier, Konservendosen und Kupferkabeln. Wir kennen uns mit dem Angeln nicht aus. Wir kommen über die Runden, wie wir das bereits seit Jahren tun. Und wir werden so weitermachen, bis wir einen Arbeitsplatz gefunden haben.“



    Mit der Verbesserung der Lebensbedingungen und der Berufssituation befasst sich seit einigen Jahren der Verein Samusocial. Die angebotene Unterstützung besteht aus der Besorgung von Personalausweisen, Schulsachen, Kleidung und Schuhen und der Hilfe bei der Arbeitssuche. Und das ist aus mehreren Gründen problematisch, wie Monica Tăutul von Samusocial berichtet:



    Wir finden Arbeitsplätze für diese Menschen, die meisten sind aber Saisonjobs. Wir müssen leider über Schwarzarbeit reden. In kurzer Zeit kommen sie zu ihrem alten Leben zurück und verlangen unsere Hilfe. Wir als Verband nehmen uns vor, nebst einem Arbeitsplatz auch eine Wohnung für diese Menschen zu finden. Eine Person, die auf der Stra‎ße schläft, kann natürlich nicht gut arbeiten, weil sie sich nicht gut ausruht. Die Ernährung ist nicht sehr bedeutend. Wesentlicher ist die Hygiene. Der Arbeitgeber denkt, dass diese Personen nicht einmal die Grundpflichten erfüllen können und verzichtet deshalb auf ihre Arbeit.“



    Wohnungen in Bukarest zu finden, ist allerdings keine leichte Aufgabe. Ideal wäre es für die Bewohner des Văcăreşti-Sumpfs, weiterhin hier leben zu dürfen. Die Gründer des Projekts für die Erklärung Văcăreşti-Sumpfs zum geschützten Naturpark haben konkrete Vorstellungen. Dan Bărbulescu, Exekutivdirektor des Verbandes Salvaţi Dunărea şi Delta“ (Rettet die Donau und das Delta) dazu:



    Wir wissen, dass hier zahlreiche Familien leben. Wir wollen sie nicht von hier vertreiben. Sie leben im Delta und sie müssen ihr Leben weiterhin hier verbringen. Die Lebensbedingungen müssen aber verbessert werden. Es gibt Sozialfälle und sie brauchen die Hilfe des Staates. Wir kommen mit den Ideen, eine davon wäre, dass diese Menschen eine Art Rangers, Reiseleiter oder Wächer werden könnten. Wir kommunizieren miteinander. Vor zwei Tagen hat uns ein Bewohner angerufen und gesagt, man hacke Bäume ab. Das ist ein weiteres Problem. In jedem Herbst braucht man Holz für das Feuer. Der Park muss besser überwacht werden. Die Berwohner könnten sich daran beteiligen.“



    Das Projekt erfreut sich der Unterstützung des Umweltministeriums und der Rumänischen Akademie und die Betreiber kämpfen heute gegen die Bürokratie der Lokalverwaltung und die Rückerstattungen an. Danach soll die Initiative vom Parlament gebilligt werden.



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