Tag: Osmanische Reich

  • Dimitrie Cantemir Dreihundertjahrfeier

    Dimitrie Cantemir Dreihundertjahrfeier



    Im römischen Reich entstand die Idee des intellektuellen Führers in der europäischen Geschichte, wobei das erste Beispiel der Kaiser Marcus Aurelius im zweiten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung war. Im berühmten Buch Der Fürst“ erklärt Niccolò Machiavelli, dass ein intellektueller Fürst immer gute Lösungen für die Politik finden wird. In der Geschichte Rumäniens war ein intellektueller Fürst der Walachei Neagoe Basarab, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts geboren wurde. Seinerseits war Dimitrie Cantemir, Fürst aus der Moldau, ein bedeutender Gelehrter, dessen umfangreiche Schriften sich sowohl auf historische Themen als auch auf Geografie, Moral, Politikwissenschaft und Musik bezogen.




    Dimitrie Cantemir wurde am 9. Juli 1673 als Sohn des moldauischen Fürsten Konstantin Cantemir geboren und erhielt eine, für seinesgleichen, typische Erziehung. Er wurde in der Hauptstadt des Osmanischen Reiches ausgebildet und lebte von 14 bis 37 Jahren am Ufer des Bosporus. Zu seinen Werken gehören die Klassiker Der Diwan oder der Blick des Weisen auf die Welt“, Descriptio Moldaviae“, Hieroglyphen-Geschichte“, Geschichte des Aufstiegs und Niedergangs des Osmanischen Reiches“. Andere Bücher von nicht minderer Bedeutung sind Die Chronik der alten römisch-moldauischen Rumänen“, Die orientalische Sammlung“, Abkürzungen des Systems der allgemeinen Logik“, Forschung über die Natur der Monarchien“, Das Leben von Constantin Cantemir dem Älteren, Herrscher der Moldau“, Das System der mohammedanischen Religion“, Das Buch der Wissenschaft der Musik“. In Anerkennung seiner au‎ßerordentlichen Leistungen in der Wissenschaft seiner Zeit wurde Cantemir 1714 im Alter von 41 Jahren zum Mitglied der Königlichen Akademie zu Berlin ernannt. Der berühmte englische Historiker Edward Gibbon (1737–1794) erwähnte seinen Namen in seinem Buch History of the Decline and Fall of the Roman Empire“. Auch in dem Buch von Allen G. Debus (1926–199) über den flämischen Chemiker Jan Baptist van Helmont aus dem 16. Jahrhundert findet sich sein Name wieder.




    Die politische Karriere von Cantemir war nicht so beeindruckend wie seine intellektuelle Karriere. 1693 wurde er im Alter von 20 Jahren Fürst der Moldau. 17 Jahre später, im Jahr 1710, wurde er erneut Fürst, allerdings nur für ein Jahr. Er schlie‎ßt sich Peter dem Gro‎ßen im Russisch-Türkischen Krieg an, verliert jedoch durch die Niederlage der Russen bei Stănilești 1711 den Thron. Er ging ins Exil an den Hof Peter des Gro‎ßen und verstarb 1723 im Alter von 50 Jahren.




    Das Jahr 2023 wurde zum Cantemir-Jahr erklärt, weil sich in diesem Jahr sein Geburtstag zum 350. und sein Todestag zum 300. Mal jährt. Die ihm gewidmete Ausstellung von Manuskripten und Büchern in der Bibliothek der Rumänischen Akademie wurde mit gro‎ßem Interesse erwartet. Der Akademiker Răzvan Theodorescu betonte, dass er eine typische europäische Persönlichkeit seiner Zeit war, die zwei Kulturen, den Westen und den Osten, einander näher brachte. Vieles ist über Cantemir bekannt und vieles bleibt noch zu entdecken. Ich erinnere mich, dass vor einigen Jahren an der nationalen Akademie in Brüssel, der belgischen Akademie, ein Kolloquium über den Europäer Cantemir stattfand. Mit ihm haben wir einen gro‎ßen europäischen Beitrag geleistet. Es darf nicht vergessen werden, dass die Descriptio Moldaviae“ einer von mehreren Aufträgen der Berliner Akademie war, die um verschiedene descriptiones“ der levantinischen Territorien bat. Das Interesse Preu‎ßens an der Levante war stark, was auch der Grund dafür war, dass Cantemir angefragt wurde. Wir dürfen uns nicht zu sehr von den politischen Umständen beeinflussen lassen. Jetzt könnte behauptet werden, dass Dimitrie Cantemir in seiner Eigenschaft als russischer Fürst Mitglied der Berliner Akademie wurde. Der preu‎ßische Königshof wählte den kultiviertesten Mann des russischen Reiches aus, und das war der ehemalige Fürst der Moldau. Cantemir vereinte die traditionelle Kultur dieser Region, die osmanische Kultur, mit der russischen Kultur. Somit ist er ein europäischer Eckpfeiler an der Schwelle zu einem neuen Europa, einem vormodernen Europa.“




    Constantin Barbu, Herausgeber der Werke Dimitrie Cantemirs, sprach über die Manuskripte, die Teil der Ausstellung zu Ehren des Gelehrten sind. Etwa 200 Bände von Cantemirs Werk sind erhalten geblieben. Bisher sind 104 Bände gedruckt worden. Ich habe zwei Cantemir-Manuskripte vervollständigen können, sie sind jetzt in Moskau und hier in Bukarest vollständig. Ich habe auch viele unveröffentlichte Manuskripte von Cantemir mitgebracht, die nicht einmal unter einem Titel bekannt waren. Hier befinden sich mehrere Manuskripte, darunter zwei Kapitel der Descriptio Moldaviae“, verfasst von dem deutschen Sinologen Gottlieb Siegfried Bayer, Professor an der Universität von Petersburg. Seine Werke sind nicht nur in Russland, sondern auch in der Berliner Akademie zu finden. Die 15 Manuskripte der Berliner Akademie habe ich mitgebracht.“




    Die Dreihundertjahrfeier von Cantemir im Jahr 2023 rückt eine bemerkenswerte kulturelle Persönlichkeit ins Bewusstsein der rumänischen Öffentlichkeit, die eine Europäische war.

  • Kontroverse um Massaker im Ersten Weltkrieg: Was lehrt uns die armenische Geschichte?

    Kontroverse um Massaker im Ersten Weltkrieg: Was lehrt uns die armenische Geschichte?

    Die Menschheit habe im vergangenen Jahrhundert drei gro‎ße, unerhörte Tragödien“ erlebt, zunächst jene, die als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts“ angesehen werde und die das armenische Volk traf, sagte der Papst zur Begrü‎ßung des armenischen Staatspräsidenten Sersch Sargsjan vor Beginn einer im armenischen Ritus gefeierten Messe im Petersdom. Dabei zitierte er ein im Jahre 2000 von Papst Johannes Paul II. und dem armenischen Patriarchen unterzeichnetes Dokument. Den Völkermord an den Armeniern stellte Franziskus in eine Reihe mit den späteren Völkermorden des Nationalsozialismus und des Stalinismus.



    Jerewan behauptet, dass 1,5 Millionen Armenier und damit knapp die Hälfte der damaligen armenischen Bevölkerung zwischen 1915 und 1917, den letzten Existenzjahren des Osmanischen Reiches, getötet wurden. Die Opfer der Massaker wurden von der Armenischen Kirche heiliggesprochen. Die Türkei lehnt die These entschlossen ab, wonach das Osmanische Reich die systematische Beseitigung der armenischen Bevölkerung im Ersten Weltkrieg geplant hätte. Istanbul ist ferner nicht mit dem Gebrauch des Begriffs “Völkermord” in diesen Zusammenhang einverstanden, ein Begriff, den Armenien, zahlreiche Historiker und weitere 20 Staaten einschlie‎ßlich Frankreich, Italien und Russland verwenden.



    Jetzt reagierte Ankara vehement auf die Äu‎ßerungen von Papst Franziskus. Bei den Vorfällen habe es sich vielmehr um einen Bürgerkrieg gehandelt, bei dem zwischen 300.000-500.000 Armenier und ebenso viele Türken starben. Einige Mitglieder des Europäischen Parlaments wurden von der türkischen Regierung zudem eines “religiösen und kulturellen Fanatismus” bezichtigt. Das, weil sie eine Resolution zum Gedenken an die armenischen Opfer der Hinrichtungen und Massendeportationen der letzten Jahre des Osmanischen Reiches angenommen hatten. Die Legislative der EU versuche die Geschichte neu zu interpretieren, hie‎ß es aus diplomatischen Kreisen der Türkei. In der Resolution zum 100. Jahrestag der Massaker während des Ersten Weltkriegs wird die Türkei als völkerrechtlicher Nachfolger des Osmanischen Reiches zur Aufarbeitung der Vergangenheit und zur Anerkennung des Genozids an den Armeniern aufgerufen. Es gebe eine Eklärung für die Haltung Ankaras, wei‎ß Professor Consantin Hlihor.



    Im Völkerrecht hat diese Art von dramatischen Ereignissen einen dunklen Schatten auf die Staaten geworfen, die eine ähnliche Politik zur Beseitigung einer Volksgruppe, einer Nation geführt haben. Das extrem negative Image bleibt haften, wenn man sich etwa auf die Ereignisse Mitte des vergangenen Jahrhunderts während des Zweiten Weltkriegs bezieht, auf die von Hitlerdeutschland gegen die Juden begangenen Verbrechen und die von Stalin gegen die eigene Bevölkerung.



    Überhaupt sollte die Geschichte als Brücke zwischen den Nationen dienen und zur Stabilität und Zusammenarbeit beitragen, glaubt Constantin Hlihor. Auf keinen Fall sollte sie zum destabilisierenden Faktor werden, der zu Hass und Auseinandersetzungen führt. Zwei Aspekte müsse man in Zusammenhang mit dem armenischen Drama berücksichtigen, erklärt Constantin Hlihor.



    Es geht zum einen um den historischen Aspekt, man muss die Wahrheit über die Tragödie der Armenier im Ersten Weltkrieg erfahren. Dann gibt es den politischen Aspekt, der die Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Staaten um die Definition der Ereignisse von damals betrifft. Die Türken lehnen den Begriff Genozid ab, weil die Definition ihrer Ansicht nach relativ spät, nach dem Zweiten Weltkrieg, ins Völkerrecht aufgenommen wurde und sie andere historische Ereignisse betrifft als jene Anfang des 20. Jahrhunderts. Eines ist aber unabhängig des Blickwinkels klar: Ein Volk des Südkaukasus, das armenische Volk, hat diese tragischen Ereignisse erleben müssen, weil es Teil eines Reiches war, das dabei war, seine Machtstellung in den internationalen Beziehungen zu verlieren. Das armenische Volk war Teil einer osmanischen Gesellschaft, die mit ihren Modernisierungstendenzen gescheitert war und in eine neue Entwicklungsetappe trat. Die damaligen Ereignisse kann und darf das kollektive Gedächtnis heute nicht vergessen. Andererseits dürfen historiographische Kontroversen, die bei Aufarbeitung der Vergangenheit normal sind, keine politische Dimension erhalten. Denn die Geschichte darf die Völker nicht auseinander bringen, die historische Wahrheit sollte Gemeinschaften von Menschen nicht zu feindlichen Gesten anstiften. Die Geschichte muss als Verbindungselement dienen, das für mehr Stabilität, mehr Vertrauen und Zusammenarbeit sorgt.



    Ist es dann nur eine Image-Angelegenheit oder spielen die möglichen Entschädigungen eine Rolle? – fragten wir Professor Constantin Hlihor.



    Es stellt sich die Frage der Entschädigungen für die Angehörigen der Opfer der dramatischen Ereignisse, die in der Stadt Van ihren Lauf nahmen, der Armenier die in die syrische Wüste deportiert wurden. Diese Ansprüche stehen nicht in Verbindung mit der Geschichte, sondern mit dem Völkerrecht. Armenien oder irgendjemand müsste ein Verfahren einleiten, ähnlich wie der Prozess gegen das Nazi-Regime nach dem Zweiten Weltkrieg und erst dann kann über Entschädigungen verhandelt werden.



    Rumäniens Au‎ßenminister und Berater des Ministerpräsidenten Titus Corlăţean hat indes in einem Statement darauf hingewiesen, dass Bukarest den Dialog zwischen der Türkei und Armenien in der heiklen Angelenheit befürwortet. Im Laufe der tragischen Ereignisse vor 100 Jahren haben Wohltätigkeitsverbände, Diplomaten, Ärzte und einfache Bürger den ins Exil vertriebenen Armeniern geholfen. Rumänien zählt zu den Ländern, die den Zehntausenden armenischen Flüchtlingen Asyl gewährten.