Tag: Ostblockstaaten

  • Entwicklungshilfe für Schwellenländer: Sozialistisches Rumänien verfolgte auch politische Ziele

    Entwicklungshilfe für Schwellenländer: Sozialistisches Rumänien verfolgte auch politische Ziele

    Einer der gro‎ßen Veränderungsprozesse, die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzten, war die Entkolonialisierung der Welt. Ehemalige Kolonialmächte, vorrangig sogenannte westliche Staaten, mussten der Reihe nach die Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien anerkennen, und die Beziehungen zwischen den westlichen Metropolen und den jungen unabhängigen Staaten wurden von neuen Positionen aus fortgesetzt. Aber auch von den sozialistischen Ländern des Ostblocks ging die Bereitschaft aus, die Länder des so genannten Globalen Südens“ in Lateinamerika, Afrika, Asien und Ozeanien im Namen des neuen Humanismus zu unterstützen. Zum Beziehungskomplex zwischen den alten und neuen Staaten, die aus ehemaligen Kolonien hervorgegangen waren, gehörte die humanitäre Hilfe als umfangreiche Möglichkeit der Unterstützung. Doch gleichzeitig wurden Hilfe und Unterstützung aus dem Westen nicht nur aus Nächstenliebe gewährleistet, sondern geschahen stillschweigend auch im Interesse derer, die sie anboten.



    Seit den 1970er Jahren machte sich auch das sozialistische Rumänien für die sogenannten Dritte Welt“ stark, wie der Globale Süden damals bezeichnet wurde. Die Länder des Ostblocks setzen bekannterweise auf den globalen Klassenkampf und die sozialistische Weltrevolution. Der rumänische Diktator Nicolae Ceaușescu war dabei keine Ausnahme — in seiner Au‎ßenpolitik sprach er von einer Öffnung gegenüber dem afrikanischen Kontinent, und die Unterstützung für sozialistische oder mit dem Sozialismus sympathisierende Länder in Asien sowie für kommunistische Bewegungen in Lateinamerika waren Teil seiner Profilierungssucht auf der internationalen Bühne.



    Die Historikerin Mia Jinga vom Institut für die Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus und die Geschichte des rumänischen Exils (IICCMER) ist als Forscherin an einem weitgehenden Projekt beteiligt, das die Weltpolitik Rumäniens von den 1960er bis zu den 1980er Jahren erforscht. Sie kennt die Umstände, unter denen das sozialistische Rumänien humanitäre Hilfe leistete:



    In unserer Nachforschung haben wir eine Methode angewandt, um alle möglichen Ebenen der Hilfeleistung zu untersuchen, angefangen bei der klassischen humanitären Soforthilfe. Am Anfang ging es um Soforthilfe bei Naturkatastrophen wie Dürre, Überschwemmungen, Erdbeben und andere Desaster. Aber nicht nur Rumänien, sondern auch die anderen Ostblockländer und die westlichen Länder haben unterschiedliche Formen der Hilfe gewährleistet: Hilfe für Menschen in Konfliktgebieten oder Flüchtlingslagern, materielle und militärische Unterstützung für verschiedene Befreiungsbewegungen und kommunistische Parteien. Das meiste Geld ist tatsächlich dorthin geflossen. Au‎ßerdem wurden Stipendien für die voruniversitäre und universitäre Ausbildung sowie Praktika, Fachwissen und Ausrüstung bereitgestellt, die als Entwicklungshilfe verstanden wurden.“




    1979 half Rumänien Schwellenländern auf drei Kontinenten: Peru, Martinique, der Dominikanischen Republik, Nicaragua und Mexiko in Nord-, Mittel- und Südamerika; Benin, Äthiopien, Sudan, Burundi, Mosambik, Senegal, der Zentralafrikanischen Republik, Mauretanien, Kap Verde, Namibia, Guinea-Bissau in Afrika; dem Jemen und dem Libanon in Asien. Die Historikerin Mia Jinga weist darauf hin, dass humanitäre Hilfe und die Verfolgung eigener politischer Interessen oft zusammenfielen. So unterstützte Rumänien beispielsweise aktiv die marxistisch-leninistische Gruppe Zimbabwe African Peoples Union“ (ZAPU), die zwischen 1964 und 1979 im Bürgerkrieg in Rhodesien involviert war.



    Wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass es nebst der humanitären und der Entwicklungshilfe weitere Ma‎ßnahmen gab, die politische Ziele verfolgten. Bei Naturkatastrophen zum Beispiel bestand die Hilfe in erster Linie aus Grundnahrungsmitteln, Kleidung, Medikamenten und medizinischer Hilfe. Je nach Bedarf wurde die Unterstützung allerdings auch auf andere Bereiche ausgedehnt. Aus der Vielzahl der humanitären Aktionen habe ich mir die Unterstützung ZAPU-Aktivisten im damaligen Rhodesien angeschaut, die mir am interessantesten erschienen. Rund 9,5 Millionen Lei — das waren damals umgerechnet mehr als 2,1 Mio. USD — gingen 1979 an diese Organisation, während der durchschnittliche Betrag für eine gewöhnliche humanitäre Hilfeleistung bei nur knapp 56.000 Dollar lag. Die Diskrepanz ist enorm.“




    Die Historikerin Mia Jinga erläutert auch, welche politischen Überlegungen dahinter steckten, als Rumänien den sogenannten Schwellenländern Hilfe leistete.



    Ich habe mir näher angeschaut, wie humanitäre Hilfsprojekte durchgeführt wurden, wie sie ihren Anfang nahmen und wie sie endeten. Handelte es sich um eine Initiative des rumänischen Staates, oder war es im Gegenteil der Empfänger, der um Hilfeleistung bat? In allen Fällen, zumindest in denen, die ich bisher erforscht habe, wurde die Hilfe auf einen formellen Antrag hin gewährt, der an eine hohe politische Stelle gerichtet war. Der Antrag kam von einem bekannten Anführer einer Partei oder Bewegung im Bittstellerstaat, nicht selten nach einem Treffen mit Ceaușescu oder nach einem Besuch oder Treffen auf hoher Ebene im Ausland. Nach Eingang eines solchen Ersuchens verfasste die Abteilung für Au‎ßenbeziehungen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Rumäniens einen Vermerk, in dem sie begründete, ob sie den Antrag genehmigte oder ablehnte. Die Begründung enthielt auch eine kurze Geschichte der humanitären Hilfeleistungen für den Empfänger, die Beträge für jedes Jahr, ob man früher schon geholfen hatte, wie sachgemä‎ß die Hilfe verwendet worden war und ob sich diplomatische Verwerfungen aufgrund von weiteren Hilfeleistungen ergeben könnten. Es gab viele Situationen, in denen Rumänien gerne geholfen hätte, doch der weltpolitische Kontext war damals so angespannt, dass die Antwort »Nein« lautete. In allen Fällen hatte allerdings der Diktator Nicolae Ceaușescu das letzte Wort. Es gab auch Länder, die unter allen Umständen grünes Licht bekamen, wie es mit Vietnam der Fall war. Egal, wie viel das Land verlangte, Vietnam bekam es. Irgendwann dämmerte es Ceaușescu, dass er kein politisches Kapital daraus schlagen konnte. Er sagte damals sinngemä‎ß, dass Rumänien Vietnam schon seit 10 Jahren helfe und dass die Vietnamesen sich endlich einmal an die Arbeit machen sollten.“




    Das sozialistische Rumänien verfolgte — wie viele Staaten des Ostblocks — eine Politik der differenzierten Hilfe für die Schwellenländer. Die Archive offenbaren sowohl Erfolge als auch Misserfolge der verschiedenen Projekte, wobei Afrika in Ceaușescus Auffassung von einer rumänischen Weltpolitik der bevorzugte Kontinent war, den er bei zahlreichen Gelegenheiten besuchte.

  • Schwarzer Humor im Kommunismus: Radio-Jerewan-Witze in Osteuropa

    Schwarzer Humor im Kommunismus: Radio-Jerewan-Witze in Osteuropa

    Die politischen Witze waren in Rumänien während des Kommunismus besonders beliebt. Sie gelten trotzdem bei weitem nicht als rumänische Erfindung. Sie kamen in allen Staaten des ehemaligen Ostblocks häufig vor und viele davon konnten daher, mit ein paar örtlich bestimmten Unterschieden, als gemeinsam bezeichnet werden. Viele meinen, die besten seien jedoch aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen, die Menschen hätten sie mit dem Ziel erfunden, den Alltag einer vom unterdrückenden Regime geprägten Gesellschaft zu bewältigen und mit der damaligen wirtschaftlichen und politischen Situation des Landes mit schwarzem Humor umzugehen. Die politischen Witze basierten auf unterschiedlichen komisch-absurden Situationen, deren Hauptfiguren meistens normale Menschen, Einrichtungen des repressiven Apparats, der staatlichen Propaganda und politische Führer waren, oder spielten auf damals aktuelle Begebenheiten an.



    Einer besonderen Beliebtheit unter den Figuren politischer Spitzenwitze erfreute sich Radio Jerewan. Die fiktive Redaktion des Rundfunks in der Hauptstadt des heutigen Armenien beantwortete mit schwarzem Humor und voller Ironie hypothetische Zuhörerfragen. Zumeist begannen die Witze mit der Einleitung: Frage an den Sender Radio Jerewan. Die Radio-Jerewan-Witze waren kurz, aussagekräftig und brachten einen unmittelbar zum Lachen. Einer der Radio-Jerewan-Witze (oder Radio Eriwan), die in den ehemaligen Ostblock-Ländern sehr häufig vorkamen, war: Frage an den Sender Jerewan: Ist es wahr, dass die kapitalistische Gesellschaft am Abgrund steht? Unsere Antwort: Im Prinzip ja, aber wir sind bereits einen Schritt weiter.“



    Wir haben den Historiker Eduard Antonian gefragt, warum im kommunistischen Rumänien die Witze rund um den Radiosender in der armenischen Hauptstadt so beliebt waren:



    Radio Jerewan war eine Form von Dissidenz, selbst in der ehemaligen Sowjetunion. Das Konzept an sich förderte den schwarzen Humor. Wie ein berühmter Radio-Jerewan-Witz besagte, seien die Zebras ehemalige Esel gewesen, die politische Witze gesagt hätten, die Streifen seien eigentlich als Spuren von Gittern zu verstehen. Oder der in der DDR kursierte ein Pendant dieses Witzes: ‚Werden Radio-Jerewan-Witze honoriert? Im Prinzip ja, von 30 Jahren bis Lebenslänglich.‘ Ich erinnere mich, dass in den neunziger Jahren, nachdem Armenien seine Unabhängigkeit erlangte, der Intendant des armenischen Hörfunks, Radio Jerewan, nach Bukarest kam. Wie man feststellen konnte, wusste er gar nicht, warum der Sender, den er leitete, so berühmt in der rumänischen Hauptstadt war. Jedes Mal wenn der Name Radio Jerewan in Gesprächen vorkam, brachte das ein Lächeln auf das Gesicht seiner Gesprächspartner, die rumänischen Zollbeamten haben ihn sogar gebeten, ihnen ein paar Witze zu erzählen. Ein Freund erzählte mir allerdings gerade, dass der neue Intendant des Senders jüngst auf seinem Facebook-Account gepostet habe: ‚Vorsicht, ich bin der neue Intendant von Radio Jerewan, von nun an nehme ich jeden Witz persönlich und werde mich beleidigt fühlen.‘“




    In der Sowjetunion funktionierten ganz gut, genau wie in jedem Land, Klischees über jedes Volk, genau wie innerhalb eines Landes beliebte Klischees über einzelne Regionen kursieren. Wie die sozialistischen Völker darauf kamen, Radio Jerewan als Hauptfigur ihrer Lieblingswitze in der Sowjetära zu machen, das sei auf den Scharfsinn der Armenier zurückzuführen, glaubt Eduard Antonian:



    In der Völkermischung der Sowjetunion galt jedes Volk jedoch als individualisiert. So zum Beispiel galten die Tadschiken und Usbeken im allgemeinen Bewusstsein als ziemlich grob und nicht besonders schlau. Die Russen und die Ukrainer waren die Verkörperung des slawischen Geistes an sich, die Litauer, die Letten und die Esten galten eher als Westländer, während die Armenier von den anderen als klug und listig wahrgenommen wurden, sie seien die Menschen, die ganz gut wissen, wie man mit Worten überzeugt und wie man jede günstige Situation nutzten kann. Nicht zuletzt galten die Armenier als witzig und humorvoll, als wahre Vertreter des kaukasischen Geistes, ein Volk der Lebensgenie‎ßer. Darüber hinaus war das kommunistische Regime in Armenien nicht so repressiv wie in anderen Sowjetrepubliken, so zum Beispiel in der Ukraine. Ich möchte in diesem Zusammenhang den berühmten Anastas Mikojan erwähnen, den sogenannten ‚Meister der endlosen Verzögerungen‘, der die Raketenkrise in Kuba gelöst hat.“




    Die Radio-Jerewan-Witze kursierten auch mit örtlichen Unterschieden, der bei‎ßende Humor blieb jedoch einer der gemeinsamen Züge der berühmten Spitzenwitze. Bekanntlich sprach der rumänische Diktator Nicolae Ceauşescu viel und wollte jedes Mal ausreden. In diesem Zusammenhang erzählten die Rumänen den Witz: Frage an Radio Jerewan: Kann man an Halskrebs sterben? Antwort: Ja, aber daran leidet er nicht.“



    Selbst wenn die Radio-Jerewan-Witze ihre Berühmtheit als politisch motivierte Witze erlangten, wurden sie mit der Zeit unpolitisch, erläutert weiter der Historiker Eduard Antonian:



    Diese Witze waren zumeist politisch, mit der Zeit begannen sie auch andere Anspielungen zu machen. Natürlich wurden sie auch an die örtlichen Begebenheiten angepasst. Wenn jemand etwas über Ceauşescu herausfinden wollte, sollte man die entsprechende Frage an Radio Jerewan richten. Mir fällt gerade ein anderer Witz ein: Ein Reporter von Radio Jerewan lief im Jahr 1968, während der sowjetischen Besatzung Prags, verwirrt durch die Stadt. Dann fragt er einen gelangweilten Taxifahrer, der sich an seinen Wagen anlehnte: ‚Sind sie frei?‘ Der Taxifahrer antwortet: ‚Nein, weil ich Tscheche bin.‘ Ich wei‎ß nicht, ob es Sammlungen von Radio-Jerewan-Witzen gibt, im Internet kann man bestimmt unzählige finden.“




    Die Radio-Jerewan-Witze haben vor der Wende viele Generationen von Osteuropäern amüsiert. Selbst wenn sie jetzt an Aktualität verloren haben, köstlich sind sie bestimmt geblieben.