Tag: Palliativmedizin

  • Nebeneffekte der Pandemie: das Drama der Krebspatienten in Rumänien

    Nebeneffekte der Pandemie: das Drama der Krebspatienten in Rumänien

    Krebs ist die erste Todesursache in immer mehr Ländern der EU. Rumänien hält einen Negativrekord in Bezug auf die Sterblichkeitsrate, die durch diese Pathologie verursacht wird: Vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie starben jeden Tag mehr als 140 onkologische Patienten. Nach der Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus hat sich die Zahl der an verschiedenen Krebsarten Erkrankten, die täglich sterben, fast verdreifacht, wie uns der Präsident der Föderation der Krebspatientenverbände, Cezar Irimia, auf der Grundlage von Zahlen des Nationalen Instituts für Statistik (INS) mitteilte.



    Die Föderation der Krebspatientenverbände, die etwa 30 Verbände aus ganz Rumänien vertritt, schlug bereits im letzten Jahr Alarm, als die Krise im Gesundheitswesen gerade erst begann, und machte auf die Tatsache aufmerksam, dass die Sterblichkeit unter Krebspatienten in Ermangelung einer angemessenen medizinischen Versorgung wahrscheinlich ansteigen würde, weil sich alle auf Covid-19 konzentrieren. Nach einem Jahr hat sich dieses Szenario bestätigt, und wir können einen Schlussstrich ziehen und einige Schlussfolgerungen formulieren, die allerdings nicht endgültig sind, sagt Cezar Irimia:



    Wir glauben, dass einige der Strategien des Gesundheitsministeriums falsch waren. Zuerst, als sie eine Unterscheidung zwischen Covid- und Nicht-Covid-Krankenhäusern machten und den Zugang zur spezialisierten medizinischen Überwachung für chronische Patienten generell unterbrachen. Dann folgte die Anordnung, dass nur Notfälle in öffentliche Krankenhäuser eingeliefert werden dürfen, und das ist eine weitere Einschränkung, die nicht nur für Krebspatienten gilt. Diese Anordnung hat, wie wir sagen, zu vielen Opfern geführt. Die Tatsache, dass unsere Patienten keine spezialisierte Krankenhauspflege in Anspruch nehmen konnten, nicht überwacht wurden und ihre Medikamente nicht rechtzeitig bekamen, führte zum Verlust von Menschenleben. Das ist eine Statistik, die durch die Daten der Nationalen Krankenkasse bestätigt wird, das die Zahl der Menschen meldete, die aufgrund ihres Ablebens keine Sozialversicherungsleistungen mehr erhalten. Ich würde sagen, dass im Jahr 2020 in der Onkologie die Diagnoserate um 30–40% gesunken ist, und das wird sich am Ende dieses Jahres auswirken, wenn die neu diagnostizierten Menschen das Gesundheitssystem überfordern und zusätzliche Kosten zum Tagesdurchschnitt verursachen werden.“




    Unter normalen Bedingungen ist die Lebenserwartung heutzutage für die meisten Krebsarten hoch. Doch seit Ausbruch der Pandemie hat sich das Risiko, zu sterben, schlagartig verdreifacht. Die Patienten, die dringend diagnostiziert und behandelt werden müssen, werden von eben jenem Gesundheitssystem in Rumänien zum sicheren Tod verurteilt, das ein Meister sei, wenn es um vermeidbare Todesfälle, Krankenhausinfektionen, hohe Sterblichkeit und Unterfinanzierung durch den Staatshaushalt geht, sagt auch Cezar Irimia. Zu sagen, dass chronisch Kranke wegen der Pandemie Angst hätten, ins Krankenhaus zu gehen, sei seiner Meinung nach falsch:



    Welche grö‎ßere Gefahr kann es geben, als an Krebs zu sterben? Wir als chronisch Kranke hatten das Gefühl, dass wir während der Pandemie nur ein Ministerium für Covid hatten und dass nur Covid-Patienten wichtig waren. Sonst hat jeder versucht, auf eigene Faust zurecht zu kommen, und unser gro‎ßes Glück war, dass die Ärzte im Allgemeinen und die Onkologen im Besonderen sich mit den Patienten solidarisierten und nach der Einführung der kostenlosen Tests nach und nach damit begannen, ihre Patienten zu empfangen, ohne Angst vor einer Sars-CoV-2-Infektion zu haben. Das kostenlose Testen stellte das Vertrauen bei Ärzten und Patienten wieder her, das Gefühl, dass sie sich treffen und die Patienten eine Behandlung bekommen können. Aber ich wiederhole, immer noch unter den gleichen Bedingungen, mit Einschränkungen, Medikamentenmangel, immer noch begrenztem Zugang zu chirurgischen Behandlungen. Und ich kann Ihnen ein klares Beispiel aus dem Bukarester Onkologischen Institut geben: Während vor der Pandemie etwa 40 Operationen pro Tag durchgeführt wurden, sind es seit der Pandemie maximal 10 Operationen pro Tag. Es ist also alles auf ein Viertel zusammengeschrumpft. Wir vermuten, dass alle Patienten von dieser Situation betroffen sind, und das kann man in den Statistiken des INS sehen. Wir sagen nicht, dass die Ma‎ßnahmen, die zur Bekämpfung der Pandemie ergriffen wurden, keine guten Ma‎ßnahmen waren, aber wir sind kollaterale Opfer dieser Ma‎ßnahmen gewesen. Es gab keinen Überblick über das System als Ganzes, sondern nur eine ausschlie‎ßliche Konzentration auf diese Pandemie — zu unserem Nachteil.“




    Am 3. Februar stellte die Europäische Kommission im Vorfeld des Weltkrebstages einen Plan zur Krebsbekämpfung vor, eine Schlüsselpriorität und wichtige Säule für eine Europäische Union, die sich auf die körperliche Gesundheit ihrer Bürger konzentriert. Auf der Grundlage von Forschung und Innovation legt der Plan einen neuen Ansatz der Union für Prävention, Diagnose, Behandlung und Palliativversorgung fest — alles wichtige Teile desselben Puzzles und des Leidwegs eines jeden Krebspatienten. Die Föderation der Vereinigungen von Krebspatienten in Rumänien setzt gro‎ße Hoffnungen in diesen europäischen Plan. Dadurch angeregt würden die rumänischen Behörden letztendlich ihrerseits einen Plan und ein nationales Krebsregister ausarbeiten, hofft Cezar Irimia vom Dachverband der rumänischen Krebspatienten, der verbitterte Töne anschlägt:



    Zusammen mit den Onkologen — und nicht nur — haben wir als Krebspatientenvereinigung in Rumänien diesen Plan und ein nationales Krebsregister seit 2001 gefordert. Wir bitten die Behörden seit 20 Jahren, dies zu tun, und wir haben es immer noch keine konkreten Schritte gesehen. Das Fehlen dieses Nationalen Registers und vor allem des Nationalen Krebsplans hat zu diesen gro‎ßen Problemen im Leben der Patienten geführt, insbesondere während der Pandemie. Hätten wir einen Nationalen Krebsplan, wäre es für die Krebspatienten sicherlich viel besser gelaufen. Au‎ßerdem hätte das von uns geforderte Register die für die Onkologie bereitgestellten Mittel überwacht, hätte Statistiken über die Wirksamkeit der bei den Patienten angewandten Behandlungen geliefert, und das Jahresbudget für die Onkologie wäre auf der Grundlage der Statistiken dieses Registers festgelegt worden, und nicht aus dem Ärmel herausgezaubert, wie es jetzt geschieht. Also auch hier nur Unzulänglichkeiten! Es gab sicherlich Interessen, einen Nationalen Krebsplan und ein Nationales Krebsregister, das absolut alles, was in Bezug auf diese Pathologie passiert, überwachen würde, nicht zu implementieren. Wir hoffen einfach, dass wir Glück haben mit diesem Europäischen Krebsplan, der die Mitgliedstaaten irgendwie dazu zwingen wird, einen Nationalen Krebsplan zu erstellen. Obwohl ich denke, dass wir in der Europäischen Union so ziemlich das einzige Land sind, das keinen nationalen Krebsplan und kein nationales Krebsregister hat. Es ist klar, dass Rumänien auch in dieser Hinsicht sozusagen das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Deshalb haben wir so viele Millionäre, und die Friedhöfe sind währenddessen voller ehemaliger Patienten, die keine Überlebenschance hatten.“




    Krebs sollte nicht gleichbedeutend mit dem Tod sein, sagt ferner der Präsident der Föderation der Krebspatientenvereinigungen, Cezar Irimia, doch für Krebspatienten sei jeder Tag ein Kampf, und dem Gesundheitssystem käme eine überwältigende Rolle zu, sie in diesem Kampf zu unterstützen.

  • Palliativmedizin in Rumänien

    Palliativmedizin in Rumänien

    In Rumänien hat die Anzahl der Krebserkrankungen in den vergangenen Jahren rapide zugenommen. Laut aktuellen Statistiken waren 2012 etwa 78.000 Menschen an Krebs erkrankt, das sind um etwa 4.000 Fälle mehr als 2008. Vor diesem Hintergrund muss sich neben der ärztlichen Versorgung auch die seelische und geistige Fürsorge weiterentwickeln.



    Was geht in einem Menschen vor, der oftmals im jungen Alter unter einer unheilbaren Krankheit leidet? Was erlebt die Familie dieses Menschen? Welche Form von Betreuung könnte Krebspatienten stärken, damit sie der Krankheit psychisch und geistig standhalten können? Der Verein Hospice Casa Speranţei“ bietet Antworten auf all diese Fragen. Die 1992 von dem Briten Graham Perolls in Kronstadt gegründete Stiftung galt damals als Vorreiter in Sachen Palliativtherapie. Graham Perolls fragten wir nach der Situation im damaligen Rumänien.



    Uns war sofort klar, dass die meisten Patienten mit unheilbaren Krankheiten nach dem Krankenhausaufenthalt nach Hause geschickt wurden. Danach mussten die Familien alleine auskommen, ohne passende ärztliche Betreuung, ohne seelische, psychologische oder religiöse Fürsorge. Die Erfahrung war für sie traumatisierend. Wir bieten eine Rundumversorgung an, die Medikamente für Krebspatienten und andere Erkrankungen sowie eine Schmerztherapie umfasst. Das ist ein angewandter Bereich der Medizin, der die Behandlung aller Symptome von Krebs umfasst, etwa Appetitsverluste oder Atembeschwerden. Wir konzentrieren uns eigentlich auf die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Deshalb sind wir hier. Das hat nichts mit dem Tod zu tun, sondern mit dem Leben. Wir helfen ihnen, die ihnen übrig gebliebenen Tage schön zu verbringen. Aber wir helfen auch den Familienangehörigen, denn auch sie leiden oft sehr darunter.“




    In den ersten Jahren nach 1992 bot Hospice Casa Speranţei den Patienten in Kronstadt Palliativtherapie zu Hause an. 2002 wurde ebenfalls in der südsiebenbürgischen Stadt das erste Zentrum eröffnet, das auf diese Art von Behandlung spezialisiert war. Vier Jahre später gründete der Verein seine erste Filiale in Bukarest, seit 2014 gibt es auch in der rumänischen Hauptstadt ein Zentrum für Palliativbehandlung.



    Inzwischen sind auch andere Nichtregierungsorganisationen auf dem Gebiet tätig geworden. Allerdings sind es nicht allzu viele. Deshalb haben nur wenig Patienten Zugang dazu, auch wenn es viel mehr Menschen gebe, die diese Form von Versorgung nötig hätten, wie Graham Perolls wei‎ß:


    In Rumänien haben nur 6% der Kranken, die eine Palliativbehandlung nötig hätten, auch Zugang dazu. Es gilt also, noch viel Arbeit zu verrichten. Aber unsere beiden Behandlungszentren sind auch Fortbildungseinrichtungen. Wir organisieren Kurse für Ärzte, Krankenschwester, Apotheker oder Physiotherapeuten.“




    Bereits 2008 begann eine Spendenaktion für die Deckung der Kosten bei der Gründung des Behandlungszentrums in Bukarest. Erst in diesem Jahr konnte das Zentrum eingeweiht werden. Wir fragten Frau Dr. Ruxandra Ciocârlan, Direktorin des Ressorts Dienstleistungen für Patienten bei Hospice Casa Speranţei in Bukarest, nach den Bemühungen und vor allem nach den Angeboten für Patienten.



    Wenn das Zentrum voll ausgelastet sein wird, wird es bis zu 2000 Patienten jedes Jahr versorgen können. Au‎ßerdem bieten wir Dienstleistungen für zu Hause an, für Kinder und Erwachsene, Beratung für Krankenhäuser und Polikliniken. Spezialisierte Behandlung und Aufenthalte in unserem Zentrum bieten wir den Krebspatienten an. Insgesamt verfügen wir über 23 Betten, 15 für Erwachsene, 8 für Kinder.“




    Ruxandra Ciocârlan gesteht, dass der Dialog mit den Patienten und ihren Familien von wesentlicher Bedeutung für die Palliativtherapie ist. Dabei habe sie ihre wichtigsten Bedürfnisse identifizieren können, erzählt die Ärztin:



    Sie brauchen Beratung und Betreuung, denn die Dienstleistungen, die der Staat anbietet, sind oftmals nicht integriert und aufeinander abgestimmt, die Patienten wissen häufig nicht, wohin sie gehen sollen und was sie zu erwarten haben. Dann haben sie es notwendig, als Menschen verstanden zu werden, nicht als Empfänger einer Diagnose. Der Patient will nicht als »Brustkrebs« oder »Leberkrebs« behandelt werden. Er hei‎ßt Ion, Gheorghe oder Maria, sie sind Menschen, die leiden und die Familien haben, die mitleiden. Und sie haben au‎ßerdem auch existentielle Fragen, warum denn das ausgerechnet mir passiert, und wollen eben als Individuen behandelt und angehört werden.“




    Derselbe Respekt wurde auch Cristina Stănică zuteil, sowohl ihr als auch ihrem achtjährigen Sohn, der an einem Gehirntumor starb. Im staatlichen System, das überfüllt sei und vor vielen Problemen stehe, sei dies leider nie der Fall gewesen, erzählt Cristina Stănică:



    Ich glaube, dass im öffentlichen Gesundheitswesen leider niemand die Zeit für solche Dienstleistungen aufbringen kann. Die Ärzte sind sehr beschäftigt, das System erlaubt ihnen nicht, mehr als nur die strikten Aufgaben zu erfüllen. Und ich wei‎ß nicht, ob sie alle fähig dazu wären. Ich habe Ärzte getroffen, die wirklich alles Menschliche versucht haben, Ärzte, die ihrer beruflichen Pflicht einwandfrei nachgegangen sind, ohne sich emotional zu engagieren, sowie Ärzte, die nicht interessiert daran gewesen wären, auch wenn sie die nötige Zeit gehabt hätten. Aber die aus der letzten Kategorie waren nicht sehr viele, das stimmt schon.“




    Deshalb muss, neben der Behandlung mit Medikamenten, in den Krankenhäusern auch eine Seelsorge geboten werden. Das übernimmt die Palliativtherapie, die den Patienten ermöglicht, die Erfahrung mit Würde durchzumachen, berichtet Cristina Stănică:



    Sowohl er als auch ich haben diese seelische Betreuung bekommen. Mein Kind bezeichnete das Ärzteteam von Hospice, das uns zu Hause besuchte, als ‚unser Lächeln‘. Wann kommt unser Lächeln, fragte er mich. Wir hatten ein au‎ßerordentliches Ärzteteam, das uns als Normalmenschen betrachtet hat, sowohl ihn als auch mich… obwohl in den Momenten der Verzweiflung und Wut ich wahrscheinlich unerträglich war. Sie haben sich sehr gut in das eingefühlt, was wir beide durchmachen mussten, und das hat uns geholfen, ohne dass wir es gemerkt haben.“




    Es ist empfehlenswert, Palliativtherapie sowohl zu Hause als auch im Krankenhaus anzubieten, wenn die Verwandten des Patienten erwerbstätig sind oder die entsprechende Person alleine lebt. Eine solche Form der Behandlung ist zweifelsohne gut für alle Betroffenen, die Familie und den Freundeskreis.