Tag: Phanarioten

  • Tudor Vladimirescu: Walachischer Aufstand von 1821 eröffnete mehr Spielraum

    Tudor Vladimirescu: Walachischer Aufstand von 1821 eröffnete mehr Spielraum

    Wer heute in Griechenland unterwegs ist, wird schnell auf die vielen Plakate aufmerksam, die auf die 200. Jährung des Beginns des griechischen Unabhängigkeitskriegs hinweisen. Dieses Ereignis hat aber auch einen bemerkenswerten Rumänien-Bezug — im Januar 1821 begann in der Kleinen Walachei (Oltenien) die politische Bewegung von Tudor Vladimirescu. Der frühere Soldat in der Zarenarmee und spätere Kaufmann war von den Idealen des aufgeklärten Nationalismus beeinflusst und marschierte an der Spitze einer 5000 Mann starken Truppe auf Bukarest. Im Mai verlie‎ß er die Stadt, da er einen türkischen Einfall befürchtete. Am 21. Mai 1821 wurde Vladimirescu von den griechischen Nationalisten ermordet, aus deren Sicht er Verrat an der gemeinsamen Sache begangen hatte. Die damalige Bewegung Vladimirescus galt lange als Beginn der nationalen Emanzipierung der rumänischen Nation.



    Doch die politische Lage in der Region war deutlich komplizierter. Griechische Nationalisten in der Bewegung Philiki Etaireia — deutsch in etwa Freundschaftsbund“ — wollten die Unabhängigkeit Griechenlands und bekamen dabei starke Rückendeckung aus Russland. In den rumänischen Fürstentümern waren die vom Osmanischen Reich eingesetzten Herrscher aus dem griechischen Viertel Phanar in Konstantinopel der Sache der Etairia ebenfalls wohlwollend gesinnt. Seit 1716 prägten sie die Politik in den rumänischen Fürstentümern. Das 18. Jahrhundert galt als Jahrhundert der Herrscher aus Phanar — bei Zeitgenossen und Nachfahren war es negativ besetzt. Was damals als gemeinsame rumänisch-griechische Causa betrachtet wurde, spaltete sich 1821 in zwei getrennte Bewegungen.



    Wie die Bewegung von Tudor Vladimirescu heute zu bewerten ist, erläutert bei RRI der Historiker Alin Ciupală:



    Sehr wenig bis gar nicht wurde über einen Faktor diskutiert, den die kommunistische Geschichtsschreibung ganz unter den Teppich kehrte — die Rolle des Gro‎ßadels in den rumänischen Fürstentümern, der unter dem Einfluss des über die griechische Kultur importierten westlichen Gedankenguts der Aufklärung stand. Diese Ideen, die ein Gro‎ßteil der Bojaren übernahm, führten praktisch zu einem gro‎ßen Bruch, den wir gegen Ende des 18. Jahrhunderts bemerken. Zwischen dem nationalen griechischen Projekt und dem entstehenden Nationalprojekt der Rumänien entstand eine Spaltung — der griechische Nationalismus, hierzulande gefördert von den Phanarioten und den griechischen Adeligen, kollidiert mit dem Nationalismus der rumänischen Bojaren. Und das führt dazu, dass die rumänischen Adeligen nach Mitteln und Wegen suchten, um die Phanarioten zu beseitigen.“




    Jede Seite hatte ihre spezifischen Vorteile: Die Griechen besa‎ßen die politischen, administrativen und militärischen Instrumente in der Walachei, während der rumänische Gro‎ßadel die Wirtschaft dominierte. Alin Ciupală glaubt, dass die rumänischen Bojaren auf Tudor Vladimirescu als Lösung für ihre Probleme setzten — doch es sollte anders kommen, als von ihnen erwartet.



    In dieser Konjunktur erscheint also Tudor Vladimirescu — er ist ein Mann der Taten, mit militärischer Erfahrung als dekorierter Offizier im russisch-türkischen Krieg von 1806–1812. Die patriotischen Bojaren heuern ihn an, bestellen ihn nach Bukarest und geben ihm Geld, mit dem er in Oltenien eine Armee organisieren und bewaffnen und mit der er auf Bukarest marschieren sollte. Doch als Vladimirescu vor Ort feststellte, wie viel Vertrauen er bei seinen Kameraden in den Reihen der sogenannten Panduren-Truppen genoss und 5000 Mann überzeugte, ihm zu folgen, entschied er sich, sein eigenes Süppchen zu kochen — er verwarf das Projekt der Bojaren und machte immer deutlicher keinen Hehl aus seiner Absicht, das politische Machtvakuum nach dem Ableben des letzten phanariotischen Herrschers in der Walachei zu füllen.“




    In dem Moment, so der Geschichtsforscher weiter, flüchten die rumänischen Bojaren nach Kronstadt und Hermannstadt, den heutigen Städten Brașov und Sibiu. Die Bahn war also frei für Vladimirescu. Aber er war ständig um die Unterstützung der verbliebenen Adeligen bemüht, wie damalige Dokumente es zeigen — er war sich voll bewusst, dass sie die einzigen waren, die ihm die Legitimität für eine Machtposition verleihen konnten.



    Inzwischen setzte die griechische nationale Bewegung auf die Unterstützung Russlands. Doch das Zarenreich zögerte, und auch Vladimirescus Armee ging auf Distanz zu den griechischen Nationalisten — die osmanischen Truppen hatten unter diesen konfusen Umständen zunächst ein leichteres Spiel, so Historiker Alin Ciupală abschlie‎ßend:



    Zeitgleich kommt es zum griechischen Aufstand und in dem Moment, wo Russland das Osmanische Reich auf diplomatischem Weg versicherte, sich nicht zugunsten des Aufstands einzumischen, greift das türkische Militär ein. Interessant ist, dass es nirgendwo zum Kampf zwischen den osmanischen Truppen und Tudor Vladimirescus Heer kam, was deutlich zeigt, dass die Osmanen gezielt den griechischen Aufstand niederwerfen wollten.“




    Doch selbst wenn Tudor Vladimirescu auf tragische Weise umgebracht wurde, wirkte seine Bewegung nach: Das Osmanische Reich verzichtete, eigene Vertreter auf den Thron der rumänischen Fürstentümer zu schicken, und die rumänischen Führungseliten hatten die Möglichkeit, eine schlüssigere Strategie zu artikulieren.



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  • Donaufürstentümer im Vorfeld der 1848er Revolution: Kulturkampf um Modernisierung

    Das Konzept der Modernisierung erscheint zunächst diffus nach den 1770er Jahren in Schreiben des Adels an die kaiserlichen Kanzleien in Russland und Österreich, gewinnt dann aber immer mehr an Gestalt. Nach dem Aufstand von Tudor Vladimirescu im Jahr 1821 willigte zunächst der Sultan in Konstantinopel ein, keine Phanarioten mehr als Herrscher einzusetzen, sondern Angehörige des einheimischen Adels. Ein erster Sieg, andere sollten folgen.



    Zwei Generationen von Modernisierern sollten Rumänien nachwirkend prägen: Die 1820er hatte sich im osmanisch-orientalischen Zeitgeist sozialisiert, hatte sich jedoch von westlichen Besuchern beeinflussen lassen. 20 Jahre später folgte eine neue Generation von Reformern, die in Frankreich, Deutschland oder Italien studierte hatten und dort die westliche Moderne hautnah erleben durften. Die Senioren verspotteten diese jungen Adelsleute als Bonjouristen“, weil sie untereinander Französisch sprachen. Doch sie legten ein handfestes radikales Transformationsprogramm vor.



    Historiker wie Alin Ciupală von der Universität Bukarest befassen sich mit dem Spannungsfeld zwischen modernisierender und konservativer Gestaltung. Er glaubt, dass man nach Tudor Vladimirescus Aufstand von 1821 und der Beseitigung der Phanarioten vom Beginn der politischen Gesellschaft sprechen kann:



    Nach der Rückkehr zur Praxis einheimischer Herrscher in 1822 ist der Gro‎ßadel gespalten. Es gab eine Fraktion der Russlandtreuen, die die Politik des Zarenreiches am Balkan unterstützten, und eine weitere Fraktion, die dem Osmanischen Reich als Vormacht und dessen Interessen in der Region dienten. Aber nach 1840 erscheint eine neuen Generation von jungen Adeligen aller Ränge, die ein neues politisches Projekt entwickeln — es ist der Kern der Revolution von 1848, auf deren Basis die Vereinigung der Fürstentümer und die Modernisierung der Gesellschaft folgten.“




    Die Generationen stritten um Grundsätze wie Meinungsfreiheit und Abschaffung der Zensur — interessanterweise verliefen die Gräben nicht nur entlang der Generationen, sondern auch der Geschlechter. Die Adelsfrauen waren viel offener für Veränderungen als ihre Ehemänner, gibt der Historiker Alin Ciupală zu bedenken.



    Es sind in der 1848er Zeit eigentlich zwei Zäsuren zu bemerken. Mitten in der Ehe verlief eine Trennungslinie — die Männer blieben einem orientalischen kulturellen Leitbild treu, während die Frauen mutiger waren und entschiedener den Schritt in die Moderne wagten, also hin zu einem westlichen Modell. Die zweite Trennungslinie war die zwischen Kindern und Eltern.“




    Eine anscheinend weniger relevante, frivolere Front des Mentalitätskonflikts war die Mode im weiteren Sinne des Wortes. Kleidung, Schuhwerk, Schmuck, Musik, Literatur und Gesellschaftsspiele — an all diesen lie‎ßen sich die Unterschiede auslegen. Man sieht in Bildern von damals wie stark der Kontrast in den Familien war: Männer im orientalischen Kaftan, ihre Ehefrauen in Kleidern nach der neuesten Pariser Mode, bemerkt Alin Ciupală:



    Es gibt in Bukarest ein sehr schönes Monument, an dem wir oft ahnungslos vorbeigehen. Es ist das Standbild der Golescu-Familie in der Nähe des Nordbahnhofs. Der Pater Familias Dinicu Golescu ist abgebildet in orientalischen Gewändern, die die Phanarioten Anfang des 18. Jahrhunderts hier etabliert hatten. Seine Söhne hingegen, die der 1848er Generation angehörten, sind nach der damals westlichen Mode gekleidet — nach »deutscher« Mode, wie es damals hie‎ß. Das Monument zeigt klar diesen Bruch und ist ein Bild des Wandels in der Gesellschaft Mitte der 19. Jahrhunderts.“




    Den Grundstein für das moderne Rumänien legten vor 160 Jahren zwei Generationen, die zwar im Clinch über die Methode lagen, sich jedoch einig über das Ziel waren, führt der Historiker Alin Ciupală abschlie‎ßend aus.

  • Ikonographie der Phanariotenzeit: Pracht, Prunk und Üppigkeit

    Ikonographie der Phanariotenzeit: Pracht, Prunk und Üppigkeit

    Kennzeichnend für die Kultur des Osmanischen Reiches, dessen starke Offensive nach Zentraleuropa in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht zu stoppen war, war der Zusammenfluss griechischer und türkischer Traditionen. Die Fürsten, die in den rumänischen Fürstentümern Moldau nach 1711 und in der Walachei nach 1716 herrschten, stammten aus wohlhabenden griechischen Familien aus dem vornehmen Viertel Phanar (Fener) in Konstantinopel. Davon ist die Bezeichnung Phanarioten abgeleitet — darunter versteht man einen kleinen Kreis wohlhabender und politisch einflussreicher byzantinischer Adelsfamilien, die im Osmanischen Reich die Oberschicht in Phanar bildeten.



    Für manche Strömungen der Historiographie gilt die Phanariotenzeit als eine der dunkelsten in der Geschichte Rumäniens. Diese Zeit war stark von Korruption geprägt: Einige wenige Herrscherfamilien erlangten schnell wirtschaftlichen Wohlstand, während zahlreiche Bauern und Händler, die bis dahin Profit erzielt hatten, auf einmal verarmten. Aus kultureller Sicht gilt die Phanariotenzeit als eine Epoche der sogenannten Griechisierung und Orientalisierung der Sitten, Bräuche und Gepflogenheiten. Die Phanariotenzeit findet 1821, mit dem von Tudor Vladimirescu geleiteten Aufstand ein Ende, als erneut rumänische Adelsfamilien den Thron der Moldau und der Walachei besteigen.



    Einige Phanariotenfamilien lassen sich nachträglich Schritt für Schritt rumänisieren, sie werden einheimisch und ihr Erscheinungsbild weist nationalistische und modernistische Züge auf. Die Romantiker haben die Herrschaft der Phanarioten getadelt und sie zum Sündenbock der sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Zeit gemacht. Die Phanarioten spielten dennoch bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ausschlaggebende Rolle nach der Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei im Jahr 1859. Der Historiker Adrian-Silvan Ionescu hat die Mode und die Mentalität der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts erforscht, einer von phanariotischen Merkmalen stark geprägten Zeit. Die Üppigkeit der Epoche sei in den aus dieser Zeit datierten Gemälden wieder zu finden, sagt Ionescu:



    Die Welt der Phanarioten findet in diesen Gemälden ihre schönste Darstellung. Die phanariotische Zeit war allerdings die Zeit einer überwältigenden Bildlichkeit, sowohl im Wort als auch in der Haltung. Wenn die gro‎ßen Bojaren sich unterhielten, sprach einer den anderen mit ‚psihi mu‘ (~ ‚meine Seele‘) an. Die Anredeformen kennzeichneten sich durch einen blumigen Stil, das bestätigen die Archivunterlagen, die ich erforscht habe. Was die Kleidung angeht, trug sie starke Akzente der Konstantinopel-Mode, deren Anhänger mit ihrem Reichtum prahlten. Sie wollten Byzanz mit nach Hause bringen, so wie der Historiker Nicolae Iorga in seiner gut argumentierten Theorie »Byzance après Byzance« feststellt.




    Sie trugen prächtige, weite, von Künstlern gefertigte Kleider, die den sozialen Status bestätigten und bei Treffen mit Mitgliedern der internationalen Elite einen starken Eindruck hinterlie‎ßen. Adrian-Silvan Ionescu kommt erneut zu Wort mit Einzelheiten:



    Die Höfe im ostrumänischen Iaşi und in Bukarest zeigten ihre volle Pracht durch das Aussehen ihrer Mitglieder. Es gelang ihnen, sogar die Vertreter kaiserlicher und königlicher Familien Europas zu beindrucken. Einer der grö‎ßten rumänischen Bojaren, Ienăchiţă Văcărescu, besucht zu jener Zeit die Wiener Hofburg, wo er den Kaiser zu überzeugen versucht, die beiden rumänischen Fürsten, die sich gerade in Wien aufhielten, zu verjagen und sie nach Hause zu schicken. Diese hatten ihre orientalischen Gewänder zugunsten enger, westlicher Kleider abgelegt und sich den Bart abrasiert. Die Gräfinnen und Baronessen des Reiches bewundern die Feinheit und Schönheit des Kaschmirschals, den Văcărescu um die Hüften trug.“




    Was fällt besonders in den Gemälden von Bojaren und Bojarinnen auf, die auf die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts datiert sind? Auf den ersten Blick: teure Kleider, Schmuck und Waffen“, sagt Adrian-Silvan Ionescu:



    Auf den Gemälden der Zeit sind Pelzmäntel bester Qualität zu merken, so zum Beispiel Zobel- und Hermelinpelz, die seit Jahrhunderten als Kostbarkeit gelten, feine und aufwendige Waffen, prächtige Schmuckstücke, edle Seidenkleider. Diese zeigen die volle Pracht, in der diese Herrscher lebten, die genau wussten, wie man in Rekordzeit reich werden kann. Sie zeigen auch ihren Geschmack. Nähert man sich der Kleidung der Zeit, dann fällt es aus Sicht der Chromatik und des Stoffes auf, dass sie einem perfekten Geschmack entsprechen. Die Farben passten gut zusammen, das gleiche galt auch für die Stoffe, sie trugen ihre Kleider sehr stolz, denn sie bestätigten ihren sozialen Status. Bekanntlich gab es drei Ränge in der Hierarchie der Bojaren und zudem eine zweite und dritte Kategorie in der Rangordnung. Für jede Schicht sind spezifische Kleidungs- oder Schmuckstücke typisch. Keiner durfte über die eigene soziale Position hinweg teurere Kleidungsstücke tragen. Eine ausschlaggebende Rolle spielte das Aussehen des Gesichtes. Der Bart war Kennzeichen der Bojaren erster Kategorie, während die Bojaren zweiter und dritter Kategorie nur Schnurrbart tragen durften. Sollte ein Bojar im Rang aufsteigen, dann durfte er die Kleidungs-und Schmuckstücke der erstrangigen Bojaren tragen. Zudem stutzte der Barbier des Fürsten den Umriss des Bartes mit seinem Barbiermesser ziemlich genau zurecht und kümmerte sich auch nachträglich um den Gesichtsschmuck des geadelten Bartträgers. Das war das Zeichen dafür, dass er nunmehr genau wie erstrangige Bojaren einen Bart tragen durfte.“




    Viele haben die Mode der Phanarioten verabscheut, sie weckt dennoch im rumänischen Kulturraum eine gewisse Nostalgie. Dazu Adrian-Silvan Ionescu:



    Die Mode der Phanarioten prägt sehr stark die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, selbst wenn der von Tudor Vladimirescu geleitete Aufstand der Herrschaft der Phanarioten ein Ende setzt. Eine Wiederbelebung dieses Stil ist Mitte des 19. Jahrhunderts, genauer um 1860-1865 festzustellen, als die kurze Jacke mit weit geschnittenen und mit einem Riss auf der Seite vorgesehenen Ärmeln, mit aufgestickten Fäden wieder in die Damenmode kommt. Bei Kostümfesten trugen noch einige, die die phanariotische Mode in ihrer Kindheit kennengelernt hatten, spezifische Kleidungsstücke aus dieser Zeit zur Belustigung der Anwesenden.“




    Die Ikonographie der Epoche zeigt eine untergegangene Welt, eine Welt der Üppigkeit und des Wohlstands. Es handelte sich aber um den exklusiven Wohlstand der Elite, die an ihrem Rang und sozialen Status trotz trüber Zeiten festhielt.

  • Reformer der Phanariotenzeit: Die Verfassung des Konstantinos Mavrokordatos

    Reformer der Phanariotenzeit: Die Verfassung des Konstantinos Mavrokordatos

    1735 begann Constantin Mavrocordat als Herrscher der Walachei Reformen durchzusetzen, die von den österreichischen Reformen in der besetzten Nachbarregion Oltenien beeinflusst waren. Österreich hatte 1718 die sog. Kleine Walachei (rum. Oltenia) annektiert. Auf Mavrocordats Initiative hin werden einige indirekte Steuern abgeschafft und eine allgemeine Abgabe eingeführt, die in vier Raten gezahlt werden konnte. Er entlastet ferner die Bauern, indem er ihnen das Recht einräumt, durch Zahlung einer Rücknahmegebühr von einem Gut auf ein anderes zu ziehen. 1735 beteiligt er sich an der Gründung der ersten Freimaurerloge in Iaşi (Jassy), in der Moldau. Während der anschlie‎ßenden Regierungszeiten schafft er 1746 die Leibeigenschaft in der Walachei ab und dann 1749 auch in der Moldau.



    Im Interview mit Radio Rumänien sprach Historikerin Georgeta Filiti von der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Phanarioten, der Zeit von Constantin Mavrocordat. Sie sagt, es sei eine Zeit der versuchten Reformen nach Vorbild der französischen Aufklärung gewesen.



    Der französische Einfluss wird durch die Menschen ausgeübt, durch Abonnements von Zeitungen, durch Bücher aus dem Westen, durch Waren aller Art. Und auf einmal landet auch der »Mercure de France« hier. Diese Zeitschrift veröffentlicht 1746 eine Art Verfassung von Constantin Mavrocordat. Interessanterweise wirft er die Frage der sozialen Befreiung lange vor der französischen Revolution auf. Mit anderen Worten wird die Abhängigkeit der leibeigenen Bauern in der Walachei aufgehoben. Es gelten allerdings nach wie vor viele andere Abgaben, die Steuerlast für die Bauern besteht aus 43 Gebühren, aber man setzte sich wenigstens mit dem Thema auseinander. Das ist sehr wichtig. Diese befreienden Vorstellungen von sozialer Gleichheit sind jedenfalls kein Neuland.“




    Constantin Mavrocorat war zweifellos ein raffinierter Intellektueller. Aber auch ein guter Politiker, der die Richtung ahnte, in die sich die Welt zu seiner Zeit bewegte, erklärt Georgeta Filiti.



    Der Mann liest sehr viel, der Mann studiert, er fühlt Europa auf den Puls und erkennt sehr gut, worauf die Gesellschaft zusteuert. Das ist die Pflicht eines Politikers, der in eine Führungsposition gelangt, eine Person, die für das Schicksal einer grö‎ßeren oder kleineren sozialen Gruppe verantwortlich ist. Hier, im rumänischen Raum, verfolgen die phanariotischen Fürsten, die im Grunde griechische Beamte im Dienste des Osmanischen Reiches sind, einige Ziele: die Befreiung der Christen unter türkischer Herrschaft und die sog. »megali idea«, die Hauptidee von der Wiederherstellung des Byzanz, die Wiederherstellung eines griechischen Reiches christlicher Prägung. Und das geschieht nicht nur, indem man gemütlich zu Hause bleibt, sondern durch ständiges Dazulernen und Handeln. Die Phanarioten spielten auch für sie und das Osmanische Reich eine au‎ßergewöhnliche Rolle, nämlich die Verwendung von Informationsquellen. Im Klartext: Sie hatten Spione an allen europäischen Höfen. Sie waren also sehr gut informierte Leute und wussten genau, in welche Richtung sich die Welt bewegte. Hier in unserer Region ist für weitere hundert Jahre die sogenannte orientalische Frage aktuell, das ist der Machtkampf an der unteren Donau. Die Türken waren sehr stark, die Russen bekämpften sie, etwas weiter in Europa befand sich das österreichische Reich.“




    Constantin Mavrocordat hatte eine beeindruckende Bibliothek, die vom Kloster Văcăreşti, der Stiftung seines Vaters, Nicolae Mavrocordat, beherbergt wurde. Dort kam er in Kontakt mit den Schriften von Montesquieu, Diderot, Voltaire und den anderen französischen Aufklärern, berichtet die Historikerin Georgeta Filiti.



    Es gibt indirekte Zeugnisse von dem, was er schreibt, von dem, was er tut, wie Mavrocordat sich verhält, weil er kein Tagebuch geführt hat, in dem er seine Lektüren hätte vermerken können. Diese Bibliothek in Văcăreşti ist angesichts der Manuskripte, die sie beherbergte, bemerkenswert. Aus den wenigen Zeugnissen von Zeitgenossen erfahren wir, wie lange er sich in der Bibliothek aufhielt. Es gibt einige zusätzliche Zeugnisse, aus denen wir ganz klare Schlussfolgerungen ziehen können: Er organisiert die ländliche Bildung, ist für die Verwaltungseinheiten des Landes zuständig, die er nach Kreisen unterteilt, wobei jeder Landkreis seine eigenen Herrscher bekommt, die sog. »ispravnici«. Das hei‎ßt, diese legen Steuern fest. Das Gesetz, so streng es auch war, war Gesetz, kein Gesetz hätte Gesetzlosigkeit bedeutet. Die Dinge beginnen sich einigerma‎ßen zu legen. Mavrocordat ist Grieche, fängt aber an, Rumänisch zu lernen, und diejenigen, die sich beim ihm einschmeicheln wollen, indem sie ihn auf Griechisch ansprechen, haben keinen Einfluss mehr. Er fordert die Klientel auf, mit der er aus Konstantinopel gekommen war, die Landessprache zu lernen.“




    Während des russisch-österreichischen-türkischen Krieges von 1736–1739 erhält Constantin Mavrocordat die Provinz Oltenien von Österreich zurück. 30 Jahre später, 1769, wird Constantin Mavrocordat während eines weiteren russisch-türkischen Krieges in Galaţi gefangen genommen und stirbt im Alter von 58 Jahren, von einem russischen Soldaten getötet. Der wichtigste rumänische Reformator des 18. Jahrhunderts ist in Iaşi begraben.

  • Französische Revolution von 1789: Auswirkungen im Bukarest der Phanariotenzeit

    Französische Revolution von 1789: Auswirkungen im Bukarest der Phanariotenzeit

    Keines von den zuvor bewährten und gefestigten Elementen der europäischen Zivilisation blieb von den Auswirkungen des Jahres 1789 unberührt: von Mentalitäten und sozialen Strukturen über utopische Programme bis hin zur Mobilisierung für reelle politische Projekte. Auch im rumänischen Raum wirkte der Einfluss der französischen Revolution — darum geht es in der heutigen Rubrik Pro Memoria.



    Die rumänischen Fürstentümer befanden sich im orientalischen Einflussbereich des Osmanischen Reiches. Das 18. Jahrhundert wird in der rumänischen Geschichtsschreibung als Jahrhundert der Phanarioten“ benannt — unter der Bezeichnung Phanarioten versteht man im engeren Sinne, insbesondere in den Herrschaftsgebieten des ehemaligen Osmanischen Reichs auf dem Balkan, einen kleinen Kreis wohlhabender und politisch einflussreicher byzantinischer bzw. osmanischer Adelsfamilien. Sie bildeten im Osmanischen Reich des 17./18. Jahrhunderts die Oberschicht in Phanar, einem Stadtteil Konstantinopels, des heutigen Istanbul. In den Hauptstädten der rumänischen Fürstentümer Iaşi und Bukarest besetzten die Phanarioten die höchsten Ämter.



    Die im Westen entstandenen Modernisierungskonzepte drangen gegen Ende der Aufklärung schüchtern auch in den Osten, wo sie an lokale Bestrebungen angepasst wurden. Der rumänischsprachige Raum war zu dem Zeitpunkt nicht an die Entwicklungen im Westen angeschlossen, weder durch soziale und wirtschaftliche Strukturen noch durch Politik und religiösen Einfluss. Und dennoch gab es mittels der Kultur einen Wiederhall der Ereignisse in Frankreich. Die Kultur habe in Bukarest das erreicht, was andere Formen der Erkenntnis nicht erreichen konnten, glaubt auch die Historikerin Georgeta Filiti.



    Der Einfluss der französischen Revolution ist in Bukarest zu spüren. Es ist ein günstiges Umfeld, es geht um die Ideen der Erneuerung, die langsam vordringen. Die Phanarioten-Fürsten waren gebildete Menschen, das muss gesagt werden. Wenn man Molière übersetzt, wenn Voltaire dir bekannt ist, wenn du eine Abhandlung gegen das Rauchen verfasst, wenn du über eine Bibliothek verfügst, mit Manuskripten, die vom französischen König begehrt sind, — dann ist klar, dass ein kulturell geprägtes Umfeld existiert. Und hier spielte ich auf den Fürsten Mavrocordat an, auf den all das zutrifft. Denn eine Revolution oder deren Grundsätze können sich nicht in einem geschlossenen Raum entfalten, wo die Menschen sie nicht empfangen können.“




    Doch die Französische Revolution in Bukarest hatte nicht im Geringsten Ähnlichkeiten mit dem Original in Frankreich. Es habe sich eher um einen Aufruhr der Eliten und einen Zusammenhang mit besonderen Persönlichkeiten gehandelt, erklärt Georgeta Filiti.



    Man muss andererseits wissen, dass alles auf Ebene der Eliten passiert, es ist kein allgemeines Phänomen, das alle sozialen Schichten berührt. Das Gerinnungsmittel war eine sehr interessante Persönlichkeit des Balkans, ein gewisser Rigas Velestinlis. Manche behaupten, er sei Aromune gewesen. Er stammt aus dem Ort Velestino bei Volos, den ich besucht habe und der viele Ähnlichkeiten mit einem rumänischen Dorf hat. Die Griechen beanspruchen Velestinlis zu Recht auch für sich. Allerdings hat sich sein gesamtes aktives Leben hier in der Walachei abgespielt, sein gesamtes Werk hat er im rumänischsprachigen Raum verfasst.“




    Die Expansion der französischen Modernität in Europa findet dank des revolutionären Elans statt. Das republikanische Frankreich ist am Brodeln, es streut seine humanistischen Ideen in alle Himmelsrichtungen. Im Osten, am Rande des Osmanischen Reiches, finden französische Diplomaten sogar eine Region vor, die bereit ist, die Ideale ihres Landes zu übernehmen. Die Historikerin Georgeta Filiti erläutert:



    Der französische Einfluss wird auf vielfache Art und Weise ausgeübt. Einerseits gibt es die Manifeste der französischen Revolutionäre, es wandern immer noch Persönlichkeiten aus der Region aus, die Diplomaten sind auch noch da. Unmittelbar nach den Kriegen, die in den Rumänischen Fürstentümern zwischen Russen, Türken und Österreichern gewütet hatten, werden das österreichische und russische Konsulat eröffnet. Die Franzosen versuchen ebenfalls, eine ähnliche diplomatische Vertretung hier aufzubauen. Und zufällig sind die französischen Diplomaten in Bukarest selbst Revolutionäre. Es beginnt eine sprudelnde Aktivität in diesem Sinne. Diese Menschen, etwa ein Claude-Émile Gaudin, ein Claude Carra Saint Cyr diskutieren mit der Schicht der Gro‎ßgrundbesitzer, mit den Händlern. Bereits 1798 kommen Händler aus Frankreich hierher, wie zum Beispiel Hortolan, der das erste moderne Kaufhaus in Bukarest eröffnet. Sicher greifen die Ideen der französischen Revolution unter dem Wahlspruch »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« auch hier — mit dem natürlichen Gedanken, die Ereignisse in Frankreich zu reproduzieren.“




    Auch wenn sie auf die gro‎ßzügigen Ideen und Programme der französischen Revolution ansprechbar waren, befanden sich die Rumänen des 18. Jahrhundert doch am Rande Europas. Ihre Ansprüche konnten nicht dieselben sein wie die der Franzosen. Immerhin seien die Ideen der Revolution an die lokalen Gegebenheiten angepasst worden, wie Georgeta Filiti zusammenfasst.



    Sicherlich folgten auf die Begeisterung infolge der gestürzten Monarchie in Frankreich Momente des Terrors und andere furchtbare Dinge. In der Walachei sprach man über die Idee der Auflehnung christlicher Völker gegen die osmanische Vorherrschaft. Um auf jene interessante Person zurückzukommen, auf Rigas: Er ist hier Sekretär der Kanzlei, Verwalter unterschiedlicher Geschäfte der Bojaren, der Fürsten, er schreibt, arbeitet, ist um die Erarbeitung einer Verfassung bemüht. Diese Verfassung soll für alle Völker auf dem Balkan gelten, ohne die Rolle eines jeden Volkes zu bestimmen. Im Mittelpunkt stand die Befreiung von dem osmanischen Joch. Rigas Schicksal war tragisch: Als Separatist und Revolutionär wurde er ziemlich schnell von den österreichischen an die osmanischen Behörden nach Belgrad übergeben. Am 24. Juni 1798 wurde Velestinlis auf der Burg Kalemegdan hingerichtet. Doch so wurde der Keim der Revolution hierher gebracht und ein Gemütszustand erzeugt. Es gab einige wenige Mitverschwörer, etwa die Freundesgesellschaft. Es war der Beginn einer Hetärie, eines Geheimbundes mit Sitz in Odessa, dem praktisch erst 1821 etwas gelingen sollte. Diese Geheimgesellschaften blieben geheim, aber auch sie erzeugten einen Gemütszustand aufgrund des Einflusses der französischen Revolution.“




    Die Französische Revolution in Bukarest war der Ausdruck der Erneuerung, die der Zeitgeist gegen Ende des 18. Jahrhunderts der rumänischen Gesellschaft vorschlug. Eine etwas besser artikulierte Antwort der Gesellschaft sollte allerdings erst nach etwa 50 Jahren, mit der Revolution von 1848 folgen.

  • Phanarioten-Zeitalter: zwiespältige Wahrnehmung

    Phanarioten-Zeitalter: zwiespältige Wahrnehmung

    Das 18. Jahrhundert ist in der Geschichte Rumäniens als Phanarioten-Jahrhundert“ nach dem Namen des Phanar-Viertels (auch Fanar, Fener) in Konstantinopel bekannt. Von hier stammen die Fürsten der Walachei und der Moldau in der Periode. Übersetzt in die Sprache der universellen Geschichtsschreibung, könnte man das rumänische Phanarioten-Jahrhundert als ancien régime“ bezeichnen. Von der Romantik als Jahrhundert der Korruption und des allgemeinen Verfalls betrachtet, sind die heutigen Historiker der Auffassung, dass es auch ein Jahrhundert der Kultur und der Suche war.


    Die Phanarioten waren Mitglieder der reichen griechischen Adelsfamilien, die in der osmanischen Hauptstadt Handel betrieben. Die Phanarioten leiteten die ökumenische Patriarchenkirche und hatten die osmanische Verwaltungshierarchie durchdrungen. Sie wurden insbesondere als Dolmetscher für den osmanischen Staat und für die Botschaften in der osmanischen Hauptstadt eingesetzt. Aus kultureller Sicht ist die Phanarioten-Ära gleichbedeutend mit der Einführung des orientalischen Lebensstils und seiner Moral und mit der Stärkung des griechisch-orthodoxen Christentums in allen türkischen Einflussgebieten. Manchmal wurde der Phanariotismus auch Byzantinismus genannt. Eigentlich beginnt das phanariotische Zeitalter in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, andere Historiker halten die Epoche für eine orientalische Entsprechung des Barock.



    Formell erscheinen Phanarioten in der Geschichte Rumäniens im Jahr 1711 in der Moldau, als der letzte bodenständige Fürst, Dimitrie Cantemir, Zuflucht in Russland fand, und 1716 in der Walachei. Mehr als 100 Jahre lang wurden die Throne der beiden rumänischen Fürstentümer von mehreren Familien griechischer Herkunft wie Mavrocordat, Caragea, Suţu, Mavrogheni, Moruzi und albanischer Herkunft wie Ghica besetzt. Es gab aber auch rumänische Familien, die die griechische Kultur und Sprache annahmen, wie die Callimachis, und auch rein rumänische Familien wie Racoviţă und Sturdza.



    Die Romantik machte den Orientalismus und das Phanariotentum für den wirtschaftlichen Rückgang und das Fehlen politischer Reformen in der rumänischen Gesellschaft verantwortlich. Aber es muss gesagt werden, dass aus den Reihen der Phanarioten die neue nationalen Eliten rekrutiert wurden. Diese haben die Modernisierung der rumänischen Gesellschaft nach 1800 unterstützt. Die Historikerin Georgeta Penelea-Filiti erläutert die historische Wahrnehmung der Phanarioten-Epoche, die formell mit der 1821 von Tudor Vladimirescu geführten Revolution endete:



    Forschungen, die in Bezug auf die Geschichte Rumäniens durchgeführt und nicht veröffentlicht wurden, zeigen, dass es zwei Epochen von maximalem Interesse gibt. Eines ist das Alter, als die Daker und Römer hier waren, die Zeit des Römischen Imperiums. Und dann ist da noch die Phanarioten-Epoche. Die Antike gilt als eine Zeit des Ruhms, die Phanariotenzeit hingegen als eine Epoche, die man kritisiert. Alles, was schlecht war, wurde den Phanarioten angelastet. Es wird gesagt, dass unser heutiges Verhalten von den Phanarioten verschuldet sei. Natürlich ist unsere Mentalität heute nicht unbedingt eine Konsequenz dessen, was damals war, aber der Mensch ist froh, jemanden zu beschuldigen, ohne sich selbst zu hinterfragen, ohne darüber nachzudenken, was er selbst zu verantworten hat. Dieses Bild ist kein rezentes, es wurde von der romantischen Geschichtsschreibung unter der Leitung von Bălcescu und Kogălniceanu erstellt, es gab auch Griechen, die die Phanarioten insgesamt dämonisierten. Das Ergebnis war total negativ. Aber dann kam Nicolae Iorga gegen Ende des 19. Jahrhunderts und versuchte, die Dinge in Ordnung zu bringen.“




    Die Hauptstädte der beiden Fürstentümer, Bukarest und Iaşi, waren nach dem Vorbild der Epoche im wahrsten Sinne des Wortes zwei orientalische Hauptstädte. Die wenigen ikonographischen Quellen aus dem 18. Jahrhundert zeigen uns ein Bukarest und ein Iaşi, wo kleine Häuser und einige Kirchen an den Ufern des bescheidenen Flusses vorherrschen. Im nächsten Jahrhundert tendierten die beiden Hauptstädte dazu, ausgeprägtere städtische Identitäten zu bekommen, Bukarest bekam eine etwas grö‎ßere Bedeutung. Die Hauptstadt der Walachei ist repräsentativ für diese Zeit, weil sie die grö‎ßte Stadt war, in der die wirtschaftlichen Interessen der Region aufeinander trafen und nach 1800 auch die politischen Interessen der gro‎ßen europäischen Mächte wie Frankreich und England. Bukarest des frühen 19. Jahrhunderts war eine Mischung aus Völkern, einem wachsenden Wirtschaftsknotenpunkt, wechselnden sozialen Kategorien, Reformen, Krisen und entstehende Institutionen. Die Eliten stellten sich unterschiedliche Regierungsformen vor und suchten Unterstützung in den Kanzleien der Gro‎ßmächte. Das Stadtbild von Iaşi, der Hauptstadt der Moldau, entsprach weitgehend jenem Bukarests.



    Die rumänische Geschichtsschreibung hatte meistens eine negative Einstellung gegenüber den Phanarioten. Aber in den letzten Jahren haben einige Autoren diese Jahre erneut unter die Lupe genommen und den Zeitraum objektiver betrachtet. Georgeta Penelea-Filiti glaubt, dass die Zeit gekommen ist, das 18. Jahrhundert ohne Leidenschaft zu betrachten:



    Der Gräzist und Byzantinist Tudor Dinu schlägt vor, die Phanarioten weder zu loben noch zu beschuldigen, sondern lediglich die Geschichte von Bukarest in allen möglichen Aspekten darzustellen. Wenn man das Phanarioten-Jahrhundert, das 18. Jahrhundert, in Bukarest näher betrachtet, sieht man den au‎ßerordentlichen Einfluss und Beitrag dieser Griechen in der Entwicklung der Stadt. Warum? Weil es im rumänischen Raum damals einige dynamische Elemente gab: die Griechen, Juden und Armenier. Von diesen standen die Rumänen den Griechen am nächsten. Diese Seelenverwandtschaft zwischen den Griechen und den Rumänen wurde damals verstärkt. Die Kaufleute, die Handelsbewegung, der Bukarester Markt, alle diese bildeten den Vereinigungsort unerwarteter Idee. Es herrschten damals die Phanarioten-Fürsten. Es ist ein ausgewogenes und faires Image, das für viele Menschen neu ist.“



    Rumänien hat sich vor fast zwei Jahrhunderten von der Phanarioten-Epoche getrennt. Ihr Erbe ist noch in der Diskussion und die Pluralität der Meinungen darüber kann nur ein Zeichen von Reife und Unvoreingenommenheit sein.

  • Kochkunst und Magie in der Walachei des 18. Jahrhunderts

    Kochkunst und Magie in der Walachei des 18. Jahrhunderts

    Die Kochkunst hat eine magische Komponente — darüber sind sich Historiker, Folkloristen und Anthropologen einig, die der raffinierten Kunst der Gastronomie eine tiefe kulturelle Bedeutung zuschreiben. Im 18. und 19. Jh. waren auch die rumänischen Küchen, vor allem in der Hauptstadt Bukarest, von einer magischen Dimension der Gewürze und von gut bewahrten Geheimnissen der Kochkunst beseelt. Die in den Dokumenten aufbewahrten Tatsachen werden von Historikern wissenschaftlich und trocken präsentiert. Die Schriftsteller können aber diese Fakten mit der entsprechenden literarischen So‎ße“ anrichten und in faszinierende Erzählungen verwandeln. Doina Ruşti schreibt Historienromane, und in ihrem neuesten Buch Mâţa Vinerii“ (dt. Veneras Katze“) bringt Sie Geschichte, Magie, kollektives Unbewusstes und Kochkunst in eine zauberhafte Mischung zusammen. Die Arbeit an dem neuen Roman über Kochkunst in Bukarest an der Wende zwischen dem 18. und dem 19. Jh. begann Doina Ruşti wie immer mit gründlichen Forschungen in den Archiven:



    Im rumänischen Nationalarchiv entdeckte ich ein Dokument aus der Zeit des walachischen Fürsten Constantin Hangerli, das von einem berühmten Koch der damaligen Zeit handelte. Jener Koch war so gut, dass alle Mächtigen und Reichen ihn haben wollten. Der Koch war ein zierlicher Zigeuner, ein Sklave im Hause der Ecaterina Greceanu. Ecaterina Greceanu war eine Grande Dame Bukarests, die Ehefrau des damaligen Innenministers, des zweitmächtigsten Mannes in der Walachei nach dem Fürsten. Der Koch Vasile sin Andreica (dt. Vasile Sohn der Andreica) wurde als Sklave im Haushalt der Familie Greceanu geboren. Gemä‎ß der damaligen Gesetze war er für immer das unbestrittene Eigentum seiner Herrin, Ecaterina Greceanu. Und doch schafft es der erst seit zwei Monaten nach Bukarest als Fürst entsandte Phanariote Constantin Hangerli, den wertvollen Koch an sich zu rei‎ßen. Er will den Koch unbedingt haben und nimmt ihn von seiner Herrin — eine unerhörte Zumutung. Als zweite Frau im Lande war Ecaterina Greceanu aber auch nicht irgendwer, und deshalb eröffnet Constantin Hangerli ein Gerichtsverfahren, um seiner Tat den Anschein der Gesetzlichkeit zu verschaffen. Er bezahlt Zeugen, die vor Gericht erklären, der Koch sei im Hause Greceanu schlecht behandelt und sehr unglücklich. Folglich beabsichtige Constantin Hangerli den Koch zu retten, in sein Haushalt zu nehmen und Ecaterina Greceanu für den Verlust mit zwei Zigeunersklaven zu entschädigen.“




    Was könnte dieser fabelhafte Koch gekocht haben, dass der Fürst ihn in seinem Palast behalten wollte? Dass seine Herrin über diesen Verlust nicht hinwegsehen wollte und vor Gericht ging, um ihn wieder zu haben? Über dieses Gerichtsverfahren wurde viel Tinte vergossen, der Metropolit der Walachei intervenierte persönlich in den Disput, der zierliche Zigeuner wurde so wertvoll gehandelt wie zwei arbeitstüchtige Männer. Doina Ruşti dazu:



    Ich begann darüber nachzudenken, was dieser Vasile sin Andreica für ein begnadeter Koch gewesen sein mag. Ich dachte an die fantastischen Gerichte, die er hervorzauberte, ich dachte an Ecaterina Greceanu, der ihr Koch abhanden gekommen war und sich schnell Geld verschaffte, um ihn zurückzukaufen. Als ich über diese Fragen nachdachte, traf ich mich mit einem Autor, der ein Buch über Insekten schrieb. Der Autor verfasste eine wissenschaftliche Studie, aber er fragte sich, ob es nicht interessanter wäre, sein Buch mit ein paar Kochrezepten des Zoologen Conrad Gessner zu ‚spicken‘. Das versetzte mich in meine Jugend zurück, als ich Bücher über mittelalterliche Zoologie las, und dabei hatte ich eine Art Offenbarung: In der Küche meiner Oma gab es bereits viele Rezepte der vergangenen Jahrhunderte, und das, was in einem Magiebuch steht, ist den gewöhnlichen Menschen oft nicht vollkommen unbekannt. So begann ich die Rezepte zusammenzustellen, die im Vordergrund meines Romans stehen — so entstand »Das Buch der bösen Speisen«.




    Das älteste rumänische Kochbuch befindet sich im Nationalarchiv — es stammt vom Anfang des 18. Jh. aus der Zeit des Fürsten Constantin Brâncoveanu. Doina Ruşti blätterte darin und lie‎ß sich für ihren Roman von der alten rumänischen Küche inspirieren:



    Es gab viel Interessantes in der rumänischen Küche des 18. Jh. Die meisten Gerichte basierten auf Hackfleisch, und die Desserts mit Walnuss und Honig waren für alle Köche der damaligen Zeit ein Muss. In der Zeit der Phanarioten und des Fürsten Constantin Brâncoveanu bevorzugte man Frikadellen in verschiedenen So‎ßen, mit ausgefallenen Aromen. Die Krebsfrikadellen wurden mit Pflaumenessig oder mit Rosenwasser aromatisiert. Die Moussaka, ein typisches Auflaufgericht, das ursprünglich aus dem arabischen Raum stammt und auf dem gesamten Balkan, in Griechenland und der Türkei verbreitet ist, war damals ein Leibgericht der Bukarester. Die klassische Moussaka enthält Schichten aus Hackfleisch, das mit Zwiebeln, Knoblauch und gehackten Tomaten angebraten und mit Kreuzkümmel, Bohnenkraut, Zimt und Piment gewürzt wird. Für alle Variationen gilt die obligatorische Deckschicht, eine mit Käse bestreute Béchamelsauce. Die Schicht bekommt ihre braune Kruste beim Backen. Je nach Region wird die Moussaka aus verschiedenen Zutaten zubereitet. Es enthält beispielsweise Schichten aus angebratenen Auberginenscheiben, oder aber aus Kartoffeln oder Zucchini. Manche Variationen verwenden eine Deckschicht aus Ei und Joghurt. Gefülltes Hühnchen oder gefüllte Ente waren auch sehr beliebt — die Füllung war ähnlich einer Frikadellenmischung, etwas reicher gewürzt. Fast alle Fleischgerichte wie Frikadellen oder Braten waren mit Honig und Zimt bestrichen. Ein bisschen Sü‎ßes musste einfach dabei sein — die Mischung von sü‎ß, sauer und scharf war typisch für die rumänische Küche des 18. und 19. Jh.“




    Die Hauptfigur des Romans Mâţa Vinerii“ (Veneras Katze“) ist in etwa ein Alter ego der Autorin, die sich von ihren eigenen Lektüren und Erinnerungen inspirieren lie‎ß. Veneras Katze ist zugleich Erzählerin, Hauptfigur, Geschichtsfigur, Hexe und ausgezeichnete Köchin. Doina Ruşti dazu:



    Die Hauptfigur, die sich unter dem Pseudonym ›Mâţa Vinerii‹ (›Veneras Katze‹) versteckt, um sich vor einer Klage wegen Hexerei zu schützen, erinnert sich an eine Episode aus ihrer Jugend, und diese Erinnerung wird durch die Kultur und die Erfahrung dieser besonderen Frau untermauert und bereichert. Ich wollte eine kultivierte Romanfigur schaffen, eine Frau, die im 18. Jh. Latein und Altgriechisch konnte — in etwa das, was auch ich studiert habe. Mit diesem Wissen taucht sie in die Sator-Magie ein und verfasst ein ›Buch der bösen Speisen‹, das letzten Endes das gesamte Bukarest wahnsinnig macht. Der meisterhafte Koch Vasile (Kosename: Silică), der am Hofe des Fürsten Costas lebt und für seine Leckereien berühmt ist, entdeckt eines Tages das magische Kochbuch und beginnt fantastische Gerichte hervorzuzaubern. Selbstverständlich beginnen alle Köche der Hauptstadt, seine ‚Kreationen‘ nachzukochen. Die ausgefallenen Gerichte haben aber unerwartete böse Wirkungen. Ohne es zu ahnen, backt Silică z.B. einen Rosenkuchen, der die Menschen zum Lachen bringt, aber später wahnsinnig macht. Es dauert nicht lange, bis alle Bukarester den Verstand verlieren, und über dieser unkontrollierbaren Euphorie schweben die verhängnisvollen Rezepte aus dem ›Buch der bösen Speisen‹.“

  • Seuchen und ihre Geschichte: Pest-Epidemien in den rumänischen Fürstentümern

    Seuchen und ihre Geschichte: Pest-Epidemien in den rumänischen Fürstentümern

    Wie jedes bedeutende Ereignis würden die Epidemien einen gro‎ßen Einfluss auf die Zivilisation haben, meinen Historiker. Die Seuchen mit den grö‎ßten Auswirkungen waren die Pest-, Pocken-, und Cholera-Epidemien. Der schwarze Tod“ oder die schwarze Pest“, die in den rumänischen Fürstentümern unter dem Namen schwarze Wunde“ bekannt wurde, ist die Krankheit, die die meisten Menschen getötet hat. Zwischen 25 und 75 Millionen Menschen — es gibt unterschiedliche Einschätzungen — soll die Pest Mitte des 14. Jahrhunderts getötet haben. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts, im Jahr 1894, hat der schweizerisch-franzöische Alexandre Yersin den Pesterreger und anschlie‎ßend auch das Heilmittel gegen die schrecklichste Krankheit, die es je gab, entdeckt. Vor der Entdeckung von Yersin konnten nur diejenigen, die entweder immun gegen das Bakterium waren oder eine leichte Form der Krankheit entwickelten, überleben.



    Auch in den rumänischen Fürstentümern gab es Epidemien, die das Weltbild der Menschen geprägt haben. Octavian Buda, Professor für Medizin-Geschichte an der Medizin- und Pharmakologie-Universität Carol Davila“ in Bukarest, erwähnt die Zeitzeugnisse über die Pest im 15. Jahrhundert in den rumänischen Fürstentümern:



    Es gibt einige Beschreibungen von fremden Ärzten, die an unterschiedlichen Fürstenhöfen, am Fürstenhof von Stefan dem Gro‎ßen, am Hof von Matei Basarab und von Vasile Lupu, tätig waren. Das Problem ist, die klinischen Anzeichen zu identifizieren, weil der rumänische Begriff ›bubă‹ (= Wunde, Schramme, Beule, Krankheit) sehr vieldeutig ist. Im Volksmund verstand man darunter auch Krankheit schlechthin. Und deshalb ist es schwierig, zu erfahren, wann wir es tatsächlich mit einer Seuche zu tun hatten. Sehr konkrete Informationen über den Fall von Johann Hunyadi, der ja auch an der Pest gestorben sein soll, haben wir nicht. Es könnte etwas mit der südlichen Kriegsfront zu tun gehabt haben. Einer der letzten Ausbrüche der westeuropäischen Pest-Epidemie erfolgte durch den Adria-Hafen Dubrovnik oder Ragusa. Es gibt eine ziemlich neue Idee eines rumänischen Medizinhistorikers, Nicolae Vătămanu. Dieser spekuliert mit ziemlich guten Beweisen, dass während der Schlacht von Războieni, die mit einem Pyrrhussieg der Osmanen des Sultans Mehmet II. gegen Stefan den Gro‎ßen endete — Zehntausende starben im Kampf –, auch ein Pest-Ausbruch aus dem Ural-Gebiet und von der Krim her eine Rolle gespielt hätten. Es ist eine Theorie, die man näher untersuchen sollte.“




    Pest-Epidemien gab es periodisch auch in den nächsten Jahrhunderten. Erschreckend war die Epidemie in London von 1666, auch wenn ihr Ausma‎ß kleiner war. Im 18. Jahrhundert begann in den rumänischen Fürstentümern die phanariotische Epoche. Der erste phanariotische Fürst, Nicolae Mavrocordat, erlag der Pest im Jahr 1730. Die grö‎ßten Auswirkungen hatte aber die Caragea-Pest von 1813-1814, benannt nach dem damaligen Herrscher. Die phanariotische Epoche gilt metaphorisch als eine dunkle Periode in der rumänischen Geschichte, weil sie mit einer Pest-Epidemie begann und mit einer anderen endete. Octavian Buda sprach auch über die von den Behörden der Walachei getroffenen Ma‎ßnahmen im Kampf gegen die Epidemie:



    Man hat eine Art Quarantäne-Korridor auf dem Weg vom Donauufer bis nach Bukarest errichtet, es wurde ein Lazaret-Verwalter ernannt, Wachtmeister in den ärmeren Vierteln eingeführt und gerade eine Berufsgruppe nimmt zahlenmä‎ßig stark zu: jene der Leichenträger. Sie mussten die Toten tragen und die Gräber, in denen die Opfer begraben wurden, ordentlich herrichten. Die Leichenträger-Zunft wird sehr aktiv, diese Menschen wurden sehr gut bezahlt und sie mussten die Toten tragen und beerdigen. Die Totengräber wurden aus den Reihen der ehemaligen Pest-Kranken, die die Krankheit überlebt hatten, rekrutiert — das war eine interessante antiepidemische Idee. Man hat erkannt, dass diese Menschen eine Art Immunität gewonnen hatten. Der Historiker Ion Ghica schrieb sehr negativ über die Totengräber. Wenn sie an ein reiches Haus vorbei gingen, rissen sie den Pest-Toten die Kleider vom Leibe, um die Krankheit zu verbreiten, berichtet Ghica. Auch wenn sie die Todesstrafe riskierten, töteten sie die Pest-Kranken unterwegs oder beerdigten diese lebendig, um sie nicht mehr ins Krankenhaus bringen zu müssen, so der Schriftsteller und Historiker. Interessant ist die folgende Episode aus dem Bericht eines Leichenträgers: ‚Heute habe ich etwa 15 Tote aufgesammelt, die ich auf den Karren auf dem Dudeşti-Feld gelegt habe, aber ich bin nur mit 14 angekommen, weil einer wegrannte.‘“




    Die Verzweiflung der Menschen konnte weder vom Priester noch vom Volksheiler gelindert werden. Der einzige Trost war der Alkohol, die alte Ausflucht des Menschen in schweren Zeiten. Octavian Buda:



    In Ermangelung effizienter Behandlungen beruhigte der in gro‎ßen Mengen verbrauchte Alkohol. Da wurden aber auch Verbote eingeführt. Es gab auch Quacksalber, die den Pest-Kranken vorgaukelten, sie würden geheilt, wenn sie eine Schildkröte berührten. In Bukarest gab es ein Pest-Krankenhaus — Dudeşti — und darüber hinaus noch das Sankt-Visarion-Krankenhaus. Dort richtete man nach venezianischem Vorbild ein Lazarett ein, in dem die Pest-Kranken eingeschlossen wurden. Die Behandlungsweise ähnelte der in den Abteilungen für Infektionskrankheiten.“




    Der Frost im Winter 1813-1814 hat die Auswirkungen der Pest etwas gedämpft, aber nicht beseitigt. Laut den Berichten des österreichischen Konsuls in Bukarest, Fleischhackl von Hackenau, sind während der Caragea-Pest etwa 4.500 Menschen gestorben. Dieser Pest-Ausbruch trägt diesen Namen, weil die Krankheit von einer Person aus der Entourage des Fürsten nach Bukarest gebracht wurde. Caragea wollte den Thron schnellstens besteigen und hat die Quarantäne-Vorkehrungen nicht beachtet. Mit der Caragea-Pest endete die phanariotische Epoche und begann die Moderne.

  • Geschichte und Literatur: Doina Ruştis historischer Roman „Das phanariotische Manuskript“

    Geschichte und Literatur: Doina Ruştis historischer Roman „Das phanariotische Manuskript“

    Manche Historiker glauben, dass ihr Bereich eine exakte Wissenschaft sei. Andere sind der Meinung, dass uns durch literarische Verarbeitung vermittelte Geschichte näher komme und dadurch nicht weniger interessant sei. Die historischen Romane sind genauso wichtig für die Erforschung der Vergangenheit und für die Entstehung einer Geschichtskultur wie das Studium der historischen Fakten und Daten.



    Es gibt viele literarische Gattungen, insbesondere Romane, die auf authentischen historischen Quellen beruhen. So wird Geschichte etwas ganz Interessantes. Doina Ruşti ist Schriftstellerin und hat hunderte Dokumente aus der Periode 1770–1830 für ihr Roman Das phanariotische Manuskript“ studiert. Eine der Gestalten ihres Romans ist der Fürst Alexander Mourousis (rum. Alexandru Moruzi), der von 1750 bis 1816 gelebt hat.



    Mich interessierte Moruzi, ein phanarotischer Fürst, sehr. Er war ein Fürst mit einem sehr interessanten Leben, der vielleicht die meisten Dokumente hinterlassen hat. Alexandru Moruzi war Grieche, er heiratete eine Rumänin und hat mehrmals in der Walachei und in der Moldau geherrscht. Er diktierte fast täglich seine Ideen, das hat mich aufmerksam gemacht. Er hat eine Menge Dokumente hinterlassen. Aus diesen erfahren wir, wie das Leben am Fürstenhof in der phanariotischen Epoche verlief. Er hatte ein schreckliches Ende: Die Türken haben ihn geschnappt und er wurde als Galeeren-Sklave verkauft. Moruzi spielt im ganzen Roman eine wichtige Rolle.“




    Am Anfang des 19. Jahrhunderts war Bukarest ein Gemisch von Sprachen und Völkern, es war eine Art Babylon. Eine der wichtigen Gestalten des Romans Das phanariotische Manuskript“ ist Delizorzo, ein Fremder im walachischen Babylon. Doina Ruşti dazu:



    Viele der Griechen, die hierher gekommen sind, waren eigentlich Aromunen oder Meglenorumänen, auch als W(a)lachen bekannt, konnten gut Rumänisch reden und fast jeder hatte schon vorher eine Verbindung zur rumänischen Welt gehabt. Deshalb waren sie ja auch hergekommen, sie sprachen schon Rumänisch und konnten gut zurechtkommen. Einer dieser Menschen brachte es sogar zum Metropoliten, er hie‎ß Dositei Filiti, sein Spitzname war Delizorzo. Er hat den Metropoliten Filaret gestürzt. Dieser Grieche ist in die Walachei gekommen und wurde Metropolit. Sein Vater war Grieche und seine Mutter Albanerin, die eigentlich aromunischer Abstammung war. Dieses Gemisch war auf dem Balkan sehr üblich. Die Bukarester haben ihn Delizorzo genannt. Den Namen habe ich im Roman übernommen und habe versucht, ihn auch zu entziffern. Es war ein lustiger Name, halb griechisch, halb türkisch. Im Türkischen bedeutet ‚deli‘ verrückt, aber im positiven Sinne, eine Art sympathischer Übergeschnappter. ‚Zorzos‘ war ein üblicher Name auf dem Balkan, den die Rumänen lustig fanden.“




    Im Roman gibt es weitere interessante Gestalten. So den jungen Mann, der nach Bukarest kam, um reich zu werden. Die Schriftstellerin Doina Ruşti berichtet:



    Diese Gestalt, über die ich in einem Dokument gelesen habe, hat mich fasziniert. Es handelt sich dabei um einen Aromunen, der nach Bukarest kommt. Er behauptete, Grieche zu sein, Sohn von Radu, ein typisch rumänischer Name. Im Originaldokument hie‎ß er Ion, Sohn von Radu. Es war damals angesehener, als Grieche statt Aromune zu gelten. Dieser Aromune, der sich als Grieche ausgab, wurde zum Sklaven des Bojaren Doicescu. Es ist eine Geschichte, die von Liebe, Verzweiflung und Sklaverei erzählt. Ion, Sohn von Radu, kommt nach Bukarest und wird mit einem anderen Menschen namens Leun verwechselt. Leun war ein Diener, höchstwahrscheinlich ein junger Franzose, 17 Jahre alt, mit richtigem Namen Leon. Er wurde Diener des Grafen Chassatow, des ersten russischen Konsuls in Bukarest. Dieser Leon, den auch Fürst Moruzi, den Namen entstellend, ‚Leun‘ nennt, verschwindet und wird von der Polizei gesucht. Mehrere Dokumente sprechen von Befehlen des Fürsten ‚den verdammten Leun‘ zu finden. Natürlich fragt man sich, wer Leun war, was er angestellt hatte und warum ihn die Polizei suchte. Wir wissen, dass er grüne, etwas unanständige Kleidung trug: eng sitzendes Beinkleid nach westeuropäischer Mode, vermutlich hatte er auch einen Schopf. Letztendlich habe ich aus einem Dokument erfahren, warum Leun gesucht wurde. Moruzi selbst sagte, er müsse zu einem gro‎ßen Bukarester Kaufmann gebracht werden, weil seine Tochter auf ihn warte. Dieser Junge musste sie im Rahmen einer arrangierten Ehe heiraten, war aber weg gelaufen. Ganz Bukarest war darüber empört und keiner verstand, warum ein Diener mit einem so ehrenhaften Vorschlag nicht einverstanden war. Diese Geschichte habe ich übernommen. Ion kommt nach Bukarest mit dem Gedanken, reich zu werden. Er wollte nicht in die griechische Befreiungsarmee unter General Lambros einrücken, sondern ganz einfach sein Leben genie‎ßen, weil Ion, Sohn von Radu, nur 17 Jahre alt war.“




    Historische Dokumente können — so wie die Realität — konfus sein. Da handelt es sich auch um Lebensgeschichten, die man unterschiedlich auslegen kann.

  • Die Griechen in Rumänien

    Die Griechen in Rumänien

    Die Griechen sind das älteste Volk, das im rumänischen Raum ansässig wurde. Schon in der Antike haben die Griechen am Schwarzen Meer die Kolonien Histria, Tomis und Callatis gegründet. In der Dobrudscha, der Region zwischen der Donau und dem Schwarzen Meer, wurden in der Geschichte viele griechische Gemeinden gegründet. Einige Namensortschaften deuten auf diese hin. So gibt es im Norden der Dobrudscha die Ortschaft Greci, zu deutsch Griechen. Der höchste Berg der Dobrudscha Gebirge ist 467 Meter hoch und hei‎ßt ebenfalls Greci. Unweit der Dobrudscha Gebirge liegt die Burg Enisala. Diese gehörte byzantinischen Griechen und Genuesen am Ende des 13. Jahrhunderts an.



    In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, nachdem Konstantinopel 1453 von den Osmanen unter der Führung von Mehmet III. erobert wurde, beginnen die Griechen an den rumänischen Fürstentümern nördlich der Donau noch mehr interessiert zu sein. Die Historikerin Georgeta Penelea-Filiti dazu:



    Als das byzantinische Reich fiel, betrachteten die Griechen die Donaufürstentümer als mögliche Zufluchtsstätten. Kurz danach geschieht etwas: die erste urkundliche Erwähnung Bukarests. Vielleicht war das ein glücklicher Zufall: 1453 fällt das byzantinische Reich, 1459 wird dieses Städtchen erwähnt, das 200 Jahre später Hauptstadt werden sollte und heute eine der Metropolen Europas ist. Was ist 1453 geschehen? Eine Welt, gekennzeichnet durch eine unglaubliche Lebhaftigkeit, eine unglaubliche städtebauliche, politische, juristische und institutionelle Entwicklung, die den Griechen charakteristisch war, stürzt ein. Als sie von den Türken erobert wurden, hatten viele Griechen keine andere Wahl, als Byzanz zu verlassen. Die Türken kamen aus einer anderen Welt und gehörten einer anderen Kultur an und der Zusammensto‎ß war unvermeidlich. Die repräsentativste byzantinische Familie, die es in die Donaufürstentümer zog, war vielleicht die Cantacuzino-Familie. Sie waren sehr reiche und flei‎ßige Leute und zogen langsam-langsam aus Bulgarien in den rumänischen Raum. Diese Cantacuzino-Familie, die in der Geschichte Rumäniens eine sehr aktive Rolle gespielt hat, wird im 17. Jahrhundert, als das Land unter politischen Kämpfen zu leiden hatte, zu einem Befürworter des nationalen Geistes. Es kam zu einer Rumänisierung der Griechen.“



    Nach 1453 beginnt eine andere Geschichte der Griechen, ein Teil dieser wickelt sich im Norden der Donau ab. Die Niederlassung der Griechen in der Walachei, in Bukarest, muss als ein laufender, nichtlinearer Prozess betrachtet werden. Dieser verfolgte wirtschaftliche, politische und persönliche Gründe. Georgeta Penela-Filiti erläutert:



    Die Griechen kommen nach Bukarest nicht nur als Fürsten. Man bezeichnete sogar einen von ihnen als Fürsten-Fabrikant“, weil er sich alle seine Mitbewerber zum Thron der Walachei untergeordnet hatte. Diejenigen, die in die Walachei kommen, sind an den vielen Opportunitäten, insbesondere Profit-Opportunitäten, am Handel, am sü‎ßen Leben interessiert. Es kommen Leute aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Ohne eine Statistik erstellt zu haben, würde ich aufgrund der erforschten Dokumente sagen, dass die Griechen im Handel, im Finanzbereich und im Kulturbereich tätig waren. Hier stö‎ßt man auf ein Element, das die Geschichte Rumäniens in den nachfolgenden Jahrhunderten, nach 1453 charakterisieren wird. Die Rumänen waren freundlich, tolerant, aber passiv. Deshalb war ein dynamisches, aktives Element, das etwas zu Ende bringt, willkommen. Die Griechen wurden sowohl positiv, als auch negativ empfunden. Es kommen sowohl Finanzleute, Steuereinzieher, diese sind keine angenehme Personen. Aber es kommen auch Lehrer, Ärzte, Juristen. Diese tragen zur Entstehung unserer städtischen Gesellschaft bei, sie dynamisieren diese und bereichern ihre Kultur.“



    Der Höhepunkt der griechischen Anwesenheit in Bukarest ist das 18.Jahrhundert, die sogenannte Phanarioten-Periode. Griechische Fürsten besteigen den Thron. Manche dieser Familien haben das Kultur-Niveau der Provinz angehoben und wurden dann assimiliert. Georgeta Penelea-Filiti hat die Details.



    Wir dürfen die vielen Griechen, die hierher kommen, die reich werden, nicht vergessen. Sie hatten auch eine Ehe-Strategie. Aus Integrations-Gründen mussten sie Rumäninnen heiraten. Es gibt viele Griechen, die hier bleiben, so dass 1719 einer sagt: ‚Konstantinopel? Das ist eine Stadt, die mich nicht interessiert. Hier finde ich alles, was ich brauche‘. Ein anderer enthusiastischer Grieche erklärte im 18. Jahrhundert: ‚Wenn es ein Paradies gibt, dann muss es der Walachei ähnlich sein‘.“



    Zu den Persönlichkeiten mit griechischen Wurzeln zählen die Schriftsteller Ion Luca Caragiale und Panait Istrati, die Künstler Hariclea Darclée und Jean Moscopol, der Politiker I.G Duca, der Unternehmer Nicolae Malaxa und der Bankier Zanni Chrissoveloni. Das sind nur einige der griechischen Persönlichkeiten, die die Geschichte Bukarests geprägt haben.



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