Tag: Privatleben

  • Zwei oder mehrere Jobs gleichzeitig: Wie bringt man das unter einen Hut?

    Zwei oder mehrere Jobs gleichzeitig: Wie bringt man das unter einen Hut?





    Nach Phänomenen, die Soziologen und Personaler als Great Resignation“ (Gro‎ße Kündigungswelle“) und Quiet Quitting“ (Dienst nach Vorschrift ohne Extraaufgaben“) bezeichnen, macht sich in der Arbeitswelt eine weitere Entwicklung bemerkt: Immer mehr Menschen arbeiten — auch in Rumänien — in zwei oder mehreren Jobs gleichzeitig.



    Eine kürzlich durchgeführte Meinungsumfrage auf der rumänischen Arbeitsvermittlungsplattform eJobs bestätigt den Trend, mehreren Beschäftigungen nachzugehen. Ana Călugăru, Kommunikationsbeauftragte bei eJobs, kennt die Details:



    Der wirtschaftliche Kontext der letzten zwei Jahre — ich meine die Unsicherheit, die durch die Pandemie und den Krieg entstanden ist, aber auch den explosionsartigen Anstieg der Inflation in diesem Jahr — hat viele Rumänen dazu veranlasst, sehr vorsichtig und zurückhaltend zu werden, wenn es um Karriere und finanzielle Stabilität geht. Obwohl 2022 ein Jahr war, in dem die Zahl der neuen Arbeitsplätze einen Höchststand seit 20 Jahren erreichte, und obwohl wir in fast allen Tätigkeitsbereichen Gehaltserhöhungen verzeichnen konnten, hat unsere Umfrage zu diesem Thema gezeigt, dass die Notwendigkeit eines zusätzlichen langfristigen Einkommens der Hauptgrund dafür ist, dass 70 % der Befragten einen Zweitjob angenommen haben. 8,2 % haben diesen Schritt nur für eine kurze Zeit gewagt, weil sie Geld für eine teure Anschaffung sparen wollten, die sie sich sonst nicht hätten leisten können, und 6,7 % gaben an, dass sie ihr ganzes Leben lang so gearbeitet hätten. 10,7 % der Teilnehmer an der Umfrage, vor allem jüngere Befragte, gaben an, dass ihre Hauptarbeit nicht auslastend genug war und dass die Zeit es ihnen daher dann erlaubte, eine andere Tätigkeit auszuüben; und 5 % wollten einfach eine Veränderung in ihrem Berufsleben. Letztere haben aus Vorsicht allerdings auch beschlossen, nur eine gewisse Zeit lang zwei Jobs gleichzeitig auszuüben, bis sie sich im Klaren darüber sind, welcher der richtige für sie ist.“





    Ein etwas überraschender Aspekt dieser Umfrage ist der hohe Prozentsatz der Menschen in der Mitte ihres Arbeitsalters, die bereit sind, mehr als nur einem Job nachzugehen. Junge Menschen im Alter von 19 bis 25 Jahren machen nur 7,4 % aller Befragten aus, der grö‎ßte Anteil derjenigen, die zwei Jobs gleichzeitig ausüben, besteht aus Arbeitnehmern im Alter von 36 bis 45 Jahren — fast 29 % –, und knapp 22 % sind zwischen 46 und 55 Jahre alt. Menschen, die eine Familie, Kinder und relativ hohe monatliche Ausgaben haben, sind also auch diejenigen, die eine weitere Einkommensquelle benötigen. Doch gerade weil es sich um pflichtbewusste Familienernährer handelt, stellt sich die Frage: Wie viel Zeit bleibt dann noch für die Menschen, die einem nahe stehen? Ana Călugăru von eJobs legt weiter die Ergebnisse der Umfrage auf der Plattform für Jobvermittlung aus:



    Auf die Frage, was ihnen am schwersten fällt, wenn sie zwei Jobs haben, nannten sechs von zehn Teilnehmer an der Umfrage die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es geht um die Zeit, die sie für ihre Arbeit aufwenden müssen, und um die Tatsache, dass sowohl körperliche als auch seelische Burn-out-Erscheinungen ihren Tribut fordern, so dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihr Bestes zu geben. Ein Viertel der Umfrageteilnehmer findet es sehr schwierig, ihre Zeit bei der Arbeit einzuteilen, und 10 % geben an, dass es sehr schwierig ist, in beiden Jobs Leistung zu bringen. Das ist keine Überraschung, denn 40 % der Befragten gaben gleichzeitig an, dass sie den anderen Job aufgeben würden, wenn einer ihrer beiden Jobs genug Geld für ihre monatlichen finanziellen Bedürfnisse abwerfen würde.“




    Obwohl die meisten Teilnehmer an der Studie gerne nur vorübergehend in zwei Jobs arbeiten würden, geraten viele in Situationen, in denen dies jahrelang dauern kann, wie bei Silvia, Redakteurin einer Kulturzeitschrift und gleichzeitig künstlerische Beraterin an einem gro‎ßen Theater in Bukarest.



    Ich hatte schon immer Extra-Jobs. Ich wei‎ß nicht, ob man sie als richtige Berufe bezeichnen kann. Den zweiten Job, den Theaterjob, habe ich seit sechs Jahren, also habe ich im Grunde seit sechs Jahren zwei reguläre Jobs. In der Zeit dazwischen, bevor ich am Theater zu arbeiten begann, habe ich fast die ganze Zeit auch andere Dinge gemacht. Ich habe bei verschiedenen Theaterfestivals gejobbt, ich habe Bücher übersetzt, ich habe in Verlagen als Lektorin und Korrektorin gearbeitet. Es liegt auf der Hand, dass der finanzielle Aspekt in der Kulturpresse problematisch ist. Hier sind die Gehälter recht niedrig, und wenn man jünger ist, hat man so einige Bedürfnisse. Es gibt alle möglichen Probleme, die damit zusammenhängen, und das Fehlen eines zufriedenstellenden Einkommens beeinträchtigt irgendwie die Kreativität. Man kann nicht in seinem Elfenbeinturm sitzen und kreativ sein oder künstlerische Ideen entwickeln, während sich zu Hause die Rechnungen stapeln. Aber es war nicht nur der finanzielle Aspekt, der ausschlaggebend war. Es hat mir immer Spa‎ß gemacht, neue Dinge zu lernen. Und die Kulturpresse hat mir sehr geholfen, verschiedene Bereiche zu entdecken und viele neue Leute kennenzulernen.“





    Silvia hat sich mit einigen von den neuen Bekanntschaften sogar angefreundet, und da sie ähnliche Arbeitszeiten haben, können sie ihre Freizeit auch gemeinsam verbringen. Da sie au‎ßerdem eine flexible Arbeitszeit bei der Zeitschrift hat, konnte sie bis vor kurzem die beiden Jobs ohne gro‎ße Schwierigkeiten unter einen Hut bringen. Wie das gelingt, erzählt sie zum Schluss unseres Features:



    Am Anfang war es viel interessanter und viel schöner, und ich schien das Leben irgendwie zu meistern. Heutzutage kann ich sagen, dass es ziemlich schwer ist. Es bleibt nur wenig Zeit für das Privatleben, gerade weil sich diese Arbeit am Theater auf den zweiten Teil des Tages, sprich auf den Abend, auswirkt. Wenn man nach Hause kommt, bleibt nicht mehr viel Zeit für sich selbst, man zieht sich einen Film rein, geht ins Bett und am nächsten Tag fängt man von vorne an. Das einzig Gute, das diese Diskrepanz irgendwie ausgleicht, ist, dass deine Freunde, ob es dir nun gefällt oder nicht, immer noch in demselben Bereich tätig sind und dass man denselben Lebensrhythmus, denselben Tagesablauf hat. Und man kann etwas Zeit mit diesen Freunden verbringen, wenn man den Job erledigt hat, danach irgendwo hingeht und gemeinsam etwas trinkt. Wenn meine Freunde in anderen Bereichen arbeiten würden, hätte ich praktisch kein soziales Leben.“

  • Leben und arbeiten in einem Großunternehmen

    Leben und arbeiten in einem Großunternehmen

    In den letzten 20 Jahtren haben 42 Gro‎ßunternehmen der Welt Filialen in Rumänien eröffnet; die meisten von ihnen sind Importfirmen, Kaufhäuser, Versandhäuser oder Dienstleistungsunternehmen. Die Filialenleiter kommen normalerweise aus den Herkunftsländern der Aktionäre dieser Gro‎ßunternehmen. Für die meisten jungen Rumänen, die eine Hochschule abgeschlossen haben (das sind in etwa 100.000 im Jahr), ist ein Arbeitsplatz in einer rumänischen Filiale eines Gro‎ßunternehmens die beste Alternative zu Emigration.



    Die Gehälter in einem multinationalen Gro‎ßunternehmen sind höher als in einem kleineren Unternehmen oder beim Staat, und es gibt auch weitere Vorteile wie zum Beispiel einen Dienstwagen, den Zugang zur Weiterbildung, private Krankenversicherung sowie gute Gehaltszulagen für Überstunden oder bessere Arbeitsleistungen. Eine Statistik von CNIPMMR, einer Organisation, welche die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen vertritt, hat erwiesen, da‎ß 14% der rumänischen Bevölkerung bei Privatfirmen arbeiten.



    Was die jungen Leute aber nicht wissen, wenn sie davon träumen, bei einem gro‎ßen Konzern zu arbeiten, ist, da‎ß die Vorteile nur theoretisch der Anstrengung am Arbeitsplatz entsprechen. Die Wirklichkeit sei viel härter, sagte uns Ioana Popescu, eine 38jährige, die bei einer Bank arbeitet:



    Als wir die Hochschule abschlossen, dachten wir, da‎ß ein Arbeitsplatz in einem multinationalen Unternehmen uns unbegrenzte Möglichkeiten bieten würde. Ich wünschte mir sehr, in einem solchen multinationalen Unternehmen zu arbeiten. Ich wu‎ßte nicht, was das bedeuten würde, es gab auch ein paar gescheiterte Versuche, bis ich endlich einen Arbeitsplatz in einer Gro‎ßfirma bekam. Das professionnelle Niveau ist sehr hoch. Am Anfang hatten wir alle davon geträumt, hierarchisch so hoch wie möglich zu kommen, so viel wie möglich zu lernen. Die Corporation“ war so etwas wie der Heilige Graal — nun, die Wirklichkeit ist doch ein bi‎ßchen anders. Man hat schon Zugriff auf ultramoderne Software, man kann in der Tat viel lernen, es gibt auch Weiterbildungskurse. Aber man hat keine Freizeit mehr. Man mu‎ß auf seine Hobbys verzichten, auf das Vergnügen, ins Theater oder ins Konzert zu gehen, man mu‎ß sogar auf das Familienleben verzichten. Am Anfang wu‎ßte ich das alles nicht, aber ich habe es nach und nach gelernt — so ist das Leben in der Firma.“



    Wenn man mit der Arbeit bei einem Gro‎ßunternehmen anfängt, wird einem gesagt, die Firma sei wie eine Gro‎ßfamilie, wo jedes Mitglied seine eigenen Zuständigkeiten habe, aber auch verpflichtet sei, den anderen Familienmitgliedern“ zu helfen, ihre Arbeit rechtzeitig zu erledigen. Die Arbeit ist aber praktisch nie zu Ende. Die Menschen werden zu Bienen, die zum Gedeihen des Bienenstocks arbeiten müssen. Am Anfang sagt einem keiner, wieviele Überstunden man in Kauf nehmen mu‎ß. Ioana Popescu erzählt:



    Mit der Zeit haben ich erfahren, dass so etwas wie ein 8-Stunden-Arbeitstag nicht existiert — es wird gearbeitet, bis der Auftrag erledigt wird. Und der Auftrag wird sehr oft erst viele Stunden nach Feierabend erledigt. Es besteht kein äu‎ßerlicher Zwang, man mu‎ß sich frei dafür entscheiden. Es kommt darauf an, was man sich wünscht. Wenn man Karriere machen und hierarchisch so hoch wie möglich kommen will, mu‎ß man viele Überstunden in Kauf nehmen. Wenn man als Vater oder Mutter alles opfern möchte, um dem Kind alles zu sichern, dann kann man sagen »Ja, ich tue es meinem Kind zuliebe«. Man mu‎ß dafür aber einen hohen Preis bezahlen, im besten Fall kann man noch das Wochenende mit der Familie verbringen. Es ist sehr schwer, weniger zu arbeiten und sich für mehr Freizeit zu entscheiden, weil (wir wollen ja keine Heuchler sein), wenn man sich gut verkaufen kann, wenn man viel arbeitet, wenn man ein hohes professionnelles Niveau erreicht, dann kann man in einem multinationalem Gro‎ßunternehmen sehr gut verdienen. Mit den erworbenen Fachkentnissen ist man stets auf dem Markt — daher ist es auch schwer, harte Entscheidungen zu treffen.“



    Nach einigen Jahren harter Arbeit in einem immer höheren Rhythmus und ohne Zeitlimit leiden die Angestellten unter chronischer Müdigkeit oder sogar unter Depressionen:



    Man ändert sich, wird zum anderen Menschen — erst wenn man einen dreiwöchigen Urlaub macht und dann in die Firma zurückkehrt, wird einem klar, da‎ß es nicht in Ordnung ist. Man sieht andere Leute, die um 4 oder 5 Uhr nachmittags Feierabend machen und nach Hause gehen, und man denkt nicht daran, da‎ß es nicht ok sei, wenn man bis spät abends in der Firma bleibt. Die anderen scheinen etwas falsch zu machen, sie hätten keinen Ehrgeiz, sie wü‎ßten nicht, was sie im Leben erreichen wollen. Man braucht einen besonderen Moment, ein Aha-Erlebnis, um zu verstehen, da‎ß der Weg, den man eingeschlagen hat, nicht der richtige ist. In meinem Fall gab es Familienprobleme, die mir die Augen geöffnet und klar gemacht haben, da‎ß ich etwas ändern sollte.“



    Die Gro‎ßunternehmen betonen ständig die Karrieremöglichkeiten und bieten Workshops zur persönlichen Entwicklung, sehr teuere Fort- und Weiterbildungskurse, und sehr gute Krankenversicherungen, mit medizinischen Leistungen von höchster Qualität. Trotzdem landen sehr viele Gro‎ßunternehmen-Mitarbeiter auf der Couch des Psychotherapeuten, sagte uns der Facharzt Gabriel Diaconu:



    Die Patienten, die zu mir kommen, sind sehr traurig, wenn wir zusammensitzen und diskutieren. Wenn sie die Augen aufmachen fragen sie sich »Wie bin ich blo‎ß hier gelandet?«, »Wie konnte ich es zulassen, da‎ß so etwas passiert?«. Das ist eine böse Wirklichkeit. Im Vergleich zu der allgemeinen Bevölkerung haben diese Leute ein drei- bis viermal höheres Risiko, an chronischer Schlaflosigkeit oder unter Angststörungen zu leiden. Auch das Risiko eines Aufputschmittelmi‎ßbrauchs ist sechs- bis siebenmal hoher als beim Rest der Bevölkerung. Es geht dabei um eine Müdigkeitsfabrik, die aufgeputscht werden mu‎ß, ich rede dabei nicht von Kaffee oder Zigaretten, sondern über richtige Aufputschmittel, Energy-Drinks, gefährliche Cocktails, die am Morgen einen Taurin-Drink und am Abend dazu noch Alkohol enthalten. Mit solchen gefährlichen Mischungen sollte der Gehirn ununterbrochen auf Hochtouren funktionieren, und das kann kein gutes Ende haben.“



    Was motiviert aber so viele Leute, einen solchen Arbeitsrhythmus zu akzeptieren, der, auch wenn die Arbeit gut bezahlt wird, unvermeidlich zu Erschöpfung führt? Die Antwort hat der Facharzt für Psychiatrie Gabriel Diaconu:



    Diese Menschen erwerben einen gewissen Lebensstandard, wenn sie dann zwei bis drei Wochen im Jahr einen schönen Urlaub in Thailand machen, leben sie besser als der Durchschnittsbürger. Oder sie fahren ein dickes Auto, oder aber wohnen sie in einem nobleren Bezirk, in einem Haus, oder einem Appartment, das um 30 Quadratmeter grö‎ßer ist. Abends wenn sie nach Hause kommen, legen sie sich schlafen in Bettlaken, die das Doppelte gekostet haben, als sie wert sind. All diese Details geben aber diesen Leuten das Gefühl, das sie ein legitimes, geregeltes Leben führen.“



    Paradoxerweise träumen viele der Gro‎ßunternehmen-Mitarbeiter, die in die Praxis des Psychotherapeuten Diaconu kommen, davon, einige hunderttausend Euro zu sparen und ein kleines Unternehmen zu gründen. Sie wollen aus dem System heraus, bevor es zu spät wird. Und das ist kein typisch rumänisches Problem, sagte uns Dr. Gabriel Diaconu:



    Rumänien hat gerade die Augen aufgemacht, da wir nur seit etwa 20 Jahren mit den Gro‎ßunternehmen, den sog. »Corporations« leben müssen. Wenn man die Pathologie des Corporation-Mitarbeiters in den USA betrachtet, stellt man fest, da‎ß dort diese Welt viel zynischer ist.“



    Ioana Popescu hat vor 45 Tagen ihren Rücktritt eingereicht. Wenn die im Arbeitsvertrag vorgesehene Kündigungsfrist abgelaufen ist, hat sie vor, eine Zeit lang schlicht und einfach zu leben. Ioana ist 38 Jahre alt, ist ledig und hat keine Kinder.



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