Tag: Protestkultur

  • Zeitgeschichte: Ausstellung thematisiert 70 Jahre der Protestkultur in Rumänien

    Zeitgeschichte: Ausstellung thematisiert 70 Jahre der Protestkultur in Rumänien

    Die Wurzeln der Protestkultur liegen in der Französischen Revolution des 18. Jahrhunderts. Proteste waren schon immer ein Ma‎ß für die Freiheit in einer modernen Gesellschaft. Tyrannen des 20. Jahrhunderts hatten eine pathologische Abneigung gegen Proteste, die ihre Autorität in Frage stellten. Diese Abneigung wurde von den illiberalen und populistischen Führern der gegenwärtigen Periode geerbt, die glücklicherweise nicht zum Verschwinden oder der Unterdrückung der Proteste geführt haben, wie es unter faschistischen und kommunistischen Regimen der Fall war.



    In der Zwischenkriegszeit waren Proteste in Rumänien ein gängiges Mittel, um Meinungsverschiedenheiten zwischen einer sozialen oder politischen Gruppe und den Behörden auszudrücken. Ab 1945, als das kommunistische Regime stufenweise etabliert wurde, begann auch die brutale Unterdrückung der Proteste. Doch auch zwischen 1945 und 1989 protestierten die Rumänen, wenn die Lebens- und Arbeitsbedingungen unerträglich wurden. Solche Proteste waren die Streiks der Bergleute 1977 und die Streiks der Arbeiter in den Schwerlastmaschinenfabriken Steagul Roşu“ und Tractorul“ in Braşov (Kronstadt). Und 1989 erlangten die Rumänen wie in einem Racheakt der Geschichte ihr Recht auf Protest durch massive Proteste wieder, die zum Sturz des Regimes führten. Seitdem kann die jüngste rumänische Geschichte auch aus der Perspektive des Wiederanschlusses an die Protestkultur betrachtet werden.



    Die Dichterin Ana Blandiana, eine Gegnerin des kommunistischen Regimes und eine öffentliche Figur, die einen wichtigen Beitrag zur Wiedergeburt des Protestes in Rumänien geleistet hat, hat kürzlich eine Ausstellung unter den Stichworten Demokratie und Protest“ eröffnet. Blandiana sagte, dass der Zweck darin bestand, die Erinnerung an die Momente wiederherzustellen, die die Wiedergeburt des Geistes des Protestes markiert haben:



    Diese Idee, die nicht originell ist, enthält einige besondere Highlights der Gegenwart. Wir wollten die gro‎ßen Proteste, die in Rumänien von 1945 an stattgefunden haben, beginnend mit den ersten Protesten gegen das aufstrebende kommunistische Regime bis hin zu den Protesten auf dem Siegesplatz Anfang 2017, zusammenfassen. Wir sprechen von einer Zeitspanne von über einem halben Jahrhundert, mit 30 Jahren Freiheit und 45 Jahren Diktatur. Es ist ein Appell, eine Kultur des Protestes aufzubauen. Eine wahre Zivilisation hat eine Kultur des Protestes, und eine Kultur des Protestes bedeutet, verschiedene Proteste im Laufe der Jahre miteinander zu verbinden. Die Proteste gegen die Goldförderung in Roşia Montană wurden mit viel Naivität und Freimut betrachtet, und zwar deshalb, weil man schlichtweg behauptete, es seien die ersten echten Proteste in der modernen Geschichte Rumäniens gewesen. Das hat mich erstaunt, denn die Hälfte der Demonstranten auf dem Siegesplatz (Piaţa Victoriei) waren dieselben Menschen, die 20 Jahre zuvor auf dem Universitätsplatz protestiert hatten. Die Menschen, die 2017 erstmals auf die Stra‎ße gingen, wussten das einfach nicht, denn wir leben in einer Gesellschaft, die systematisch die Erinnerung zerstört. Es ging nicht um schlechten Willen, es war vielmehr ein schlechtes Omen, das einen beunruhigen konnte, denn es ging um die Zukunft einer Generationen, die nicht aus der Erfahrung der Vergangenheit schöpfen wollte.“




    Proteste sind allerdings nicht immer vorteilhaft für die Demokratie. Ana Blandiana berichtet weiter:



    Ich habe unlängst aus den USA einen Essay mit dem Titel »Die Sprache des Protestes« bekommen. Auf dem Umschlag befindet sich das berühmte Anarchiesymbol, das A im Kreis. Ich hatte eine Offenbarung, als ich das las, der Essay berichtet über den Unterschied zwischen den Formen des Protestes. Für den Amerikaner, der das Buch geschrieben hat, war der Protest ein Weg, die Gesellschaft herauszufordern. Die Anarchie will die Gesellschaft zerstören, oftmals ohne viel darüber zu sagen, was sie an ihrer Stelle errichten will. Die Proteste, über die wir für diese Ausstellung nachdachten, sprachen sich für die Rechtsstaatlichkeit aus, um sie zu unterstützen. Bereits 1945 war sie bedroht und stand kurz davor, zerstört zu werden, aber die Menschen stemmten sich dagegen. Wofür sonst waren die Proteste von 1987 in Braşov? Die jungen Aufständischen, die die Arbeiter in Braşov vertraten, waren beinahe keine Erwachsene. Danach war das Jahrzehnt der Bürgerallianz [in den 1990er Jahren — Anm. d. Red.] ein Plädoyer und ein Protest gegen die Weigerung, auf der Grundlage der Proklamation von Timişoara einen Rechtsstaat aufzubauen. Und die Proteste von 2017 sind schlicht Proteste der Menschen, die nicht akzeptieren wollen, dass Rumänien nicht in der Lage ist, die Rechtsstaatlichkeit zu konsolidieren.“




    Die Kultur des Protestes ist für die Rumänen nach 50 Jahren Unterdrückung zur zweiten Natur geworden. Die 1990er Jahre waren geprägt von einer Vielzahl von Protesten, vom konstruktiven friedlichen Protest bis hin zu extrem gewalttätigen Formen. Politische Proteste sorgten jahrelang für Schlagzeilen in Zeitungen sowie in Fernseh- und Radionachrichten. Der 52-tägige Marathonprotest auf dem Universitätsplatz im April–Mai 1990 bleibt der Höhepunkt für Menschen, die glauben, dass es von grö‎ßter Bedeutung ist, Nein“ zu sagen, wenn sie das Gefühl haben, dass Politiker die Gesellschaft nicht auf dem Weg zum Gemeinwohl führen. Man kann sagen, dass die Wiedergeburt des Protestes in Rumänien nach 1989 mit einer Wiedergeburt der Demokratie und einer Form der Politik verbunden war, in der die Menschen nach dem Gemeinwohl streben.

  • Dokumentarfilmfestival fokussiert auf Justiz, Erziehung, Protestkultur

    Dokumentarfilmfestival fokussiert auf Justiz, Erziehung, Protestkultur

    Vom 16. bis 25. März läuft in Bukarest die 11. Auflage des Dokumentarfilmfestivals One World Romania“ zum Thema Menschenrechte. 10 Tage lang werden in acht Sälen in der Bukarester Stadtmitte neue Dokumentarfilme aus aller Welt vorgeführt. Auch bei der diesjährigen Auflage fokussiert das Festival One World Romania“ auf brisante Themen. Die Arbeitsweise der Justiz, die Modernisierung der Erziehungsmethoden, die Umgestaltung der Familie nach neuen Kriterien der Gegenwart gehören zu den Themen, die oft in den rumänischen und internationalen Medien zur Debatte stehen. In diesem Sinne werden im Rahmen des diesjährigen Festivals One World Romania“ diese wichtigen Themen in speziellen Sektionen behandelt. Mehr dazu von Alexandru Solomon, Direktor des Festivals One World Romania“:



    Diese Themen sind sowohl in Rumänien als auch weltweit höchst aktuell. Das Thema Justiz zum Beispiel; es wird so viel darüber geredet, dass es vielen langweilig wurde. Und doch hat dieses Thema nichts an Brisanz verloren, die Lage wurde mit jedem Tag akuter. Nach so vielen Diskussionen und Debatten dachten wir, die Situation hätte sich wieder gelegt, aber das war keineswegs der Fall. Es scheint, dass der Begriff ‚Rechtsstaat‘ in Rumänien weiterhin für Ärger sorgt. Auch die Diskussionen über Gender, Antirassismus und LGBTQ-Gerechtigkeit (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Queer) wurden immer aktueller in der rumänischen Gesellschaft. In den letzten Monaten gab es mehrere Vorfälle in Rumänien, bei denen fundamentalistische Gruppierungen versucht haben, das Vorführen von Filmen zum Thema LGBTQ-Gerechtigkeit zu verhindern. Zum Thema Erziehung und deren Bedeutung in der rumänischen Gesellschaft gibt es auch viel zu diskutieren. Es ist schon klar: Wir müssen mit der Erziehung anfangen, die Erziehung muss eine wichtigere Rolle in unserem Leben spielen, sonst werden wir nichts erreichen.“




    Die 11. Auflage des Internationalen Festival für Dokumentarfilme zum Thema Menschenrechte One World Romania“ hat eine Sektion mit der Bezeichnung Memoria arhivelor de film“ — Gedächtnis der Filmarchive“. Zweck dieser Sektion ist, verschiedene historische Ereignisse und Phänomene ans Licht zu bringen, um die Nuancen der Gegenwart besser zu konturieren. Seit seiner Gründung bemüht sich der Verband One World Romania“, die Dokumentarfilme des ehemaligen staatlichen Studios Alexandru Sahia“ zu retten und dem Publikum vorzuführen. Dazu Andrei Rus, Ko-Direktor des Festivals:



    Es geht dabei um ein breitangelegtes Projekt. Die Sektion »Gedächtnis der Filmarchive« hat einen besonderen Bezug zur diesjährigen Auflage des Festivals »One World Romania«. Wir wollten zeigen, wie die Vergangenheit die Gegenwart und auch die Zukunft beeinflusst. Grundlegend bei der Gestaltung der Sektion »Gedächtnis der Filmarchive« war auch das 100-Jahre-Jubiläum seit dem Entstehen des modernen Rumänien, aber wir wollten keine Feierlichkeiten veranstalten, sondern unseren Zuschauern die Realität präsentieren. »Get real!« (»Zurück zur Realität!«) ist auch der Slogan der diesjährigen Festivalauflage. Auch in anderen Sektionen werden mit Hilfe der vorgeführten Dokumentarfilmegewisse Aspekte der Vergangenheit und deren Einfluss auf die Gegenwart in Frage gestellt. Eine besonders interessante Sektion trägt den Namen »Trecutul prezent« (»Die gegenwärtige Vergangenheit«) und präsentiert 10 Dokumentarfilme aus aller Welt über brisante Themen wie zum Beispiel den Einfluss des Kommunismus und Faschismus auf die Gesellschaft.“




    Eine weitere Sektion der 11. Auflage des Internationalen Festivals für Dokumentarfilme zum Thema Menschenrechte One World Romania“ hei‎ßt Cultura Protestului“ (Protestkultur“); darin werden 5 Dokumentarfilme über verschiedene Protestformen in verschiedenen Ländern gezeigt: Kambodscha (Primăvara cambodgiană — A Cambodian Spring“), Israel (Înainte ca tălpile mele să atingă pământul — Before My Feet Touch the Ground“), Frankreich (Adunarea – L’assemblée“), USA (În stradă — Whose Streets?“) und Rumänien (Portavoce — Megaphone“). Mehr dazu von Alexandru Solomon, Direktor des Festivals One World Romania“:



    Auch wenn sie in den letzten Jahren ziemlich stark waren, stecken jetzt die Stra‎ßenproteste in Rumänien in einer Sackgasse, weil sie eine klare Richtung brauchen. Ich fand es interessant, die Protestkultur zur Debatte zu bringen, und zwar durch Filme, die aus ganz verschiedenen Kulturen der Welt stammen, von Kambodscha bis Rumänien. Bei der jetzigen Auflage von »One World Romania« wollen wir sehen, was die verschiedenen Protestformen bewirkt haben, ob man dadurch einen anderen politischen Diskurs erreicht hat. In diesem Sinne werden wir eine Dokumentation aus Hong Kong vorführen; es geht dabei um Stra‎ßenproteste, die nach und nach zur Gründung einer organisierten politischen Bewegung führten. Ferner wollten wir die Protestaktionen aus einer historischen Perspektive betrachten, wir fokussierten auf das Jahr 1968, mit Dokumentarfilmen über die Proteste der 1960er und 1970er Jahre in Frankreich, Italien und der Tschechoslowakei.“




    1968: După 50 de ani“ (1968: 50 Jahre danach“) ist eine Sektion des Festivals One World Romania“, die an den 50. Jahrestag seit den Studentenprotesten von 1968 erinnern sollte. Diese Studentenbewegungen haben sowohl den Westen als auch den Osten tief geprägt und wichtige Änderungen ermöglicht, sowohl im sozialen Bereich als auch im kollektiven Gedächtnis der neuen Generationen weltweit. Mehr dazu von Andrei Rus, Ko-Direktor des Festivals One World Romania“:



    In der Sektion »1968: 50 Jahre danach« werden wir mehrere Events haben, die mir sehr wichtig sind. Ein Event widmen wir den Studentenbewegungen vor 50 Jahren, die versucht haben, die Welt zu verändern. Wir wollen sehen, wie diese Studentenproteste die gegenwärtige Gesellschaft verändert haben. Dazu veranstalten wir zwei Rundtischgespräche. Das erste findet am Samstag, den 24. März, im Bukarester Kulturhaus ARCUB statt, mit Karel Kovanda, Monika MacDonagh-Pajerová, Protagonisten des Films »Revolte der tschechischen Studenten« der Historikerin Lavinia Betea, und dem Präsidenten des Nationalen Studentenverbands ANSOR, Marius Deaconu. Das zweite Event in der Sektion »1968: 50 Jahre danach« findet am Sonntag, den 25. März, im Französischen Institut Bukarest statt. Der bekannte französische Journalist Bernard Guetta wird über seine persönlichen Erfahrungen im Paris des Jahres 1968 sprechen und erläutern, wie die damaligen Ereignisse die Welt, in der wir leben, beeinflusst haben.“




    Bei der 11. Auflage des Internationalen Festivals für Dokumentarfilme zum Thema Menschenrechte One World Romania“ werden 12 Dokumentarfilme vorgeführt, die in Rumänien produziert oder koproduziert wurden.