Tag: Psychotherapie

  • Psychologie und Psychiatrie in Rumänien: Fachkonferenz legt Altlasten offen

    Psychologie und Psychiatrie in Rumänien: Fachkonferenz legt Altlasten offen

    Gesundheit ist ein Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“, definiert die Weltgesundheitsorganisation. Körperliche Gesundheit und psychisches Wohlbefinden gehören also zusammen: Wer sich psychisch nicht wohlfühlt, ist weder richtig gesund noch leistungsfähig. Psychische Gesundheit ist eine unverzichtbare Grundlage, um im modernen Arbeitsleben zu bestehen und sich beruflich wie persönlich entwickeln zu können.



    Global Shapers Bucharest Hub ist eine Gruppe enthusiastischer junger Menschen, die unter der Leitung des Weltwirtschaftsforums gemeinsam an Lösungen für lokale, regionale und globale Herausforderungen unserer Gesellschaft arbeiten. In Partnerschaft mit der Capital Medical Studentsʼ Society initiierten die Global Shapers eine Reihe von Gesprächen über das kontroverse Thema der psychischen Gesundheit. Ein erstes solches Treffen fand Anfang Februar an der Carol Davila“-Universität für Medizin und Pharmazie in Bukarest statt. Diana Loreta Păun, Präsidialberaterin im Ministerium für öffentliche Gesundheit, spricht über die Hauptprobleme der Psychiatrie in Rumänien:



    Wir haben Probleme im Bereich der Ressourcen. In der Tat sind das die grö‎ßten Probleme des Gesundheitssystems in Rumänien. Ich beziehe mich in erster Linie auf die Humanressourcen, auf die jungen Menschen, die nach Abschluss ihres Studiums das Land verlassen. Es besteht ein gro‎ßes Defizit im Bereich der finanziellen Ressourcen und der Infrastruktur. Auch der Ansatz gegenüber den psychiatrischen Patienten ist begrenzt. Im Allgemeinen entscheiden wir nach der Diagnose über die medikamentöse Behandlung, aber ein richtiger Ansatz umfasst auch den Bereich der Sozialhilfe, der sozialen Reintegration, der Verhaltenstherapie und der Sozialpsychiatrie, Elemente, die in Rumänien leider nicht gut entwickelt sind.“




    In einer jahrzehntelangen Geschichte des Totalitarismus hat die rumänische Psychiatrie Probleme der Herangehensweise und der Vision entwickelt, die noch immer das Leben einer beträchtlichen Anzahl von Patienten beeinflussen. Viele dieser Patienten bleiben aus den gleichen Gründen leider unerkannt. Weitere Details von Diana Loreta Păun:



    Wir leiden immer noch unter Schwächen und Problemen, die uns die Jahre des Kommunismus auferlegt haben. Ich glaube, dass die Diskriminierung und die Stigmatisierung von Patienten mit psychischen Erkrankungen aus dieser Zeit stammt. Au‎ßerdem leben wir in einer Gesellschaft, in der wir zunehmend unter Stress stehen. Das bedeutet Anpassung, und wir passen uns oft nicht an. Wir entwickeln psychiatrische Störungen, wir entwickeln Depressionen, die zum Selbstmord führen können. All diese Dinge müssen berücksichtigt werden, um den besten Ansatz zu finden. Im täglichen Leben sind die Folgen der mangelnden Selbsterkennung bestimmter psychischen Störungen offensichtlich. Die Patienten gehen nicht zum Facharzt, sie vermeiden es, mit einem Psychologen oder mit einem Psychiater zu reden. Deshalb werden sie nicht diagnostiziert und erhalten keine Behandlung.“




    Es gab jedoch bessere Zeiten für die rumänische Psychiatrie. Waren rumänische Fachärzte vor dem Zweiten Weltkrieg nahe daran, sich den westlichen Tendenzen anzuschlie‎ßen, so blieben Ende der 1970er Jahre die Psychologie und die Psychiatrie in einem vom kommunistischen Regime aufgezwungenen Schatten. Darüber spricht der Psychologe Julien-Ferencz Kiss, Autor der Studie Geschichte der Psychoanalyse in Rumänien“:



    Bis Anfang der 1940er Jahre gab es in Rumänien eine sehr starke Tradition der psychologischen Studien. Der Beweis dafür ist, dass in Bukarest der internationale Kongress der Psychologie organisiert werden sollte, aber er fand wegen des Krieges nicht mehr statt. Es war aber das erste Mal, dass ein Land au‎ßerhalb des Westblocks vorschlug, den Kongress zu organisieren. Selbstverständlich sprechen wir über Psychologie im Allgemeinen, nicht über Psychoanalyse. Die Psychoanalyse hat in Rumänien keine Wurzeln geschlagen. Und was nach 1948 geschah, führte sogar zum Ablehnen, zur Leugnung der Psychologie. Es gab eine Zeit, in der man in Rumänien Psychologie nicht mehr studieren konnte. Im Jahr 1977 wurden die psychologischen Fakultäten abgeschafft, und der Beruf des Psychologen wurde aus dem Berufsverzeichnis gestrichen.“




    Leyla Safta-Zecheria, Soziologin an der West-Universität in Timişoara (Temeswar), hat das Problem der Einrichtungen mit psychologischem Profil aus verschiedenen Epochen Rumäniens untersucht. Leider scheinen sich die prekäre Situation und die negative Wahrnehmung des psychiatrischen Medizinsystems bis jetzt nicht wesentlich verbessert zu haben:



    Trotz der fortschrittlichen Idee, die von Prof. Dr. Alexandru Obregia und von Prof. Dr. Constantin Ion Parhon nach dem Ersten Weltkrieg eingerichteten Infrastruktureinheiten für Psychiatrie zu modernisieren, gab es doch keine Verbesserung in diesem Bereich. Prof. Dr. Constantin Ion Parhon notierte in den 1920er Jahren, dass in Socola (einer psychiatrischen Einrichtung in der Nähe von Iaşi, im Nordosten Rumäniens) die hygienischen Bedingungen jämmerlich waren und dass es Probleme mit der Ernährung der Patienten gab, die nur ein Minimum an Nahrung erhielten. Das waren alte Probleme, die im Laufe der Geschichte immer wieder auftauchten und nie richtig gelöst wurden. Jedes politische System, auch das kommunistische, hat sich vorgenommen, die Situation zu verbessern. Das kommunistische Regime hat zum Beispiel das System der Psychiatrieanstalten ausgedehnt. In den 1940er und 1950er Jahren wurden gro‎ße Psychiatrieanstalten eingerichtet, wo sehr viele Patienten versorgt wurden. Es folgte dann die Erweiterung der allgemeinen Krankenhäuser durch psychiatrische Abteilungen und in den 1970er Jahren gab es zum ersten Mal Gemeinschaftsdienste mit Labors für psychische Gesundheit. In den 1990er Jahren gab es mehrere Berichte, die zeigten, dass es Einrichtungen gab, wo psychiatrische Patienten ihrer Freiheit und der grundlegenden Lebensbedingungen beraubt wurden. Ähnliche Situationen gibt es heute noch.“




    Die aktuellen Weltstatistiken zur psychischen Gesundheit sind alarmierend. Medizinische Systeme aus aller Welt stehen vor einer beispiellosen Herausforderung, und Rumänien muss eine medizinische Tradition wiederherstellen, die im Laufe der Geschichte viel zu oft schwierige Zeiten erlebt hatte. Ştefan Bandol ist der Präsident der Vereinigung ARIPI (FLÜGEL“) für Patienten mit psychiatrischen Problemen und erklärt die Bedeutung dieses Bereichs:



    Es ist ein gro‎ßes Problem, mit dem sich alle Menschen überall auf der Welt konfrontieren. Es geht um Diskriminierung und Stigmatisierung. Statistiken der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass in den 1990er Jahren 25% der Weltbevölkerung mindestens einmal im Leben eine psychologische oder psychiatrische Beratung benötigten. In den 2000er Jahren stieg dieser Prozentsatz auf 33%, und nach 2010 besagen die neuesten Statistiken, dass in Zukunft 50% der Bevölkerung des Planeten mindestens einmal im Leben psychiatrische Fachberatung benötigen werden. Wenn man bedenkt, dass jeder von uns ein Familienmitglied, einen Freund oder einen Kollegen mit psychologischen oder psychiatrischen Problemen hat, so ist praktisch die gesamte Bevölkerung des Planeten direkt oder indirekt von diesem Phänomen betroffen.“




    Das Symposium Romania’s Troubled History with Mental Health“ (Rumäniens problematische Geschichte mit der psychischen Gesundheit“), das am 6. Februar stattgefunden hat, war Teil des Projekts Shaping Conversations: Mental Health“ (Gespräche gestalten: psychische Gesundheit“). Mit diesem Projekt stellt der Global Shapers Bucharest Hub wichtige Themen im Bereich der psychischen Gesundheit in den Vordergrund. Weitere Veranstaltungen gibt es am 5. März — The Reality of Mental Health“ (Die Realität der psychischen Gesundheit“) — und am 9. April — Digital Revolution Meets Mental Health“ (Digitale Revolution und psychische Gesundheit“).

  • Bibliotherapie: Wenn gute Bücher weiterhelfen

    Bibliotherapie: Wenn gute Bücher weiterhelfen

    Auch wenn die Zahl der Menschen, die gerne lesen, konstant zurückgeht, gibt es immer noch einige, die sich für Bibliotherapie interessieren. Zumindest ist dieser der Eindruck, der erweckt wird, wenn man das neuerdings auf dem rumänischen Buchmarkt erschienene Angebot untersucht. Es handele sich allerdings nicht um eine neue Idee, sagte uns unsere Gesprächspartnerin, die Buchverlegerin und Bibliotherapeutin Alexandra Rusu:



    Das Konzept der Bibliotherapie haben nicht wir erfunden. Es ist eine ältere Praxis, die schon 1920 in Amerika ausgeübt wurde. Sie entwickelte sich als Abzweigung der Psychotherapie. Sie wurde sogar in Krankenhäusern als Behandlung eingesetzt und führte zu guten Resultaten bei Depressionen. Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass die Bibliotherapie — also die Empfehlung von Büchern je nach psychologischem Profil — positive Ergebnisse ergibt. Sie wurde auch bei den Soldaten, die aus Vietnam zurückgekehrt waren und unter posttraumatischem Stress litten, eingesetzt. Anscheinend lasen diese sehr viel Jane Austin. Das waren die Anfänge der Bibliotherapie. Später wurde die Bibliotherapie aus der Praxis des Psychotherapeuten in die Verlage und Buchhandlungen verlegt. Die Buchhändler begannen, Bibliotherapie auszuüben im dem Sinne, dass sie personalisierte Buchempfehlungen machten. Ich meine, wir alle werden zu Bibliotherapeuten, wenn wir einem Bekannten ein Buch empfehlen, weil wir ihn/sie gut kennen und einen bestimmten Zweck verfolgen.“




    Zwar mag das Konzept alt sein, das Projekt sei allerdings neu, sagte uns unsere Gesprächspartnerin, die die genannte Initiative startete:



    Alles begann mit ein paar Eins-zu-eins-Begegnungen, genau wie bei einer Therapiesitzung und dennoch ohne jegliche Verbindung mit der Psychotherapie. Es handelt sich tatsächlich um Gespräche zur persönlichen Entwicklung. Aber ich bin kein Psychotherapeut. Ich bin Psychologin und Buchverlegerin. Ich empfehle Bücher, je nachdem wie ich meine Kunden aus psychologischer Sicht betrachte, wie ich ihre Persönlichkeit einschätze. Ich führe ein freies, hemmungsloses Gespräch mit meinem Gegenüber und je nachdem, was ich von ihm erfahre, empfehle ich das Buch, das ich für angemessen halte. Ich muss noch betonen, dass bis jetzt nur Frauen zur Bibliotherapie gekommen sind.“




    Wir wollten von Alexandra Rusu erfahren, ob sich viele Menschen für Bibliotherapie interessieren und aus welchen Gründen.



    Die Gründe, aus denen die Leute auf Bibliotherapie zurückgreifen, sind sehr vielfältig. Meistens geht es um Frauen, die auf Schwierigkeiten im Leben stie‎ßen und nicht wissen, wie es weiter gehen soll. Viele machen die sogenannte Midlife Crisis durch. Manche sind vor kurzem Mütter geworden, andere brachten jüngst ihr zweites Kind zur Welt. Und sie erleben eine Zeit, die einen Bruch zur bisherigen Lebensweise oder eine zu ihrem bisherigen Leben entgegengesetzte Fortsetzung voraussetzt. Und sie suchen nach Antworten, einschlie‎ßlich in Büchern. Manchmal empfehlen ihnen ihre Freunde Bücher zum Lesen. Doch sie spüren den Drang, mehr zu gewissen Themen zu lesen, Themen, für die sie sich extra interessieren. Ich bin bereit, mit ihnen über das Thema zu sprechen, um herauszufinden, was sie eigentlich beschäftigt. Die meisten wissen ganz genau, was sie bedrückt. Es gibt auch eine kleinere Gruppe von Menschen, die sich in ihrem beruflichen Bereich spezialisieren und zu dem Thema mehr lesen wollen. Da kennen sie sich besser als ich aus, weil sie ja letztendlich die Fachleute sind. Sie brauchen die Bücher, um ihre Perspektive zu erweitern.“




    Alexandra Rusu meinte, sie glaube nicht zu 100% an Leseempfehlungen, die gezielt für eine bestimmte Altersgruppe oder ab einem bestimmten Alter gemacht werden.



    Ich unterhielt mich vor kurzem zu diesem Thema mit einigen Freunden. Es ging um Literatur für Kinder und Jugendliche und um die Empfehlungen, die die Verlage und die Buchhandlungen diesbezüglich machen. Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, muss ich feststellen, dass die meisten Bücher, die ich als Jugendliche gelesen habe, eigentlich Bücher für Erwachsene waren. Heutzutage würden sie sehr weit von diesem Regal liegen. Also konnte ich mich nicht davon abhalten, zu denken, dass diese Etiketten etwas künstlich sind. Zwar können sie nützlich sein, wenn sich jemand beeilt und schnell ein Buch aussuchen möchte. Oder wenn man etwas will, dass genau einem Rezept entspricht. Sucht man aber einen tieferen Sinn, so sind die Etiketten kaum hilfreich. Nicht einmal bei Kindern helfen sie wirklich weiter. Viele Kinderbücher wurden von Erwachsenen für andere Erwachsene geschrieben, haben also einen doppelten Lektüreschlüssel. Ihr Humor richtet sich vielmehr an die Erwachsene, ist von Kindern schwierig zu verstehen. Im Gegenzug, manche Bücher für Erwachsene, wie zum Beispiel die Dada-Poesie, wird sehr geschätzt von Kindern. Diese Kategorien können einfach ausgetauscht werden. Wir müssen halt unseren Geschmack finden.“




    Was sie den Lesern allgemein zu dieser Jahreszeit zum Lesen empfehlen würde — das fragten wir Alexandra Rusu zum Schluss unseres Gesprächs. Ihre Antwort: Das geheime Leben der Bäume“ von Peter Wohlleben. Warum sollten wir dieses Buch lesen?



    Für die Menschen, die in Rumänien leben und etwas älter als 35 Jahre alt sind, so wie ich, ist es ein sehr spannendes Buch. Es geht um das geheime Leben der Bäume und erzählt über die Bedeutung der Wälder. Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen diesbezüglich in Rumänien, würde ich meinen, dass es ein sehr aktuelles Thema ist. Denn die Wälder sind Gemeinschaften, über die wir nur wenig wissen. Die Bäume kommunizieren untereinander über verschiedene Wege. Es wird viel erzählt über die Bäume, die mehr von der Sonne profitieren und über diejenigen, die vielmehr im Schatten wachsen. Wir erfahren, wie sie manchmal ihre Zweige und Blätter aufgeben, damit auch die anderen, die nicht so viel Sonne hatten, sich an den Sonnenstrahlen erfreuen können. Ich empfehle dieses Buch, wir können so viel daraus lernen. Da geht es nicht lediglich um Biologie, sondern um Gemeinschaft, gegenseitige Unterstützung und Zusammenleben.“




    Und das war eine erste Sitzung Bibliotherapie — unter der Form einer Allegorie des Überlebens.