Tag: Revisionismus

  • Rumänien und Polen zwischen den beiden Weltkriegen: gemeinsames Vorgehen gegen Revisionismus

    Rumänien und Polen zwischen den beiden Weltkriegen: gemeinsames Vorgehen gegen Revisionismus




    Nach Ende des Ersten Weltkriegs änderte sich die Landkarte Europas radikal: Weltreiche wie Österreich-Ungarn, das zaristische Russland und das Osmanische Reich erlebten ihren Untergang, und an ihrer Stelle entstanden Nationalstaaten. Zehn Millionen Menschen hatten ihr Leben im Ersten Weltkrieg verloren, doch trotz der Sehnsucht nach Frieden und Völkerverständigung herrschte auch nach dem verhassten Krieg keine Eintracht zwischen den ehemaligen Kriegsparteien. Die Verlierer suchten mit allen Mitteln nach einer Möglichkeit, die Gebietsverluste — wenn nötig auch mit Waffengewalt — wieder rückgängig zu machen, was schlechthin als Revisionismus bezeichnet wurde. Die Siegermächte und vor allem ihre Verbündeten versuchten ihrerseits, eine neue Politik der Allianzen zu schmieden, um den Revanchismus zu konterkarieren und einen neuen Krieg zu verhindern. Wie die späteren Entwicklungen zeigten, konnte der Zweite Weltkrieg nicht abgewendet werden — mit wenigen Ausnahmen standen sich dieselben verfeindeten Parteien gegenüber und die kriegerischen Auseinandersetzungen hatten noch schrecklichere Folgen.



    Rumänien und Polen hatten gemeinsame Interessen nach 1918, und so kam es zu einer verstärkten Annäherung zwischen den beiden Staaten, zumal es schon im Mittelalter gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen rumänischen und polnischen Staatsgebilden gegeben hatte und es nach dem Ersten Weltkrieg sogar erneut zur Existenz einer kleinen gemeinsamen Staatsgrenze gekommen war. Der Historiker Ioan Scurtu erläutert, wie es zum Brückenschlag zwischen Rumänien und Polen beginnend mit 1921 kam.



    Mit dem Abkommen vom März 1921, das auch eine militärische Komponente hatte, vereinbarte man gegenseitige Hilfe im Fall eines Angriffs Sowjetrusslands an der Ostgrenze. Polen hatte bereits im Ersten Weltkrieg russische und ukrainische Truppen bekämpft und brauchte diese Unterstützung. Und beide Länder wollten einen befreundeten Staat in ihrer Nachbarschaft — Polen zählte also auf ein freundlich gesinntes Rumänien an seiner Südgrenze, ebenso wie Rumänien ein befreundetes Land im Norden brauchte. Das war schon im Mittelalter so gewesen, als das Fürstentum Moldau und das damalige Polen Nachbarstaaten waren.“




    Rumänien und Polen wollten darüber hinaus auch internationale Anerkennung erlangen, und dafür war eine Politik der regionalen Kooperation besonders förderlich. Die zweite Säule der Absicherung der neuen Grenzen und ihrer Anerkennung war die Berufung auf die Prinzipien der Vereinten Nationen, mit denen Europa ein neuer Krieg erspart werden sollte. Doch die Logik des Kriegs war nicht aus der Welt geräumt worden, und so folgte man eher dem Prinzip, dass Frieden nur durch neue Kriegsvorbereitungen gesichert werden könne. Daher erneuerten Rumänien und Polen das militärische Kooperationsabkommen im Jahr 1926. Der Historiker Ioan Scurtu kennt die Details dieses Dokuments:



    Das Dokument sah die Ausarbeitung eines detaillierten Plans zur militärischen Kooperation zwischen den beiden Staaten vor. Und so trafen sich Vertreter der Generalstäbe mehrfach und vereinbarten die konkreten Kooperationsbedingungen. Neu war im Vergleich zum vorangegangenen Abkommen von 1921, dass es keinen ausdrücklichen Bezug auf die Ostgrenze, also jener zur Sowjetunion mehr gab. Im Abkommen von 1926 stand, dass die beiden Staaten sich zu Hilfe eilen würden, wenn ein Drittstaat einen grundlosen Angriff auf einen der beiden Vertragspartner — egal aus welcher Richtung — starten würde. Es ging also um die Kooperation der rumänischen und polnischen Streitkräfte an allen Grenzen.“




    Die verhei‎ßungsvolle militärische Kooperation zwischen Rumänien und Polen sollte jedoch bald vor neue Herausforderungen gestellt werden. Der Historiker Ioan Scurtu erneut mit Einzelheiten:



    Polen hatte einen Gebietsstreit mit der Tschechoslowakei, und die Tschechoslowakei war ebenfalls ein Bündnispartner Rumäniens im Rahmen der sogenannte Kleinen Entente. Aus diesem Grund konnten die rumänisch-polnischen Militärpläne, die u.a. gemeinsame Truppenübungen vorsahen, nicht mehr umgesetzt werden, denn Rumänien wollte sich mit keinem der beiden verbündeten Staaten einen Streit einhandeln. Darüber hinaus gab es zwischen Polen und der Tschechoslowakei auch einen ehrgeizigen Disput, wer als der wichtigste Verbündete Rumäniens zu gelten hat. Als der rumänische Ministerpräsident Take Ionescu Polen und der Tschechoslowakei bereits 1919 vorgeschlagen hatte, eine Allianz vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer zu schmieden, haben beide Staaten diesen Vorschlag abgelehnt. Die Region um Těšín/Cieszyn, über deren Zugehörigkeit sich Polen und die Tschechoslowakei stritten, war besonders reich an Kohle — und Kohleförderung spielte damals noch eine äu‎ßerst wichtige Rolle. Au‎ßerdem hatte die Tschechoslowakei Grenzstreitigkeiten auch mit Ungarn, während Polen keine hatte und befürchtete, dass eine zu enge Kooperation mit der Tschechoslowakei Ungarn feindselig stimmen würde.“




    Mitte der 1930er Jahre wurde die Lage auf dem Kontinent noch dramatischer. Frankreich und Gro‎ßbritannien, die Garanten der Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg, versuchten, das immer aggressiver werdende Nazi-Deutschland durch eine Beschwichtigungspolitik zu bändigen. Doch für Polen war das ein schwacher Trost — das Land war zwischen Deutschland und der Sowjetunion, dem Nachfolgestaat des zaristischen Russland, eingepfercht, und die Gro‎ßmächte hatten sich Polen mehrmals in der Geschichte untereinander aufgeteilt. Von 1795 bis Ende des Ersten Weltkriegs war der souveräne polnische Staat sogar von der Landkarte Europas verschwunden. Daher war Polen in erster Linie darum bemüht, Ruhe an seinen Grenzen zu haben. Dazu gehörte eine Au‎ßenpolitik, die auf Taktieren setzte, wei‎ß der Historiker Ioan Scurtu:



    Die polnische Diplomatie lavierte ziemlich geschickt durch diese Konstellation und sie schaffte es zeitweilig sogar, eine gewisse Nähe zur Sowjetunion zu etablieren und eine Art Nichtangriffspakt zu vereinbaren. Auch mit Deutschland gelang den Polen 1934 ein ähnliches Kunststück: Polen und Deutschland verpflichteten sich, das Pariser Abkommen von 1928 umzusetzen, in dem vorgesehen war, dass Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte zwischen europäischen Staaten ausschlie‎ßlich mit nicht kriegerischen Mitteln beigelegt werden sollen. Vor diesem diesem Hintergrund entfaltete Oberst Józef Beck, der damalige Au‎ßenminister Polens, eine regelrechte Kampagne gegen den rumänischen Diplomaten Nicolae Titulescu, der Präsident der Generalversammlung des Völkerbundes war und eine andere Vision hatte: Ihm schwebte vor, ein staatenübergreifendes Sicherheitssystem zu etablieren, mit dem man Nazi-Deutschland hätte in seine Schranken weisen können. Schlie‎ßlich hat sich diese Taktik Polens als trügerisch erwiesen: Am 1. September 1939 wurde Polen von Nazi-Deutschland angegriffen, und am 17. September marschierten auch sowjetische Truppen in Ostpolen ein.“




    Polen und Rumänien wurden schlie‎ßlich beide Opfer des Hitler-Stalin-Paktes — zunächst Polen im Herbst 1939, danach Rumänien im Sommer 1940. Doch trotz der zeitweiligen Verstimmungen zwischen Józef Beck und Nicolae Titulescu lie‎ß Rumänien die alte Freundschaft auch weiterhin währen: Polen wurde erlaubt, seine politische Führung, Teile der Streitkräfte und seinen Staatsschatz durch rumänisches Staatsterritorium ins sichere Exil zu bringen.

  • Nationalitätenverhältnis in Rumänien 1918-38: Pendeln zwischen Toleranz und Konflikten

    Nationalitätenverhältnis in Rumänien 1918-38: Pendeln zwischen Toleranz und Konflikten

    Wer über das Verhältnis der rumänischen Mehrheitsbevölkerung mit den vielen Minderheiten recherchiert, muss die Umstände berücksichtigen, unter denen der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen war. Zwischen den beiden Weltkriegen kann man über den Daumen gepeilt von guten Beziehungen sprechen, sagt der Historiker Ioan Scurtu: Bei der Pariser Friedenskonferenz von 1919-1920 ist man vom Nationalprinzip ausgegangen: Die neuen Staaten, die nach dem Zusammenbruch des Habsburger Reiches und des Zarenreiches entstanden, sollten Nationalstaaten sein. Die Wirklichkeit zeigte aber, dass keiner der neuen Staaten ethnisch rein sein konnte“, so Prof. Scurtu.




    Auch Rumänien war keine Ausnahme, doch gab es gewisse Unterschiede im Vergleich zu anderen Ländern wie die Tschechoslowakei, Polen oder Jugoslawien. Zwar gab es in Rumänien historisch bedingt viele Minderheiten — in der Dobrudscha wurden vom Osmanischen Reich zwischen 1417 und 1878 Türken und Tataren kolonisiert; das Russische Reich kolonisierte Bessarabien mit Russen, Juden, Ukrainern, Bulgaren und Gagausen. Siebenbürgen hatte Sachsen und Szekler, in der Bukowina waren es Deutsche, Juden und Ukrainer, im Banat Deutsche, Serben und andere Minderheiten. Dazu kommt, dass Rumänen verfolgte Minderheiten hier aufnahmen, zum Beispiel Juden, die vor Pogromen aus Polen oder Russland flüchteten. Doch bei all diesem Flickmuster hatte keine einzige Minderheit mehr als 10 Prozent, führt Prof. Scurtu aus. Problematisch war dabei das Spannungsfeld zwischen der ungarischen Minderheit und dem neuen rumänischen Staat, meint er:




    Aufgrund des Vertrags von Trianon hatten einige der Siebenbürger Ungarn — sogenannte Entscheider — die ungarische Staatsangehörigkeit angenommen und siedelten nach Ungarn um. Bei einer Bodenerform waren Gro‎ßgrungbeseitzer enteignet worden, das Land ging an die Bauern. Natürlich wurden auch ungarische Besitzer enteignet, die Mehrheit waren aber rumänische Landeigentümer. Boden bekamen gleicherma‎ßen ungarische und rumänische Bauern, aber auch Ukrainer, Russen, Bulgaren und andere. Die Entscheider fühlten sich unberechtigt und klagten gegen die rumänische Regierung beim Völkerbund.“ Doch alles sei Propaganda des ungarischen Staates gewesen, der der Welt zeigen wollte, dass es ein Siebenbürgenproblem geben würde, meint der Historiker. Durch die Haager Konvention von 1932 wurde schlie‎ßlich festgelegt, dass die Entscheider von dem ungarischen Staat entschädigt werden sollten, das Geld kam aus den Kriegsentschädigungen, die Ungarn an Rumänien zu zahlen hatte.




    Neben der ungarischen Minderheit gab es auch mit den Bulgaren einige Probleme, meint der Historiker Ioan Scurtu. Durch den Vertrag von Bukarest von 1913, durch den der Zweite Balkankrieg zu Ende ging, bekam Rumänien die Region Süddobrudscha (Cadrilater), wo ein beträchtlicher Anteil Bulgaren lebte. Doch es gab keine eigentliche Mehrheit — weder Rumänen noch Bulgaren noch Türken stellten eine absolute Mehrheit. Es war einfach ein Patchwork der Ethnien. Bulgarien forderte nicht nur diese Region zurück, sondern die gesamte Dobrudscha und setzte bulgarische Bauern [als Aufständische] ein, die die Gemüter erhitzen sollten.“




    Wie der Historiker erklärt, gab es einen Schulterschluss zwischen ungarischen und bulgarischen Revisionisten, die auf eine Zerschlagung des rumänischen Staates aus waren — was 1940 auch eintrat. Doch die rumänische Verfassung räumte sowohl Ungarn als auch Bulgaren und anderen Minderheiten Rechte und Freiheiten ein — zum Beispiel eine Vertretung im Parlament.




    Die jüdische Minderheit hatte unter dem politischen Klima der Zwischenkriegszeit am meisten zu leiden — Juden wurden nicht selten auch ermordert. Doch Prof. Scurtu glaubt, dass das Verhältnis bis etwa 1935 normal war: Es wird meiner Meinung nach überspitzt dargestellt, dass es Konflikte oder Progrome gegeben hat. Ich akzeptiere das nicht, und auch dokumentarische Belege gibt es keine. Nach 1934-1935, vor dem Hintergrund des Aufschwungs rechtsextremer Bewegungen, vor allem nach Hitlers Machübernahme in 1933, gab es in der Tat auch ein Erstarken der Nationalisten, die unter dem Motto »Rumänien den Rumänen!« agierten. Was dann nach 1940 geschah, kann nicht mehr als natürliche Entwicklung der rumänischen Gesellschaft betrachtet werden. Unter dem Militärregime von Ion Antonescu wurden 1941 Ma‎ßnahmen zur Massenvernichtung der Juden getroffen. Sie sind zu verurteilen, denn Juden aus der Bukowina und Bessarabien wurden ohne Rechtfertigung nach Transnistrien deportiert“, so der Historiker abschlie‎ßend.