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  • EU-Gleichstellungsindex: Rumänien Schlusslicht im Kernbereich Gesundheit der Frauen

    EU-Gleichstellungsindex: Rumänien Schlusslicht im Kernbereich Gesundheit der Frauen

    Laut dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen ist der Gesamtwert des Index für die EU seit 2005 um vier Punkte auf 66,2 von 100 gestiegen. Basierend auf diesem Index befassen wir uns im heutigen Sozialreport mit Gleichstellungsfragen im Gesundheitsbereich.



    Fragt man sie nach ihrer Gesundheit und nach ihrem Wohlempfinden, so antworten 65,3% der rumänischen Frauen, dass es ihnen gut oder sogar sehr gut geht. Im Vergleich zu den Frauen sagen 74,8% der rumänischen Männer, sie seien mit ihrem Gesundheitszustand zufrieden oder sehr zufrieden. Laut weiteren Statistiken sind es aber die Frauen, die einen gesunden Lebensstil pflegen. Ein Beispiel: Nur 36,2% der rumänischen Männer haben erklärt, sie seien Nichtraucher und würden keinen Alkohol trinken; bei den Frauen waren es 73,4%. In Bezug auf gesunde Ernährung und Bewegung sieht es aber bei den Männern besser aus: 16% der befragten Männer essen regelmä‎ßig Obst und Gemüse und treiben auch Sport, verglichen mit nur 7,4% bei den Frauen. Das sind nur einige der Angaben über die Gesundheit, die neulich vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE), einer Agentur der Europäischen Union mit Sitz in der litauischen Hauptstadt Vilnius, im Europäischen Index für Gleichstellungsfragen veröffentlicht wurden.



    Der Index gibt einen Wert für die Leistung der Mitgliedstaaten und ihre Erfolge bei der Beseitigung von geschlechtsspezifischen Unterschieden an. Dieser Wert liegt zwischen eins und 100, wobei ein Wert von 100 den Optimalzustand darstellt. Der Index nimmt für die Bewertung nationaler gleichstellungspolitischer Strategien sechs Kernbereiche (Arbeit, Geld, Wissen, Macht, Zeit und Gesundheit) und zwei Satellitenbereiche (Gewalt gegen Frauen und sich überschneidende Ungleichheiten) in den Blick.



    In puncto Gesundheit haben die festgestellten Ungleichheiten hervorgehoben, dass sowohl der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen als auch die Ansicht über die Gesundheitspflege geschlechtsspezifisch sind. Wenn die Jungen schon in einem zarten Alter von ihrem Umfeld dazu ermuntert werden, zu rauchen und Alkohol zu trinken, beweist das eine gewisse Mentalität der Gesellschaft über die Rollen der Männer und der Frauen in der Gemeinschaft, meint Zuzana Madarova, Expertin beim Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen:



    Die sozialen Gendernormen für Frauen in Bezug auf ihre Gesundheit unterscheiden sich von denen für Männer. Das Image einer modernen Frau stellt die Frauen stark unter Druck. Viele Frauen haben Jobs und werden für ihre Arbeit entlohnt, aber sie sind auch für Haushalt und Kinder verantwortlich. Wir müssen die Lage der Frauen in diesem Kontext betrachten. Ferner haben die Frauen viel weniger Zeit für soziale Aktivitäten, für Entspannung, Sport oder kulturelle Aktivitäten. Deshalb sollten wir auch die öffentliche Gesundheitspolitik aus einer Genderperspektive betrachten.“




    In der Europäischen Union leben die Frauen im Durchschnitt 5 Jahre länger als die Männer, aber man sollte auch untersuchen, ob die Frauen, die laut Statistik etwas länger leben, sich auch einer besseren Gesundheit erfreuen. Der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen, der in der EU allgemein gut ist, ist ein wichtiger Teil der Statistik. Zuzana Madarova dazu:



    Wenn wir bestimmte soziale Gruppierungen betrachten, so können wir feststellen, dass die Behinderten es am schwierigsten haben, wenn es um medizinische Dienstleistungen geht. Ferner konfrontieren sich die Alleinerziehenden, vor allem die alleinerziehenden Mütter, mit den grö‎ßten Genderungleichheiten in puncto Zugang zu medizinischen Dienstleistungen. Es gibt mehr als 9 Millionen Alleinerziehende in der EU, und 85% davon sind Frauen.“




    Laut der EU-Statistik haben es die rumänischen Frauen am schlimmsten, wenn es um ihre Gesundheit geht. Im Europäischen Index für Gleichstellungsfragen erhielt Rumänien im Kernbereich Gesundheit 70,4 Punkte und wurde somit zum Schlusslicht Europas. Der EU-Durchschnitt liegt bei 87,4 Punkten. Rumänien belegt leider EU-weit den traurigen 1. Platz bei der Sterberate infolge von Gebärmutterkrebs; die Sterberate der Mütter bei der Entbindung ist auch sehr hoch, und sehr viele Rumäninnen sterben an Brustkrebs. Die Lage ist umso trauriger, da es sowohl gegen Gebärmutterkrebs als auch gegen Brustkrebs Präventionsmittel gibt. Gegen das HPV-Virus, das Gebärmutterkrebs verursacht, können die Mädchen geimpft werden, und das Brustkrebsrisiko wird um 30% vermindert, wenn die Mütter 12 Monate lang ihre Babys stillen. Durch Stillen werden sowohl die Kinder als auch die Mütter gesunder. Die Brustkrebs-Prävention sieht aber auch spezifische Ma‎ßnahmen vor. Ana Măiţă von dem Verband SAMAS zum Schutz der Mütter und Säuglinge, bringt weitere Details:



    Das rumänische Gesundheitsministerium hat ein nationales Programm zur Brustkrebsprävention erarbeitet. Leider haben nicht alle rumänische Frauen Zugang zu diesem Programm — sei es, weil sie nicht darüber informiert wurden, sei es, dass sie die Bedeutung der spezifischen Untersuchungen nicht verstehen und mit ihren Hausärzten nicht darüber sprechen. Die öffentliche Gesundheitspolitik sollte besser orientiert werden, um die Gesundheit der Frauen zu schützen, von der Hervorhebung der Prävention und der Impfung bis zur Gesundheitserziehung in der Schule und in der Gemeinde. Besonders wichtig ist die Erziehung der Mädchen in puncto Fortpflanzung. In Wirklichkeit haben 20% der rumänischen Frauen, die ein Kind bekommen, den ersten Kontakt mit dem Frauenarzt bei der Entbindung. Viele schwangere Rumäninnen gehen zu keiner Schwangerschaftsuntersuchung, obwohl die regelmä‎ßigen Untersuchungen während der Schwangerschaft per Gesetz garantiert und zum grö‎ßten Teil kostenlos sind.“




    Neben der mangelhaften Information und dem schweren Zugang zu medizinischen Dienstleistungen sind auch die sozialen Rollen von Männern und Frauen schwerwiegend, steht noch im jüngsten Europäischen Index für Gleichstellungsfragen. Ana Măiţă dazu:



    Es ist wahr, dass in Rumänien die Last der Haushaltsarbeit von den Frauen getragen wird, und das ist einer der konkreten Gründe, warum die Frauen keine Zeit mehr haben, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Deshalb werden die meisten Frauen, die an verschiedenen Krebsarten erkranken, leider in einer fortgeschrittenen Phase der Krankheit diagnostiziert. Viele Rumäninnen gehen zum Arzt im allerletzten Moment, wenn jede Hilfe zu spät kommt.“

  • Frauenrechte in Rumänien: Sexismus und Diskriminierung kulturell verankert

    Frauenrechte in Rumänien: Sexismus und Diskriminierung kulturell verankert

    Ein sich vor wenigen Jahren zugetragener Vorfall sorgte für Aufregung und Empörung in der rumänischen Gesellschaft. Eine 18-jährige Schülerin aus der Ortschaft Văleni, Landkreis Vaslui, wurde von sieben Jugendlichen vergewaltigt. Nachdem die Richter die Verhaftung der mutma‎ßlichen Täter entschieden hatten, reagierte die Öffentlichkeit mit einer kontrovers geführten Debatte, bei der viele Klischees, Vorurteile und sogar victim blaming“ (Opferbeschuldigung) zu Tage kamen. Viele Stimmen haben damals behauptet, das Mädchen trage die Schuld für die Vergewaltigung, und mit der Verhaftung der mutma‎ßlichen Täter sei das Leben von sieben Familien zerstört worden. Sie beschuldigten das Mädchen sogar der Anstiftung zu sexuellen Handlungen.



    Sexistische Haltungen und Diskriminierungen sind leider auch im Europäischen Parlament anzutreffen. Ein polnischer Abgeordneter sagte unlängst, dass die Frauen weniger als die Männer verdienen müssten, weil sie schwächer, kleinwüchsiger und weniger intelligent seien. Eine ähnliche Behauptung machte auch ein bekannter rumänischer Neurochirurg und Politiker. Dieser sagte, Frauen hätten in der Chirurgie nichts zu suchen. Andreea Bragă, Soziologin vom FILIA-Zentrum, einer regierungsfreien Organisation, die für Gleichberechtigung kämpft, kommentiert die Umstände:



    Solche Äu‎ßerungen sind möglich, weil wir in diesem Bereich ungebildet sind. Wir wurden nicht erzogen, die Gleichberechtigung, den Respekt zwischen Frauen und Männern, die Geschichte des Feminismus, den Beitrag der Frauen zu schätzen. Wir wurden nicht gelehrt, wie gefährlich die Diskriminierung ist. Hinzu kommen die konservativen Stellungen, die die Frauenrechte angreifen. Als Beispiel erwähne ich den Marsch gegen die Abtreibung, der in mehreren rumänischen Städten organisiert wurde. Derartige Veranstaltungen beweisen, dass wir nichts aus der Geschichte Rumäniens gelernt haben. Wir sollten uns daran erinnern, dass in der kommunistischen Epoche die Abtreibungen verboten waren und dass über 10.000 Frauen ihr Leben wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche verloren haben. Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Frauenrechte von den konservativen Positionen immer mehr angegriffen werden. Es gibt leider keine Alternative zu dieser Erziehungsweise. Wir haben Gesetze, wir haben eine Verfassung. Darin steht: Wir sind alle gleich. Die Realität aber sieht ganz anders aus. Es gibt zahlreiche Ungleichheiten.“




    Laut Statistiken wurde eine von vier rumänischen Frauen wenigstens einmal vom Partner physisch oder sexuell belästigt. Laut den neuesten Berichten der Staatsanwaltschaft (2013, 2014, 2015) wächst die Zahl der Opfer von Jahr zu Jahr. Wenn wir über den Arbeitsmarkt sprechen, dann können wir behaupten, dass die Frauen in Rumänien schlechter bezahlt und weniger als die Männer gefördert werden. Der Weltbank zufolge belegt Rumänien den dritten Platz, was die Arbeitslosigkeit der Frauen in der EU anbelangt. So wie Andreea Bragă sagte, muss die Lösung in der Erziehung, in der Bildung gesucht werden.



    Soziologen haben unlängst mehr als 1600 Abbildungen, die in Lehrbüchern vorkommen, untersucht und sind zur Schlussfolgerung gekommen, dass diese traditionelle Rollenbilder und Klischees verbreiten, die der Gleichberechtigung alles andere als dienlich sind, obwohl auch einige progressive Lehrbücher in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Cosima Rughiniş, Soziologin und Initiatorin der Untersuchung, erklärte uns, mit welchen Aspekten sich die Forscher auseinandergesetzt haben: mit der Art und Weise, in der die Frauen und Männer in den Abbildungen dargestellt sind, und mit der bebilderten Darstellung der modernen Technik. Was dabei herauskam: Die Mädchen sind schön, brav, tragen rosa Kleider und haben einen Spiegel oder einer Puppe in der Hand. In Lehrbüchern für ältere Jahrgänge wird die Puppe durch ein Kind und der Spiegel durch einen Topf ersetzt. Jungen hingegen werden mit Vorliebe als rebellisch und wagemutig dargestellt. Sie dürfen ein Schwert besitzen, den Raum erobern oder chemische Formeln entdecken. Die Soziologin Cosima Rughiniş zu den verblüffenden Ergebnissen der Studie:



    Die Realität, die sich aus solchen Bildern ableiten lässt, ist leider völlig verzerrt. Denn es gibt sehr wohl Frauen, die Elektriker, Ingenieure oder Taxifahrer sind. Die Lehrbücher widerspiegeln überhaupt nicht die Realität, den Alltag. Die Lehrbücher helfen den Kindern nicht, die Welt zu sehen, in der ihre Mütter arbeiten. Die Bücher sollten die Perspektive der Schüler über die Welt, in der sie leben, erweitern und die Mädchen ermutigen, auch andere Bestrebungen zu haben, als nur Kinder zu bekommen und zu kochen. Diese Lehrbücher sind also völlig nutzlos in diesem Sinne. Von den alten Lehrbüchern war das zu erwarten, die neuen aber haben uns ebenfalls sehr enttäuscht.“




    Die Abbildungen werden vom Inhalt der Lehrbücher unterstützt. Nehmen wir das Beispiel Literaturlehrbücher: Um neue Inhalte zu vermitteln, müssten die Autoren zu aller erst entdecken, dass es in Rumänien auch Schriftstellerinnen, sogar zeitgenössische Schriftstellerinnen gibt. Die Soziologin Cosima Rughiniş dazu:



    Einerseits gibt es den allgemeinen kulturellen Sexismus, in dem wir leben, der in Rumänien bislang nicht problematisiert wurde. Wenn wir andererseits den Aufbau der Lesebücher betrachten, sehen wir, dass diese überwiegend literarische Texte aus dem 19. Jh. beinhalten, die gewöhnlich von Männern aus ihrer Perspektive geschrieben wurden. Die Vergangenheit wird für unsere Kinder zur Quelle der Realität. Eine mögliche Lösung wäre, dass die Lehrbücher auch Texte beinhalten, die von Frauen geschrieben wurden. Zeitgenössische Autorinnen sollten präsent sein. Die patriarchalische Gesellschaftsordnung, die vor einem Jahrhundert in Rumänien herrschte, ist leider auch in den heutigen Lehrbüchern zu finden. Als Beispiel nenne ich die Lektion über Klassenleiter, Gruppenleiter, Spielleiter aus dem Staatsbürgerkundebuch. Fast alle Lehrbücher stellen die Jungen als Leiter vor, so wie es leider zu erwarten war.




    Wie kann man sich der in den Lehrbüchern dargestellten Mentalität des 19. Jh. entledigen und die Frauenrechte durch die heutige Gesetzgebung besser fördern? Die Soziologin und Frauenrechtlerin Andreea Bragă versucht nun, darauf zu antworten:



    Wir haben zwar ein Gesetz und eine Strategie im Bereich der Chancengleichheit. So lange es aber keinen politischen Willen und keine Menschen gibt, die die Gleichberechtigung als Priorität betrachten, werden wir fast nichts verändern können. Prioritär ist mich die Bekämpfung bestimmter Formen der Gewalt. Alle kennen diese Probleme, doch keiner redet darüber in der Öffentlichkeit. Leider wird sehr selten über Unterkünfte für Frauen, die Opfer der Gewalt sind, gesprochen. In mehr als 13 Landkreisen gibt es überhaupt keine Unterkünfte. Gesetzentwürfe ermutigen in Rumänien die Diskriminierung oder die Belästigung am Arbeitsplatz. Schlussfolgernd meine ich, die Erziehung ist wesentlich. Damit soll so früh wie möglich angefangen werden. Weiter brauchen wir Information und Sensibilisierung in den Reihen der Politiker.“