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  • Samisdat im kommunistischen Rumänien: Die ungarischsprachige Zeitschrift „Ellenpontok“

    Samisdat im kommunistischen Rumänien: Die ungarischsprachige Zeitschrift „Ellenpontok“

    Der einzige Samisdat im kommunistischen Rumänien, der auch über die Landesgrenzen bekannt wurde, war der ungarischsprachige Ellenpontok“ (dt. Kontrapunkte“). Er wurde von einer Gruppe ungarischer Intellektueller verfasst, gebildet aus dem Biologieprofessor Antal Károlyi Tóth aus Oradea (Gro‎ßwardein) und seiner Frau, dem Dichter Géza Szőcs aus Cluj (Klausenburg) und dem Philosophen Attila Ara-Kovács, der die Idee hatte, diese Publikation im Eigenverlag herauszubringen. Ellenpontok“ wurde auch au‎ßerhalb von Rumänien dank der Unterstützung der ungarischen antikommunistischen Opposition gelesen.



    Csongor Jánosi von der Bukarester Universität Bukarest erforscht den Fall des Ellenpontok-Samisdates. Er erklärte, dass die Gruppe sowohl persönliche als auch kollektive Gründe für ihr Handeln hatte.



    Warum erschien dieser Samisdat in Oradea, und nicht in Cluj oder Târgu Mureş? Die Antwort ist: Neben der persönlichen Motivation der zukünftigen Redakteure war »Ellenpontok« eng mit dem gescheiterten Versuch verbunden, im Sommer 1980 in Oradea eine ungarischsprachige Kulturzeitschrift zu gründen. Die Initiatoren der Aktion verfassten ein Memo an das Zentralkomitee der Rumänischen Kommunistischen Partei und an den Schriftstellerverband in Bukarest. Sie wollten eine Redaktion nach dem Modell der Zeitschrift »Korunk« aus Cluj oder »Igaz Szó« in Târgu Mureş. Es gab auch einen Notfallplan, der vorsah, dass die Zeitschrift als Beiheft zur rumänischen Kultur- und Literaturzeitschrift »Familia« in Oradea erscheint.“




    Laut Jánosi war dies der Schlüsselmoment, als die Initiatoren sagten, sie müssten etwas Illegales tun, wenn es legal nicht möglich gewesen war. Der 28-jährige Ara-Kovács überredete Szőcs, daran teilzunehmen. Das Ehepaar Toth schloss sich ihnen 1982 an. Csongor Jánosi erläutert auch die Anfänge der Zeitschrift:



    Die Redaktion nahm ihre Tätigkeit im Februar 1982 auf. Die meisten Texte wurden von Ara-Kovács gesammelt, die Redakteure in Oradea waren für die Strukturierung und Vervielfältigung der Zeitschrift verantwortlich. Zudem verteilten sie die Zeitschrift in Oradea und Ungarn, und Szőcs beschäftigte sich mit dem Vertrieb in der Region Cluj und im Szeklerland. Das Prinzip der Herausgeber war, offen über die Bedingungen zu sprechen, in denen sie lebten. Ara-Kovács schrieb einen allgemeinen Text, der auf dem zweiten Umschlag jeder Ausgabe erschien. Der erste Teil dieses Textes kann als »Credo« des Magazins betrachtet werden, das ich folgenderma‎ßen zusammenfasse: »Kontrapunkte« ist ein Samisdat-Magazin, dessen Herausgabe gelegentlich ist. Wir wollen die Menschenrechtsverletzungen in Mittel- und Osteuropa und die politische, wirtschaftliche und kulturelle Unterdrückung der Ungarn in Siebenbürgen bekannt machen.“




    Als Inspirationsquelle für die Zeitschrift dienten ungarische und polnische Samisdat-Veröffentlichungen, wie auch die Oppositionsbewegungen in diesen Ländern. Ein Drittel der Artikel in Ellenpontok“ wurde aus ausländischen Samisdat-Zeitschriften übernommen, die Hälfte der Originalartikel wurde von Ara-Kovács geschrieben. Csongor Jánosi über die Herausgabe und den Inhalt des Magazins:



    Die ersten sechs Ausgaben wurden in jeweils fünf Exemplaren mit einer geheimen Schreibmaschine vervielfältigt, die Ara-Kovács illegal aus Ungarn mitgebracht hatte. Da sie nicht bei der kommunistischen Polizei registriert war, konnte man sie nicht anhand der Buchstaben im Text identifizieren. Die ersten fünf Nummern wurden von Ara-Kovács geschrieben und von Ivona Tóth vervielfacht. Die 6. Ausgabe wurde dann von Antal Károlyi Tóth geschrieben. Die Nummern 7 und 8 wurden in 50 Exemplaren vom Ehepaar Tóth im Keller ihres Hauses mit einem polnischen Multiplikator vervielfacht. Die Zeitschrift hatte je nach Ausgabe zwischen 14 und 56 Seiten. Nummer 8 erschien im Oktober 1982 und war das Werk von Antal Károlyi Tóth. Es umfasst das Memorandum und den politischen Programmvorschlag. Die beiden Dokumente formulierten alternative politische Anforderungen und kritisierten die Politik der osteuropäischen Regime. Diese Dokumente sind bekannt geworden, weil sie den Botschaften der USA, Gro‎ßbritanniens, Finnlands, Frankreichs, Westdeutschlands und Österreichs geschickt wurden. Die beiden Dokumente trafen beim Madrider Treffen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ein. Auf dessen Tagesordnung standen die Verbesserung der Beziehungen und die Umsetzung der Helsinki-Schlussakte.“




    Zwischen März und Oktober 1982 erschienen 8 Ausgaben mit 65 Artikeln, insgesamt 293 Seiten. Die letzte Ausgabe, Nummer 9, hatte 24 Seiten. Die ungarische Redaktion von Radio Freies Europa begann dem Samisdat mehr Aufmerksamkeit zu schenken. So begann die Securitate, die Sicherheitspolizei, die Autoren der illegalen Zeitschrift aktiver zu überwachen. In kurzer Zeit, im Herbst 1982, hat die Securitate-Niederlassung in Cluj Informationen erhalten, die zur Durchsuchung der Wohnung von Szőcs führten. Bei der Durchsuchung wurde die Zeitschrift gefunden. Dann folgte das Haus der Familie Tóth in Oradea und die Wohnungen weiterer Leute, die das Samisdat besa‎ßen. Csongor Jánosi gibt uns weiter Auskunft:



    Es ist jedoch sehr interessant, dass die Redakteure der Zeitschrift nicht verhaftet, sondern auf freiem Fu‎ß gelassen wurden; und sie durften sich auch verteidigen. Im Januar, Februar, März 1983 mussten sie Erklärungen abgeben, schlie‎ßlich wurde am 17. Mai 1983 ihr Fall abgeschlossen und sie wurden freigesprochen. Alle Beteiligten wurden in das Securitate-Hauptquartier in Cluj und Oradea berufen und verwarnt. Es wurden keine strafrechtlichen Ma‎ßnahmen ergriffen, weil es nicht den Interessen des Regimes diente, dass der Samisdat zu einem bekannten Fall wird und die Beteiligten zu Märtyrern erklärt werden.“




    Die Geschichte der mutigen Autoren des Ellenpontok-Samisdats endete, wie in so vielen anderen Fällen, mit der Emigration. Sie wanderten nach Ungarn aus, Ara-Kovács 1983, das Ehepaar Tóth 1984. Szőcs übersiedelte 1986 nach Westdeutschland. Nach der Wende von 1989 kam dieser zurück nach Cluj.

  • Samisdat im kommunistischen Rumänien

    Samisdat im kommunistischen Rumänien

    Im Kommunismus kontrollierte die Zensur alle gedruckten Texte. Der Samisdat als subversives Kommunikationsmittel verbreitete regimekritische Ideen und Einstellungen und schlug politische und wirtschaftliche Reformen vor. Die Herkunft des Begriffes ist russisch (Kurzform von Samoisdatelstwo = Selbstverlag“) und zeigt, dass ein Text nicht offiziell von einem Verlag, sondern heimlich vom Autor veröffentlicht wurde. Bekannte Samisdat-Autoren sind der sowjetische Arzt und Schriftsteller Wladimir Bukowski und der tschechische Dramaturg Václav Havel.



    Auch in Rumänien entstanden mehrere Samisdat-Werke, aufgrund des sehr restriktiven Ceauşescu-Regimes war das Phänomen aber beschränkt. Um Samisdat-Veröffentlichungen zu bekämpfen oder vorzubeugen, verpflichtete das Regime in den 1980er Jahren alle Bürger, die eine Schreibmaschine besa‎ßen, ihre Maschinen anzumelden und ein Druckmuster bei der Miliz vorzulegen. Trotzdem gab es Versuche, mittels im Samisdat veröffentlichter Schriften zur Verteidigung der Menschenrechte und zur Gründung von geheimen Widerstandgruppen aufzurufen. Eine dieser Untergrundorganisationen war die Union der Ungarn in Siebenbürgen, die vom Philosophie-Professor Ernő Borbély gegründet wurde. Dieser wurde 2002 vom Zentrum für Mündliche Geschichte des rumänischen Rundfunks interviewt. Ernő Borbély berichtete über die von ihm gegründete Organisation und erinnerte sich an Samisdat-Aktivitäten:



    Infolge mehrerer Gespräche mit Kollegen und Freunden, mit mehreren Intellektuellen in Rumänien, und nachdem ich mehrere Samisdat-Schriften, die wir aus dem Ausland bekamen, gelesen hatte, habe ich diese Untergrundorganisation gegründet. Eines Tages haben wir uns gesagt, wir müssten auch etwas unternehmen. Das Gefühl, nichts unternehmen zu können, war erdrückend. Deshalb haben wir beschlossen, eine Organisation zu gründen. Die Samisdat-Schriften bekamen wir in erster Reihe aus Ungarn, andere kamen aus Österreich und Frankreich. Die rumänische Diaspora-Gemeinde in Frankreich war sehr stark und es gab Samisdat-Schriften, die das kommunistische Regime attackierten. Sie versuchten die Mängel des kommunistischen Regimes und die Diktatur in Rumänien objektiv darzustellen. In Ungarn gab es schon seit Anfang der 1970er Jahre eine solche Bewegung. Dort gab es etwas mehr Freiheit. Auch wenn die Oppositionellen immer verfolgt und bespitzelt wurden, hatten sie viel mehr Spielraum. Das Regime war nicht so steif und es erschienen sehr viele Samisdat-Schriften. Die meistern wurden von Philosophie- und Soziologie-Universitätsprofessoren geschrieben.“




    Während des Kommunismus wurden alle, die ohne offizielle Genehmigung einen Verein gründeten, als Staatsfeinde angesehen und ins Gefängnis gesteckt. Ernő Borbély wusste von Anfang an, dass der kommunistische Staat in Rumänien viel mächtiger als im Nachbarland war, und wollte daher nur eine kleine Untergrundgruppe gründen.



    In unserer Organisation wollten wir nicht allzu viele Mitglieder haben, wie es in politischen Systemen üblich ist, mit vielen Partei- oder Vereinsmitgliedern. Es war ein etwas engerer Kreis, der Kern bestand aus drei Personen, die über viele Kontakte verfügten. Ich führte auch Gespräche mit Regimekritikern, die damals schon bekannt waren, so zum Beispiel mit Károly Király. Aber den Kern der Organisation bildeten ich, Katalin Biró und László Buzás. Wir wussten, dass sie uns jederzeit schnappen könnten, die Securitate war wachsam und hatte viele Informanten in den Reihen der Bevölkerung.“




    Welches war aber überhaupt das Ziel der Organisation? Ernő Borbély erinnert sich weiter:



    Wir wollten mehrere Texte, die auch in Samisdat-Form von Experten in unterschiedlichen Bereichen geschrieben wurden, veröffentlichen. Weiter wollten wir noch unsere eigenen Samisdat-Schriften schreiben und eine gewisse Gegenpropaganda in Umlauf bringen. Natürlich konnten wir unsere Propaganda nicht direkt führen, aber wir wollten Programmschriften und kleine Zeitschriften in unterschiedlichen Ortschaften verbreiten. Wir wollten auch, dass diese den Westen, und insbesondere die Radiosender Deutsche Welle, Freies Europa und die Stimme Amerikas erreichen, damit diese dann in die Heimat ausgestrahlt werden. Durch diese Methode hätten wir versucht, eine bestimmte Propaganda für uns zu machen, die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Wären wir nicht entdeckt, hätten wir mehr Anhänger gewonnen. Mit Freunden im Westen hätten wir uns in der Öffentlichkeit als offizieller Verein vor der ganzen Presse erklären können. Zwei-drei Leute konnte man schnell ausschalten, 50-100 zu beseitigen, wäre schwieriger gewesen.“




    Der Samisdat war mehr als eine einfache Möglichkeit, Programmschriften zu verbreiten, er war das Röntgenbild eines todgeweihten Regimes. Wir haben Borbély auch nach dem Inhalt der Samisdat-Schriften gefragt, die er verfasst hat.



    In erster Reihe handelten die Texte von Freiheit: von der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit, der Reisefreiheit. Wir wollten eine Studie über die Abkommen, die Ceauşescu in Helsinki gerade unterschrieben hatte und die in Frankreich veröffentlicht wurde, herausgeben. Separat wollten wir auf einem Blatt die Menschenrechte drucken. Dann gab es noch soziale Themen und Themen, die die Jugend betrafen. Auch wenn wir ein Verein von Rumänienungarn waren, waren wir uns dessen bewusst, dass die ganze Bevölkerung im Land zu leiden hatte. Ohne die Lösung der grundsätzlichen Probleme hätte man die Probleme der ungarischen Minderheit nicht lösen können.“




    Der Samisdat stellte in Rumänien einen Versuch dar, die Bevölkerung mit dem Ziel zu mobilisieren, zivilen Widerstand gegen die Missbräuche des Regimes zu leisten. Auch wenn der Samisdat in Rumänien nicht so verbreitet wie in der Sowjetunion, in Ungarn, in der Tschechoslowakei oder Polen war, gab es auch hierzulande Regimegegner, die entschlossen waren, etwas zu ändern.