Tag: Selbstverbrennung

  • Proteste im Kommunismus: Liviu Babeş – der Märtyrer aus der Zivilgesellschaft

    Proteste im Kommunismus: Liviu Babeş – der Märtyrer aus der Zivilgesellschaft

    Der 2. März 1989, im Skiort Poiana Brașov bei Kronstadt: Hunderte von Touristen beobachten mit Entsetzen, wie ein Mann auf Skiern in Flammen aufgeht und eine der Pisten hinunterrast. Dann sehen sie, wie der Mann unter einem Baum zusammensackt, rauchend und schreiend. Er hat noch die Kraft, ein Stück Karton unter seiner zerfetzten Jacke hervorzuholen, auf dem steht: Stop Murder. Brașov = Auschwitz“. Es ist eine Botschaft zur Solidarisierung mit dem antikommunistischen Streik und anschlie‎ßenden Arbeiteraufstand vom November 1987 in Kronstadt, der blutig niedergeschlagen worden war.



    30 Jahre nach der extremen Geste ist die Aktion von Liviu Babeş schwer nachvollziehbar. Es war ein Schrei der Verzweiflung und Hilflosigkeit gegenüber der Passivität und fehlenden Perspektiven im damaligen Rumänien. Liviu Babeş hat sein eigenes Leben geopfert und ist somit zum Märtyrer des zivilen Widerstands geworden — wie andere Menschen im Kommunismus auch. Etwa die Tschechen Jan Palach, Evžen Plocek und Jan Zajíc, der Pole Ryszard Siwiec, der Litauer Romas Kalanta, der Ukrainer Oleksa Hirnyk oder der Ungar Sándor Bauer.



    Liviu Babeş war am 10. September 1942 geboren und arbeitete als Elektriker in einem Werk für Halberzeugnisse in Kronstadt. Ferner war er auch Hobbymaler. Auf der Rückseite seines letzten Bildes hatte er diskret auf deutsch das Wort Ende“ hingekritzelt — nur einige Wochen vor dem Höhepunkt seiner Existenz. Babeş war von der Verschlechterung der politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und moralischen Situation der 1980er Jahre zutiefst mitgenommen. Der Streik der Arbeiter in den Werken Steagul Roşu und Tractorul hatte ihn in seinem Tatendrang bestärkt. Am meisten war er wegen der Passivität der Menschen bedrückt, diese stellte er nach Aussagen seiner Frau oftmals in Frage.



    Der Journalist und Schriftsteller Mircea Brenciu ist Autor des Bands Der Märtyrer“, der Liviu Babeş gewidmet ist. Er habe sich verpflichtet gefühlt, dieses Buch zu schreiben, gleichzeitig sei es auch eine Ehre für ihn gewesen, erzählt Brenciu. Babeş sei ein echter Intellektueller gewesen, seine Geste habe eine starke zivile Botschaft übermittelt, glaubt der Schriftsteller.



    Babeş war ein Intellektueller, ein sehr raffinierter sogar. Er hatte eigene Ausstellungen, er verkaufte seine Bilder, er war recht bekannt im damaligen Kronstadt. Seine Haltung und Geste waren symbolhaft für eine Erlösung, es war eine Geste, die nur ein Intellektueller hätte machen können. Babeş gehörte der rumänischen Elite an, die die Schandtaten der Kommunisten nicht mehr ertragen konnte. Aber gleichzeitig war er eng an die Massen angeschlossen, weil er beruflich Elektrikermeister in einem Werk für Halberzeugnisse war und mit einfachen Menschen zusammenarbeitete. Er stellte die Verbindung zwischen zwei sozialen Klassen her. Seine Geste hat einen gro‎ßen kulturellen Wert, sie wurde infolge einer sehr aufmerksamen Beobachtung begangen. Er plante seine Tat mit gro‎ßer Sorgfalt und die Botschaft, die er im Augenblick der Selbstverbrennung auf der Skipiste übermittelt, zeugt von einem kulturellen Niveau. Das Kartonschild, auf dem steht: »Stop Murder. Braşov = Auschwitz« — ist nicht das Werk eines einfachen Menschen.”




    Im Jahr 1968 hatte sich der tschechische Student Jan Palach in Prag selbst angezündet, als Zeichen des Protests gegen den Eingriff der Truppen des Warschauer Paktes zur Unterdrückung des Prager Frühlings. Mircea Brenciu sieht allerdings einen Unterschied zwischen der Geste Palachs und jener von Babeş.



    Aus Sicht der Umsetzung, der Vorbereitung, ist die Tat von Babeş stärker. Sie trägt heldenhafte Züge, wie in einer antiken Tragödie. Jan Palach begeht seine Geste in einem Moment der psychischen Explosion, eines Kontrollverlustes. Babeş tut es nach einer nüchternen Planung. Bevor er sich im Skiort selbst anzündet, trifft er viele Bekannte, plaudert und scherzt mit ihnen, als ob das Leben seinen gewöhnlichen Weg gehen würde. Er ist sich bewusst, dass unter den damaligen Bedingungen einer strengen, ja gar wahnsinnigen Verfolgung durch die Securitate, er seine Geste hätte nicht ankündigen können. Sie hätte nicht dieselbe Einschlagskraft gehabt. Es war bekannt, dass die Spitzel unter uns lebten, und er musste vorsichtig handeln, um nicht aufzufliegen. Palach begeht seine Geste inmitten von Hunderten und Tausenden von Tschechen, die gegen die Invasion protestieren, während Babeş sie alleine begeht, angesichts der schrecklichen Diktatur Ceauşescus.




    Beim Schreiben seines Buchs Der Märtyrer“ habe sich vor allem die Recherche, die Suche nach den Quellen als schwierig erwiesen, sagt der Autor Mircea Brenciu.



    Von dem Moment seiner Selbstverbrennung und dem Transport im Krankenwagen an, wei‎ß niemand mehr, was mit ihm passiert ist. Dieser Mann ist seltsamerweise sehr schnell verstorben, für einen Menschen mit seinen Brandwunden. Ein Mensch mit gro‎ßflächigen Hautverbrennungen stirbt nicht am gleichen Tag. Menschen mit schlimmen Hautverbrennungen halten einige Tage aus, bis schlie‎ßlich ihre Nieren versagen. Aber Babeş ist am gleichen Tag gestorben. Und als er für die Bestattung nach Hause gebracht wurde, wurde der Familie untersagt, den Sarg aufzumachen. Eine Exhumierung könnte helfen, aber ich bezweifle, dass man wirklich neue Erkenntnisse daraus schlie‎ßen könnte. Das sind reine Spekulationen.“




    Liviu Babeş wurde in einer relativ isolierten Ecke des Stadtfriedhofs von Kronstadt, unter der strengen Aufsicht der Securitate, bestattet. Zwölf Stunden nach dem Ereignis berichtete der Radiosender Freies Europa darüber und so erfuhr die freie Welt die Geschichte des Märtyrers von vor 30 Jahren.

  • Die neuen Revolutionen und das Internet

    Die neuen Revolutionen und das Internet

    Im Dezember 2010 verbrannte sich Mohamed Bouazizi, ein tunesischer Obsthändler, auf der Stra‎ße als Protest gegen das Regime des damaligen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali. Drei Wochen später starb Bouazizi. Weitere zehn Tage danach legte Ben Ali nach 23 Jahren sein Amt nieder. Die Selbstverbrennung von Mohamed Bouazizi gilt als Urprung der tunesischen Revolution und des arabischen Frühlings.



    Nach zweieinhalb Jahren, in denen Volksrevolten eine Welt, die unbeweglich schien, erschüttert haben, scheinen die jüngsten Proteste in der Türkei als Modell die Revolten des arabischen Frühlings zu haben. Dieser stürzte mehrere autoritäre Regimes im Nahen Osten. Die sozialen Netzwerke spielten sowohl in den arabischen Staaten als auch in der Türkei eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung der Demonstranten.



    Die Rolle der sozialen Netzwerke erläutert Universitätslektor Eugen Lungu:



    Wenn wir über die Elemente sprechen, die diese Volksrevolten in der arabischen Welt begünstigt haben, können wir sagen, dass diese zum ersten Mal von den sozialen Netzwerken, vom Internet und von der Mobiltelefonie extrem begünstigt wurden. 1989 konnten die Ost- und Mitteleuropäer das Internet nicht benutzen. Auch wenn die arabische Welt ein traditionalistischer Raum ist, ein Wirtschatsraum, der gegenüber anderen Regionen der Welt zurückgeblieben ist, wurde er der Globalisierung ausgesetzt. Das Internet hat sich erheblich entwickelt. Das Internet hat die Lage und die Abwicklung dieser Revolten in Libyen, Agypten und Syrien sehr begünstigt. Es hat das Senden von Nachrichten mittels der Sozialnetzwerke erlaubt. So konnte sich eine sehr gro‎ße Menschenmenge auf dem Tahrir-Platz oder auf einem anderen Platz der Stadt versammeln. Es wurden auf dieser Weise wichtige soziale Kräfte mobilisiert, die dann eine entscheidende Rolle beim Sturz der autokratischen Regime gespielt haben.“



    Dass moderne Kommunikationsmittel wie Facebook oder Twitter bei der Organisierung der Revolten geholfen haben, beweist auch die Reaktion der Regierungen mehrerer Länder, die von Protesten erschüttert wurden: Der Zugang zu diesen Sozialnetwerken oder zum Internet selbst wurde gekappt. Zugleich wurde der Zugang zur internationalen Presse stark eingeschränkt. Die Reporter mehrerer ausländischer Fersehsender hatten ebenfalls zu leiden. Professor Eugen Lungu über die Folgen des arabischen Frühlings:



    Ich würde sagen, die ersten Folgen sind auf interner Ebene zu sehen. Der Sturz dieser autokratischen Regime öffnet den Weg der Modernisierung dieser Gesellschaften. Die Ägypter, die Libyer, die Syrer leben heute in fortgeschrittenere Gesellschaften. Heutzutage verbindet sie das Internet an das Geschehen in der westlichen Welt. Eine erste Folge wäre also der Anfang der Modernisierung dieser Gesellschaften, die Eröffnung des Wegs zur Demokratisierung. Aber hier gibt es ja auch die Diskussion, ob diese mehrheitlich islamischen Gesellschaften die Etappen der Demokratisierung überhaupt durchgehen können, ob der Ausgangspunkt die demokratischen westlichen Modelle sein kann. Eine andere Folge betrifft die Sicherheit. Ich würde sagen, dieser spektakuläre Wandel im Nahen Osten und in Nordafrika bringt für Sicherheitsspezialisten zahlreiche Probleme mit sich.“



    Über die Ursachen der Volksaufstände in der arabischen Welt wurde und wird auch heute noch diskutiert. Einige Spezialisten sind der Ansicht, der wirtschaftliche Faktor hätte eine entscheidende Rolle gespielt, andere glauben, dass die politischen Faktoren das Sagen hatten. Weiter werden auch geopolitische Aspekte und die Religion miteinbezogen. Zugleich müsse man nicht vergessen, dass die autokratischen oder diktatoriellen Regime in der arabischen Welt schon einige Jahrzehnte alt waren, meint Professor Lungu. In der Türkei aber hat die Revolte einem Teil der türkischen Gesellschaft gehört: insbesondere den Anhängern der säkulären Parteien, dem kemalistischen Teil der Gesellschaft.



    Auch in der Türkei spielten die Kommunikationsmittel und die Sozialnetzwerke eine entscheidende Rolle in der Organisierung der Proteste. Die Revolutionen haben sich geändert. Alles wird live im Internet übertragen und jeder Bürger kann seine Meinung gleich und frei äu‎ßern. Durch Kommunikation, Internet und Mobiltelefonie werden wir alle Bürger der globalen Welt.