Tag: Sonia Delaunay

  • Jubiläumsausstellung: 100 Jahre Dadaismus

    Jubiläumsausstellung: 100 Jahre Dadaismus

    Dieses Jahr feiert die Kulturwelt 100 Jahre Dadaismus — aus diesem Anlass wurde neulich im Bukarester Kulturzentrum ARCUB die Ausstellung TZARA.DADA.ETC. eröffnet. Der Kunsthistoriker Erwin Kessler stellte die Ausstellung mit Stücken aus der Sammlung der Familie Emilian Radu zusammen. Es handelt sich um die wichtigste Retrospektive mit Kreationen und Publikationen des dadaistischen Schriftstellers Tristan Tzara in Rumänien. Gleichzeitig ist die Ausstellung TZARA.DADA.ETC. die erste Ausstellung weltweit, die einen Gro‎ßteil der Erstausgaben von Tzaras Werken mit Illustrationen von wichtigen internationalen Künstlern präsentiert. Die Ausstellung ist auch eine Hommage an die Eröffnung des Cabarets Voltaire und die Geburt der Dada-Bewegung am 5. Februar 1916 in Zürich. Zu den wichtigsten Dada-Texten von Tristan Tzara zählen La Première Aventure céleste de Monsieur Antipyrine“ (Das erste himmlische Abenteuer des Herrn Antipyrine“), von 1916 und Vingt-cinq poèmes“ (25 Dichtungen“) von 1918 sowie die Manifeste der Dada-Bewegung: Sept manifestes Dada“ (Sieben Dada-Manifeste“) von 1924. Weitere Werke von Tristan Tzara, die besichtigt werden können, sind LHomme approximatif“ (Der ungefähre Mensch“) von 1931, Parler seul“ (Selbstgespräche“) von 1950 und La Face intérieure“ (Die innere Seite“) von 1953. Erwin Kessler, der Kurator der Ausstellung TZARA.DADA.ETC., mit weiteren Details:



    Es ist schon etwas Besonderes, dass ein junger Mann aus Rumänien, der in November 1915 Bukarest verlässt, am 5. Februar 1916 die gro‎ße Bühne der internationalen Kunst und Kultur betritt und eine neue Kulturbewegung mitbegründet. Das ist auch die These unserer Ausstellung, nämlich, dass Anfang 1916 der Dadaismus in einem Inspirationsmahlstrom entstand, und dass die aus Rumänien stammenden Schriftsteller und Künstler Tristan Tzara, Marcel Iancu und Arthur Segal in einem unglaublichen Wirbel die Dada-Bewegung geschaffen haben. Die Ausstellung im Bukarester Kulturzentrum ARCUB präsentiert etwa 100 Stücke aus der Sammlung Emilian Radu. Der Bukarester Sammler Emilian Radu hat in den letzten Jahren viel Mühe und viel Geld aufgeopfert, um zahlreiche Dokumente über Tristan Tzara und die Dada-Bewegung zusammenzustellen. Das sind einmalige Originalstücke — viele davon wurden noch nie öffentlich gezeigt, auch wenn sie für den Dadaismus von gro‎ßer Bedeutung sind. Ein relevantes Beispiel wäre ein Brief von Tristan Tzara an André Breton aus dem Jahr 1919. Es ist ein enorm wichtiger Brief, den Tzara auf einem zerrissenen Blatt aus seinem ersten Buch, »25 Dichtungen«, geschrieben hat. In diesem Brief arrangiert er seine Reise nach Paris und somit die Umsiedlung der Dada-Bewegung von Zürich nach Paris.“




    Auf dem Gipfel seines Erfolges beschlie‎ßt Tristan Tzara, sich vom öffentlichen Leben zurückzuziehen. In einem Interview mit seinem Freund Ilarie Voronca für die bekannte Avantgarde-Publikation Integral“ sagte Tristan Tzara: Ich schreibe, um Menschen zu entdecken. Und ich habe in der Tat Menschen entdeckt, aber diese Menschen enttäuschten mich so sehr, dass dieser Beweggrund wie der Raureif aus meinem Horizont, aus meinem Interesse verschwunden ist. Die Tatsache aber, dass ich heute noch das Objekt meines Interesses doch als meiner Aufmerksamkeit würdig betrachte, macht mich noch viel trauriger. Es ist mir endlich klar geworden, dass die anderen nur schrieben, wenn nicht unbedingt um auf die soziale Leiter hochzuklettern, dann mindestens um in die Bank ihrer Beziehungen ein Anlagekonto zu machen, welches ihnen eines Tages das Tor einer Akademie aufmacht, die mir nichts bedeutet. Ich schreibe weiter für mich selbst, und weil ich keine Menschen finde, suche ich ständig nach mir selbst. Im Gegenteil zu den verbreiteten falschen Gerüchten, laut denen Dada durch den Rücktritt einiger Individuen gestorben wäre, bin ich derjenige, der Dada absichtlich getötet hat, weil ich der Ansicht war, dass der damalige Zustand der individuellen Freiheit letzten Endes sich in einen kollektiven Zustand verwandelt hatte, und dass die verschiedenen ‚Präsidenten‘ angefangen hatten, ähnlich zu fühlen und ähnlich zu denken. Und nichts ist mir unsympathischer als die Gehirnfaulheit, welche die individuellen Bewegungen vernichtet, sich dem Wahnsinn nähert und gegen das allgemeine Interesse verstö‎ßt.“ Hören wir noch einmal Erwin Kessler, den Kurator der Ausstellung TZARA.DADA.ETC.:



    Tristan Tzara war in der Tat extrem enttäuscht, und in Bezug auf diese Enttäuschung kann ich Ihnen einen weiteren Brief aus dieser Sammlung und implizit aus dieser Ausstellung zeigen. Es ist ein Schriftstück von Tristan Tzara an einen Angestellten des französischen Pressebüros, welcher Dokumentation über den Dadaismus zusammenstellte. Als dieser Angestellte ihm 1928 eine Akte über Dada schickte, antwortete Tristan Tzara voller Traurigkeit, er möchte nichts mehr über Dada und Dadaismus erhalten, sondern nur Dokumentation über sich selbst. Nach dieser tiefen Enttäuschung hatte er sich vom Dadaismus, seiner eigenen Kreation, getrennt. Dadaismus war eigentlich eine Unternehmung gewesen — eine Unternehmung zur Bezugsherstellung, zur Kommunikation, zur Publikation, eine einmalige soziale und politische Unternehmung. Indem ich diese Unternehmung verfolgte, entdeckte ich den echten Tristan Tzara. Ich habe ihn nicht jetzt, neulich, entdeckt — seit etwa sechs Jahren recherchiere ich über Tristan Tzara, ich lese über ihn und stelle Dokumentationen über sein Leben und Werk zusammen, ich habe mehrere Studien über Tristan Tzara veröffentlicht, einschlie‎ßlich im Ausland, in den USA. Ich schrieb über seine Fähigkeit, aus dem Nichts eine kulturelle Bewegung von au‎ßergewöhnlichem Ausma‎ß zu schaffen. Zurzeit ist der Neodadaismus eine wichtige Strömung mit einem bedeutenden Beitrag zur Gegenwartskunst.“




    Die Ausstellung TZARA. DADA. ETC., die in Bukarest bis Ende April zu besichtigen ist, präsentiert Originalwerke, Graphiken von berühmten Avantgarde-Künstlern wie André Breton, Pablo Picasso, Henri Matisse, Joan Miró, Sonia Delaunay, Max Ernst, Alberto Giacometti, Yves Tanguy, Jean Arp und Marcel Iancu, Erstauflagen von Werken wichtiger Avantgarde-Autoren und historische Avantgarde-Publikationen, Plakate über Dada-Aktionen und Veranstaltungen der Zwischenkriegszeit sowie eine beeindruckende Sammlung mit Fotoaufnahmen, die Tristan Tzara in allen Etappen seines Lebens darstellen. Die Ausstellung TZARA. DADA. ETC. gehört zu den Kulturevents, die anlässlich der Kandidatur der rumänischen Hauptstadt Bukarest als Europäische Hauptstadt 2021 vom Bukarester Kulturzentrum ARCUB organisiert werden.

  • Reenactment: Tänzerin Lizica Codreaunu in der Werkstatt von Brâncuşi

    Reenactment: Tänzerin Lizica Codreaunu in der Werkstatt von Brâncuşi

    Die Tänzerin und Choreographin Lizica Codreanu ist heute in Rumänien wenig bekannt. In den Zwanzigern faszinierte sie mit ihrem au‎ßerordentlichen Talent zahlreiche Künstler in Paris, darunter den Bildhauer Constantin Brâncuşi. Anhand von Bildern und Briefen erzählt heute die Museumsforscherin Doina Lemny ihre Geschichte nach, und beim Bukarester Tanzzentrum (CNDB) werden ihre Tanzaufführungen nachgespielt.



    Im Jahr 1922 hat der Bildhauer Constantin Brâncuşi ein Tanzkostüm für Lizica Codreanu angefertigt, lie‎ß die Platte mit den bekannten Klavierstücken Gymnopédies“ von Erik Satie spielen und lud die Tänzerin ein, in seiner Werkstatt, unter Skulpturen, einen Tanz zu erfinden. Das ganze porträtierte Brâncuşi mithilfe einer Thornton-Pickard-Kamera in sieben denkwürdigen Bildern. 1996 bildete der Regisseur Cornel Mihalache das Kostüm von Lizica Codreanu nach den Bildern aus dem Jahr 1922 nach und schlug der Choreographin Vava Ştefănescu ein scheinbar unmögliches Reenactment“ (Nachspielen) in der Werkstatt des Bildhauers auf Musik von Satie. Das Nationale Tanzzentrum Bukarest organisierte jüngst eine Aufführung, die die Tänzerin und Choreographin Lizica Codreanu wieder in die Aufmerksamkeit bringt.



    Das Treffen fand im Rahmen des Programms Hors les Murs“ des Bukarester Tanzzentrums statt. Mit dem im Jahr 2014 ins Leben gerufenen Projekt setzt sich das Tanzzentrum zum Ziel, über die vier Mauern hinaus zu gehen, die es beherbergt, und neue Wege einzuschlagen. Die Veranstaltung brachte den Regisseur Cornel Mihalache, die Forscherin Doina Lemny und die Choreographin Vava Ştefănescu zu einer Diskussion zusammen, die von Igor Mocanu moderiert wurde: Die heutige Veranstaltung widmen wir Lizica Codreanu, weil sie bis gestern die an sich unbekannte Tänzerin und Choreographin Rumäniens blieb. Das Projekt Hors les Murs“ nimmt sich vor, eine kaum bekannte Geschichte wiederzubeleben und die Persönlichkeit von Lizica Codreanu in den Vordergrund der Tanzkunst zu rücken“, sagte Mocanu.



    Bei der Arbeit am Dokumentarfilm Brâncuşi“ im Jahr 1955 entdeckte der Regisseur Cornel Mihalache Bilder von Lizica Codreanu beim Tanzen. Mihalache wandte sich an Geta Solomon für die Nachbildung des Tanzkostüms und an die Choreographin Vava Ştefănescu für das Nachspielen des Tanzes von Lizica Codreanu. Vava Ştefănescu dazu:



    Ich war 25 Jahre alt, ich konnte nicht erraten, was ein Reenactment ist, und auch nicht vorahnen, dass ich zukünftig ein erhebliches Interesse für eine Persönlichkeit der Tanzkunst zeigen und mich dafür einsetzen werde, ihre Werke wiederaufzuführen. Ich wusste damals auch nicht, dass man sich bei jeder Forschung zunächst mit den sogenannten schwarzen Löchern konfrontieren muss. Es passte mir eigentlich ganz gut, über wenige Informationen zu verfügen, weil ich Raum zum Erfinden hatte und glaubte, eine wunderbare und zugleich gespenstische Persönlichkeit zu entdecken. Ich habe mit gro‎ßem Eifer das ursprüngliche Kostüm bewahrt, weil ich den Eindruck hatte, in einer der Skulpturen von Brâncuşi gekleidet zu sein.“




    Vor zwei Jahren erschien im Verlag Vellant das Buch Lizica Codreanu. Eine rumänische Tänzerin in der Pariser Avantgarde“, ein Buch, das bereits in Frankreich veröffentlicht wurde. Die Autorin des Buches ist Doina Lemny, Forscherin am Nationalmuseum für Moderne Kunst, im Pompidou-Zentrum in Paris und Brâncuşi-Expertin. Die Autorin mehrerer Bücher über Brâncuşi entdeckte Lizica Codreanu im Brâncuşi-Archiv und war darüber empört, dass niemand von ihr gehört hatte:



    Die Forschung lief schwieriger als gedacht, weil es am Anfang des 20. Jahrhunderts keine Ballettschule gab, die Lizica besuchen konnte, und daher konnte ich mich auch an niemanden für Informationen wenden. Mit wenigen Erkenntnissen habe ich aber ihren Lebensfaden verfolgt und fühlte mich gleich davon angezogen. Ihre Vergangenheit habe ich in enger Verbindung mit dem Leben ihrer Schwester, der Bildhauerin Irina Codreanu, nachgeforscht. Beide waren mutige Frauen, die ein spannendes Leben führten und sich auf ein Abenteuer nach Paris begaben. Dort wurden sie zu Schützlingen von Brâncuşi, er verhalf ihnen zum Durchbruch im Leben der Pariser Avantgarde. Der Sohn und das Enkelkind von Lizica Codreanu zeigten mir einige Bilder, Plakate und Briefe, die ihr Leben nacherzählten. Zwei oder drei Briefe stammten sogar vom berühmten Mitbegründer des Dadaismus, Tristan Tzara. Ich habe Lizica dabei auf einem Bild bei MOMA erkannt.“




    Lizica Codreanu war nur kurze Zeit als Tänzerin und Choreographin tätig. Sie brach ihre Karriere 1927 ab, als sie den französischen Intellektuellen Jean Fontenoy heiratete. Die Ehe scheiterte und Lizica kehrte nach Paris zurück. Dort eröffnete sie unter der Anleitung eines der grö‎ßten Yoga-Experten ein Hatha-Yoga-Studio. Es war genau in der Zeit in den Drei‎ßigern, als Yoga in Paris in Mode kam. Doina Lemny:



    Ihr Sohn hat mich total entmutigt. Er sagte, dass Lizica keine Karriere als Tänzerin verfolgte. Und das war einigerma‎ßen wahr, denn ihre Karriere war sehr kurz. Sie tanzte in der Werkstatt von Brâncuşi und wurde von der berühmten Künstlerin Sonia Delaunay entdeckt, die Kostüme anfertigte. Sie weigerte sich aber, ein Kostüm von Fernand Léger zu tragen, denn er fertigte meistens Ballettkostüme an. In Paris wurde sie gar nicht vom Ballett angezogen, sie besuchte auch keine Ballettschule, sondern Zirkuskurse. Sie knüpfte zahlreiche Kontakte zu Künstlern. Sie war ein künstlerischer und erfinderischer Geist, sie trainierte in der Werkstatt von Brâncuşi, was den Bildhauer völlig faszinierte.“




    Das Buch feierte einen gro‎ßen Erfolg in Frankreich, erzählt anschlie‎ßend Doina Lemny:



    Meine Kollegen vom Pompidou-Zentrum, die Sonia Delaunay und Léger in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stellen, zeigten ein gro‎ßes Interesse an der Beziehung zwischen den Kostümen der Künstlerin Sonia Delaunay und dieser rumänischen Tanzkünstlerin, die unbekannt blieb. Ich wurde bei zahlreichen Veranstaltungen des Pompidou-Zentrums zur Sprecherin von Lizica Codreanu. Sie fasziniert mit ihrem au‎ßergewöhnlichen Talent und ihrer Persönlichkeit auch heute zahlreiche Menschen.“




    Die Managerin des Bukarester Tanzzentrums, Vava Ştefănescu, sagte über den Platz, den Lizica Codreanu im zeitgenössischen Tanz Rumäniens belegt:



    Sie stellt ein wahres Symbol dar. Sie konnte sich äu‎ßerst natürlich zwischen verschiedenen Welten, Kunstbereichen, Ideen und Perspektiven bewegen, aus denen man den Menschenkörper und den Tanz betrachten kann. Das passiert einigerma‎ßen auch heute noch mit den Künstlern.“