Tag: Tanzzentrum

  • „Gala“ von Jérôme Bel in Bukarest aufgeführt

    „Gala“ von Jérôme Bel in Bukarest aufgeführt

    In der Aufführung Gala“ von Jérôme Bel erkunden die Künstler den Tanz in den unterschiedlichsten Formen und Variationen sowie seine Bedeutung für jeden von uns. Die Aufführung wurde neulich auf die Bühne des Bukarester Odeon-Theaters gebracht, organisiert wurde die Veranstaltung vom Nationalen Tanzzentrum zusammen mit dem Französischen Kulturinstitut als Teil des internationalen Programms FranceDanse Orient-Express 2017.



    An der Bukarester Version der französischen Aufführung haben 20 rumänische Tänzer mitgemacht, was dabei besonders auffiel, war — genau wie im Fall der französischen Aufführung — eine überraschende Besetzung, die keinem Klischee entspricht. Die Tänzer Chiara Gallerani und Cédric Andrieux, die die Aufführung auf die Bühne des Bukarester Theaters Odeon brachten, sagten, das Auswahlverfahren erfolge bei allen Gala“-Aufführungen jedes Mal gleich:



    In jeder Stadt, wo unsere Aufführung stattfindet, treten wir in Kontakt mit den Organisatoren, denen wir vorab eine Liste aller Figuren zukommen lassen, die in der Aufführung vorkommen. Die Liste ist jedes Mal vielfältig, es handelt sich um Profitänzer, Schauspieler, Amateure im Bereich der Darstellungskunst, Amateurtänzer, Kinder, Menschen mit Behinderung, so dass wir auf der Bühne eine kleine Gemeinde auftreten lassen, die die Welt in ihrer Vielfalt widerspiegelt. Es ist zu einer Tradition geworden, dass in Theater- und Tanzaufführungen kräftige Menschen auftreten, aber das sollte nicht so sein, denn die Kunst müsste alle Kategorien von Menschen feiern und vertreten. Es sind meistens die verwundbaren Menschen, denen zum kreativen Selbstausdruck verholfen werden müssen. Somit versteht auch das Publikum, dass die Vulnerabilität auch Kraft bedeutet. Die Freiheit bedeutet Kraft. Die Aufführung hinterfragt zudem die Idee der Fähigkeiten der Menschen. Was bedeutet eigentlich, qualifiziert zu sein, verschiedene Fähigkeiten zu haben, was sind eigentlich die Fähigkeiten der Menschen, wei‎ß man mehr, weil man mehr getan hat? Diese sind nur einige der Fragen, die diese Aufführung stellt“, sagt Cédric Andrieux.




    Weil sich daran meistens Amateurdarsteller beteiligen, kann man mit längeren Proben rechnen, Chiara Gallerani und Cédric Andrieux haben aber nur für wenige Tage mit den 20 Amateurtänzern und Darstellern proben müssen. Cédric Andrieux kommt erneut zu Wort mit Einzelheiten:



    Wir versuchen, nicht zu lange zu proben, denn ansonsten verliert die Aufführung an Spontaneität. Diese Aufführung hat eine einfache Struktur, und das Wichtigste, was wir zum Ausdruck bringen möchten, ist, dass die Menschen ihre Emanzipation und die Freiheit finden sollen, sich um ihr Image nicht zu kümmern, sich zu erlauben, ihre Schwäche und ihre Vulnerabilität zu zeigen und zusammen mit ihren Mitmenschen eine Gemeinde zu bilden.“



    Die Aufführung Gala“ des französischen Choreographen Jérôme Bel wurde bereits in zehn Ländern gezeigt. Überall hat Gala“ eine Fülle an Tanzformen und Stilrichtungen aufgrund der Vorschläge der Tänzer präsentiert. So wurde es möglich, dass sogar vier Aufführungen unter dem Namen Gala“ gleichzeitig, aber in unterschiedlichen Räumen präsentiert werden können. Cédric Andrieux:



    Gala ist eine Aufführung, bei der die Interaktion mit dem Publikum leicht gemacht wird. Jedes Mal lockt sie ein zahlreiches Publikum ins Theater. Wenn es unseren Tänzern gelingt, diese gewaltige Emanzipationskraft in sich selbst zu entdecken und ihr Ausdruck zu verleihen, dann kriegen das auch unsere Zuschauer zu spüren. Nicht zuletzt funktioniert die Aufführung wie ein Spiegel. Wir kennen sehr gut die Gemeinde, der wir diese Aufführung präsentieren, und sind uns deren Merkmale bewusst. Wir stellen vorab unseren Mitarbeitern Fragen wie: Gibt es Einwanderer in Eurer Stadt, gibt es eine gemischte Bevölkerung? Leben hier Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen? Denn das ist, was unsere Aufführung widerspiegeln soll, den Alltag der jeweiligen Gemeinde.“




    Versuch es noch einmal. Scheitere noch einmal. Scheitere diesmal besser“ — unter diesem Motto wird Gala“ von Jérôme Bel weltweit auf die Bühne gebracht.

  • LINOTIP – neues Tanzzentrum in Bukarest eröffnet

    LINOTIP – neues Tanzzentrum in Bukarest eröffnet

    LINOTIP soll das Zentrum hei‎ßen, es ist die Abkürzung für Unabhängiges Choreographie-Zentrum. Dieses soll im Bukarester Stadtzentrum, im sogenannten Universul-Palast eingeweiht werden, einem Gebäude, das auch weitere unabhängige Initiativen beherbergt. Linotip soll die Antwort auf den extremen Bedarf an Räumlichkeiten für Tanzaufführungen darstellen. Die Idee dazu hatten die beiden Choreographen Arcadie Rusu und Ioana Marchidan. Sie wollten eine Fläche einrichten, auf der sie bereits existierende Aufführungen präsentieren können. Darüber hinaus sei das Publikum des zeitgenössischen Tanzes in Rumänien erst dabei, sich zu formen, meint Arcadie Rusu.



    Wir haben einen recht wichtigen Auftrag, denn bei uns ist der zeitgenössische Tanz so gut wie gar nicht vertreten. Wenn es ihn gibt, dann in der Form ganz selten aufgeführter Vorstellungen. Es gibt keine Kultur in dieser Hinsicht, denn diese Kulturform war während des Kommunismus verboten. Ich sehe den zeitgenössischen Tanz als eine ganz besondere Kunstform. Und wir sind daran interessiert, das Publikum in diesem Bereich zu erziehen. Oftmals können wir nicht ausgesprochene Dinge viel besser beobachten. Unser genetisches Erbe verfügt über diese Intelligenz, die für die Erfassung und Auslegung von Gesten, Blicken oder Absichten notwendig ist. Nur entschlüsseln wir sie nicht mit der Vernunft, sondern auf emotionaler Ebene. Ich möchte, dass bei meinen Aufführungen auch Leute im Publikum sitzen, die noch nie zeitgenössischen Tanz gesehen haben. Ich glaube nicht, dass der Tanz sich als Kunstform nur an besondere und gebildete Menschen wenden sollte, er ist eine Kunstform, die für jedermann zugänglich sein muss.“




    Das unabhängige Choreographiezentrum Linotip ist ein Studio-Saal mit 60-70 Plätzen und der grö‎ßten Bühne unter den kleinen Räumlichkeiten“, sagt Arcadie Rusu stolz. Gesamtfläche: 120 Quadratmeter. Es sei nicht einfach, eine unabhängige Bühne zu betreiben, also eine Strategie für mindestens sechs Monate zu planen, so dass der Raum funktionieren und sich weiterentwickeln kann, gesteht Ioana Marchidan.




    Wir haben bereits die vierte Werkstatt für zeitgenössischen Tanz organisiert, also haben wir uns vorgenommen, uns auf die Bildung zu konzentrieren. Weil die Laien, die unsere Werkstätten besuchen, auch das zukünftige Publikum für den zeitgenössischen Tanz sind, und das für alle Tanzbühnen, nicht nur für Linotip. Als nächsten Schritt haben wir bereits eine Tanz-Spielzeit begonnen. Das Publikum soll wissen, dass am Unabhängigen Choreographie-Zentrum Linotip Tanzaufführungen stattfinden. Dreimal in der Woche… Genauso wie im Theater. Also wird es diese Spielzeit geben, mit unseren Aufführungen und weiteren Gastaufführungen. Wir wollen den Studenten von der Film- und Theaterakademie, den Bachelor- und Masterstudiengängen den Linotip-Preis verleihen — sie werden so aufgefordert, in den Aufführungen zu spielen, auch ins Publikum zu kommen. So können sie lernen, was es bedeutet, vor einem zahlenden Publikum aufzutreten. Jetzt sind wir gerade dabei, mit dem Choreographen Massimo Gerardi zu verhandeln, wir wollen einen Themenschwerpunkt mit ihm planen. Er soll Werkstätten für Profis und Laiendarsteller leiten. Er sollte auch ältere Aufführungen wie »Magnetic Fields« inszenieren, eine deutsch-rumänische Koproduktion. Und wir haben ihn eingeladen, eine Aufführung mit dem Linotip-Ensemble zu konzipieren.“




    Die Spielzeit bei Linotip begann am 1. Februar mit der Premiere der Aufführung Babel“, bei dem das Konzept und die Choreographie von Arcadie Rusu stammen. Darin geht es um den Menschen von heute und die Stadt als Dschungel, in dem jedes Lebewesen um sein Überleben kämpft, erklärt der Autor selbst.



    Die Aufführung ist in erster Linie aus unserem Leben inspiriert. Bukarest diente als Forschungsplattform für die Vorstellung. Im Allgemeinen kann »Babel« als Aufführung über unsere Rückentwicklung als Spezies gedeutet werden. Wir haben aus technologischer Sicht recht gro‎ße Fortschritte erzielt, aber menschlich haben wir die gleichen Probleme. Wir haben nicht begriffen, dass unser Leben auf einen bestimmten Zeitpunkt beschränkt ist und dass irgendwann alles vorbei ist und keine materiellen Dinge mehr wichtig sind. Wir sind hier auf der Suche nach Stabilität, nach Gleichgewicht, und hier entstehen die egozentrischen und materialistischen Ideen. Deshalb verliert der Mensch seine spirituelle Dimension. Von daher ist »Babel« eine Tanzaufführung, die von der Illusion der Stabilität spricht.“




    Nach Babel“ folgte am Linotip-Zentrum auch schon die nächste Premiere. Zwei zeitgenössische Frauen“ — das Konzept und die Choreographie stammen von Ioana Marchidan.



    In der Aufführung beleuchte ich ein wenig die Stellung der Frau im Verhältnis zum Mann und thematisiere die Diskriminierung, die es im Laufe der Geschichte gegeben hat. Wir wissen nur zu gut, dass die Frau im Besitz einer anderen Person war — des Vaters, des Ehemannes. Die Frauen wurden einfach verkauft, so leid es mir auch tut, sie wurden wie das Vieh einfach verkauft. Mich haben auch die Suffragetten interessiert, die sich für das Wahlrecht für Frauen eingesetzt haben. Ich habe versucht, auch das anzusprechen, jedoch auch Unterthemen des Feminismus in die Gegenwart zu bringen. Es ist eine feministische Aufführung, aber ich wollte keine militante Aufführung daraus machen, ich wollte nicht auf die extremistische Schiene. Ich war bemüht, einigerma‎ßen bei der Jugend anzufangen, wenn die Mädchen auf der Stra‎ße mit sexistischen Sprüchen angemacht werden. In der Pubertät und Jugend sind die Mädchen anfällig und sensibel und solche Dinge können ihnen wehtun.“




    Es sei nicht leicht, eine unabhängige Bühne für den zeitgenössischen Tanz zu gründen und zu verwalten, erzählt Ioana Marchidan. Dennoch habe sie Vertrauen in das Linotip-Projekt, sagt die Choreographin.



    Ich glaube, dass der Kontext jetzt sehr günstig ist, zumal unsere Aufführungen genau von den aktuellen Themen handeln, von den Ereignissen auf dem Siegesplatz vor dem Regierungssitz, der Politik… Das Publikum ist auf der Suche nach Aufführungen mit Bewegung. Ich glaube, dass das hilfreich sein wird, und auch die Tatsache, dass es nicht allzu viele Tanzbühnen gibt. Es gibt gerade mal zwei, mit uns sind es drei… Das ist extrem wenig! Und ich glaube, dass das Publikum diese Art von Räumlichkeiten braucht. Solche Bühnen werden auch dem Publikum gut tun. Es sollten auch weitere Bühnen eröffnet werden, aber es sollen mutige Projekte sein. Man braucht Mut dazu. Es ist schwer, aber wenn man nicht dazu steht, wenn man den Schritt nicht wagt und nicht kämpft, dann erreicht man nichts. Viele sagen, ihnen fehlten die Mittel. Auch uns fehlen die Mittel, aber man kann Projekte beantragen, Geld beiseite legen, mit jemandem reden… Das Publikum wird kommen. Ich bin überzeugt, dass die Dinge ins Rollen kommen.“

  • News from Polska – polnische Tanzaufführungen erneut in Bukarest

    News from Polska – polnische Tanzaufführungen erneut in Bukarest

    The Tickler and the Ticklee“ war das Thema der 3. Auflage des Festivals für performative Künste News from Polska“, das vom polnischen Institut in Bukarest und dem Nationalen Tanzzentrum (CNDB) in der Zeitspanne 31. März — 9. April organisiert wurde. Larisa Crunţeanu, Kuratorin des Events, über das vorgeschlagene Thema:



    »The Tickler and the Ticklee«, »Der Gekitzelte und derjenige, der kitzelt«, ist ein Thema, das mir ausgehend von einem spezifischen Konzept der Enzwicklungspsychologie vom Anfang des 20. Jahrhunderts einfiel. Die Idee ist, dass die Menschen sich nicht selbst kitzeln können. Ausgehend von diesem Paradox dachte ich nach, wie der innere Dialog funktioniert. Unser Gedächtnis ist voller Stimmen anderer Menschen, aber wir erkennen sie nicht als solche, wir können nicht unterschieden, ob das, was wir uns selbst sagen, unsere eigenen Gedanken sind oder das, was uns andere sagen. Ausgehend von diesem scheinbaren Paradox, projiziert in die mentale und Dialog-Ebene, habe ich versucht, eine Auswahl von Arbeiten zu machen, in deren Konzept der innere Dialog als neutrale Zone eingeschlossen wurde, in der es nicht klar ist, wer die Gesprächspartner sind.“




    Zu entscheiden, welche Aufführungen aus einer anderen Kultur bei dir zu Hause vorgestellt werden sollen, setzt eine bestimmte Verantwortung voraus. Larisa Crunţeanu dazu:



    Als ich diese Stücke auswählte, dachte ich auch daran, wie man sie wohl empfinden werde, wie sie mit dem, was jetzt auf der rumänischen Bühne zu finden ist, kontrastieren werden. Mich interessierte auch, wie Menschen, die aus dem Tanz-Bereich kommen, mit dem dramaturgischen Text arbeiten. Ich glaube, ich habe diese gerade deshalb performative Stücke genannt, um sie nicht unbedingt in die Ecke des Tanztheaters zu rücken.“




    Die vorgestellten Themen bei der 3. Auflage des Festivals News from Polska“ stehen dem zeitgenössischen Menschen nahe. Make Yourself“, die Show von Marta Ziółek, in der diese zusammen mit weiteren fünf Choreographen und einer Sängerin auftritt, präsentiert ein futuristisches Universum irgendwo zwischen einem Fitnessstudio, einer Kirche und einem Gro‎ßunternehmen. Make Yourself“ ist eine Show mit sehr viel Vitalität, in der Marta Ziółek die Energien der Künstler mit maximaler Intensität ausnutzt, um das Thema der Identität anzusprechen. Die Künstlerin über die Aufführung:



    Ich wollte wissen, wie die Identität in unserer Gesellschaft zu einem Produkt wird, wie wir selbst ein Objekt werden können. Es ist eine im Kapitalismus übliche Fiktion. Die Freiheit wird zu einer Art Lüge. Die individuelle Freiheit ist wie ein Gefängnis, in dem wir leben. Wir sprechen über Konsumerismus und über eine bestimmte Art und Weise, über uns als freie Menschen nachzudenken. Das ist ein Paradox der zeitgenössischen Welt: Einerseits spricht man viel über die eigene Bildung und Fortbildung, über das Bedürfnis, freier zu sein, andererseits wird man zum Sklaven, unterliegt bestimmten Anforderungen und Wünschen. Mich interessierte, ob wir uns von einem solchen Kampf befreien können. In dieser Aufführung sucht man die Freiheit. Ich glaube, Freiheit hat den Ursprung in einem Energiefluss, wie eine Gemeinschaft.“




    Marta Ziółek hat sich vorgenommen, eine Show zu schaffen, die das Publikum verstehen soll. Make Yourself“ war ein gro‎ßer Erfolg in Polen und auch in Bukarest.




    Ramona Nagabczyńska, eine der Choreographinnen, die in Make Yourself“ auftraten, wurde auch zum Festival mit dem Solo-Akt pURe“ eingeladen. Das Stück handelt von der Idee des natürlichen Körpers, ausgehend vom Konzept der Ur-Materie“, das vom polnischen Theater-Regisseur und Maler Tadeusz Kantor geschaffen wurde.



    Mich interessiert der Körper als Objekt. Die Transformation stellt für mich eine wichtige Idee dar. Ebenfalls interessiert mich die Arbeit mit dem Körper als Instrument, mehr im visuellen Sinne, also den Tanz näher an die visuellen Künste zu rücken, ferner vom Theater. Ich möchte nicht etwas sehr Intellektuelles schaffen. Mich interessiert letztendlich die Wirkung meiner Arbeit auf die Menschen.“




    Das Festival News from Polska“ endete mit einer Musik-Show Exit Promises“ der aus Australien stammenden ZONE-L (auch bekannt als Laura Hunt).



    Seit acht Jahren arbeite ich ständig mit dem Ton, in unterschiedlicher Weise. Mich interessiert es, wie die Menschen darauf reagieren. Was für Emotionen der Ton verursacht. Der Ton ändert das Leben der Menschen. Der Ton interessiert mich auch aus musikalischer Sicht, da werde ich etwas politischer. Ich mache Bemerkungen über die Kultur, die dich ständig auffordert, besser zu werden, etwas Besseres zu tun. Ich verwende Musikaufzeichnungen, auf denen Stimmen zu hören sind, die sagen: ‚Wenn du dieses Musikstück 10 Minuten lang hörst, wird dein Leben besser.‘ Ich baue dabei Stimmen von Youtube ein, meine Quellen entstammen der ›Do it Yourself‹-Kultur. Ich spiele damit, um Tanzmusik zu erschaffen.“




    Larisa Crunţeanu, die Kuratorin des Festivals News from Polska“, begründet die Einladung einer Künstlerin au‎ßerhalb des polnischen Kulturraumes:



    Laura Hunt ist eine Künstlerin australischen Ursprungs. Ich habe sie gerade deswegen eingeladen, um eine Art Gegengewicht zu den politischen Tendenzen Polens, die immer nationalistischer sind, anzubieten. Das Polnische Institut war gegenüber der Idee, eine künstlerische Einstellung aus einem anderen, scheinbar exotischen Raum vorzustellen, sehr offen. Gleichzeitig muss man feststellen, dass viele am Festival teilnehmenden Künstler sich in einer prekären Situation befinden: Sie sind auf sich selbst gestellte Arbeitnehmer, die von Land zu Land ziehen, um ihre Werke und Performance zur Schau zu stellen, zumindest dort, wo sie einigerma‎ßen unterstützt werden.“

  • Bukarester Tanzzentrum: Performance zu Ehren des Avantgardisten Isidore Isou

    Bukarester Tanzzentrum: Performance zu Ehren des Avantgardisten Isidore Isou

    Der 1925 im nordrumänischen Botoşani geborene Isidore Isou lie‎ß sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich nieder. In seinem Heimatland ist er nur den wenigsten bekannt — das war auch der Grund für die Veranstaltung des ihm gewidmeten Abends in Bukarest und die Fortsetzung der Reihe im Rahmen weiterer Projekte. Kurator des Events am Bukarester Landeszentrum des Tanzes (CNDB) war Igor Mocanu.



    Isidore Isou hatte selbstverständlich, wie jeder Vertreter der Avantgarde, und auch weil er ein Künstler mit vielfältigen Interessen war, ein Manifest des Tanzes und mehrere theoretische Texte über den Tanz. Als Gegengewicht zu den Sprüngen im deutschen Expressionismus der ersten Tanzavantgarde der 1920er-30er Jahre schlug er eine Choreographie des Falls, der stürzenden Körpers vor. Vielleicht wird es bei CNDB auch eine Vorstellung aufgrund dieser Ausprägung im Schaffen Isidore Isous geben. Für heute haben wir aber einen französischen Komponisten eingeladen, der in Berlin wohnt und der einen zeitgenössischen Kunst- und Soundraum leitet — La Plaque Tournante –, dabei hat er eine britische Mezzosopranistin als Partnerin. Sie hei‎ßen Frédéric Acquaviva und Loré Lixenberg. Neben ihrem Interesse für die zeitgenössische Kunst, mit Sound oder ohne Sound, sind sie auch sehr gute Deuter des Werks von Isidore Isou. Frédéric ist übrigens im Besitz einer beeindruckenden Sammlung von Büchern und anderen Werken von Isou.“




    Die Veranstaltung rund um Isidore Isou begann mit der Videoprojektion eines zweiminütigen Auszugs aus einem Dokumentarfilm von Orson Welles mit dem Titel Around the World in Saint-Germain des Prés“. Der Film wurde 1955 im Buchladen Fischbacher in Paris gedreht, und in dem am CNDB vorgeführten Auszug sind Isidore Isou, Maurice Lemaître, Jacques Spacagna und Orson Welles zu sehen. Der anschlie‎ßende Auftritt von Loré Lixenberg beinhaltete einige Stücke des Künstlers aus dem Zeitraum 1947-1984, wie die Mezzosopranistin selbst erklärt.



    Wir haben Stücke aus einer sehr langen Zeitspanne ausgewählt, die nach 1945 und bis 1984 entstanden sind. Wir haben eines seiner ersten Arbeiten ausgewählt, »Neige«/»Schnee«, die die geniale Arbeitsweise Isous widerspiegelt: Er nimmt ganz einfach eine Situation, in der er sich befindet, und verwandelt sie eher in etwas anderes, anstatt sie theatralisch zu verarbeiten. Dann führe ich einige Arbeiten aus seinem aphonen System vor, mit anderen Worten stille Gedichte, die Gesten und Bewegung voraussetzen. Aus Sicht eines Performers ist es faszinierend, weil es ein derartig reichhaltiges Material ist, es enthält eine Fülle an unterschiedlichen Lauten. Und au‎ßerdem liebe ich diese Trennung der Laute von ihrer Bedeutung. Es fühlt sich sehr gut in meinem Mund an. Das nennt sich auch »good mouth feel«.“




    Gegen sein Lebensende hat sich Isou der Musik stark genähert. Deshalb enthielt der zweite Teil der Veranstaltung in Bukarest eine Komposition aus dieser Periode. Es handelt sich um die Symphonie Nr. 4: Juvenal, die 2001 entstand und 2003 von Frédéric Acquaviva orchestriert wurde. Der französische Komponist lernte Isou in seinen letzten zehn Lebensjahren persönlich kennen und gemeinsam komponierten sie einige Symphonien, die Acquaviva dann orchestrierte. Am Tanzzentrum in Bukarest schilderte Acquaviva die Begegnung mit dem musikalischen Schaffen Isidore Isous.



    Er hat Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen und ist 1945 in Paris angekommen. Seine Idee war es, lettristische Poesie zu schaffen, das war eigentlich ein Gemisch aus Gedicht und Musik. Deshalb hätte einer später den Begriff Poesie nutzen können, aber eigentlich ist die lettristische Poesie eine Art Dichtung, bei der nur die Stimme und alle Bewegungen und Laute zum Einsatz kommen, die mit Hilfe des Körpers erzeugt werden können. Also ist es eine Art »Lied des Körpers« /»body sound« und es ist eine sehr fortschrittliche Gattung, es ist eine völlig abstrakte Poesie. Seine Musik hört sich ein wenig primitiv an, weil sie in Schleifen aufgebaut ist. Sie mutet sehr bizarr an. »Juvenal« ist die vierte Symphonie von den fünf, die wir gemeinsam geschaffen haben. Diese habe ich über die Stimmlage des Chors hinweg orchestriert, also würde ich behaupten, dass man nicht genau wei‎ß, in welcher Zeit man sich befindet, in welchem Land, und das ist sehr interessant und etwas Besonderes.“




    Der Komponist Frédéric Acquaviva hat bereits mehrere Veranstaltungen europaweit organisiert, die Isidore Isou gewidmet sind. Er möchte seine Projekte fortsetzen, sagt er.



    Wir haben bereits einige Ausstellungen organisiert, einige Bücher über ihn geschrieben. Gemeinsam mit dem Rumänischen Institut in Stockholm haben wir einen Band über seine hypergraphischen Romane herausgebracht. Aber, weil wir hier am Landeszentrum für Tanz sind, muss gesagt werden, dass er einige phantastische Choreographien geschaffen hat, die seiner Zeit um mindestens 40 Jahre voraus waren. Denn das, was er in den 1950er Jahren schrieb, findet sich im zeitgenössischen Tanz der 1990er Jahre, etwa in Frankreich, wieder. Jetzt arbeite ich gerade an einigen Projekten über ihn, allen voran an einer Monographie seiner gemalten Bilder und Kunstwerke. Ich hoffe, dass sie noch in diesem Jahr von den Editions du Griffon veröffentlicht wird, die kurioserweise auch die erste Brâncuşi-Monographie in den 1950er Jahren herausbrachte.“

  • Performance und Experiment: LIKE CNDB – das etwas andere Festival

    Performance und Experiment: LIKE CNDB – das etwas andere Festival

    Die 3. Auflage des Festivals LIKE CNDB, das vom Nationalen Tanzzentrum Bukarest vom 17. März –17. April veranstaltet wurde, lief unter dem Motto: De neîncadrat“ (zu deutsch in etwa Die, die aus der Reihe tanzen“). Unter diesem Motto versuchten die Festivalveranstalter, die sog. Waisenkinder“ der Unterhaltungskunst, hybride Vorstellungen und Shows, die aus Kombinationen verschiedener Künste resultieren, zusammenzubringen und bekanntzumachen. Mehr dazu von der Managerin des Nationalen Tanzzentrums Bukarest, Vava Ştefănescu:



    Warum das Motto »Die, die aus der Reihe tanzen«? Erstens, weil wir dieses Jahr 100 Jahre DADA feiern. DADA war eine der stärksten Bewegungen der Avantgarde, und das Nationale Tanzzentrum Bukarest (CNDB) wird von diesem Geist der Avantgarde beseelt. Bereits seit seiner Gründung hat das CNDB dem Publikum au‎ßergewöhnliche, nicht der Norm entsprechende Veranstaltungen angeboten, Aufführungen, die aus der Reihe tanzten. Unsere Tanzaufführungen haben den Rahmen der Tanzkunst gesprengt, die Perspektive über diese Kunstform und deren Aufführungsmittel von Grund auf erneuert. In letzter Zeit haben die Künstler um uns herum breit gefächerte Interessen und Projekte, die nicht zu einem Genre passen, nicht in eine bekannte Kategorie einzustufen sind. Die Tanzkunst steht auch nicht mehr alleine da — jetzt bieten die Gegenwartstänzer komplexe Aufführungen an — in Begleitung anderer Kunstformen entstehen mehrere Diskurse in derselben Performance.“




    Zu den Veranstaltungen, die aus der Reihe tanzen“ und vom Nationalen Tanzzentrum Bukarest dieses Jahr ein LIKE“ bekommen haben, gehört auch die Aufführung mit dem Stück EA e băiat bun“ (dt. SIE ist ein guter Junge“), Text und Regie von Eugen Jebeleanu, basierend auf dem Dokumentarfilm Rodica ist ein guter Junge“ (Rodica ist ein weiblicher Name in Rumänien). Ziel des Projekts war, eine Aufführung über den Mangel an sozialer Toleranz gegenüber Minderheiten zu präsentieren, um die öffentliche Meinung für die schlimmen Folgen der Intoleranz und Diskriminierung zu sensibilisieren, oder mindestens um Fragen zu stellen. Mehr dazu vom Hauptdarsteller Florin Caracala:



    Das ist keine Theateraufführung und auch keine Tanzaufführung. Es ist im Grunde genommen die Sublimierung der Geschichte Rodicas aus dem Dokumentarfilm »Rodica ist ein guter Junge«. Sehr wichtig ist dabei auch die Art und Weise wie wir, die Künstler, die Geschichte der echten Rodica, das Leben im Dorf Rozavlea, wo sie lebt, die Erfahrungen Rodicas, erlebt haben. Rodica ist ein Transsexueller. Was uns besonders überrascht hat, ist, dass alle Leute im Dorf Rozavlea Rodica sehr gern haben. Daher glauben wir, dass dieses Dorf ein gutes Beispiel für die ganze Welt ist. Wenn man im Dorf Rozavlea fragt: ‚Wie ist Rodica denn so?‘ — kommt sofort die Antwort: ‚Rodica ist ein guter Junge.‘ Rodica kümmert sich um die Tiere, sie singt bei Hochzeiten und Taufen… Alle lieben Rodica im Dorf Rozavlea. Wir haben einige Fragmente vom Dokumentarfilm, Gespräche mit Rodica, übernommen und diese in unserer Performance verwendet, aber in der Performance geht es nicht um den Dokumentarfilm, sondern um Rodica selbst, über unsere Beziehung zu Rodica, über Transsexualität, über Gender– und Geschlechtsidentität und auch über die Gesetzgebung betreffend die Geschlechtsidentität in Europa.“




    Die Aufführung SIE ist ein guter Junge“ wurde in Cluj/Klausenburg produziert. Ebenfalls aus Cluj kommt die Konzert-Performance Parental CTRL“, eine Kreation des eklektischen Künstlers Ferenc Sinkó, die zum Thema Die, die aus der Reihe tanzen“ des Festivals LIKE CNDB perfekt passt. Ferenc Sinkó:



    Diese Konzert-Performance wurde bereits im Nationalen Tanzzentrum Bukarest und in mehreren Theatern aufgeführt. Wenn man einer Minderheit angehört, kann man irgendwie sowohl der Minderheit als auch der Mehrheit angehören — man hat diese Möglichkeit, diese Flexibilität. Und das bedeutet viel mehr, als nur eine klar eingestufte Person zu sein. Ich bin noch auf der Suche nach meinem Genre, nach einer Form, die mich repräsentiert, aber zurzeit ist diese Form immer noch unklar, verstreut, und momentan gefällt mir diese Form, die ‚aus der Reihe tanzt‘. Der Titel »Parental CTRL« ist nur ein Teaser, ein Anrei‎ßer. Wir haben uns nicht vorgenommen, ein Bühnenstück über Elternkontrolle oder über den Konflikt zwischen den Generationen zu präsentieren. Wir sind eher in eine etwas persönlichere Zone gegangen, wo jeder seine persönliche Geschichte in Bezug auf die Eltern und die Beziehung zu den Eltern hat. Von da an haben wir angefangen, die Situationen zu entwickeln und zu generalisieren. Ich hoffe, dass jeder, der diese Aufführung erlebt, sich selbst wie in einem Spiegel betrachtet und auch an persönlichere Erlebnisse denkt, nicht nur daran, was auf der Bühne passiert. Jeder hat seine Geschichte und seine Geschichten.“