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  • Reproduktive Gesundheit: 35 Jahre seit Freigabe der Verhütungsmittel

    Reproduktive Gesundheit: 35 Jahre seit Freigabe der Verhütungsmittel

    Für frühere Generationen war der Zugang zu Verhütungsmitteln während der kommunistischen Zeit an der Grenze der Legalität. Ein Schwangerschaftsabbruch galt als Verbrechen. Wir wollten erfahren welches Verhältnis zur Empfängnisverhütung die rumänische Gesellschaft heute hat. Im Interview mit Andrada Cilibiu, Expertin für sexuelle und reproduktive Rechte, gingen wir der Sache auf den Grund.

     Da keine kostenlosen Verhütungsmittel angeboten werden, vor allem nicht für die anfälligen Teil der Bevölkerung, keine Informationen und keine umfassende Sexualerziehung in den Schulen, liegt es auf der Hand, dass die Nutzungsrate von Verhütungsmitteln niedrig ist. Das ist besorgniserregend, vor allem unter zwei Gesichtspunkten: erstens eine steigende Rate von sexuell übertragbaren Krankheiten, über die wir kaum sprechen, weil in Rumänien das gesamte Thema der reproduktiven Gesundheit und der sexuellen Rechte leider ein Tabu bleibt.

    Ein weiteres Problem sind die Schwangerschaften von Teenagern, die unerwünschten Schwangerschaften und eine Gesellschaft, die Verhütung leider mit Abtreibung gleichsetzt. Und das wollen wir nicht. Wir wollen in erster Linie, dass alle Frauen Zugang zu Verhütungsmitteln, Informationen, Sexualerziehung und sicheren Abtreibungen haben. Aber wir müssen leider feststellen, dass wir in den letzten 10 Jahren einen Rückschritt gemacht haben.

    Andrada Cilibiu beschreibt, wie in den 2000er Jahren in Rumänien ein Netzwerk für Familienplanung eingerichtet wurde. Darin klärten Fachärzte in Einzelgesprächen über den gesamten Themenbereich der reproduktiven Gesundheit auf: Verhütungsmethoden, Ängste in Sachen Geschlechtsverkehr, Schwangerschaft usw. Außerdem, fügt  Cilibiu hinzu, bot das Netzwerk kostenlose Verhütungsmittel an.

    Der Expertin zufolge gingen die Ärzte in den Ruhestand, ohne andere Fachärzte ausgebildet zu haben und ohne dass das Netz weitere Ressourcen erhalten hätte. Darüber hinaus waren die 2000er Jahre von massiven Fortschritten bei der Vorbereitung auf den EU-Beitritt geprägt, dabei kam die reproduktive Gesundheit zu kurz. Die Republik Moldau hingegen wird als positives Beispiel angeführt. Dort gibt es spezialisierte Kliniken, wo junge Menschen im Alter von 10 bis 24 Jahren kostenlose Dienstleistungen erhalten. Aus welchen bewährten Verfahren können wir lernen – fragten wir Andrada Cilibiu.

    Zweifelsohne von den Modellen für eine umfassende Sexualerziehung, wie wir sie in den nordischen Ländern, im Vereinigten Königreich oder in den Niederlanden finden. Dort beginnt die Sexualerziehung in einigen Ländern bereits in den ersten Lebensjahren, mit Informationen, die  Kinder verstehen – insbesondere über die Einwilligung und die körperliche Autonomie. Und dann, wenn sie älter werden, langsam mit weiteren Informationen über gesunde emotionale und sexuelle Beziehungen. 

    Wir haben Beispiele für gute Praktiken im Bereich der Abtreibung, ebenfalls in den Niederlanden, in Frankreich, das gerade das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert hat. Wir haben als Beispiel auch Spanien, das ein sehr gutes Programm zur Verteilung von Verhütungsmitteln hat. Die meisten EU-Länder haben ähnliche Programme, vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene, aber auch für sozial schwache Gruppen. Rumänien gehört zu der Minderheit der Länder, die keine kostenlosen Verhütungsmittel anbieten.

    Das Filia-Zentrum, in dem auch Andrada Cilibin tätig ist, hat im Frühjahr eine Studie über die politischen Interessen von Frauen veröffentlicht. Diese enthielt unter anderem eine Statistik über die Nutzung von Verhütungsmitteln. Demnach haben ein gutes Drittel der Rumäninnen in den letzten 10 Jahren Verhütungsmethoden verwendet. Davon benutzten knapp zwei Drittel Kondome. Genannt wurden ferner die Tabletten vor und nach dem Sex, die allerdings als Notlösung betrachtet werden. Ungefähr 40% der befragten Frauen griffen auch auf natürliche Methoden wie die Kalender- oder Rückziehermethode zurück. Ein viel geringerer Prozentsatz verwendete invasive Methoden wie die Spirale oder Sterilisation.

    In Europa schlägt die Weltgesundheitsorganisation wegen des besorgniserregenden Rückgangs der Kondomnutzung unter Teenagern Alarm. Eine WHO-Studie dazu wurde zwischen 2014 und 2022 in 42 europäischen Ländern durchgeführt. Bei 15-jährigen Jungen und Mädchen sei die Kondomnutzung um 9% bzw. 6% zurückgegangen. Insgesamt würden heute um die 60% der Teenager diese Methode nutzen.  Dieselbe Studie ergab, dass in Rumänien 30% der Mädchen und 22% der Jungen bei ihrem letzten Geschlechtsverkehr keine  Verhütung benutzt haben. Nach den Gründen fragten wir die Expertin Andrada Cilibiu.

    Leider sehe ich viele junge Menschen, die eher die Pornografie  als Referenzsystem für sicheren Sex nutzen. Sie sind sehr verwirrt und glauben am Ende viele Mythen und Stereotypen und sind sehr besorgt über ihr eigenes Körperbild, über romantische oder emotionale Beziehungen, die sie eingehen, über sexuelle Beziehungen und so weiter.

    Da es in der Familie und vor allem in der Schule keine Autorität für eine wissenschaftliche Aufklärung gibt, werden die Jugendlichen leider im Stich gelassen. Sie gehen am Ende sexuelle Beziehungen ein oder Beziehungen, in denen sie die Gewalt nicht erkennen, in denen sie nicht erkennen, was nicht in Ordnung ist. Insofern brauchen wir vor allem eine verpflichtende Sexualerziehung für alle, ohne elterliche Zustimmung, jugendgerechte sexuelle Gesundheitsdienste.

    Auf regionaler Ebene hat eine britische Studie bestätigt, dass in Osteuropa die Kondomnutzung im Schnitt bei knapp 40% der Verhütungsmethoden liegt. Der rumänischen Statistik wird dabei widersprochen. Die Kondome würden hier von weniger als 31% derjenigen genutzt, die überhaupt eine Methode wählen. Für die Kalendermethode entscheiden sich fast 20% der Rumänen, während der osteuropäische Durchschnitt bei 6% liegt. Die Rückzieher-Methode wird von 13% der Rumänen und 10% der Befragten in der Region bevorzugt.

  • Publikationsprojekt mit Jugendlichen: Teenies sind sehr mitteilungsbedürftig

    Publikationsprojekt mit Jugendlichen: Teenies sind sehr mitteilungsbedürftig

     

     

    Doch ist dem auch so? Die Schriftstellerin Iulia Iordan nahm sich vor, im Rahmen eines von einer NGO und dem Seneca-Verlag initiierten Bildungsprojekts herauszufinden, wie die Jugendlichen von heute ticken. Ausgangspunkt war die berühmte Schrift „Briefe an Lucilius“ des römischen Dichters und Philosophen Seneca. Im Buch erteilt Seneca einem gewissen Lucilius Ratschläge, sein Leben im Sinne der stoischen Philosophie sinnvoll zu gestalten. Im Projekt des Seneca-Verlags wurden Jugendliche ermutigt, ihre Gedanken niederzuschreiben. Projektkoordinatorin Cristina Pârvu mit Einzelheiten:

    Am Anfang stand der Wunsch, Senecas Lehren in praktische Ratschläge für die Jugend von heute umzuwandeln, sozusagen einen Ratgeber für den Alltag zu erarbeiten. Wir arbeiteten dabei mit der Schriftstellerin Iulia Iordan und der Illustratorin Oana Ispir zusammen. Es handelt sich um einen Briefaustausch zwischen der Schriftstellerin Iulia Iordan und 18 Jugendlichen im Alter von 15 bis 17 Jahren. Die Jugendlichen schickten Iulia Iordan Briefe über ihre Sorgen, Ängste, Glücksmomente und existenziellen Fragen. Auf der Grundlage ihrer Briefe schrieb Iulia Iordan ihrerseits Antworten, die von den Lehren Senecas und den Briefen an seinen jüngeren Freund Lucilius inspiriert sind.“

     

    Philosophie als Taschenbuch“ bezeichnete der Seneca-Verlag das Projekt mit redaktioneller Beteiligung von Jugendlichen, doch die Texte, die anschließend in einem Sammelband mit dem Titel „Bleib bei dir“ veröffentlicht werden sollen, will die Autorin Iulia Iordan in Form von Gedichten verarbeiten. Bei den 18 teilnehmenden Jugendlichen handelt es sich um junge Menschen, mit denen die Autorin in anderen Bildungsprojekten zusammengearbeitet hat und die das Bedürfnis haben, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Denn die Jugendlichen brauchen jemanden, der ihnen zuhört und dem sie Geständnisse machen können, sagt die Autorin Iulia Iordan.

    Es ist sicherlich eine Form der Ermutigung, wie einer von ihnen in seinem Brief ausdrücklich sagt: ‚Wir haben dieses ständige Bedürfnis, uns Gehör zu verschaffen und Zuspruch von anderen zu erfahren.‘ In meinen Gesprächen mit jungen Menschen oder sogar mit immer jüngeren Kindern, die ich unabhängig von diesem Projekt führe, erkenne ich dieses Bedürfnis, sich mitzuteilen, und sie sagen mir oft, dass sie niemanden hätten, mit dem ich reden könnten, nicht einmal unter ihren Freunden. Andere schrieben: ‚Ich traue mich nicht, bestimmte Dinge zu sagen. Und es ist sehr traurig und unfair, dass wir trotz der vielen Kommunikationsmittel, die uns heute zur Verfügung stehen, immer noch das Gefühl haben, nicht gehört und nicht verstanden zu werden. Deshalb war ich sehr froh, dass der Seneca-Verlag für dieses Projekt offen war, bei dem der ursprüngliche Vorschlag darin bestand, einige von Senecas Briefen an Lucilius in eine jugendfreundlichere Form der Poesie zu bringen. Letztendlich stimmte der Verlag jedoch zu, noch direkter vorzugehen und die Stimmen der Jugendlichen selbst in die Gedichte einzubeziehen, die schließlich aus dem Projekt hervorgehen werden.“

     

    Doch was beschäftigt diese jungen Menschen und was haben die Teenager dieser Generation gemeinsam? „Die Ernsthaftigkeit, mit der sie sich Fragen stellen“, hat die Autorin Iulia Iordan beobachtet.

    Für mich war die Tatsache erhellend, dass sie einen klaren Verstand haben und sich der Antworten auf ihre Fragen sehr bewusst sind. Sie haben einen wirklich geübten Verstand und eine gewisse Leseerfahrung. Ich möchte daher einer möglichen Kritik an diesem Buch entgegenwirken, die in anderen Zusammenhängen an mich herangetragen wurde. Mir wurde etwa gesagt, dass wir uns bestimmte Jugendliche aus bildungsaffinen Milieus ausgesucht hätten und dass unser Projekt daher nicht repräsentativ sei, denn schließlich seien nicht alle Jugendliche so. Dem möchte ich widersprechen – doch, die Jugendlichen ähneln einander sehr, und es sind dieselben Fragen, die sie bewegen. Allerdings muss man ihnen die Gelegenheit bieten, diesen kritischen und klaren Verstand zu üben, und wir Erwachsenen sollten ihnen Bücher zur Verfügung stellen, und nicht nur darauf abzielen, sie in eine extrem formalisierte Bildung einzubinden, wie es leider in den rumänischen Schulen am häufigsten geschieht. Ich glaube, dass alle Jugendliche bewegende Geständnisse schreiben könnten, wenn sie ein paar kleine Werkzeuge parat hätten, die die Erwachsenen in ihrem Umfeld zur Verfügung stellen sollten. Jugendliche haben vieles gemeinsam. Die Freiheit, mit der sie sich ausdrücken, die Kühnheit, mit der sie sich äußern, den Mut, mit dem sie Fragen stellen, die sie anschließend selbst beantworten. Nach dem Lesen all dieser Briefe kann man nicht anders, als ihren jungen und offenen Geist zu bewundern.“

     

    Doch welche sind konkret die Themen, die Jugendliche bewegen? Die Frage beantwortet zum Schluss unseres Sozialreports erneut die Autorin Iulia Iordan:

    Einige von ihnen schrieben über den Tod und wie sie damit umgehen. Einige andere schrieben über den Krieg, und ich fand diesen Ansatz in seiner Unschuld sehr reif, vor allem, weil die meisten Erwachsenen in meinem Umfeld bereits aufgehört haben, über das Thema Krieg zu sprechen, obwohl er immer noch unweit der Grenzen unseres Landes weiter tobt. Doch siehe da, diese Jugendlichen denken immer noch über diese Dinge nach. Andere haben über Liebe, Philosophie, Literatur, Mut oder Angst geschrieben. Die Themen sind sehr vielfältig.“