Für frühere Generationen war der Zugang zu Verhütungsmitteln während der kommunistischen Zeit an der Grenze der Legalität. Ein Schwangerschaftsabbruch galt als Verbrechen. Wir wollten erfahren welches Verhältnis zur Empfängnisverhütung die rumänische Gesellschaft heute hat. Im Interview mit Andrada Cilibiu, Expertin für sexuelle und reproduktive Rechte, gingen wir der Sache auf den Grund.
„Da keine kostenlosen Verhütungsmittel angeboten werden, vor allem nicht für die anfälligen Teil der Bevölkerung, keine Informationen und keine umfassende Sexualerziehung in den Schulen, liegt es auf der Hand, dass die Nutzungsrate von Verhütungsmitteln niedrig ist. Das ist besorgniserregend, vor allem unter zwei Gesichtspunkten: erstens eine steigende Rate von sexuell übertragbaren Krankheiten, über die wir kaum sprechen, weil in Rumänien das gesamte Thema der reproduktiven Gesundheit und der sexuellen Rechte leider ein Tabu bleibt.
Ein weiteres Problem sind die Schwangerschaften von Teenagern, die unerwünschten Schwangerschaften und eine Gesellschaft, die Verhütung leider mit Abtreibung gleichsetzt. Und das wollen wir nicht. Wir wollen in erster Linie, dass alle Frauen Zugang zu Verhütungsmitteln, Informationen, Sexualerziehung und sicheren Abtreibungen haben. Aber wir müssen leider feststellen, dass wir in den letzten 10 Jahren einen Rückschritt gemacht haben.“
Andrada Cilibiu beschreibt, wie in den 2000er Jahren in Rumänien ein Netzwerk für Familienplanung eingerichtet wurde. Darin klärten Fachärzte in Einzelgesprächen über den gesamten Themenbereich der reproduktiven Gesundheit auf: Verhütungsmethoden, Ängste in Sachen Geschlechtsverkehr, Schwangerschaft usw. Außerdem, fügt Cilibiu hinzu, bot das Netzwerk kostenlose Verhütungsmittel an.
Der Expertin zufolge gingen die Ärzte in den Ruhestand, ohne andere Fachärzte ausgebildet zu haben und ohne dass das Netz weitere Ressourcen erhalten hätte. Darüber hinaus waren die 2000er Jahre von massiven Fortschritten bei der Vorbereitung auf den EU-Beitritt geprägt, dabei kam die reproduktive Gesundheit zu kurz. Die Republik Moldau hingegen wird als positives Beispiel angeführt. Dort gibt es spezialisierte Kliniken, wo junge Menschen im Alter von 10 bis 24 Jahren kostenlose Dienstleistungen erhalten. Aus welchen bewährten Verfahren können wir lernen – fragten wir Andrada Cilibiu.
„Zweifelsohne von den Modellen für eine umfassende Sexualerziehung, wie wir sie in den nordischen Ländern, im Vereinigten Königreich oder in den Niederlanden finden. Dort beginnt die Sexualerziehung in einigen Ländern bereits in den ersten Lebensjahren, mit Informationen, die Kinder verstehen – insbesondere über die Einwilligung und die körperliche Autonomie. Und dann, wenn sie älter werden, langsam mit weiteren Informationen über gesunde emotionale und sexuelle Beziehungen.
Wir haben Beispiele für gute Praktiken im Bereich der Abtreibung, ebenfalls in den Niederlanden, in Frankreich, das gerade das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert hat. Wir haben als Beispiel auch Spanien, das ein sehr gutes Programm zur Verteilung von Verhütungsmitteln hat. Die meisten EU-Länder haben ähnliche Programme, vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene, aber auch für sozial schwache Gruppen. Rumänien gehört zu der Minderheit der Länder, die keine kostenlosen Verhütungsmittel anbieten.“
Das Filia-Zentrum, in dem auch Andrada Cilibin tätig ist, hat im Frühjahr eine Studie über die politischen Interessen von Frauen veröffentlicht. Diese enthielt unter anderem eine Statistik über die Nutzung von Verhütungsmitteln. Demnach haben ein gutes Drittel der Rumäninnen in den letzten 10 Jahren Verhütungsmethoden verwendet. Davon benutzten knapp zwei Drittel Kondome. Genannt wurden ferner die Tabletten vor und nach dem Sex, die allerdings als Notlösung betrachtet werden. Ungefähr 40% der befragten Frauen griffen auch auf natürliche Methoden wie die Kalender- oder Rückziehermethode zurück. Ein viel geringerer Prozentsatz verwendete invasive Methoden wie die Spirale oder Sterilisation.
In Europa schlägt die Weltgesundheitsorganisation wegen des besorgniserregenden Rückgangs der Kondomnutzung unter Teenagern Alarm. Eine WHO-Studie dazu wurde zwischen 2014 und 2022 in 42 europäischen Ländern durchgeführt. Bei 15-jährigen Jungen und Mädchen sei die Kondomnutzung um 9% bzw. 6% zurückgegangen. Insgesamt würden heute um die 60% der Teenager diese Methode nutzen. Dieselbe Studie ergab, dass in Rumänien 30% der Mädchen und 22% der Jungen bei ihrem letzten Geschlechtsverkehr keine Verhütung benutzt haben. Nach den Gründen fragten wir die Expertin Andrada Cilibiu.
„Leider sehe ich viele junge Menschen, die eher die Pornografie als Referenzsystem für sicheren Sex nutzen. Sie sind sehr verwirrt und glauben am Ende viele Mythen und Stereotypen und sind sehr besorgt über ihr eigenes Körperbild, über romantische oder emotionale Beziehungen, die sie eingehen, über sexuelle Beziehungen und so weiter.
Da es in der Familie und vor allem in der Schule keine Autorität für eine wissenschaftliche Aufklärung gibt, werden die Jugendlichen leider im Stich gelassen. Sie gehen am Ende sexuelle Beziehungen ein oder Beziehungen, in denen sie die Gewalt nicht erkennen, in denen sie nicht erkennen, was nicht in Ordnung ist. Insofern brauchen wir vor allem eine verpflichtende Sexualerziehung für alle, ohne elterliche Zustimmung, jugendgerechte sexuelle Gesundheitsdienste.”
Auf regionaler Ebene hat eine britische Studie bestätigt, dass in Osteuropa die Kondomnutzung im Schnitt bei knapp 40% der Verhütungsmethoden liegt. Der rumänischen Statistik wird dabei widersprochen. Die Kondome würden hier von weniger als 31% derjenigen genutzt, die überhaupt eine Methode wählen. Für die Kalendermethode entscheiden sich fast 20% der Rumänen, während der osteuropäische Durchschnitt bei 6% liegt. Die Rückzieher-Methode wird von 13% der Rumänen und 10% der Befragten in der Region bevorzugt.