Tag: Terroristen

  • Mythen der Revolution von 1989: gestohlene Revolution, Staatsstreich oder Krieg gegen Terroristen?

    Mythen der Revolution von 1989: gestohlene Revolution, Staatsstreich oder Krieg gegen Terroristen?

    Am 22. Dezember 1989 um 12.08 Uhr flohen Nicolae Ceauşescu und seine Frau Elena mit dem Hubschrauber vom Dach des Gebäudes des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Rumäniens in Bukarest. Ihre Flucht ebnete den Weg für das Ende der kommunistischen Diktatur und die Wiederherstellung der Demokratie in Rumänien. Doch schon bald nach diesem glorreichen Moment begannen Zweifel zu entstehen. Alle möglichen Mythen und Gerüchte tauchten auf, die der durch vergossenes Blut erzielten Freiheit zusetzten und sie zu zersetzen drohten.



    Wie alle hartnäckigen Mythen halten sich diejenigen, die mit der rumänischen Revolution verbunden sind, besonders zäh, weil sie sich ständig aus den vielen bis heute nicht aufgeklärten Ereignissen und der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit nähren. Einer der hartnäckigsten Mythen ist jener der Beschlagnahmung der Revolution durch Ion Iliescu und ihm Nahestehende. Als hochrangiger Aktivist in der Kommunistischen Partei war Iliescu auch der erste postkommunistische Präsident Rumäniens. Die politische Kraft, die ihn unterstützte, die Nationale Rettungsfront, bestand aus Leitungskadern aus der sogenannten zweiten Reihe in der Kommunistischen Partei, was die Leute dazu brachte, zu glauben, dass die Revolution vom Dezember 1989 eine Verschwörung gewesen sei, um Ion Iliescu an die Macht zu bringen. Dragoş Petrescu ist der Autor einer Reihe von umfassenden Studien über die Revolution von 1989. Wir baten ihn, den Mythos der beschlagnahmten Revolution“ zu kommentieren.



    Ich denke, die Idee, dass die Revolution beschlagnahmt wurde, bereits ab den ersten Momenten des Regimewechsels im Umlauf war, unmittelbar nach dem 22. Dezember 1989. Wir sahen plötzlich die zweite und dritte Ebene der ehemaligen Kommunistischen Partei an die Macht kommen, die Ceauşescus Vertrauten-Kreis, die bisherige Nomenklatura und die Leute an der Spitze der Kommunistischen Partei Rumäniens ersetzten, die für alle Probleme der 1980er Jahre verantwortlich gemacht wurden: die tiefgreifende Wirtschaftskrise, den extremen Nationalismus, die Assimilierung der ethnischen Minderheiten und das katastrophale Image Rumäniens im Ausland.“




    Der Mythos der beschlagnahmten Revolution“ ist in der öffentlichen Meinung immer noch weit verbreitet, und Dragoş Petrescu glaubt, dass er eine faire Bewertung der Veränderungen der letzten 30 Jahre verhindere:



    Wenn wir davon ausgehen, dass Iliescu und seine Gruppe die Revolution beschlagnahmt oder gestohlen haben könnten, dann käme das meines Erachtens der Zerstörung einer der Sternstunden der Geschichte Rumäniens im 20. Jh. gleich. Die Revolution war der interessanteste Moment und der Moment, der uns wirklich stolz darauf machen konnte, Rumänen zu sein, jenseits der leeren Parolen des Ausdrucks stolz, Rumänen zu sein“, den populistische Politiker gerne bemühen. Und warum? Weil wir damit die grundlegenden Momente der rumänischen Revolution verleugnen würden. Die gewaltsame Unterdrückung der Revolution in Timişoara, des Volksprotestes, der sich in eine Revolution verwandelte, und andere solcher Momente hätten von Iliescu nicht kontrolliert werden können. Auch das Überschwappen des Aufstandes in Timişoara auf Bukarest am 21. Dezember 1989, als Ceauşescu durch eine herbeigetrommelte Jubelpartie versuchte, an den erfolgreichen Moment des 21. August 1968 anzubinden, als er den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei unter gro‎ßem Zuspruch der Bevölkerung verurteilt hatte, hätte nicht von Iliescu inszeniert werden können, denn es war nicht Iliescu, der Ceauşescu dazu überredet hatte, diese Kundgebung zu organisieren.“




    Der zweite Mythos, der sich im kollektiven Bewusstsein der Rumänen fest verankert hat, war, dass die Revolution von 1989 ein Staatsstreich war. Dragoş Petrescu meint, dass dieser Mythos durch den gleichen Verlauf der Ereignisse entstanden ist:



    Wir haben es in diesem Fall mit einer sehr interessanten historischen Denkübung zu tun. Häufig veranlasst uns das, was nach einem bestimmten Ereignis geschieht, unsere Meinung über das jeweilige Ereignis zu ändern. Mit anderen Worten hat die Frustration vieler rumänischer Bürger, besonders in Bezug auf das langsame Tempo der Reformen, und die Tatsache, dass Rumänien sich nur sehr mühsam europäische Demokratiestandards aneignete, viele Menschen dazu gebracht, den am 22. Dezember 1989 stattgefundenen Einschnitt zu leugnen. Der langsame Wandel, der äu‎ßerst mühselige demokratische Prozess, die Machtergreifung durch viele Kader aus der ehemaligen Nomenklatura des mittleren Ranges, der sogenannten Technokraten im Schlepptau der Kommunistischen Partei, all das hat viele Menschen dazu gebracht, ihre Anteilnahme an einem sehr wichtigen, ich würde sagen epochalen Ereignis für Rumänien zu leugnen. Der Wandel war real, Rumänien hat einen echten Regimewechsel erlebt, eine Revolution, und 1100 Tote und 3300 Verwundete machen Rumänien [unter den ehemaligen Ostblockstaaten] zum einzigen Beispiel einer echten Revolution.“




    Der Mythos der Terroristen, der drittstärkste Mythos, der mit der rumänischen Revolution verbunden ist, wurde von der neuen postkommunistischen Regierung, vertreten durch Ion Iliescu und die Nationale Rettungsfront, in die Welt gesetzt, ein Mythos, an den nur noch wenige Rumänen glauben. Dragoş Petrescu meint, dass dieser Mythos den neuen Machthabern perfekt diente, um Legitimation zu erlangen und ihre Ziele zu erreichen:



    Das Thema der Terroristen ist eng mit dem Thema der fast 900 tragischen und sinnlosen Todesfälle verbunden, die durch die Ablenkung und Verwirrung nach dem 22. Dezember verursacht wurden und die der neuen Regierung unmittelbar anzulasten sind. Meiner Meinung nach wurde die Verwirrung eindeutig und vorsätzlich durch regierungsnahe Kreise aufrechterhalten, um den neuen Machthabern zu helfen, ihre Position zu konsolidieren. Darüber hinaus diente sie dazu, dem revolutionären Tatendrang des Volkes ein Ende zu setzen, der zu Forderungen nach sofortiger Bestrafung derer hätte führen können, die sich des Missbrauchs während der kommunistischen Zeit schuldig gemacht hatten, insbesondere ehemalige Geheimpolizisten und ehemalige Mitglieder der kommunistischen Partei in Entscheidungspositionen. Der Mythos der Terroristen half, die Ablenkung und Verwirrung zu schüren, und Ion Iliescu setzte sich ständig dafür ein, ihn aufrecht zu erhalten.“


  • Nachrichten 07.12.2014

    Nachrichten 07.12.2014

    BUKAREST: Eine Delegation des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Kommission führt bis zum 10. Dezember Verhandlungen in Bukarest mit den rumänischen Behörden über das Haushaltsgesetz 2015. Bei den Gesprächen gab es divergente Ansichten betreffend das Haushaltsdefizit. Die IWF und EU-Vertreter plädieren für ein Haushaltsdefizit von 0,9% des Bruttoinlandsproduktes, während die Vertreter der Bukarester Regierung auf 1,4% des BIP bestehen. Ministerpräsident Victor Ponta ist der Meinung, die Forderung der internationalen Partner sei inakzeptabel, weil dies zur Reduzierung der Summen für Investitionen, Gesundheit und Kofinanzierung von europäischen Projekten führen würde. Am Freitag hatte auch der delegierte Haushaltsminister Darius Vâlcov behauptet, Rumänien könne sich eine Senkung des Haushaltsdefizits unter 1,4% des BIP nicht leisten. Ein Stand von 0,9% würde die rumänische Wirtschaft endgültig in die Knie zwingen, so Vâlcov.



    BUKAREST: Der Vorsitzende des Kreisrates Buzau, Cristinel Marian Bîgiu (von der mitregierenden Sozial-Demokratischen Partei PSD) und sein Patenkind, Florin Colgiu (Vorsitzender der lokalen Jugendorganisation der National-Liberalen Partei PNL, von der Opposition) sind von der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft in Gewahrsam genommen worden, unter Verdacht der Annahme von Bestechung. Die Antikorruptionsstaatsanwälte erklärten, sie hätten Cristinel Marian Bîgiu in flagranti ertappt, während er Bestechungsgeld von einem Geschäftsmann annahm, als Entgelt für die Genehmigung einiger Verträge. Florin Colgiu soll die Bestechung vermmittelt haben. Bis 2012, als er zum Kreisratsvorsitzenden gewählt wurde, war Bîgiu Senator der National-Liberalen Partei; im Herbst 2014 wechselte er von der National-Liberalen zur Sozial-Demokratischen Partei, infolge der Regierungsverordnung der Sozialdemokraten, die die Migration der Lokalratsvorsitzenden von einer Oppositionspartei zur regierenden Partei erlaubte. Laut Kommentatoren sei etwa die Hälfte der Kreisratsvorsitzenden in Rumänien in Korruptionsaffären verwickelt; fast alle sind Mitglieder der Sozial-Demokratischen oder der National-Liberalen Partei.



    CHISINAU: Das Parlament Polens hat das Assoziierungsabkommen zwischen der Republik Moldau und der Europäischen Union ratifiziert. Der polnische stellvertretende Aussenminister Tomasz Orlowski sagte bei einer Versammlung des Parlaments in Warschau, die Republik Moldau habe mit Erfolg Reformen durchgeführt und benötige ein zusätzliches Signal seitens der Europäischen Union, die dem Land eine europäische Zukunft sichern solle. Bis jetzt haben 10 EU-Staaten das Assoziierungsabkommen ratifiziert: Rumänien, Lettland, Malta, Estland, Litauen, Bulgarien, die Slowakei, Ungarn, Schweden und Polen. Das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau wurde am 27. Juni 2014 unterzeichnet und vom Parlament in Chisinau am 2. Juli ratifiziert. Um endgültig in Kraft zu treten, muss das Assoziierungsabkommen durch die 28 EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden.



    BERLIN: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Frankreich und Italien zu zusätzlichen Reformanstrengungen aufgerufen. Die EU-Kommission habe einen Zeitplan festgelegt, wann die beiden EU-Länder “weitere Ma‎ßnahmen” vorlegen müssten, sagte Merkel der Zeitung “Welt am Sonntag”. Das sei “vertretbar, denn beide Länder befinden sich ja tatsächlich in einem Reformprozess”, fügte Merkel hinzu. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte Ende November darauf verzichtet, Strafen gegen die beiden Länder zu verhängen, obwohl sie mehr Schulden machen wollen, als nach den EU-Stabilitätsregeln erlaubt ist. Brüssel gab Frankreich, Italien und fünf weiteren Ländern noch bis Anfang März Zeit, um ihre Haushaltsprobleme in den Griff zu bekommen und mögliche Strafzahlungen zu vermeiden. Die EU-Kommission habe aber auch “deutlich gemacht, dass das, was bis jetzt auf dem Tisch liegt, noch nicht ausreicht”, sagte Merkel der “Welt am Sonntag”. “Dem schlie‎ße ich mich an.” Mit Frankreich und Italien gab es zuletzt heftigen Streit über die Ausrichtung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik. Insbesondere Deutschland forderte immer wieder rasche Reformen zur Senkung der Defizite, meldet die Nachrichtenagentur France Presse.



    WASHINGTON: Der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, hat die “barbarische Ermordung” des US-Fotografen Luke Somers verurteilt. Das teilte das Wei‎ße Haus am Samstag mit. Bei der Befreiungsaktion am Freitag war Somers, der vor 15 Monaten im Jemen entführt worden war, von seinen Entführern angeschossen worden und wenig später gestorben, wie die “New York Times” berichtet. Obama sprach der Familie des US-Fotografen sowie der Familie eines Südafrikaners, der bei der Befreiungsaktion ebenfalls ums Leben kam, sein Mitgefühl aus. Trotz der gescheiterten Befreiung wolle Obama auch weiterhin “alles tun, um US-Bürger zu schützen”. “Terroristen, die US-Bürger schaden wollen, müssen mit dem langen Arm der US-Justiz rechnen”, betonte Obama.



    In den europäischen Ländern hat sich die Gesundheit der Bevölkerung deutlich verbessert, allerdings gibt es nach wie vor gro‎ße Unterschiede bezüglich des Gesundheitszustandes sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb der einzelnen Staaten, steht im Jahresbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die Lebenserwartung bei der Geburt ist in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) seit 1990 um durchschnittlich mehr als fünf Jahre gestiegen, wobei die Differenz zwischen den Ländern mit der höchsten und denen mit der niedrigsten Lebenserwartung weiterhin rund acht Jahre beträgt. Au‎ßerdem bestehen innerhalb der Länder nach wie vor gro‎ße Unterschiede zwischen einzelnen sozioökonomischen Gruppen: Personen mit höherem Bildungsstand und Einkommen sind gesünder und leben mehrere Jahre länger als Angehörige stärker benachteiligter Gruppen. Diese Ungleichheiten sind auf viele Faktoren zurückzuführen, auch auf solche, die nicht Teil des Gesundheitssystems sind, wie das Umfeld, in dem eine Person lebt und persönliche Lebens- und Verhaltensweisen sowie auf Unterschiede bezüglich des Zugangs zu Gesundheitsversorgung und der Qualität dieser Versorgung. Die Lebenserwartung bei der Geburt ist in den EU-Mitgliedstaaten zwischen 1990 und 2012 um mehr als fünf Jahre auf 79,2 Jahre gestiegen. Die Differenz zwischen den Ländern mit der höchsten Lebenserwartung (Spanien, Italien und Frankreich) und denen mit der niedrigsten (Litauen, Lettland, Bulgarien und Rumänien) hat sich jedoch seit 1990 nicht verringert.

  • Bukarest Souterrain – Unter den Straßen der rumänischen Hauptstadt

    Bukarest Souterrain – Unter den Straßen der rumänischen Hauptstadt

    Bukarest hat eine spannende Geschichte, und besonders faszinierend ist die Geschichte der Stadt unter der Stadt, die Geschichte der Souterrains. Stra‎ßen, Tunnel, unterirdische Flüsse, Bunker, Katakomben, riesige Hallen voller Geheimnisse, Labyrinthe — eine wenig bekannte Schattenwelt unter der Hauptstadt Rumäniens. Mit ihrer blühenden Phantasie haben viele Parapsychologie-Fans das Mythos einer parallellen Stadt geschaffen — abgesehen davon gibt es aber in der Tat ein unterirdisches Bukarest mit spektakulären Souterrains.



    Unter den Stra‎ßen und den Gebäuden von Bukarest sind im Laufe der Zeit Souterrains zu ganz bestimmten Zwecken entstanden. Im Mittelalter bauten die Weinproduzenten und die Weinhändler gewaltige Keller, um den Wein in riesigen Fässern zu lagern. Diese Weinkeller waren so gro‎ß, da‎ß Weinkarren dadurch fahren konnten. Im 19. Jh. entstanden gro‎ße Gebäude mit Fluchttunneln. Ein Beispiel dafür ist der 1 Kilometer lange Tunnel vom Palast Ghica-Tei, im Nordosten Bukarests, der bis zum Kloster Plumbuita führt. Im Zentrum der Stadt, im Nordwesten des Parks Cişmigiu, befindet sich die Kirche Schitu Măgureanu — sie ist durch mehrere Souterrains mit dem Kretzulescu-Palast verbunden, der etwa 100 Meter ostwärts entfernt liegt. Die wichtigsten Bukarester Souterrains sind aber diejenige, die unter dem Revolutionsplatz in der Stadtmitte laufen.



    Augustin Ioan ist Professor für Architekturgeschichte an der Bukarester Hochschule für Architektur und Städtebau. Er erläutert die Gründe, warum die Bukarester Souterrains nicht als praktische, zweckmä‎ßige Bauten, sondern eher als geheimnisumwobene Stadtgeschichte attraktiver wurden:



    Das Thema ‚Souterrains‘ ist ein interessantes Thema, das in der Geschichte Bukarests immer wieder auftaucht. Es gab eine richtige Souterrain-Besessenheit, man wollte geheime Fluchtwege zur Verfügung haben, falls das osmanische Heer die Stadt besetzen sollte. Wie alle Städte au‎ßerhalb der Karpaten durfte auch Bukarest keine Festungsanlagen haben — die osmanische Verwaltung hatte es verboten. Die von der Hohen Pforte ernannten Herrscher lebten in der ständigen Furcht, eines Tages abgesetzt zu werden, was in der Regel einer Hinrichtung gleich war. Deshalb wollten sie Fluchttunnel haben, um sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Im 18. Jh. lie‎ß Fürst Alexandru Ipsilanti einen mehrere Kilometer langen Tunnel bauen, der vom offiziellen Fürstenpalais auf der Calea Victoriei bis zu seiner eigenen Residenz, in der Gegend des heutigen Parlamentsgebäudes, führte. Es gibt viele Geschichten über die Bukarester Souterrains. Unter dem Ghica-Palast existiert mit Sicherheit ein Tunnel, er ist gro‎ß genug, damit eine gro‎ße Kutsche dadurch fahren kann.“



    1989 waren die Bukarester Souterrains plötzlich zum Hauptthema der Öffentlichkeit geworden; die radikalen Änderungen, mit denen die rumänische Gesellschaft konfrontiert wurde, führten zu einer wahren Psychose — man fühlte sich ständig von Terroristen“ bedroht, die sich unerkannt und ungestört durch geheime Souterrains bewegten und jeden einfachen Bürger ermorden konnten. Augustin Ioan kennt viele Geschichten, die ihm von sog. Zeitzeugen“ als durchaus wahre Begebenheiten erzählt wurden:



    Die Bukarester Souterrains, die geheimen Tunnel unter der Stadt, wurden in den bewegten Tagen der rumänischen Revolution zum wichtigen Gesprächsthema. Man sprach ständig von Terroristen, wie sie aus dem Nichts auftauchten und wieder verschwanden, es wurden auch einige Falltüren am heutigen Revolutionsplatz entdeckt, die zu den Tunneln unter dem Gebäude des damaligen Zentralkomitees der Kommunistischen Partei führten. Diese Geschichten sind bis heute nicht geklärt worden, sie gehören inzwischen zu einer sog. ‚Mythologie‘ der rumänischen Revolution. Es handelte sich um eine Massenobsession, die psychologisch erklärbar ist. In diesem Zusammenhang agiert die Massenpsychologie — die Geschichten um das ehemalige ‚Haus der Republik‘ oder ‚Haus des Volkes‘, das heutige Parlamentsgebäude, sind das beste Beispiel dafür. Die geheimen Tunnel unter dem Gebäude, die nur die Eingeweihten kennen, funktionieren im Unterbewu‎ßtsein der Bürger wie das Thema des Menschenopfers in der Ballade ‚Meister Manole‘“.



    Die Ballade vom Maurermeister Manole erzählt, da‎ß der Schwarze Prinz in einem schönen Tal ein Kloster errichten wollte. Als er einen Schäfer sieht, der auf seiner Flöte spielt, fragt der Prinz ihn, ob er nicht auf seinem Weg irgendwo verlassene Mauern gesehen habe, die nicht fertig gebaut wurden. Dieser entgegnet, da‎ß er welche gesehen hat. Und da‎ß bei deren Anblick seine Hunde heulen, als ob der Tod sie verfolgen würde. Der Schwarze Prinz zeigt Meister Manole und den anderen neun Maurern die Mauern und trägt auf, hier das schönste Kloster auf Erden zu errichten.



    Das, was sie tagsüber bauen, stürzt jedoch nachts immer wieder ein, so da‎ß der Prinz ungeduldig wird und ihnen droht, sie lebendig einzumauern. Manole erfährt in einem Traum, da‎ß die Mauern stehen bleiben, wenn sie die Frau, Schwester oder Braut einmauern, die am nächsten Morgen als erste auf der Baustelle ist. Am nächsten Morgen sieht er jedoch schon von weitem, da‎ß es seine Frau ist, die als erste kommt. So bittet er Gott, er möge es so heftig regnen lassen, da‎ß die Flüsse über die Ufer steigen und sie nicht mehr weiterkommt. Gott hat Erbarmen und lässt es regnen. Sie kämpft sich aber durch. Da bittet er Gott um einen Sturm. Sie kommt aber auch dort hindurch und kommt erschöpft an. Alle anderen Maurer sind erleichtert, als sie die Frau sehen. Er sagt zu ihr, da‎ß sie Spa‎ß machen wollen und sie einmauern. Die Mauer wächst und die Frau lächelt nicht mehr und meint, da‎ß die Mauer sie erdrückt. Manole arbeitet aber stumm weiter. Sie fleht ihn an, da‎ß die Mauer ihre Brust und ihr ungeborenes Kind erdrückt. Er baut sie aber komplett ein und hört sie nur noch seufzen, da‎ß ihr Leben erlischt.



    Das Kloster, schön wie kein Zweites auf dieser Erde, wird fertig gestellt. Der Prinz kommt und bewundert es und fragt die Maurer, ob sie ein noch schöneres bauen könnten, was diese bejahen. Daraufhin wird er wütend und lä‎ßt das Gerüst wegnehmen, damit die Maurer auf dem Dach elendig sterben. Sie aber machen sich Flügel aus Schindeln, um herunterzuspringen, sterben jedoch alle. Als Manole springen will, hört er eine erstickte Stimme aus der Mauer: Die Mauer erdrückt mich.“ Da erfa‎ßt ihn gro‎ßer Gram, und er stürzt in den Tod. An der Stelle, wo er aufschlägt, entspringt sofort eine Quelle, aber ihr Wasser ist bitter wie die Tränen.



    Die Legende des Meisters Manole lebt noch in der modernen Zeit. Ein Offizier, der bei den Bauarbeiten zum Haus des Volkes“ anwesend war, erzählte, er habe selbst gesehen, wie ein Arbeiter in ein Betonfundament geworfen und dort eingemauert wurde. Nach 1989 sprach man über diesen Fall, eine Familie hätte damals bitter geweint. Es gibt oft Zeitzeugenerzählungen, die repräsentative Prachtbauten mit solchen Gründungsmythen in Verbindung bringen.



    Zum Bukarester Parlamentsgebäude, dem ehemaligen Haus des Volkes“, und seinen geheimen Souterrains gibt es noch eine spannende Geschichte. Anfang der 1990er Jahre ging Augustin Ioan mit einer Gruppe von Journalisten zum untersten Gescho‎ß des Palastes. Dort machte die Architektin Anda Ştefan verblüffende Bildaufnahmen, die in einer Ausstellung öffentlich gemacht wurden. Augustin Ioan:



    Im Souterrain trafen wir auf einige Arbeiter, die ein Spa einrichteten, sie brachten Keramikfliesen an den Wänden. Auf die Frage, wer die Arbeiten angeordnet habe, wollten sie nicht antworten. Keiner wollte zugeben, da‎ß er einen Auftrag und Geld dafür bekommen hätte. Um zu beweisen, da‎ß er nichts zu verbergen hat, führte der Verwalter die Journalisten und ein Fernsehteam bis zum untersten Gescho‎ß des Gebäudes. Dort war es vollkommen dunkel, das einzige Licht kam von den Aufnahmekameras. Eine Architektin machte auch Fotos mit Blitzlicht, aber sie sah gar nichts, sie nahm blo‎ß Bilder in voller Finsternis auf. Erst später, auf den fertigen Bildern, sah man, da‎ß an den Wänden Anarchisten-Sprüche und Freimaurer-Symbole gemalt waren, an einem Ort, wo niemand gelangen konnte — und wäre jemand dorthin gelangt, so hätte man da nichts tun können. Das Untergeschoss war voller Abfälle — am liebsten hätte man dort saubermachen sollen.“



    Geheimnisse und Mysterien sind immer interessanter als die banale Wirklichkeit, und die Mischung von Realität und Phantasie macht gerade den Charme der Geschichte Bukarests aus.



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  • Die öffentliche Wahrnehmung der rumänischen Revolution von 1989

    Die öffentliche Wahrnehmung der rumänischen Revolution von 1989

    Eine Obsession der rumänischen Revolution vom Dezember 1989 waren die sogen. Terroristen. Die mutma‎ßliche Verwicklung ausländischer Geheimdienste im Verlauf der Ereignisse hat zudem tief enttäuscht. Die Terroristen wurden zu einer wahrhaften Neurose, die die Wahrnehmung des wichtigsten Moments in der jüngeren Geschichte Rumäniens beeinflusst hat. Die Opfer vom Dezember, der nachfolgende langwierige Wandel und die enttäuschten Erwartungen brachten einige dazu, die rumänische Revolution mit Bedauern oder sogar mit Verachtung zu betrachten.



    Der Historiker Adrian Cioroianu von der Fakultät für Geschichte in Bukarest hat versucht zu erläutern, wer die sogenannten Terroristen waren, die damals aus dem Hinterhalt auf Menschen schossen:



    Es ist ein Begriff, an den viele damals geglaubt haben. Was wir heute als Terroristen bezeichnen, hätten Söldner-Truppen aus mehr oder weniger arabischen Ländern, es hätten die berüchtigten sowjetischen ‚Touristen‘ sein können. Was wir jetzt geschichtlich mit Gewissheit sagen können, ist, dass ein gro‎ßer Teil derjenigen, die bis zum 25. Dezember und sporadisch auch nach diesem Datum geschossen haben, Ceauşescu treu gebliebene Elemente der internen Sicherheitspolizei Securitate gewesen sein könnten. Wenn wir die Verschwörungstheorie befolgen, können wir natürlich Vermutungen anstellen, dass alles gro‎ßartig in Szene gesetzt wurde, um den Eindruck einer Revolution zu erwecken. Das ist eine Interpretation, vor der ich Angst habe, und ich wünsche mir, dass diese in Zukunft nicht bestätigt wird. Es würde zynisch sein, bei den Gefechten sind Menschen ums Leben gekommen.“



    Von Historikern erwartet man gewöhnlich eine klare Antwort betreffend die Terroristen. Aber ihre wohlüberlegten Erklärungen besitzen nicht die Überzeugungskraft der Verschwörungstheorien. Adrian Cioroianu über die Schwierigkeiten, auf die Historiker bei der Deutung geschichtlicher Ereignisse sto‎ßen:



    Solange wir keine glaubwürdigen Berichte von den Zeitzeugen bekommen, die damals die Situation kontrolliert haben, ist die Aufgabe des Historikers eine ziemlich undankbare. Wir können nur Zeugenaussagen von damals sammeln, ihre Glaubwürdigkeit ist aber streitbar. Damals, im Schock und Chaos, war es schwer, zwischen tatsächlich Erlebtem und Eingebildetem, zwischen wahren Eindrücken und falschen Wahrnehmungen zu unterscheiden. Der Historiker ist aber dazu verurteilt, nach der Wahrheit zu suchen. In einer chaotischen Periode ist es praktisch unmöglich, die Wahrheit zu finden, wenn diejenigen, die die Situation verwaltet haben, ihren Teil der Wahrheit nicht sagen. Veteranen der Geheimdienste, diejenigen, die im Dezember 1989 die Macht verloren haben, sprechen von einem Komplott, das vorbereitet gewesen wäre, manche sagen in der Sowjetunion. Wir können nur spekulieren, so lange wir keine minimale Dokumentations-Basis haben.“



    In der Geschichte der Revolutionen spricht man von konterrevolutionären Bewegungen, die sich der Revolution widersetzen. Manche Historiker meinen, die rumänische Revolution sei wegen der Anwesenheit der Terroristen atypisch gewesen. Adrian Cioroianu ist anderer Meinung:



    Ich glaube nicht, dass die rumänische Revolution atypisch war. Sie unterscheidet sich von den anderen in Osteuropa, wenn wir uns mit der Tschechoslowakei, mit Ungarn oder mit der DDR vergleichen. Wir müssen akzeptieren, dass die Existenz eines kommunistischen nationalen Regimes, so wie dieses in Ungarn, Polen oder der Tschechoslowakei nicht existierte, uns von Anfang an zu solchen Auseinandersetzungen verurteilte: Menschen, die gegen Ceauşescu ein Komplott schmiedeten, und Menschen, die Ceauşescu verteidigten. Wenn wir das heute mit klaren Augen betrachten, hätten wir diese Polarisierung und diese Trennung in zwei Konflikt-Parteien erwarten müssen. Und ich möchte dabei nur auf den Fall Jugoslawien verweisen: Dort gab es auch einen nationalen Kommunismus, und wir wissen, wie lange die Trennung von dem noch als kommunistisch angesehenen Regime von Milošević gedauert hat. Der National-Kommunismus hat immer solche Probleme verursacht und hat zu internen Konflikten geführt.“



    Gibt es eine Chance, dass die Rumänen den wahren Wert der Revolution vom Dezember 1989 erkennen werden? Adrian Cioroianu ist optimistisch:



    Ich bin mir sicher, dass immer mehr Rumänen zu der vernünftigen Schlussfolgerung kommen werden, dass diese Energiefreisetzung vom Dezember 1989 — zumindest aufgrund ihrer Folgen — eine Revolution war. Neutral sprechen wir ja von den ‚Dezember-Ereignissen‘, gerade weil wir vermeiden möchten, einen generischen Namen zu finden. Ich glaube, wir müssten es Revolution nennen, weil die Folgen denen einer Revolution entsprechen, ungeachtet dessen, was sich diejenigen vorgestellt haben, die möglicherweise einen Putsch gegen Ceauşescu vorbereitet hatten. Wenn solche Ereignisse in einem Land passieren, treten normalerweise die Geheimdienste der Nachbarländer in Alarmbereitschaft. Wir dürfen uns nicht vorstellen, dass die sowjetischen Geheimdienste, die Geheimdienste Jugoslawiens und Ungarns die Ereignisse in Rumänien nicht aufmerksam verfolgten. Das war ihre Pflicht. Natürlich muss man zwischen Aufmerksamkeit und Verwicklung unterscheiden. Für uns ist es aber noch nicht klar, inwieweit die Sowjetunion verwickelt war. Ich bin mir aber sicher, dass die Zeit alles heilt, auch in der Geschichte.“



    Die Revolution vom Dezember 1989 hat nach 45 Jahren Kommunismus die Freiheit und die Demokratie zurückgebracht. Die heutige Unzufriedenheit der Rumänen ist unbedeutend gegenüber dem Leben unter der kommunistischen Tyrannei.



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