Tag: Tschechoslowakei

  • Rumänien und Polen zwischen den beiden Weltkriegen: gemeinsames Vorgehen gegen Revisionismus

    Rumänien und Polen zwischen den beiden Weltkriegen: gemeinsames Vorgehen gegen Revisionismus




    Nach Ende des Ersten Weltkriegs änderte sich die Landkarte Europas radikal: Weltreiche wie Österreich-Ungarn, das zaristische Russland und das Osmanische Reich erlebten ihren Untergang, und an ihrer Stelle entstanden Nationalstaaten. Zehn Millionen Menschen hatten ihr Leben im Ersten Weltkrieg verloren, doch trotz der Sehnsucht nach Frieden und Völkerverständigung herrschte auch nach dem verhassten Krieg keine Eintracht zwischen den ehemaligen Kriegsparteien. Die Verlierer suchten mit allen Mitteln nach einer Möglichkeit, die Gebietsverluste — wenn nötig auch mit Waffengewalt — wieder rückgängig zu machen, was schlechthin als Revisionismus bezeichnet wurde. Die Siegermächte und vor allem ihre Verbündeten versuchten ihrerseits, eine neue Politik der Allianzen zu schmieden, um den Revanchismus zu konterkarieren und einen neuen Krieg zu verhindern. Wie die späteren Entwicklungen zeigten, konnte der Zweite Weltkrieg nicht abgewendet werden — mit wenigen Ausnahmen standen sich dieselben verfeindeten Parteien gegenüber und die kriegerischen Auseinandersetzungen hatten noch schrecklichere Folgen.



    Rumänien und Polen hatten gemeinsame Interessen nach 1918, und so kam es zu einer verstärkten Annäherung zwischen den beiden Staaten, zumal es schon im Mittelalter gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen rumänischen und polnischen Staatsgebilden gegeben hatte und es nach dem Ersten Weltkrieg sogar erneut zur Existenz einer kleinen gemeinsamen Staatsgrenze gekommen war. Der Historiker Ioan Scurtu erläutert, wie es zum Brückenschlag zwischen Rumänien und Polen beginnend mit 1921 kam.



    Mit dem Abkommen vom März 1921, das auch eine militärische Komponente hatte, vereinbarte man gegenseitige Hilfe im Fall eines Angriffs Sowjetrusslands an der Ostgrenze. Polen hatte bereits im Ersten Weltkrieg russische und ukrainische Truppen bekämpft und brauchte diese Unterstützung. Und beide Länder wollten einen befreundeten Staat in ihrer Nachbarschaft — Polen zählte also auf ein freundlich gesinntes Rumänien an seiner Südgrenze, ebenso wie Rumänien ein befreundetes Land im Norden brauchte. Das war schon im Mittelalter so gewesen, als das Fürstentum Moldau und das damalige Polen Nachbarstaaten waren.“




    Rumänien und Polen wollten darüber hinaus auch internationale Anerkennung erlangen, und dafür war eine Politik der regionalen Kooperation besonders förderlich. Die zweite Säule der Absicherung der neuen Grenzen und ihrer Anerkennung war die Berufung auf die Prinzipien der Vereinten Nationen, mit denen Europa ein neuer Krieg erspart werden sollte. Doch die Logik des Kriegs war nicht aus der Welt geräumt worden, und so folgte man eher dem Prinzip, dass Frieden nur durch neue Kriegsvorbereitungen gesichert werden könne. Daher erneuerten Rumänien und Polen das militärische Kooperationsabkommen im Jahr 1926. Der Historiker Ioan Scurtu kennt die Details dieses Dokuments:



    Das Dokument sah die Ausarbeitung eines detaillierten Plans zur militärischen Kooperation zwischen den beiden Staaten vor. Und so trafen sich Vertreter der Generalstäbe mehrfach und vereinbarten die konkreten Kooperationsbedingungen. Neu war im Vergleich zum vorangegangenen Abkommen von 1921, dass es keinen ausdrücklichen Bezug auf die Ostgrenze, also jener zur Sowjetunion mehr gab. Im Abkommen von 1926 stand, dass die beiden Staaten sich zu Hilfe eilen würden, wenn ein Drittstaat einen grundlosen Angriff auf einen der beiden Vertragspartner — egal aus welcher Richtung — starten würde. Es ging also um die Kooperation der rumänischen und polnischen Streitkräfte an allen Grenzen.“




    Die verhei‎ßungsvolle militärische Kooperation zwischen Rumänien und Polen sollte jedoch bald vor neue Herausforderungen gestellt werden. Der Historiker Ioan Scurtu erneut mit Einzelheiten:



    Polen hatte einen Gebietsstreit mit der Tschechoslowakei, und die Tschechoslowakei war ebenfalls ein Bündnispartner Rumäniens im Rahmen der sogenannte Kleinen Entente. Aus diesem Grund konnten die rumänisch-polnischen Militärpläne, die u.a. gemeinsame Truppenübungen vorsahen, nicht mehr umgesetzt werden, denn Rumänien wollte sich mit keinem der beiden verbündeten Staaten einen Streit einhandeln. Darüber hinaus gab es zwischen Polen und der Tschechoslowakei auch einen ehrgeizigen Disput, wer als der wichtigste Verbündete Rumäniens zu gelten hat. Als der rumänische Ministerpräsident Take Ionescu Polen und der Tschechoslowakei bereits 1919 vorgeschlagen hatte, eine Allianz vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer zu schmieden, haben beide Staaten diesen Vorschlag abgelehnt. Die Region um Těšín/Cieszyn, über deren Zugehörigkeit sich Polen und die Tschechoslowakei stritten, war besonders reich an Kohle — und Kohleförderung spielte damals noch eine äu‎ßerst wichtige Rolle. Au‎ßerdem hatte die Tschechoslowakei Grenzstreitigkeiten auch mit Ungarn, während Polen keine hatte und befürchtete, dass eine zu enge Kooperation mit der Tschechoslowakei Ungarn feindselig stimmen würde.“




    Mitte der 1930er Jahre wurde die Lage auf dem Kontinent noch dramatischer. Frankreich und Gro‎ßbritannien, die Garanten der Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg, versuchten, das immer aggressiver werdende Nazi-Deutschland durch eine Beschwichtigungspolitik zu bändigen. Doch für Polen war das ein schwacher Trost — das Land war zwischen Deutschland und der Sowjetunion, dem Nachfolgestaat des zaristischen Russland, eingepfercht, und die Gro‎ßmächte hatten sich Polen mehrmals in der Geschichte untereinander aufgeteilt. Von 1795 bis Ende des Ersten Weltkriegs war der souveräne polnische Staat sogar von der Landkarte Europas verschwunden. Daher war Polen in erster Linie darum bemüht, Ruhe an seinen Grenzen zu haben. Dazu gehörte eine Au‎ßenpolitik, die auf Taktieren setzte, wei‎ß der Historiker Ioan Scurtu:



    Die polnische Diplomatie lavierte ziemlich geschickt durch diese Konstellation und sie schaffte es zeitweilig sogar, eine gewisse Nähe zur Sowjetunion zu etablieren und eine Art Nichtangriffspakt zu vereinbaren. Auch mit Deutschland gelang den Polen 1934 ein ähnliches Kunststück: Polen und Deutschland verpflichteten sich, das Pariser Abkommen von 1928 umzusetzen, in dem vorgesehen war, dass Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte zwischen europäischen Staaten ausschlie‎ßlich mit nicht kriegerischen Mitteln beigelegt werden sollen. Vor diesem diesem Hintergrund entfaltete Oberst Józef Beck, der damalige Au‎ßenminister Polens, eine regelrechte Kampagne gegen den rumänischen Diplomaten Nicolae Titulescu, der Präsident der Generalversammlung des Völkerbundes war und eine andere Vision hatte: Ihm schwebte vor, ein staatenübergreifendes Sicherheitssystem zu etablieren, mit dem man Nazi-Deutschland hätte in seine Schranken weisen können. Schlie‎ßlich hat sich diese Taktik Polens als trügerisch erwiesen: Am 1. September 1939 wurde Polen von Nazi-Deutschland angegriffen, und am 17. September marschierten auch sowjetische Truppen in Ostpolen ein.“




    Polen und Rumänien wurden schlie‎ßlich beide Opfer des Hitler-Stalin-Paktes — zunächst Polen im Herbst 1939, danach Rumänien im Sommer 1940. Doch trotz der zeitweiligen Verstimmungen zwischen Józef Beck und Nicolae Titulescu lie‎ß Rumänien die alte Freundschaft auch weiterhin währen: Polen wurde erlaubt, seine politische Führung, Teile der Streitkräfte und seinen Staatsschatz durch rumänisches Staatsterritorium ins sichere Exil zu bringen.

  • Radio Novi Sad in Rumänisch: zur Geschichte des Minderheitensenders

    Radio Novi Sad in Rumänisch: zur Geschichte des Minderheitensenders

    Rumänischsprachige Radiosender au‎ßerhalb Rumäniens hatten unterschiedliche Betriebszeiten, kürzere oder längere. Einer der langlebigsten Sender ist Radio Novi Sad in der Vojvodina, der Teilrepublik im ehemaligen Jugoslawien. Er ist einer der wenigen rumänischsprachigen Rundfunksender au‎ßerhalb Rumäniens mit einer ununterbrochenen Sendedauer von über 70 Jahren.



    Gegründet 1949, hatte der rumänischsprachige Radiosender in der Hauptstadt des serbischen Banats von Anfang an auch eine politische Komponente. Ion Marcovicean war 27 Jahre alt, als er als Redakteur der rumänischen Programme von Radio Novi Sad zu arbeiten begann. In einem Interview, das er 1999 dem Zentrum für mündliche Geschichte des rumänischen Rundfunks gewährte, erläuterte Marcovicean die politische Verstrickung von Radio Novi Sad und den Auftrag des Senders, Jugoslawien gegen sowjetische Propaganda zu verteidigen.



    Im Jahr 1949, am 29. November, dem Tag der Republik, wurde der Radiosender Novi Sad eröffnet. Er wurde früher eröffnet, als er hätte eröffnet werden sollen, aus dem einfachen Grund, dass die internationale Situation angespannt war. Ich denke dabei an die Angriffe auf Jugoslawien durch das Informationsbüro und die Sowjetunion. Es gab ein jugoslawisches Radio in Belgrad, das auf die Angriffe der Sowjetunion reagierte, allerdings eher theoretisch. Man merkte, dass es nicht den gewünschten Effekt hatte, und deshalb wurde die Gründung des Radiosenders Novi Sad beschleunigt, mit der Absicht, die reale Situation in Jugoslawien, das Leben aller Nationalitäten, jeder sozialen Schicht darzustellen, um in der Lage zu sein, die Angriffe, die Propaganda, die vom Informationsbüro kam, zu konterkarieren.“




    Drei Journalisten und eine Schreibkraft legten den Grundstein für die Redaktion in rumänischer Sprache bei Radio Novi Sad. Die erste Sendung wurde über einen Halbkilowatt-Sender ausgestrahlt und war nur in der Nähe der Stadt zu hören. Aber die Ausstattung mit neueren und leistungsfähigeren Sendern lie‎ß die Stimmen der Moderatoren immer mehr Reichweite erlangen. Ion Marcovicean erinnert sich, dass die Nachrichtenübertragung von Tanjug, der jugoslawischen Nachrichtenagentur, kam. Die Journalisten begannen, Interviews und Berichte aufzuzeichnen, wobei sie sich Material und Informationen von anderen Nachrichtenredaktionen wie der ungarischen und slowakischen ausliehen. Die Sendungen beinhalteten laut Marcovicean aktuelle, kulturelle und politische Propaganda.



    Die Struktur der Sendungen war im Allgemeinen belehrend-erzieherisch, weil es die Zeit war, in der man das Bewusstsein der Menschen für die Gesellschaft, für den Sozialismus als solchen, für die Situation im Lande wecken wollte: wie man zur Bereicherung des kulturellen Lebens vorgehen sollte, wie man die landwirtschaftliche Produktion steigern konnte. Es gab Programme wie »Die Sendung für Dorfhörer«, eine der meistgehörten Sendungen, »Über das Leben unserer Schätze«, »Wissenschaft und Technik«, »Eltern und Kinder«, »Aufbau des Sozialismus«, »Kultur und Laienkunst«.“




    Die Sendungen des rumänischen Dienstes wurden 20–25 Minuten lang ausgestrahlt, beginnend mit 5.45, 8, 13, 18 und 22 Uhr. Am Morgen gab es mehr Nachrichten und die Wettervorhersage und die politischen Kolumnen waren am Abend dran. Radio Novi Sad erhielt Briefe von Hörern, die der Redaktion zu den Sendungen gratulierten — ein Anlass zu gro‎ßer Genugtuung für die Radiojournalisten. Sicherlich ging es bei vielen um Antworten auf Fragen der Redaktion zu Preisausschreiben. Ion Marcovicean räumte jedoch ein, dass auch Nachrichten und Informationen über die illegalen Grenzübertritte zwischen Rumänien und Jugoslawien gesendet wurden.



    Die Nachrichten wurden folgenderma‎ßen aufbereitet: Wer beim illegalen Grenzübertritt gefasst wurde, wer entkommen konnte, wer sogar erschossen wurde. Es gab Schüsse auf beiden Seiten, und die Grenzer schossen auf Flüchtlinge, die entweder hinüber oder herüber wollten. Auf der anderen Seite gab es auch Leute von unserer Seite, die dem Informationsbüro aus Moskau Glauben schenkten und nach Rumänien und weiter in die Sowjetunion ziehen wollten. Unter ihnen war ein jugoslawischer General, der an der Grenze von rumänischen Grenzern erschossen wurde. Aber ein paar Rumänen schafften es, nach Jugoslawien zu kommen, darunter ein gewisser Dimitriu, der zu uns kam und eine Zeit lang als Korrektor beim Radio arbeitete. In den 1950er Jahren kam eine serbischstämmige Dame aus Rumänien, sie arbeitete lange Zeit bei uns im Radio als Ansagerin.“




    Das gro‎ße Ereignis des Jahres 1956 war die antikommunistische Revolution in Ungarn, die mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppem endete. Die Berichterstattung darüber war auch in den rumänischen Programmen von Radio Novi Sad präsent. Ion Marcovicean erinnert sich an die ideologischen Umstände.



    Man war der Meinung, dass die Geschehnisse ein Ausdruck des sowjetischen Imperialismus waren. Wir haben die Angelegenheit sehr ernsthaft kommentiert, und auch über alle nachfolgenden Prozesse, sowohl in Ungarn als auch in der Tschechoslowakei und in Polen, wurde ausführlich berichtet. Wir hatten zwar keine Korrespondenten in Ungarn, d.h. wir, die Nachrichtenredaktion als solche, keine Nachrichtenredaktion hatte spezielle Korrespondenten. Doch Tanjug und Radio Belgrad hatten Korrespondenten in bestimmten Hauptstädten, und wir erhielten von ihnen Material, das wir in die jeweilige Redaktionssprache übersetzten. Unser damalige jugoslawische Botschafter in Moskau, [Veljko] Mićunović, schrieb eine Art Tagebuch, das wir übersetzten. Er beschrieb das Vorgehen der Sowjets in Ungarn als befremdlich. Während des sowjetischen Eingriffs war auch ein Mitarbeiter der jugoslawischen Botschaft in Ungarn ums Leben gekommen.“




    In den 1980er Jahren war Radio Novi Sad für die Rumänen in der angrenzenden Region Banat ein Fenster zu einer Gesellschaft mit einer weniger strammen Ideologie und weniger Mangelwirtschaft. Auch heute, über drei Jahrzehnte nach dem Wendejahr 1989, existiert die rumänische Sprache immer noch auf den Radiowellen aus der Hauptstadt der Vojvodina.

  • Internationale der Geheimpolizeien: Wie tickten die kommunistischen Geheimdienste?

    Internationale der Geheimpolizeien: Wie tickten die kommunistischen Geheimdienste?

    Nach 1945, dem Jahr der vollständigen Besetzung Mittel- und Osteuropas durch die Sowjetunion nach der Niederlage Nazi-Deutschlands, begann ein neues Regime in der Geschichte der Region: der Kommunismus. Das kommunistische Regime wurde im Jahr 1917 von einer radikalen marxistischen Gruppe unter der Führung des Russen Wladimir Iljitsch Lenin gegründet und basierte auf Unterdrückung und Terror durch die politische Polizei. Unabhängig davon, ob sie in der Sowjetunion TSCHEKA, NKWD oder KGB, in Ungarn AVH, in Polen SB, in der Tschechoslowakei ŠtB, in der DDR STASI oder in Rumänien SECURITATE hie‎ß, hatte die Geheimpolizei etwa die gleiche Struktur und Mission: jeden Versuch, die Autorität des Regimes zu untergraben, durch das Sammeln von Informationen und durch physische Beseitigung zu unterbinden. Das Modell der grausamen Einrichtung, die für Dutzende Millionen von Opfern in der Sowjetunion verantwortlich war, wurde von dem berüchtigten Feliks Dzierżyński, dem ersten Leiter der politischen Polizei, erfunden und dann in den besetzten Ländern umgesetzt.



    Die Geheimpolizei-Einrichtungen der Länder Mittel- und Osteuropas haben sich mehr als 40 Jahren in gleicher Weise verhalten. Wenn sie sich so lange so ähnlich verhalten haben, was war dann ihr Schicksal nach 1989, als das kommunistische Regime sein wohlverdientes Ende fand? Gab es Unterschiede in den verschiedenen ex-kommunistischen Staaten? Der Historiker Marius Oprea, mit dem wir über die Situation der Repressionsapparate im Ostblock nach 1989 gesprochen haben, ist der Meinung, dass deren Schicksal ähnlich war, mit Ausnahme der STASI in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.



    In allen ex-kommunistischen Ländern gibt es ähnliche Verhaltensweisen der ehemaligen politischen Polizei und der Informationsstrukturen, aber an einigen Orten konnten sich die ehemaligen Geheimdienstler nicht manifestieren oder profilieren. Ein sehr gutes Beispiel ist die ehemalige DDR, wo alle STASI-Offiziere nach Listen bekannt wurden. Gegebenenfalls wurden sie vor Gericht gebracht, aber in jedem Fall arbeiteten sie nicht mehr im System. Auf Einladung von Joachim Gauck studierte ich die STASI-Archive mehr als einen Monat lang zusammen mit dem Politiker und ehemaligen politischen Gefangenen Ticu Dumitrescu. Der Taxifahrer, der mich immer mit dem Taxi vom Hotel zum STASI-Archiv fuhr, war ein ehemaliger STASI-Beamter, der Taxifahrer geworden war. Er kannte also die Strecke dorthin ziemlich gut. Die Situation der Stasi nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung war in Deutschland aber ein nationales Sicherheitsproblem, weil die Westdeutschen wissen wollten, wem Sie in Ostdeutschland trauen konnten.“




    Historiker, die die Zeitgeschichte und den ehemaligen sowjetischen Raum studieren, sprechen von einer Internationale der Geheimpolizeien“ und beziehen sich dabei auf das Konzept des Internationalismus, das die sozialistischen Länder mit Beharrlichkeit gefördert haben. Diese Tschekistische Internationale“, wie der französische Historiker Emmanuel Droit sie nennt, ist das Vorbild, das das Schicksal derjenigen, die Teil der repressiven Strukturen ihrer Länder waren, nach 1989 in etwa gleich aussehen lie‎ß. Die allgemeine Meinung, die die Präsenz ehemaliger Mitglieder der repressiven Strukturen im öffentlichen Leben als Neureiche, Politiker und Meinungsbildner verurteilt, will aber nicht berücksichtigen, dass 1989 alle Bürger frei geworden sind, das hei‎ßt auch die ehemaligen Mitglieder der Geheimpolizei. Marius Oprea, Autor eines erfolgreichen Bandes über die Karrieren der ehemaligen Offiziere der rumänischen Securitate, zeigte, dass in allen ex-kommunistischen Ländern — mit Ausnahme der DDR — die ehemaligen Mitglieder der politischen Polizei und ihre Kinder die neuen Eliten bildeten. Marius Oprea:



    In den ex-kommunistischen Ländern haben die ehemaligen Sicherheitsstrukturen leider mehr oder weniger stark ihre Macht behalten. Genauso wie die Einheit der ehemaligen rumänischen Securitate auseinanderging, war auch die Aktionseinheit der politischen Polizei in den Bruderländern des Warschauer Paktes zusammengebrochen. Vor 1989 gab es zumindest eine formelle Zusammenarbeit zwischen allen Sicherheitsdiensten in den ehemals kommunistischen Ländern. Sie tauschten Informationen aus: Die rumänischen Securitate-Agenten hatten zum Beispiel sehr gute Beziehungen zu Ungarn, sie erhielten Informationen über Dissidenten und politische Gegner. Die rumänische Securitate tauschte auch Technologie mit der DDR und der Tschechoslowakei aus. Die Rumänen entwickelten 1949 das System, mit dem das Telefon als Mikrofon zur Abhörung der Gespräche in der Wohnung verwendet werden konnte, die Securitate konnte alles übers Telefon abhören.“




    Da die Entwicklung der östlichen Hälfte des sowjetischen Europas nach 1945 bis 1989 ähnlich verlief, konnte das, was nach 1989 folgte, nicht anders sein. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Ähnlichkeiten in der Geschichte grö‎ßer sind, als wir denken.

  • Der Krieg nach dem Krieg 1919: wie die rumänische Armee die Räterepublik Béla Kuns stürzte

    Der Krieg nach dem Krieg 1919: wie die rumänische Armee die Räterepublik Béla Kuns stürzte

    Der Erste Weltkrieg endete nach vier Jahren blutiger Konflikte und Tragödien nicht plötzlich. Er hinterlie‎ß bei jedem Individuum, jeder ethnischen Gemeinschaft, politischen Gruppierung und jeder Nation ein schweres Trauma. Die Sieger konfrontierten sich mit den Folgen des Krieges und versuchten Lösungen zu finden, um die soziale und wirtschaftliche Situation auszugleichen, während die Besiegten mit der demütigenden Situation, in die sie gebracht worden waren, zu leben hatten.



    Der Krieg setzte sich 1919 fort, aber diesmal nicht zwischen den gro‎ßen kriegerischen Blöcken, sondern in Form kleinerer Schlachten und Gefechten in Mittel- und Osteuropa. Die Auflösung des Österreichisch-Ungarischen Reiches erfolgte mit Gewalt, die erst im Sommer 1920 mit der Unterzeichnung des Vertrages von Trianon nachlie‎ß. Nachdem das bolschewistische Regime unter der Führung von Béla Kun 1919 in Ungarn nach dem Vorbild Lenins und der Sowjetunion an die Macht kam, wurde dieses Land zur Hauptquelle der Instabilität und zum Haupthindernis für den Frieden. Als Hauptgegner, die es zu bekämpfen galt, sahen die ungarischen Kommunisten die Rumänen und die Tschechoslowaken. Der Historiker Şerban Pavelescu skizziert die feindselige Nachbarschaft, mit der sich Rumänien 1919 konfrontierte:



    Man kann durchaus sagen, dass der Waffenstillstand vom 11. November 1918 einen wahren Krieg nach dem Krieg als Folge hatte. Im Grunde genommen sah sich der rumänische Staat genötigt, mit seinen Streitkräften die Rumänen in den historischen Provinzen zu verteidigen, die im März, November und Dezember 1918 ihren Wunsch nach einem Beitritt zu Rumänien erklärt hatten. Das Land war von feindlichen Kräften umgeben, die sich gegen die Vereinigung der Gebiete und die Existenz des rumänischen Staates wehrten. Im Osten hatte das sowjetische Russland seine Truppen in der Ukraine verlegt, im Norden und Nordosten konfrontierte sich das Land mit territorialen Ansprüchen seitens der Ukraine, die von allen Seiten des politischen Spektrums, von nationalistisch bis bolschewistisch, erhoben wurden. Im Westen befand sich Ungarn, zunächst vertreten durch das Regime nach der Auflösung des österreichisch-ungarischen Reiches, mit dem die Rumänen die Trennung Siebenbürgens von Ungarn durch ein Referendum ausgehandelt hatten. Im Südwesten stand Rumänien Serbien gegenüber, das seine eigenen territorialen Ansprüche hatte, basierend auf den Versprechungen der Alliierten während des Krieges. Im Süden stie‎ß Rumänien auf Widerstand aus Bulgarien, das sich zögerte, die Dobrudscha militärisch zu räumen und die Bestimmungen des Waffenstillstands einzuhalten.“




    Der von der ungarischen Roten Armee begonnene Krieg zwischen Rumänien und Ungarn hatte zwei Phasen. Die erste Phase war von April bis Mai 1919, als die Ungarn rumänische Truppen in Siebenbürgen angriffen, dann folgte die zweite um die Hälfte des Monats Mai 1919, als die Ungarn ein zweites Mal angriffen, nachdem sie zurückgeschoben worden waren. Şerban Pavelescu wies uns jedoch auf einen weiteren Krieg im diplomatischen Bereich hin:



    Wir sprechen praktisch von zwei Kriegen. Einer wurde auf der Friedenskonferenz ausgetragen, der andere entfaltete sich auf dem Schlachtfeld. Es war ein sehr seltsamer Krieg, bei dem zwischen zwei oder drei Verhandlungsrunden, zwischen den von den Gro‎ßmächten auferlegten Waffenruhen, militärische Operationen durchgeführt wurden. So wurden beispielsweise die militärischen Operationen am 1. Mai 1919 auf Wunsch der Gro‎ßmächte eingestellt. Dies ermöglichte es den Truppen von Béla Kun, sich zu reorganisieren und am 20. Mai 1919 einen verheerenden Angriff nicht gegen die Rumänen, sondern gegen die Tschechoslowaken zu starten. Der Angriff auf die Rumänen scheiterte, er wurde schnell abgewehrt. In weniger als zwei Wochen besetzten ungarische Truppen aber die gesamte Slowakei. Was die Front an der Thei‎ß betrifft, so gingen die Rumänen nach zwei- bis dreitägiger Verteidigung in die Gegenoffensive, und als sie über den Fluss kamen, wurden die ungarischen Truppen vertrieben und die Rumänen besetzten Budapest.“



    Die zweite Phase des rumänisch-ungarischen Krieges endete im August 1919. Die ungarische Hauptstadt wurde besetzt, und die Räterepublik nach sowjetischem Vorbild wurde abgeschafft.



    Die Besetzung von Budapest war ein Problem, denn obwohl Rumänien angegriffen worden war und die rumänischen Streitkräfte nun gegen einen Feind drängten, der seinerseits zwei zweimal angegriffen hatte, wurde Rumänien aufgefordert, den Angriff einzustellen. Es herrschte enormer Druck, und nur auf Initiative rumänischer Kommandeure mit Autorität auf diesem Gebiet wurde Budapest, der sensibelste politische und militärische Punkt Ungarns, besetzt und die Räterepublik aufgelöst. Die Budapester Bevölkerung empfing die rumänischen Truppen allerdings mit Dankbarkeit, auch wenn heute manche etwas anderes behaupten. Darüber hinaus hatte Rumänien zusätzliche Ziele. Auf der einen Seite mussten die rumänischen Streitkräfte den militärischen Gegner au‎ßer Gefecht setzen, um weitere Angriffe zu vereiteln. Andererseits gewann Rumänien dadurch eine bessere Position auf der Friedenskonferenz. Die rumänischen Truppen verlie‎ßen Ungarn erst nach dem Vertrag von Trianon vom Juni 1920. In Anbetracht der Schwierigkeiten, denen die rumänische Delegation auf der Friedenskonferenz ausgesetzt war, halte ich es für einen klugen Schritt.“




    Vor 100 Jahren ergriff Rumänien militärische Ma‎ßnahmen in Mitteleuropa, um seine staatliche Stabilität zu sichern, im Einklang mit dem Willen der Menschen, die für die Vereinigung gestimmt hatten. Die rumänische Militärintervention gegen das bolschewistische Regime in Ungarn brachte schlie‎ßlich den dringend benötigten Frieden mit sich.

  • Legitimierungsstrategien des Ceauşescu-Regimes

    Legitimierungsstrategien des Ceauşescu-Regimes

    Nicolae Ceauşescu kam 1965, nach dem berühmten 9. Kongress, an die Spitze der Rumänischen Kommunistischen Partei. Er wurde als junger Wolf“ empfunden, der bereit war, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und einen Wandel einzuleiten. Alte Partei-Aktivisten haben ihn folglich unterstützt.



    Ceauşescu wurde als Erneurer empfunden. Er hatte einen riesigen Erfolg dank seiner Einstellung während des Prager Frühlings. Ceauşescu setzte seinen persönlichen Führungsstil durch und versuchte in seinen Entscheidungen transparent zu sein. Er schien gegenüber den Beschweden und den Meinungen der Bürger offen zu sein. Ceauşescu wollte sich von seinem Vorgänger, Gheorghe Gheorghiu Dej, dem Stalin Rumäniens, unterscheiden. Obwohl er am Anfang authentisch zu handeln schien, stellte sich heraus, dass dies nur eine Legitimierungs-Strategie seines eigenen Despotismus war. Durch diesen Vorwand schaffte er es, viele Leute für sich zu gewinnen. Die Historikerin Mioara Anton vom Bukarester Geschichtsinstitut Nicolae Iorga“ glaubt, die Strategie Ceauşescus am Anfang seiner Regierungszeit sei eine Identitätsbildung gewesen. Mittels dieser wollte man mit einer dunklen Vergangenheit brechen. Mioara Anton hat die Beziehung des Ceauşescu-Regimes zu den Bürgern aufgrund der Gesuche und Anträge der Bürger analysiert. Dabei gibt es drei Kategorien von Dokumenten: die Einladungs-Briefe, die Rehabilitations-Anträge und die Anträge zum Parteibetritt:



    Die erste Kategorie war eine direkte Folge der Einführung des Dekrets für die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im Oktober 1966. Ein weiterer Dekret folgte im Januar 1967 und führte einen Zuschuss von 1000 Lei monatlich für die Mütter von drei Kindern ein. Die Summe wurde auch für weitere geborene Kinder erteilt und wurde oftmals im Falle gro‎ßer Familien ergänzt. Der Plan, der vier Kinder pro Familie vorsah, aber insbesondere der versprochene Zuschuss führte zu einer beeindruckender Zahl von Briefen. Die Geburtenpolitik wurde novelliert und die Abtreibungen verboten. Die Einladungs-Briefe zeigen die enorme Freude über die Geburt eines weiteren Kindes, aber auch die schwere Wirtschaflage der meisten Absender. Diese Dokumente zeugen von Tragödien der Familien in Rumänien. Die in den Medien inszenierte Fürsorge des Anführers erzeugt Solidarität und zeichnet ein neues Bild des Generalsekretärs: Bruder, liebevoller und beschützender Vater. Nicolae Ceauşescu wird zu wichtigen Ereignissen im Leben der Bürger — zu Hochzeiten und Taufen — eingeladen. Manche wollten ihn sensibilieren und gaben den Kinder den Namen Nicolae oder organisieren Tauf-Partys um den 26. Januar, Ceauşescus Geburtstag.“



    Die Rehabilitierung der Menschen, die unter dem Dej-Regime zu leiden hatten, war ein anderer starker Punkt der neuen Legitimierungspolitik Ceauşescus. Mioara Anton dazu:



    Die Plenarversammlung vom April 1968 führte zu einer Welle von Anträgen für die Wiedergutmachung von Missbräuchen, denen ehemalige Partei-Mitglieder, einfache Bürger oder ehemalige Mitarbeiter der Sicherheitspolizei oder der Armee zum Opfer gefallen waren. Die meisten Anträge betreffen Missbräuche der Sicherheitspolizei in den Jahren 1958-1959. Eine andere Generation von Aktivisten und Parteimitgliedern fingieren sich im Kontext der Plenarversammlung vom April saubere Biographien. Die Parteigeschichte wird neu geschrieben. Die Grenzen des Rehabilitierungs-Prozesses erreicht der griechisch-katholische Bischof Alexandru Todea. In einem Brief an Ceauşescu vom 27. April 1968 kommt er traurig und empört zur Schlussfolgerung, dass der Rehabilitatierungs-Prozess die Einstellung der Behörden gegenüber seinem Fall nicht geändert hat. AlexandruTodea wusste nicht, dass die Plenarversammlung sich nicht vorgenommen hatte, die lange Reihe der politischen Prozesse nach 1947 zu überprüfen.“



    Die antirussische Einstellung der Rumänen wurde beginnend mit 1968 von Ceauşescu stark gefördert. Das war ein Grundstein seiner politischen Handlungen bis zu seinem Fall 1989. Mioara Anton:



    Die Emotion vom August 1968 führte zu einer starken antisowjetischen Reaktion in den Reihen der einfachen Menschen. Diese haben den Einmarsch in die Tschechoslowakei als einen potentiellen Angriff auf Rumänien interpretiert. Mihai Rusu, technischer Prüfer, schlug eine öffentliche Subskription für den Kauf von Flugzeugen und Panzern für eine bessere Verteidigung des Landes vor. Ein Anonymer war von der Invasion der Tschecoslowakei erstaunt und versicherte dem Generalsekretär, dass alle Arbeiter der Sozialistischen Republik Rumänien um die Partei zusammen halten und eine Granit-Mauer gegen jedwelchen Feind der Souveranität unseres Vaterlandes bauen werden. Die meisten Briefe der normalen Bürger aus unterschiedlichen Sozialschichten sehen Ceauşescu als Helden der Nation.“



    Das persönliche Regime von Ceauşescu wandelte sich nach 1974. Ceauşescu wurde immer despotischer und sein Regime ähnelte immer mehr dem stalinistischen Regime.



    Audiobeitrag hören:



  • Rumänien und der Prager Frühling von 1968

    Rumänien und der Prager Frühling von 1968

    Es gibt Fotos, die zu universellen Symbolbildern eines bedeutenden Ereignisses werden und dadurch eine unveränderte Botschaft durch die Zeit transportieten. Die Fotos des tschechischen Fotografen Josef Koudelka bleiben die ausdrucksstärksten dieser Art und verflechten sich mit dem Prager Frühling, dem Versuch der Tschechoslowakei im Jahr 1968, die sowjetische Vorherrschaft abzuschütteln. Josef Koudelka hatte das gro‎ße Glück, sich im August 1968 auf den Stra‎ßen von Prag zu befinden und eine Fotokamera dabei zu haben. So ist es ihm gelungen, der Menschheit die Barbarei zu zeigen, mit der der Wunsch seiner Mitbürger nach Freiheit von der Sowjetunion unterdrückt wurde. Koudelka war gerade zwei Tage vor dem Eingriff der Truppen des Warschauer Pakts aus Rumänien zurückgekommen. Er schoss die Bilder, schmuggelte sie aus dem Land und publizierte diese in Frankreich im Jahr 1969.



    Rumänien hat am Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 nicht teilgenommen. Es verurteile diese Handlung als Angriff gegen ein sozialistisches Freundesland. Oberst Alexandru Oşca, Militärhistoriker, hat einige Bücher über den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei und die Nichtbeteiligung Rumäniens geschrieben.



    Es war der grö‎ßte Einsatz zum Einmarsch in ein Land nach dem Zweiten Weltkrieg. Ceauşescu wurde weder eingeladen, sich daran zu beteiligen, noch darüber informiert. Die Führer der Länder kamen sechsmal auf höchster Ebene zusammen. Man kann nicht wissen, wie Ceauşescu reagiert hätte, hätte man ihn über eine Teilnahme Rumäniens gefragt. Was ist wohl in seinem Kopf vorgegangen, als er erfuhr, dass all seine Kameraden zusammenkommen und er nicht eingeladen wurde, besonders zu einem kommunistischen Konklave, von dem man genau wusste, wenn man nicht mit am Tisch sitzt, dann müsse man irgendwie gehen? Wenn einer nicht von alleine geht, dann wird einem geholfen, zu gehen.“



    Der Historiker Petre Otu, Leiter des Instituts für Politikstudien, Verteidigung und Militärgeschichte, hat die freigegebenen Unterlagen untersucht, aus denen sich ergibt, dass Nicolae Ceauşescu von der Kampagne des Warschauer Pakts gegen die Tschechoslowakei gewusst hat.



    Aus den Unterlagen, zu denen wir Zugang hatten, geht hervor: Er wusste scheinbar von dem Einmarsch. Eine der sehr verlässlichen Quellen war ein polnischer Offizier, dessen Familie sich 1939 in Rumänien zurückgezogen hatte, wo sie bis 1944 blieb. Der polnische Offizier ging auch auf das Militärgymnasium in Rumänien. Er gehörte zum Kommando des Warschauer Pakts. Der Berater der rumänischen Botschaft in Warschau war ein ehemaliger Gymnasiumskollege des polnischen Offiziers. Durch diese Verbindung hat man sehr genaue Informationen über die Vorbereitungen der Sowjets erhalten. Ceauşescu wurde von Ion Stănescu informiert, und als er nach Prag ging, ordnete er die Übersetzung der Nachricht von dem polnischen Offizier auch ins Tschechische an. In Prag übermittelte er die Nachricht an Dubček. Auf seinem Rückweg fragte Stănescu Ceauşescu, ob er Dubček etwas mitgeteilt hätte. Ceauşescu antwortete: ‚Ja, aber entweder der wei‎ß nichts oder er möchte nichts wissen.‘ Ceauşescu war mit der Reaktion Dubčeks unzufrieden.“



    Dennoch war die Beziehung zwischen Rumänien und der Tschechoslowakei bis 1968 nicht besonders eng. Im Jahr 1964, als der Walew-Plan erarbeitet wurde, wodurch man Rumänien die Rolle einer Agrarwirtschaft im sozialistischen Block zuweisen wollte, nutzte die Tschechoslowakei ihren Einfluss aus, um diesen durchzusetzen. Petre Otu schildert, wie sich die rumänisch-tschechoslowakische Beziehung im Zuge dieser Ereignisse entwickelt hat:



    Die Führer der Tschechoslowakei waren bis Juli zurückhaltend vor einer Zusammenarbeit mit Ceauşescu. Sie haben versucht, ihn zu umgehen, denn eine Verbindung zu Ceauşescu hätte für die Sowjets den Grund für einen Einmarsch liefern können. Nachdem sie erfahren haben, dass die Ereignisse sich überstürzen und dass die Sowjets ohnehin einen Einmarsch vorbereiten, wurden die Beziehungen wärmer. Ceauşescu reiste nach Prag und unterzeichnete das Abkommen zur gegenseitigen Unterstützung. Das führte zur Theorie, dass die Kleine Entente aus der Zwischenkriegszeit wiederhergestellt werde. Die Informationen aus den Geschichtsquellen bestätigen, dass die Sowjets jene Donaufreundschaft aufmerksam verfolgten. Laut diesen Informationen haben sich die Jugendkampfmannschaften und die Heimatgarden insgeheim vorbereitet, um am damaligen Nationalfeiertag Rumäniens am 23. August zu defilieren. Es war eine au‎ßerordentliche Anstrengung. Ceauşescu wusste von dem Einmarsch und bereitete sich insgeheim vor.“



    1968 hielten sich in Rumänien 8.000 tschechoslowakische Touristen auf. Weitere 400 hielten sich in Bulgarien auf, aber sie kamen nach Rumänien. Da sie nicht zurück in die Tschechoslowakei konnten, wurden sie in den Hotels des Nationalen Tourismusamtes (ONT) untergebracht. Sie bekamen auch Geld, bis sich die Lage etwas beruhigt hatte und sie wieder heimreisen konnten. Tomaš Vostry, Stellvertreter des tschechischen Botschafters in Bukarest, verbrachte seine Sommerferien 1968 als Kind an der rumänischen Riviera. Er erinnert sich heute noch daran:



    Leider haben wir diese sieben Tage nicht erlebt, als Koudelka diese Fotos geschossen hatte. Ich war einer jener Tschechen, die ihre Sommerferien in Mamaia, Rumänien, verbracht haben. Wir konnten das Flugzeug nach Prag am 22. August nicht mehr erreichen. Ich und meine Eltern haben den Zug zurück nach Hause erst am 22. September besteigen können. Wir haben diesen Abschnitt der Geschichte versäumt. Ich kann aber bestätigen, dass die tschechischen Touristen gut versorgt wurden. Ich war 1968 zehn Jahre alt und ich konnte Anfang September so manches beobachten und einiges verstehen. Man konnte noch viele Sowjettruppen in Prag sehen, als man zur Schule ging. Sie waren in den Parks von Prag, in den Wäldern rundherum, und die Menschen waren sehr aufgeregt. Am Herbstanfang begannen die Sowjettruppen sich langsam aus Prag zurückzuziehen.“



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