Tag: Tschechow

  • Theaterjahr 2016 – Rückblick auf die wichtigsten Aufführungen und Festivals

    Theaterjahr 2016 – Rückblick auf die wichtigsten Aufführungen und Festivals

    Die internationalen Theaterfestspiele im mittelrumänischen Sibiu (Hermannstadt), Timişoara, Cluj (Klausenburg), Bukarest haben auch im vergangenen Jahr zahlreiche Theaterliebhaber aus allen Ecken der Welt nach Rumänien gebracht. Thematisiert wurden dabei aktuelle Probleme in der heutigen Gesellschaft: das mangelnde Vertrauen, das Erlebnis der Entfremdung, die Migration. Das Thema Vertrauen aufbauen“ stand im Mittelpunkt des 23. Internationalen Theaterfestivals in Sibiu. Ohne Vertrauen hätten die internationalen Festspiele in der siebenbürgischen Stadt ein solches Ausma‎ß allerdings nicht erreicht: 472 Veranstaltungen und renommierte Theatermacher Rumäniens und der Welt, die 2016 dabei waren — Victor Rebengiuc, Anamaria Marinca, Gigi Căciuleanu, Silviu Purcărete, Tim Robbins, Evgeny Mironov, Thomas Ostermeier. Alle Aufführungen, Konzerte, Filmvorführungen, Buchpräsentationen, Publikumsgespräche im Anschluss an die Theateraufführungen, die Partnerschaften, die während der zehn Festivaltage geschlossen wurden, stellten einen riesigen Schritt nach vorne für die Theatergemeinschaft und die rumänische Kultur dar. Die vom Hermannstädter Nationaltheater Radu Stanca“ organisierten Festspiele gelten europaweit als das drittgrö‎ßte Theaterfestival.



    Der rumänische Theaterverband UNITER hat im vergangenen Jahr das 26. Nationale Theaterfestival organisiert. Die Festivalintendantin Marina Constantinescu wählte für diesen Event 40 Aufführungen der Spielzeit 2015-2016 aus. Präsentiert wurden sowohl Aufführungen rumänischer Staatstheater als auch unabhängiger Theater. Seit 2005 widmet das Internationale Theaterfestival auch ausländischen Aufführungen eine Sektion. 2016 brachte das Event zwei weltweit renommierte Choreographen nach Bukarest: Angelin Preljocaj und Carolyn Carlson. Dem Tanz widmeten allerdings die Organisatoren ein spezielles Augenmerk im vergangenen Jahr. Im Mittelpunkt der 26. Nationalen Theaterfestspiele stand das Werk der rumänischen Choreographin Miriam Răducanu. Das Festival ging mit der Aufführung von Tschechows Kirschgarten“ in der Regie von Lew Dodin, einer Produktion des Theaters Malyj Drama aus Sankt Petersburg zu Ende.



    Das Thema Europa — wohin steuerst du?“ stand 2016 im Mittelpunkt des Europäischen Theaterfestivals Eurothalia“, organisiert vom deutschen Staatstheater Temeswar. Das Festival erforscht innovative Tendenzen der darstellenden Künste in Europa. Die ausgewählten Stücke setzten sich 2016 sowohl mit Themen von aktueller Relevanz auseinander wie der Migration, der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und ihrer Folgen als auch mit Themen, die den modernen Menschen auf persönlicher Ebene beschäftigen.



    Das Internationale Theaterfestival Interferenzen“ wird vom Ungarischen Staatstheater in Klausenburg organisiert und findet jedes zweite Jahr statt. Die 22 ausgewählten Aufführungen haben im vergangenen Jahr aus verschiedenen Perspektiven Die Odyssee des Fremden“ thematisiert. Die Organisatoren bezeichnen die Festspiele, die 2016 bereits zum 5. Mal stattfanden, als ein Festival aller Klausenburger“, einem Treffpunkt verschiedener Gemeinschaften und Generationen.



    Zum Jahresende wurden zwei neue Theater eröffnet. Das Stadttheater Matei Vişniec“ im nordostrumänischen Suceava, das den Namen eines renommierten rumänischen Dramatikers trägt, brachte im Dezember seine erste Aufführung auf die Bühne: Der Tiger in meiner Stadt“ von Gianina Cărbunariu, in der Regie von Bobi Pricop. Das Privattheater Apollo 111 öffnete November 2016 seine Pforten mit der Aufführung Ali: Angst essen Seele auf“ nach Rainer Werner Fassbinders Drehbuch zum gleichnamigen Film, in der Regie des Filmemachers Radu Jude. Das Theater wurde vom Filmregisseur Călin Peter Netzer gegründet.

  • Klassisches Theater: Mainstream oder Nischenphänomen?

    Klassisches Theater: Mainstream oder Nischenphänomen?

    In einer Zeit, in der viele glauben, dass die Klassik aus der Mode gekommen sei, erfreut sich das Festival des klassischen Theaters im westrumänischen Arad einer gro‎ßen Popularität. Dieses Jahr fanden die Festspiele zum 21. Mal statt und gaben rumänischen Theatermachern einen guten Anlass, über die Zukunft des klassischen Theaters nachzudenken.



    Seit 21 Jahren findet im westrumänischen Arad das Internationale Festival des klassischen Theaters statt. Die Veranstaltung gilt als die einzige dieser Art in Rumänien und wird jedes Jahr vom klassischen Theater Ioan Slavici“ organisiert. Die diesjährigen Festspiele standen unter dem Zeichen eines Paradoxes: Ein Theaterstück ist klassisch, nur wenn es modern ist“, lautete das Motto der Veranstaltung. Zeitgenössische Stücke wecken immer mehr Interesse bei jungen Theaterschaffenden. Welche Rolle spielt noch das klassische Theater im rumänischen Kulturraum? Auf diese Frage antwortet der berühmte Schauspieler Constantin Cojocaru. Der 70-jährige Darsteller ist auf der Bühne der Festspiele mit Ibsens Stück Die Wildente“ aufgetreten. Das Stück wurde im Herbst vom Regisseur Peter Kerek beim Bukarester Bulandra-Theater inszeniert. Dazu Constantn Cojocaru:



    Heute, da alles, was neu ist, eine wahre Offensive gegen das Alte lostritt, bleibt das klassische Theater die einzige Möglichkeit, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Sonst riskiert das Theater, von politischen und sozialen Aspekten überfallen zu werden. Ich habe die Zeit erlebt, als der Darsteller in erster Reihe ein Bürger war, als der soziale Aspekt eine ausschlaggebende Rolle spielte und der politische Aspekt sogar entscheidend war. Das Jugendtheater im ostrumänischen Piatra Neamţ hatte damals fünf Bühnenpremieren im Jahr, davon mussten drei von rumänischen Autoren sein und zwei von den drei mussten von aktuellen politischen Themen handeln. Und doch konnte immer ein wahres klassisches Stück an der Zensur vorbei, das frei von jeder politischen, sozialen Anspielung, einfach auf Menschen bezogen war. Was eigentlich immer und unter allen Umständen aktuell bleibt. Das klassische Theater spielt also eine wesentliche Rolle, weil es den Menschen auf der Bühne darstellt und ihn in künstlerischer Art und Weise neugestaltet. Mit der ganzen Komik und Tragik, die ineinanderflie‎ßen.“




    Liviu Pintileasa ist Schauspieler beim Theater Maria Filotti“ im ostrumänischen Brăila. Der 38-jährige Darsteller nahm am Festival des klassischen Theaters mit der Aufführung des Theaterstücks Platonow“ von Tschechow teil. Der Schauspieler, der sich einen Namen mit Filmrollen und als Mitarbeiter unabhängiger Theater verschaffte, spricht auch mit gro‎ßer Freude vom klassischen Text und klassischen Theater:



    Es gab eine Zeit, in der die zeitgenössischen Texte voll im Trend lagen, ich glaube aber, dass seit einigen Jahren die Theaterleute das klassische Theater wieder entdecken. Einen klaren Beweis liefert diesbezüglich das unabhängige Theater, das auch zurück zur Klassik kehrt. Ein gutes Beispiel in diesem Sinne bin ich selber, ich bin am Theater »Maria Filotti« fest angestellt, wo gerade klassisches Theater inszeniert wurde, und auch in Bukarest beim unabhängigen Theater »Unteatru«, wo klassisches Theater künftig inszeniert werden soll. Unsere Texte sind zum grö‎ßten Teil klassisch, und wir freuen uns, zu merken, dass das klassische Theater ein breites Publikum anlockt.“




    In Rumänien lautet die allgemeine Meinung, dass die jungen Theaterregisseure zeitgenössische Texte bevorzugen, während die bereits bekannten Theatermacher eher Appetit auf klassisches Theater haben. Der junge Regisseur Alexandru Mâzgăreanu widmet den Inszenierungen klassischer Stücke dieselbe Aufmerksamkeit wie den zeitgenössischen. An den Festspielen in Arad beteiligte sich Alexandru Mâzgăreanu mit der Aufführung Scapins Streiche“ von Molière, inszeniert beim Jugendtheater im ostrumänischen Piatra Neamţ:



    Ich wollte die Geschichte eines jungen Paares erzählen, das die Liebe erleben will, die Protagonisten verlieben sich ineinander, kämpfen für ihre Liebe und wollen sich den Regeln nicht unterwerfen. Es ist eine Aufführung über Nonkonformisten. Darauf beruht das Stück. Ich habe keinen besonderen Appetit auf klassisches Theater. Mich locken die Texte an, die sich mit wichtigen, gro‎ßen Konflikten befassen. Vielleicht liegt darin der Grund, warum ich eher eine Vorliebe für klassische Texte habe.“




    Dank der Vorliebe mancher Theatermacher für klassische Stücke und der Hinwendung des Publikums zu gro‎ßen Themen hat das Internationale Festival des klassischen Theaters in Arad dieses Jahr zum 21. Mal stattgefunden. Der Intendant des Theaters Ioan Slavici“, Bogdan Costea, zeigt sich dennoch zurückhaltend gegenüber der Zukunft des klassischen Theaters:



    Ich kann ehrlich sagen, dass es mir heute eher schwer fällt, eine Auswahl klassischer Theaterstücke zu treffen. Ich glaube nicht, dass das Festival des klassischen Theaters, das klassische Theater, der klassische Text aussterben werden, sie werden aber höchstwahrscheinlich eine schwere Zeit überwinden müssen. Die jungen Theaterregisseuren werden es immer schwieriger haben, ihr Talent gegenüber dem klassischen Theater unter Beweis zu stellen.“




    Die Theaterkritikerin Maria Zărnescu, die die Auswahl für die diesjährigen Festspiele getroffen hat, ist hingegen der Meinung, dass die klassische Dramaturgie nie aus der Mode kommen wird:



    Es freut mich sehr, dass immer mehr junge Theaterregisseure sich der Notwendigkeit neuer Übersetzungen bewusst werden. Insbesondere Übersetzungen aus der französischen Klassik, und vor allem der Stücke von Molière. Zweitens habe ich bemerkt, dass viele Theaterschaffende dem Trend folgen, verschiedene Genres miteinander zu verknüpfen, um ein eindrucksvolles Ergebnis zu erzielen. Damit meine ich selbstverständlich nicht, dass jede Aufführung zu einem Musical werden soll, aber diese Synthese von Genres wird immer beliebter. Das ist dadurch zu erklären, dass das heutige Publikum seine Aufmerksamkeit nicht ausschlie‎ßlich dem Text schenken kann, so wie im 17. oder 18. Jahrhundert, sondern weitere Anregungen braucht. Wenn es sich zudem um eine alte Übersetzung handelt, dann wird es umso schwieriger. Ich glaube nicht, dass das klassische Theater seine Kraft verlieren wird, solange es die heutigen Theaterregisseure modern gestalten.“

  • Theaterfestival Eurothalia in Temeswar: Klassiker und neue Trends trafen zusammen

    Theaterfestival Eurothalia in Temeswar: Klassiker und neue Trends trafen zusammen

    Beim diesjährigen Eurothalia-Festival wurden in Temeswar Inszenierungen wichtiger europäischer Regisseure wie Oskaras Koršunovas, Silviu Purcărete, Jan Lauwers oder Wim Vandekeybus präsentiert. Ferner konnte das Publikum Aufführungen sehen, die eine neue Theaterästhetik verwenden wie die vom Theater Anton Pann“ aus Râmnicu Vâlcea, Teatru-Spălătorie aus Chişinău oder vom Ungarischen Staatstheater Csiky Gergely“ aus Temeswar. Die Theaterwissenschaftlerin Andreea Andrei hat die Festivalstücke 2015 ausgesucht:



    Im Laufe der Jahre hat sich unser Festival stark verändert. In den vorigen Jahren hatten wir vorwiegend rumänische Aufführungen; bei dieser Auflage versuchten wir aber, mehrere Aufführungen wichtiger europäischer Regisseure nach Temeswar zu bringen. Sowohl bei den anderen Auflagen als auch dieses Jahr boten wir dem Publikum sehr unterschiedliche Veranstaltungen mit einer breitgefächerten Thematik in verschiedenen Genres — Theater, Gegenwartstanz, Tanztheater und auch Aufführungen, die zu keinem üblichen Genre passen. Eurothalia ist das einzige Festival in Temeswar, das sich ausschlie‎ßlich auf europäisches Theater konzentriert. Wir versuchen, eine Plattform für die aktuellen Trends des europäischen Theaters zu schaffen.“




    Das Europäische Theaterfestival Eurothalia“ wurde dieses Jahr mit einer Produktion des Deutschen Staatstheaters Temeswar eröffnet: Elektra“ nach Euripides und Aischylos, in der Regie von László Bocsárdi. Die Inszenierung behält den Stil des Originaltextes in einer gegenwärtigen Interpretation, mit einer zierlichen Elektra, die unter ihrer angeblichen Zerbrechlichkeit von der enormen Kraft der Rache getrieben wird. Die Darstellerin Isa Berger:



    Elektra ist keine leichte Rolle. Vor der Aufführung brauche ich viel Ruhe, um zu mir selbst und zu den Fragen und Problemen Elektras zu finden. Ich versuche, diese Fragen und Probleme in meiner eigenen Seele aufzuwühlen und dem Publikum diese unruhige Seele zu zeigen. Die Seele eines Menschen ist gewaltig, wie der Regisseur László Bocsárdi sagte. Und wir versuchen, unsere Seele vor dem Publikum zu entblö‎ßen. Sollte ich Elektra in der Gegenwart erleben, so könnte ich ihre Rachesucht und ihre Besessenheit, ihre Mutter zu töten, nicht verstehen. Aber ich verstehe sehr wohl die gro‎ße Liebe zu ihrem Vater, weil auch ich eine Tochter bin, die ihren Vater sehr liebt, und ich glaube, ich würde für meinen Vater alles tun. Da kann ich mich irgendwie mit Elektra identifizieren.“




    Nach Elektra“ folgten zwei Aufführungen mit dem Stück Die Möwe“ von Anton Pawlowitsch Tschechow, eine Inszenierung von Oskaras Koršunovas vom OKT / Vilnius City Theatre, Litauen. Gleich in den ersten Minuten wurde das Publikum von der Natürlichkeit der Darsteller verzaubert. Der Schauspieler kann sich nicht hinter der Figur verstecken. Die Zuschauer müssen Schritt für Schritt alles sehen; der Schauspieler beginnt, das Leben der Figur selbst zu erleben.“ Wir zitierten soeben den Regisseur Oskaras Koršunovas. Mehr zu dieser Aufführung erfahren Sie von Nele Savicenko, die die Rolle der Arkadina spielt:



    Der Text von Tschechow ist 100 Jahre alt, das ist in der Tat ein altes Stück. Was ist davon aber auch in der Gegenwart lebendig geblieben? Die Beziehungen zwischen den Menschen, die Beziehung zwischen Mutter und Sohn, die Beziehungen in unserem Beruf… In diesem Stück geht es um Theater — die Figuren beteiligen sich an einer Aufführung, die ihre Existenz von Grund aus verändert. Nach Kostjas Aufführung ist keiner wirklich glücklich… Also die Beziehungen zwischen Mutter und Sohn, zwischen Kostja und seinem künstlerischen Schaffen, die Ideen über den Künstler, über das menschliche Wesen — das alles bedeutet sehr viel in unserem heutigen Leben. Die Möwe? Die Möwe ist das Unerreichbare, der Traum, den man nie verwirklicht…“

  • Europäisches Theaterfestival Temeswar (FEST): Starkmachen für Kulturhauptstadt 2021

    Europäisches Theaterfestival Temeswar (FEST): Starkmachen für Kulturhauptstadt 2021

    Das Europäische Theaterfestival Temeswar (FEST) und der Programmteil, der der rumänischen Dramaturgie gewidmet ist, werben für das westrumänische Temeswar als Kulturhauptstadt 2021. Die Organisatoren haben sich zum Ziel gesetzt, Menschen, Ideen, Emotionen durch Stra‎ßentheater zusammenzubringen und die nationale Identität der Rumänen in Europa zu definieren.



    Vom 7. bis 13. Juni hat im westrumänischen Temeswar die Sektion FEST (Kürzel des Europäischen Theaterfestival Temeswar“) im Rahmen der Festspiele FEST-FDR 2015 stattgefunden. Die Festspiele waren europäischen Aufführungen und der rumänischen Dramaturgie gewidmet (Festivalul European al Spectacolului Timişoara — Festival al Dramaturgiei Româneşti). Organisiert werden die Festspiele vom Temeswarer Staatstheater. So wie die Abkürzung schon andeutet, ist FEST ein Fest des Theaters und ein Dialog zwischen Zuschauer und Aufführung. Das Programm der europäischen Festspiele wurde um Aufführungen rumänischer Dramatiker ergänzt und wartete mit einer überraschenden Idee auf: Stra‎ßentheater-Aufführungen. Regisseurin Ada Hausvater, Intendantin des Temeswarer Nationaltheaters, erklärt, was das Festival ausmacht:



    Das Festival FEST bleibt unter dem Zeichen FEST-FDR, eines europäischen Festivals, das beides, europäische Aufführungen und rumänische Dramaturgie miteinander verschmelzt. Wir haben die Aufführungen nicht genau aufteilen wollen, sondern eher eine Mischung angestrebt. Zu den europäischen Freiluft-Aufführungen gehört dieses Jahr zum ersten Mal auch eine Indoor-Aufführung: »Dreamscape«, es gibt zudem ein paar Installation-Aufführungen wie »Medio Monte«, die der Kategorie rumänische Dramaturgie angehören. FEST-FDR schafft letztendlich ein Bild rumänischer Dramaturgie im Kontext der europäischen Dramaturgie. Mit diesem Festival wollen wir den eigenen Platz auf der europäischen Karte definieren und verstehen, wie weit unser künstlerisches Projekt aus dieser sozialen Perspektive gekommen ist. Das Festival hat meiner Ansicht nach diese Sache sehr klar aufgezeigt. »Medio Monte« ist eine moderne Installation, ein Sprungbrett für das Theater der Zukunft.“




    Medio Monte“ ist eine Performance-Installation, produziert vom Stadttheater Baia-Mare, und verbindet Theater, Musik und bildende Kunst. Die Regisseurin Mihaela Panainte sagte über ihr kunstspartenübergreifendes Konzept:



    Heutzutage kann das Theater nicht mehr allein leben. Deshalb haben wir die Malerei, die Musik und das Theater zusammengebracht. Das Theater als Bewegung. Der Laut als Impuls zur Bewegung. Diese künstlerischen Medien bringen einen deutlichen Beitrag zur Schaffung des totalen Theaters.“




    Vom Text des Dramatikers Marian Ilea, der Kunst des Malers Mircea Bochiş und der Bühnenmalerei von Helmut Sturmer ausgehend, versucht Mihaela Panainte den Zuschauern die Botschaft zu vermitteln, dass unsere innere Freiheit allein von der eigenen Wahl abhängt:



    Wir sagen üblicherweise, dass wir ins Museum, in die Oper oder ins Theater gehen. Wir versehen alles mit Labeln, aber ich glaube, dass wir in diesem Jahrhundert nicht mehr in getrennten Kategorien leben können. Maler mit Malern, Musiker mit Musikern, Theatermenschen mit Theatermenschen. Erst nachdem diese Leute zusammenkommen, können sie neue Kunstformen entwickeln, neue Ausdrucksweisen entdecken. Die Freiheit der Kunst ist Kenntnis, besser gesagt Selbstkenntnis. Man kann nicht frei sein, wenn man keine Kenntnisse hat und wenn man sich selbst nicht kennt. Denn nur so kann man den Begriff Freiheit verstehen.“




    Das Theaterfestival Temeswar (abgekürzt FEST) bedeutet vor allem Outdoor-Aufführungen und Stra‎ßentheater, denn diese sind die Aufführungen die laut Ada Hausvater Menschen zusammenbringen, Aufregung erregen, den Menschen das Theater, die Kunst und im Allgemeinen die Kultur näher bringen. Die Stra‎ßenaufführung, die die Sektion FEST eröffnet hat, ist Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow, inszeniert vom Theater Voskresinnia“ aus dem ukrainischen Lwiw. Es handelt sich um eine Aufführung des Bildes und der Fantasie, voller Dynamik. Der künstlerische Leiter des Theaterensembles und Regisseur Yaroslav Fedoryshyn sagte dazu:



    »Der Kirschgarten« ist meiner Meinung nach das beste Stück von Tschechow, weil es alles von der Kindheit bis zum Tod in sich vereint. Das wollten wir auch mit unserem Stra‎ßentheater sichtbar machen, weil alles zum Kaufen und zum Verkaufen ist. Diese Handelsbeziehungen im Leben gab es seit immer und es gibt sie überall in der Welt. Man vergisst somit, das Leben zu leben. Das Leben ist wie ein Wassertropfen, der auf den Boden fällt und schnell versickert. Wir scheitern leider dabei, wenn wir versuchen, diesen Tropfen zu fangen. Darum geht es in dieser Aufführung. Ich habe mir gewünscht, dass alle Figuren während der Aufführung im wahrsten Sinne des Wortes über den Garten gehen. Das haben wir geschafft, indem wir die Schauspieler auf Stelzen gehen lie‎ßen. So kamen sie einem wie wei‎ße Schmetterlinge vor, die ihren Handel da oben durchführen. Bei uns fährt die Figur Lopachin nicht mit der Axt durch den Kirschgarten, wie bei Tschechow, sondern der Garten wird abgebrannt. Wir hatten diese Idee, weil wir den Symbolen Wasser und Feuer viel Wert verleihen wollten. Es handelt sich um zwei Geister des Lebens, die sich im Laufe der Jahrhunderte miteinander verschmolzen haben. Etwas wird errichtet, dann brennt es ab, alles ist dann vom Wasser überschwemmt, weil das Wasser das Feuer löscht. Wie Tschechow selber erklärte, steht der Kirschgarten als Symbol dafür, dass unserer Ansicht nach alles noch vor uns liegt, aber — genau wie im Leben — liegt alles eigentlich schon hinter uns.“




    FEST-FDR 2015 ist eine der Veranstaltungen, mit denen das Nationaltheater Temeswar die westrumänische Stadt im Kampf um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2021 unterstützt. Theaterintendantin Ada Hausvater dazu:



    Eines unserer Programme widmen wir der Zivilgesellschaft und deren Aufbau. Meiner Meinung nach kann man ohne Kultur und ohne ein wahres Engagement in der Gesellschaft nicht leben, man kann gar nicht von Zivilisation und Fortschritt reden. Europäische Kulturhauptstadt bedeutet eine Stadt mit einem wahren Potential zur Erkundung neuer Wirklichkeiten. Im Kampf treten so viele Städte gegeneinander an, aber jede darf hoffen. Temeswar ist einzigartig durch seine Vielfalt. Die Temeswarer sind au‎ßerdem auch sehr offen und neugierig, wenn es um Menschen geht, die eine andere Sprache sprechen und die Wirklichkeit anders ausdrücken. Wir haben dieses Projekt angesto‎ßen, das eine Definition nationaler Identität in Europa anstrebt, aber auch mit unserem Projekt der Freiluft-Aufführungen versuchen wir, Temeswar im Kampf um den begehrten Titel zu unterstützen, weil wir somit Menschen zusammenbringen. Wir bieten dem Publikum die Gelegenheit, ein gemeinsames Ziel zu identifizieren. Das bedeutet eigentlich eine Gemeinschaft: ein gemeinsames Ziel, ein Treffen der Ideen, der Erlebnisse, der Emotionen. Das ist eigentlich, was das Theater macht.“

  • Europäische Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar

    Europäische Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar

    Die Europäischen Theaterfestspiele Eurothalia haben dieses Jahr im westrumänischen Timişoara (Temeswar) bereits zum 4. Mal stattgefunden. Das von dem Deutschen Staatstheater organisierte Festival hielt auch dieses Jahr an dem vor fünf Jahren gesetzten Ziel fest. Der Intendant des Deutschen Staatstheaters Temeswar, Lucian Vărşăndan, sagte dazu:



    Wir haben uns vorgenommen, dieses Theater und die rumänische Theaterszene an die aktuellen Tendenzen des europäischen Theaters anzuschlie‎ßen. Vor fünf Jahren setzen wir uns zum Ziel, eine Plattform des europäischen Theaters in verschiedenen Kulturräumen zu bilden. 2009, als die Festspiele ins Leben gerufen wurden, war die Initiative im rumänischen Kulturraum einzigartig und das treibt uns dazu an, an unserem Ziel entschlossen festzuhalten. Wir versuchen sowohl innovative Projekte des europäischen Theaters als auch repräsentative Aufführungen der letzten Spielzeit in Rumänien auf die Temeswarer Bühne zu bringen und gleichzeitig die zwei Projekte miteinander zu verbinden. Diese rumänische Komponente der Temeswarer Festspiele versteht sich zudem als sogenannte Showcase-Komponente oder Vorzeigeprojekt unseres Theaters. Die Initiative ergriffen wir voriges Jahr und setzen sie auch dieses Jahr erfolgreich fort. Dadurch wollen wir der aktuellen Theaterszene Rumäniens mehr Sichtbarkeit verschaffen. Besonders relevant finde ich, was die eine oder die andere Aufführung hier vor dem Temeswarer Publikum zu sagen hat.“




    Eine äu‎ßerst provokative Aufführung, die beim Eurothalia Theaterfestival 2014 auf die Bühne gebracht wurde, war Crash Course Chit Chat“ des Theaterensembles Sanja Mitrović aus Amsterdam. Die Idee, die Regie und die Choreographie gehören der Künstlerin Sanja Mitrović, die in ihrem Theaterensemble fünf Darsteller vereinte, die fünf europäische Staaten vertreten: Deutschland, Frankreich, Gro‎ßbritannien, die Niederlande und Belgien. Die Aufführung beruht zuerst auf den persönlichen Geschichten der Darsteller (Kindheit, Familie, persönliches Leben) und auf Geschichten, Klischees und Vorurteile über die fünf Völker. Mit Hilfe der Strategien des Dokumentarfilms forscht die junge Regisseurin nach der Beziehung zwischen der persönlichen und der europäischen Identität. Die französische Darstellerin Servane Ducorps spricht über die Fragen, die das Theaterensemble in der Aufführung Crash Course Chit Chat“ zu beantworten versucht:



    Kann man sich als Europäer definieren? Können wir Europäer sein? Was bedeutet überhaupt, Europäer zu sein? Was haben wir gemeinsam? Was teilen wir nicht? Meiner Ansicht nach handelt es sich darum, sich selbst zu erforschen. Am Anfang der Aufführung sind wir neugierig, uns gegenseitig zu entdecken. Je tiefer wir uns aber kennenlernen, desto mehr zerstören wir einander. Die letzte Szene der Aufführung, die ausgeprägte religiöse Merkmale hat, kann als unser letzter Versuch gedeutet werden, zusammen zu sein. Der Versuch war aber gescheitert. Meiner Ansicht nach trägt der religionsbezogene Moment eine besondere Bedeutung, es war zudem sehr wichtig, das Thema anzusprechen: Was bedeutet überhaupt, zusammen zu sein?“




    Eine der rumänischen Aufführungen, die beim Europäischen Theaterfestival Eurothalia präsentiert wurde, war Victor sau copiii la putere“ (Victor oder die Kinder an der Macht“) von Roger Vitrac, inszeniert von Silviu Purcărete auf der Bühne des Ungarischen Staatstheaters Klausenburg. Dieses Jahr wurde die Produktion mit dem Preis des Rumänischen Theaterverbands UNITER für die beste Aufführung“ ausgezeichnet. Die Schauspielerin Csilla Albert, die bei der UNITER-Gala in der Kategorie beste Nebendarstellerin“ nominiert wurde, spricht in den folgenden Minuten über die Erfahrung im Bereich des experimentellen Theaters:



    Der Text war sehr schwierig. Ich glaube, dass er verfasst wurde, um eher gelesen als inszeniert zu werden, selbst wenn es sich um einen dramatischen Text handelt. Während der Proben bekam ich den Eindruck, dass er der Arie von Mozart ähnelt, die komponiert wurde und dennoch nicht zum Singen bestimmt war. Es war ein richtiger Kampf, diesen Text sozusagen zu bändigen. Es ist eine gro‎ße Herausforderung für jeden Schauspieler, nicht zu vergessen, warum er diesen Beruf gewählt hat, und das Niveau zu erreichen, auf dem er nicht nur gewisse Rollen spielt, sondern seine Gestalten fühlt. Ich habe versucht, mein inneres Kind rauszulassen, aber nicht indem ich zeigte, wie sich ein Kind benimmt, sondern indem ich vergessen habe, dass ich 35 Jahre alt bin. Zwei Stunden lang war ich sechs Jahre alt und das fühlte sich durch Mark und Bein sehr ehrlich an. Der Regisseur Silviu Purcărete kann seine Schauspieler dazu bringen, sich in einen bestimmten Satz, eine bestimmte Szene, in eine brennende Kerze zu verlieben. Man verliert sich selbst auf der Bühne, man tut alles, weil man wei‎ß, dass es sich lohnt. Es lohnt sich, Theater zu machen.“




    Das Deutsche Staatstheater Temeswar hat drei seiner eigenen Aufführungen auf die Bühne der europäischen Festspiele gebracht. Eine davon war Tschechows Theaterstück Die Möwe“, eine äu‎ßerst überwältigende Aufführung des Regisseurs Yuri Kordonsky, mit der Darstellerin Ioana Iacob in der Rolle von Irina Nikolajewna Arkadina:



    Ich fand die Zusammenarbeit mit Yuri Kordonsky au‎ßergewöhnlich! Jeder Schauspieler muss die Erfahrung einer derartigen Zusammenarbeit erleben. Es gelingt ihm, die Darsteller zu motivieren und sie in äu‎ßerst bewegende Situationen zu bringen. Das fand ich so bezaubernd bei der Zusammenarbeit mit diesem Regisseur. Die Aufführung ist äu‎ßerst emotionsbeladen und den Text finde ich sehr gut. Wie ist Irina? Oftmals kann man sie als Zicke beschreiben und oftmals wird sie auch so dargestellt. Ich wei‎ß nicht, ob es mir gelungen ist, ihrer menschlichen Seite Ausdruck zu verleihen. Bei den Proben gab ich mein Bestes, um zu beweisen, dass sie eigentlich ein guter Mensch ist. Sie ist eine Frau, die kein einfaches Leben führte und die ständig um etwas in ihrem persönlichen Leben, in ihrer Karriere oder in der Kunst kämpfen musste. Sie hat ihr ganzes Leben der Kunst gewidmet und oftmals verlor sie daher den Kopf. Ich glaube aber, dass sie, genau wie alle Gestalten Tschechows übrigens, eine gute Seele hat.“




    Die Theaterfestspiele Eurothalia wurden mit dem Ziel organisiert, das Theater als Kunst und Institution dem Publikum näher zu bringen. In den fünf Jahren, seitdem es zum ersten Mal stattfand, gelang es dem Festival, sein Ziel zu erreichen, sagte Theaterintendant Lucian Vărşăndan:



    Ich glaube, dass jedes Festival sich an die Gemeinschaft richtet, der es gewidmet wurde. Ein solches Festival hat seinen Weg zum Temeswarer Publikum gefunden. Es ist nicht schwer, diese Tatsache festzustellen — das Publikum erwartet jedes Jahr die Festspiele mit besonderer Begeisterung und bedauert auch, dass sie nicht früher ins Leben gerufen wurden. Voriges Jahr haben wir nach der Veranstaltung die Eindrücke der Zuschauer in einem Band zusammengefasst. Ein positives Feedback bekommt man auch, wenn man die vollen Säle merkt. Die Zuschauer zeigen jedes Jahr ein immer grö‎ßeres Interesse, sie kennen, wünschen sich und erwarten die europäischen Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar.“