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  • Studentenleben in Rumänien: heruntergekommene Wohnheime und überteuerte Mietwohnungen

    Studentenleben in Rumänien: heruntergekommene Wohnheime und überteuerte Mietwohnungen

    Jeder Oktoberanfang kennzeichnet traditionsgemä‎ß das Debüt eines neuen akademischen Jahres. Angesichts der Statistik, nach der Rumänien in puncto Zahl der Hochschulabsolventen Schlusslicht EU-weit ist, d.h. 25,6% der Bevölkerung zwischen 30 und 34 Jahren, hat man in den letzten Jahren einen Rückgang der Einschreibung für den Bachelor, den untersten akademischen Grad, verzeichnet. Zum Beispiel wurden im Jahr 2009 über 870.000 rumänische Studenten eingeschrieben, dagegen ist ihre Zahl im akademischen Jahr 2016–2017 auf etwa 383.000 gesunken. Gleichzeitig liegt Rumänien in der Rangliste der europäischen Länder mit den meisten Studenten, die im Ausland studieren, an fünfter Stelle. Dazu hören Sie im Sozialreport einen Beitrag von Christine Leşcu, in der deutschen Fassung von Florin Lungu.



    Diejenigen, die sich entscheiden, an einer Universität im Inland zu studieren, müssen zwischen gro‎ßen Universitätszentren wie denen in den gro‎ßen Städten wählen: Bukarest, Cluj (Klausenburg), Iaşi (Jassy) oder Timişoara (Temeswar). Da jedes Jahr junge Menschen aus verschiedenen Gegenden kommen, gibt es ein anderes Problem: Unterkunft und Plätze in den Studentenwohnheimen. Gibt es genug Plätze? Das haben wir mit Alina Simion, Leiterin des Studentenverbandes der Universität Bukarest, einer der besten Hochschulen des Landes, besprochen. Alina Simion:



    Die Universität Bukarest verfügt über 5.300 Plätze in ihren eigenen Studentenheimen. Sie sind nach der Anzahl der eingeschriebenen Studenten in Fakultäten eingeteilt. Die Universität von Bukarest hat insgesamt mehr als 30.000 Studenten, folglich ist die Anzahl der Plätze in dem Wohnheim ziemlich niedrig und die Nachfrage ziemlich hoch. Natürlich deckt die Anzahl der Unterkunftsplätze die Nachfrage nicht ab. Die Unterkunft wird abhängig von dem Notendurchschnitt gewährt. Darüber hinaus gibt es noch soziale und medizinische Kriterien. Die Studenten können ihre Akten zusammenstellen und sie zusammen mit dem Antrag auf Unterkunft einreichen.“




    Obwohl man in den letzten Jahren einige neue Studentenwohnheime gebaut hat, ist ihre Zahl immer noch nicht ausreichend. Die Wohnheime der Bukarester Universität befinden sich im Bukarester Viertel Grozăvești, in der Nähe eines der bekanntesten Campus der Hauptstadt, des Campus im Wohnareal Regie. Dieser umfasst 33 Studentenwohnheime: 26 davon gehören zur Polytechnischen Universität Bukarest und sieben der Medizinuniversität. Andere Studentenheime sind in ganz Bukarest verstreut, sei es in der Nähe der Fakultäten oder am Stadtrand. Neben Wohnheimen greifen die Studenten und deren Familien oft auf die Lösung zurück, sich in der Stadt Wohnungen oder meistens Einzimmerwohnungen zu mieten oder sogar zu kaufen. Die Nachfrage ist jeden Herbst so hoch, dass auf dem Immobilienmarkt ein wahrhaftiges Phänomen entstanden ist, wie wir von dem Experten in diesem Bereich, Radu Zilișteanu, erfahren.



    Allgemein sind die gro‎ßen Universitätsstädte im Herbst von diesem Phänomen auf dem Mietenmarkt geprägt: eine Steigerung der Nachfrage, was zu einer Preissteigerung führt. Es ist ein Phänomen, das seit sehr vielen Jahren auftritt. Dieses Jahr hat es sich mit einem anderen Phänomen überlappt, das spezifisch für diese Zeit ist. Es handelt sich um den quartalsmä‎ßigen ROBOR-Index, den alle Kreditzinsen für Hypotheken als Referenzwert nehmen. Dieser ist beträchtlich gestiegen. Das hat zu einer reduzierten Zugänglichkeit der Hypothekenkredite für die Rumänen geführt. Folglich bildet die Ankunft der Studenten in den gro‎ßen Universitätszentren und dieser schwierigere Zugang zu Hypothekenkrediten eine Ansammlung von Faktoren, die zu einer beträchtlichen Preissteigerung bei Mieten geführt hat. Weil diese Preissteigerung stattgefunden hat, bilden die Studenten WGs von drei oder vier Leuten und mieten sich Drei- oder Vierzimmerwohnungen. Somit sind die Einzelkosten niedriger.“




    Experten schätzen, dass dieses Jahr die Mieten bei Einzimmerwohnungen um rund 20% im Vergleich zu den ruhigen Zeitspannen des Immobilienmarktes steigen werden. Diese Lösung ist allerdings nur denen zugänglich, die ein überdurchschnittliches Budget haben. Da der Markt frei ist, werden Einzimmerwohnungen mit 75 bis 200 Euro im Monat gemietet. Vergleichsweise überschreiten die Unterkunftskosten im Regie-Campus nicht 165 Lei (umgerechnet 35 Euro) im Winter und im Sommer gehen sie nicht unter 115 Lei (rund 24 Euro) für diejenigen, die keine Schulgebühren zahlen, bzw. 230 Lei im Monat (49 Euro) im Winter und 300 Lei im Monat (ungefähr 64 Euro) für diejenigen, die Schulgebühren zahlen. Die Tarife der Studentenheime der Bukarester Universität sind sogar niedriger.



    Die hohen Preise der Stadtmieten und die Tatsache, dass die Zahl der Wohnungen, die vermietet werden, begrenzt ist, erschwert den Zugang der Studenten zu einer anständigen Unterkunft noch mehr. Hören wir, was Alina Simion, Leiterin des Studentenverbandes der Uni Bukarest, über die Lösung sagt, eine Wohnung in der Stadt zu mieten.



    Es gibt einige, die sich das leisten, aber das sind nicht sehr viele Studierende. Die Mehrheit meiner Freunde wohnt im Studentenheim. Die Preise sind relativ ok für diejenigen, die von ihren Eltern unterstützt werden. Für diejenigen, die arbeiten, ist es recht schwierig, alleine für die Miete aufzukommen, die meistens 150 Euro im Monat überschreitet. Es ist recht teuer für einen Studenten, für anständige Wohnbedingungen zu zahlen. Ich wohne schon seit vier Jahren in einem Studentenheim und ich kann mir keine Wohnung leisten, nicht einmal eine Einzimmerwohnung. Ich frage mich, wie ich dieses Jahr, nach dem Master-Studium, mit dem Geld zurechtkommen werde. Es ist recht schwierig, besonders wenn man sich selbst unterhalten muss, auch in die Vorlesungen zu gehen. Es treten Probleme entweder bei der Uni oder bei der Arbeit auf. Einigen fällt es schwer, zurecht zu kommen.“




    Viele Studenten würden zudem eher eine Wohnung in der Stadt mieten, denn in den Studentenheimen lassen die Wohnbedingungen und die Hygiene zu wünschen übrig. Kakerlaken, Ratten, gemeinsame Sanitäranlagen — es sind Probleme, die von Jahr zu Jahr andauern. Alina Simion:



    Leider ist es kein Geheimnis, dass die Wohnbedingungen schlecht geblieben sind. Im Laufe der Jahre hat man versucht — man versucht es immer noch –, die Wohnheime zu modernisieren. Aber die bestehende Bürokratie auf Universitätsebene beeinträchtigt dieses Vorgehen. Die Möbel sind neu, man hat auch neue Matratzen gebracht. Aber das ist nicht das Hauptproblem, denn um das Streichen der Wände kümmern sich die Studenten. Man hat die Sanitäranlagen ersetzt, auch in Grozăveşti. Aber die Badezimmer bleiben gemeinsam. Das ist im Grunde das Hauptproblem.“




    Seit kurzer Zeit gibt es auch eine weitere Lösung: private Studentenwohnheime. Hier stehen die Preise und die Wohnbedingungen irgendwo in der Mitte zwischen den Universitätscampus und den Mietwohnungen.

  • Studium für alle: in Rumänien eine Utopie

    Studium für alle: in Rumänien eine Utopie

    Die Universitäten boten nur wenige Studienplätze an, die Aufnahmeprüfungen waren sehr schwer und die Konkurrenz sehr gro‎ß. Rumänien hatte folglich Anfang der 1990er Jahren ein Defizit von Universitätsabsolventen. Im Jahr 1992 hatten nur 5,8% der Gesamtbevölkerung einen Hochschulabschluss. 25 Jahre später wurden zahlreiche Fakultäten gegründet. Die staatlichen Universitäten haben die Anzahl der Studienplätze vergrö‎ßert und die Situation hat sich bedeutend verbessert. Die Anzahl der Studenten blieb jedoch verglichen mit den anderen europäischen Staaten klein. Rumänien hat die kleinste Anzahl von Hochschulabsolventen in der EU. Nur 25,6% der rumänischen Bevölkerung im Alter von 30-34 Jahren haben eine Hochschule absolviert. Der europäische Durchschnitt liegt 39,1%. Mihai Dragoş, der Vorsitzende des Jugendrates in Rumänien, erklärte, die Ursachen seien die die materiell prekäre Lage der Bevölkerung und das rumänische Unterrichtssystem.



    Die Wurzel des Problems liegt in den Gymnasium. Nur 48% der Schüler bestehen die Reifeprüfung. Der Schulabbruch ist bis auf 18% gestiegen. Wir sprechen von Schulabbruch, auch wenn es um ein Hochschulstudium geht. Die meisten schlie‎ßen das Studium mit der Abschlussprüfung ab. Rund 35%-40% der Jugendlichen, die ein Hochschulstudium anfangen, absolvieren das Studium nicht. Die Studenten wählen nicht richtig, sie studieren Fächer, die gar nicht zu ihrem Profil passen. Nach einer Zeit bemerken sie, dass sie sich etwas ganz anderes wünschen und besuchen eine andere Hochschule, oder suchen sich verschiedene Jobs, um Geld zu gewinnen. Es gibt auch Studenten, die ihr Studium leider nicht mehr finanzieren können.“




    Es gibt Familien in Rumänien, die sich die Kosten der Bildung nicht leisten können. Einige meinen sogar, es lohne sich nicht, so lange zu studieren, weil das nicht unbedingt den Erfolg im Leben sichert. Die Erhebungen beweisen, dass die meisten Arbeitslosen keine Hochschulabsolventen sind. Victoria Stoiciu von der rumänischen Vertretung der Friedrich Ebert“-Stiftung sagte, für die Uniabsolventen ist es einfacher, einen Arbeitsplatz zu finden:



    Eine Frage, die heute oft vorkommt, ist, ob es sich noch lohnt, eine Uni zu besuchen. Die Investition ist gar nicht klein. Es gibt zahlreiche Jugendliche, die nicht in Universitätsstädten geboren sind oder leben. Bildung bringt auch Kosten mit sich. Bildung bedeutet Geld. Man braucht Geld für die Wohnung, für den Transport, für die Nahrung. So kommen wir zum Verhältnis Kosten-Nutzen Effizienz. Ist es effizient, in meine Bildung vier Jahre lang zu investieren, um ein Diplom zu bekommen, mit dem man einen mittelmä‎ßig bezahlten Job finden kann? Eine andere Variante wäre, nach Italien oder Spanien auf Arbeitssuche zu fahren, wo man einen Mindestlohn von 800-900 Euro im Monat bekommt. Für die meisten Rumänen lautet daher die Antwort Nein, es bringt nicht viel, in Bildung zu investieren.“




    Die Realität widerspricht aber dieser Mentalität, die vom Unterrichtssystem und der Familie korrigiert werden muss, so Mihai Dragoş:




    Den Schülern und den Jugendlichen wird nicht geholfen, die Dynamik der Gesellschaft sehr gut zu verstehen. Die europäischen Statistiken zeigen, dass die Nachfrage für Arbeitsplätze für unqualifizierte Personen auf EU-Ebene abnimmt, während die Nachfrage für Personen mit abgeschlossenem Unistudium steigt. Die Welt bewegt sich in Richtung Automatisierung. Das passiert schon in einigen Fabriken. Bestimmte Berufe werden in kurzer Zeit nicht mehr existieren. Der rumänische Arbeitsmarkt bewegt sich ebenfalls in Richtung Hochschulstudium. Rumänien muss den Tendenzen gewachsen sein. Sonst werden wir die Zeugen einer höheren Arbeitslosenquote, besonders in den Reihen der Jugendlichen, sein. Es ist möglich, dass wir in 20-30 Jahren die Jugendarbeitslosigkeit nicht mehr eindämmen können.“



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    Die Friedrich Ebert“-Stiftung in Rumänien forschte nach den Ursachen der niedrigen Anzahl der Hochschulabsolventen in Rumänien durch das Projekt Soziales Amtsblatt und berücksichtigte das Brain drain“-Phänomen. Mit dem obengenannten Phänomen lassen sich aber nicht alle Probleme erklären. In Rumänien werden jährlich nur 10 Abschlussdiplome je 1000 Personen im Alter von 15-64 Jahren gewährt, viel unter dem EU-Durchschnitt, so das Soziale Amtsblatt. Victoria Stoiciu meint, das Studium, die Bildung haben in Rumänien an Wert verloren:




    Die Bildung wird nur aus der Sicht der Effizienz betrachtet und nach der Art und Weise, wie der Arbeitsmarkt darauf reagiert. Es ist nicht total falsch, doch die Universität bedeutet mehr. Die Bildung ist nicht da, nur um Arbeitskraft zu erzeugen. Das ist nicht die einzige Rolle der Bildung. Die Bildung formt Bürger, Menschen mit einem kritischen Denken, sie lehrt uns, uns zu entwickeln. Diese idealistische Dimension der Bildung, der Erziehung wird heute ganz vernachlässigt. Man bevorzugt das Praktische.“




    Die Experten, die das Soziale Amtsblatt koordinieren, empfehlen eine Erhöhung des Haushaltes, das der Bildung zugeteilt wird. In den letzten 10 Jahren wurden dem Unterrichtswesen nur rund 5% des Staatshaushaltes zugewiesen — den geringsten Anteil im europäischen Vergleich.