Tag: Verbrechen gegen die Menschlichkeit

  • 32 Jahre nach antikommunistischer Revolution: Ereignisse von Dezember 1989 nicht restlos geklärt

    32 Jahre nach antikommunistischer Revolution: Ereignisse von Dezember 1989 nicht restlos geklärt






    Die ersten Proteste begannen am 16. Dezember 1989 in der westrumänischen Stadt Timișoara (Temeswar), der Revolutionsfunke sprang in den darauffolgenden Tagen auf die meisten Gro‎ßstädte des Landes über. Die Ereignisse fanden ihren Höhepunkt am 22. Dezember in Bukarest. Tausende Menschen waren auf die Stra‎ße gegangen, den protestierenden schlossen sich auch die Arbeiter der gro‎ßen Industriewerke an. Der Diktator Nicolae Ceaușescu und seine Ehefrau Elena flohen mit dem Helikopter vom Dach des Zentralkomitees. Nach wenigen Tagen wurden sie gefasst und am ersten Weihnachtstag nach einem kurzen und umstrittenen Prozess standrechtlich hingerichtet.



    Im Dezember 1989 sind während der Unruhen mehr als 1000 Menschen ums Leben gekommen und mindestens 3000 wurden verwundet. Somit war Rumänien das einzige Land unter den Ostblock-Staaten, in dem der Regimewechsel einen Blutzoll forderte. 32 Jahre später sind die Ermittlungen der Staatsanwälte immer noch nicht abgeschlossen und die Verantwortlichen für die Schie‎ßbefehle nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Ungeklärt ist auch, warum nach der Flucht des Diktatoren-Ehepaars die Repression gegen die Demonstranten weiterging; im Grunde genommen wurde auf die Zivilbevölkerung weitergeschossen, dabei kamen mehr Menschen ums Leben als bis zum 22. Dezember 1989. Wer genau geschossen hat und mit welcher Munition, ist auch nicht geklärt.



    Der rumänische Nachrichtendienst SRI hat zwar einen detaillierten Bericht über die Ereignisse vom Dezember 1989 erarbeitet, doch im Zivilverfahren für die Aufklärung der Vorgänge wurde er nicht berücksichtigt, ebenso wenig wie geheime Dokumente aus dem Archiv des Verteidigungsministeriums in die Gerichtsverhandlung flossen.



    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Rumänien mehrfach wegen Verzögerung der Aufklärung verurteilt. Die ersten Gerichtsentscheidungen waren in Rumänien erst im Jahr 2000 getroffen worden, als die Armeegenerale Mihai Chițac und Victor Stănculescu als Schlüsselfiguren der Repression zu jeweils 15 Jahren Haft verurteilt wurden. Die Verurteilten gingen jedoch in Revision und wurden wieder auf freien Fu‎ß gesetzt. Beide führten ihr Leben unbehelligt weiter, Chițac starb 2010 bei sich zu Hause, Stănculescu 2016 în einem Luxus-Seniorenheim.



    Vergangenen Monat hat der Oberste Gerichts- und Kassationshof Rumäniens die Militärstaatsanwaltschaft angewiesen, die Akte Revolution von 1989“ wiederaufzurollen. Im wiederaufzunehmenden Prozess sind u.a. der ehemalige Staatspräsident Ion Iliescu, der ehemalige Vize-Premierminister Gelu Voican-Voiculescu und der Reservegeneral Iosif Rus, ehemaliger Chef der rumänischen Luftwaffe, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.



    Der Fall hat somit auch politische Brisanz. In der Anklageschrift ist zu lesen, nach der Verschlechterung des Verhältnisses zwischen der Sozialistischen Republik Rumänien und der Sowjetunion sei eine dissidente Gruppierung um Ion Iliescu entstanden, deren Ziel die Beseitigung des Diktators Ceaușescu gewesen sei, aber keineswegs der Sturz des Kommunismus oder ein Ausbruch aus der Einflusssphäre des mächtigen Nachbars im Osten. Die Militärstaatsanwälte sagen, die Gruppierung habe gut durchdachte und effiziente Schritte unternommen, um im Dezember 1989 die politische und militärische Macht an sich zu rei‎ßen. So habe sich das Militär der provisorischen Front der Nationalen Rettung (FSN) eiligst untergeordnet und somit die Machtübernahme erleichtert.



    Die Front lie‎ß sich bald darauf als politische Partei registrieren, an deren Spitze setzte sich Ion Iliescu als markantes Mitglied der ehemaligen kommunistischen Nomenklatura. Bei den ersten freien, aber von vielen Unregelmä‎ßigkeiten und Einschüchterung der politischen Gegner begleiteten Wahlen im Mai 1990 gewann die FSN die Wahlen mit 85% haushoch, und Iliescu wurde der erste postkommunistische Staatspräsident Rumäniens. Dieses erste Mandat galt in der Auffassung seiner Anhänger und mächtigen Unterstützer im Staatsapparat nur als provisorisch, in der Folge bekleidete er von 1992–1996 und von 2000–2004 noch zweimal das höchste Amt im Staat. Die Front spaltete sich in mehrere Flügel auf, der harte Kern jedoch benannte sich im Laufe der Jahre mehrmals um, zunächst in Partei der Sozialen Demokratie Rumäniens (PDSR), um schlie‎ßlich unter dem Namen Sozialdemokratische Partei (PSD) das Land im Alleingang oder in Koalition mit anderen Parteien mehrfach zu regieren.

  • Ex-Präsident Iliescu muss sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten

    Ex-Präsident Iliescu muss sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten

    Erst nach 28 Jahren gelangt der Fall der sogennanten Mineriade vor Gericht. Der Bergarbeitereinfall vom 13-15 Juni 1990 gilt als eine der schlimmsten Episoden in der Geschichte des postkommunistischen Rumäniens. Hohe Amtsträger der neunziger Jahre, unter ihnen die damaligen Präsident Ion Iliescu, Premier Petre Roman, Vizepremier Gelu Voican Voiculescu und Nachrichtendienstchef (SRI) Virgil Măgureanu müssen sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten. Laut der Militärstaatsanwaltschaft hätten die rumänischen Behörden einen systematischen und gewaltigen Angriff auf die Demonstranten auf dem Bukarester Universitätsplatz beschlossen und koordiniert. Die Bergarbeiter aus dem Schiltal (rum. Valea Jiului) sind im Juni 1990 gegen Gegner des Präsidenten Ion Iliescu brutal vorgegangen, die friedlich im Zentrum der rumänischen Hauptstadt friedlich protestierten.



    Die Bergarbeiter seien im Auftrag und mit der Billigung des damaligen Staatspräsidenten gegen die Opositionellen des Regimes vorgegangen. Die Demokratie sei gefährdet, das war der Grund warum der damalige Staatschef die Minenarbeiter angestachelt hatte, nach Bukarest zu marschieren und die Aufstände brutal niederzuschlagen. Die Militärstaatsanwaltschaft macht neben den Bergarbeitern auch Vewantwortungsträger aus dem Innenministerium, Verteidigungsministerium und dem Nachrichtendienst SRI für die blutigen Auseinandersetzungen verantwortlich. Die negative Bilanz lautet: 1.400 Verletzte, 1.250 Menschen wurden des Grundrechts auf Freiheit beraubt. Die Bukarester Universität, oppositionelle Parteisitze und Redaktionen wurden verwüstet. Am 15. Juni richtete Ion Iliescu die folgende Botschaft an die Bergarbeiter: “Ich danke Ihnen nochmal für alles was sie an diesen Tagen bewiesen haben: dass Sie eine wahre Kraft sind, die ein starkes gesellschaftliches Engagement zeigt, vertrauenswürdige Menschen, die uns in schweren Zeiten zur Seite stehen”.



    Dass die Mineriade-Akte im Sommer 2017 wieder geöffnet wurde ist auf einen Beschluss des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückzuführen, der von Rumänien die Wiederaufnahme des Verfahrens gefordert hatte. Politikbeobachter sind der Ansicht, dass die brutale Niederschlagung der Proteste das Image Rumäniens au‎ßerhalb der Landesgrenzen stark beschädigt habe. Die Verzögerung einer Urteilsvollstreckung zeigt nach wie vor, dass Rumänien in Sache Vergangenheitsbewältigung noch vieles nachholen muss.




  • Aufklärung der kommunistischen Verbrechen: Massengräber mit forensischer Archäologie untersucht

    Aufklärung der kommunistischen Verbrechen: Massengräber mit forensischer Archäologie untersucht

    Der Historiker Marius Oprea hat im Jahr 2006 das Institut für die Erforschung der Verbrechen des kommunistischen Regimes (CICCR) gegründet. Er und sein Team haben zahlreiche forensische archäologische Ausgrabungen durchgeführt. Jedes Jahr wurden 4-5 solcher Aktionen organisiert. Mit Marius Oprea haben wir über die Ergebnisse der Tätigkeit des Instituts in den letzten zehn Jahren diskutiert. Der Historiker hat mehrere Bücher über die kommunistische Sicherheitspolizei Securitate als repressives Instrument des kommunistischen Regimes geschrieben. Der Dokumentarfilm Vier Arten, zu sterben“ hatte als Ausgangspunkt eines seiner Bücher. Marius Oprea:



    Kreuz und quer bin ich durchs ganze Land gereist und habe Plätze entdeckt, wo die Securitate Anfang der 1950er Jahre Menschen erschossen und sie ohne jeden Hinweis heimlich begraben hat. Au‎ßerdem habe ich die Strafanstalten in Aiud, Periprava und Târgu Ocna erforscht. Nächstes Jahr werden wir die Gegend der Lager in Balta Brăilei, in Salcia, Frecăţei und Agaua erforschen. Da haben wir schon einige Massengräber gefunden und wir werden die sterblichen Überreste derjenigen, die ihr Ende dort gefunden haben, untersuchen. Es ist eine schwierige Arbeit. Ausgangspunkt sind Dokumente und Zeugenaussagen, aber vor Ort sieht das Ganze jetzt, 50-60 Jahre, nachdem die Morde begangen wurden, anders aus. Oft ist es für uns schwer, manchmal unmöglich, die Bestattungsorte zu finden, weil in manchen Fällen wie in Cluj auf dem Grundstück, auf dem der Sitz der Securitate war, etwas gebaut wurde, oder in anderen Fällen die Orte einfach aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden sind. Wir haben die Massengräber nicht immer gefunden, aber unsere Erfolgsrate liegt bei 60%, was relevant ist.“




    Wir haben Marius Oprea gefragt, wieviele Opfer bis jetzt ausgegraben wurden.



    Wir haben keine exakte Gesamtzahl nachberechnet. Aber ich kann Ihnen sagen, dass wir etwa 50 antikommunistische Widerstandskämpfer, die hingerichtet wurden, gefunden haben. Weiter haben wir die Überreste von 70 anderen Personen, die in Strafvollzugsanstalten erschossen wurden, gefunden. Die Zahl kennen wir nicht genau, denn in vielen Fällen haben sich die Überreste vermischt. Wir wissen nicht genau, ob alle Überreste, die wir gefunden haben, zum Beispiel die von Sighet, Überreste von politischen Gefangenen sind. Das muss die gerichtsmedizinische Untersuchung zeigen. Wenn wir Skelette von Personen, die von der Securitate ermordet wurden, finden, und Dokumente über ihre Identität haben, informieren wir die Staatsanwaltschaft. Die Zusammenarbeit ist hervorragend, auch wenn am Anfang diese Behörden nicht allzu gut verstanden, was wir überhaupt machen. Für sie waren es seit langem zu den Akten gelegte Fälle, weil sie als einfache Morde galten. Wir haben darauf bestanden, dass sie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden. So wurden letztendlich [die Straflager-Folterer] Ion Ficior und Alexandru Vişinescu verurteilt. Ich hoffe, dass diese Verurteilungen von Menschen, die während des Kommunismus Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, fortgesetzt werden. Wir bringen die direkten Beweise, die Überreste der Ermordeten.“




    Die Menschen wurden in den meisten Fällen meuchlings erschossen. Marius Oprea berichtet weiter über diese Methode:



    Es gab mehrere Arten von Hinrichtungen, die meisten fanden unter dem Vorwand der versuchten Flucht statt. Die Gefangenen wurden aus dem Arrest der Securitate geholt und für sogenannte Tatrekonstruktionen zu bestimmten Orten gebracht. Auf dem Weg dorthin wurden sie aus dem Transportwagen rausgeholt und erschossen. Manche wurden von hinten erschossen, das war auch der Fall eines 74-Jährigen. Er hatte einigen Widerstandskämpfern Trauben gegeben. Wir haben auch die Überreste der Widerstandskämpfer gefunden und auch die Traubenkerne, ihre letzte Mahlzeit, die sie vom alten Mann bekommen hatten.“




    Hinter jedem Skelet versteckt sich eine Lebensgeschichte. Im Dokumentarfilm Vier Arten, zu sterben“ wird vom Leben und Tod von vier Menschen, die sich dem kommunistischen Regime widersetzt haben, berichtet. Marius Oprea dazu:



    Es war eine Methode der Securitate, durch exzessive Gewalt Angst einzujagen. Die Menschen aus den Dörfern der Opfer erfuhren, dass diese ermordet wurden, und so wurde der Widerstand gegen die Kollektivierung ausgeschaltet. Ich schätze ein, dass etwa 10.000 Menschen auf diese Art hingerichtet wurden. Unter diesen gab es auch Leute, gegen welche unterschiedliche Strafen bereits verhängt worden waren, die aber in den Augen der Securitate zu klein waren. Unter dem Vorwand des Gefangenentransports von einer zur anderen Strafvollzugsanstalt wurden sie ermordet. Das war der Fall der 16 Gefangenen, die von Constanţa nach Timişoara überführt wurden. Sie wurden wahrscheinlich in der Nähe von Lugoj umgebracht. In einem anderen Fall sollten fünf Gefangene von Gherla nach Timişoara gebracht werden. Sie kamen nie an. Nach Gherla kam nur ihre Kleidung zurück, ich habe ein Protokoll darüber gefunden.“




    Die Einleitung eines nationalen Programms würde eine letzte Hommage der rumänischen Gesellschaft an die Widerstandskämpfer darstellen, die auf Feldern ermordet und ohne Grabstein begraben wurden, meint Marius Oprea.

  • Dezemberrevolution: Militärstaatsanwaltschaft rollt Verfahren neu auf

    Dezemberrevolution: Militärstaatsanwaltschaft rollt Verfahren neu auf

    Fast 27 Jahre nach dem Fall des Ceauşescu-Regimes haben die Staatsanwälte der Militärstaatanwaltschaft im Verfahren zur Revolution von 1989“ die Strafanzeige gegen Unbekannt erweitert. Die Anklage bezieht sich auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die nach dem 22. Dezember 1989 begangenen Taten. Der bewaffnete Konflikt, der in jenen Tagen in zahlreichen Ortschaften des Landes stattfand, lässt auf einen vorsätzlichen Plan schließen. Damit wollten die neuen Anführer die Macht ergreifen und ihrer Position Legitimität verleihen, heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft, die von Staatsanwalt Marian Lazăr vorgetragen wurde.



    Aus dieser Strafakte geht hervor, dass die neue politische und militärische Führung des Landes nach dem 22. Dezember 1989 durch die angeordneten Maßnahmen die Tötung, Verletzung durch Schusswunden und die Beeinträchtigung der psychischen und körperlichen Gesundheit, bzw. die Freiheitsberaubung einer hohen Anzahl von Personen veranlasst hat. Das Ziel war es, die Machtposition zu behalten. Es sind die typischen Merkmale für die Einordnung in die Kategorie Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“



    Die Tatsachen lassen auf eine vorsätzlich geplante Aktion schließen. Dabei habe man laut den Vermutungen der Staatsanwaltschaft Konfusion in den Reihen des Militärs verbreiten wollen. Die ranghohen Vertreter des Verteidigungsministeriums seien dafür gegeneinander ausgespielt worden, außerdem hätten die Drahtzieher falsche Anordnungen, Berichte und Informationen verbreitet, die Bevölkerung auf die Straße gelockt und mit Waffen ausgestattet, um einen scheinbaren Bürgerkrieg zu schaffen. Darin sollten Einheiten des Verteidigungsministeriums sich untereinander oder Einheiten des Innenministeriums bekämpfen und so die Machtergreifung und die Legitimität der neuen Anführer ermöglichen.



    Für das Erreichen dieser Ziele habe man das öffentlich-rechtliche Fernsehen benutzt, das alarmistische und manchmal falsche Berichterstattung sendete. Ferner seien Telephonanschlüsse abgeschnitten und ehemalige Militärkader an die Spitze der strategischen Ministerie befördert worden. Diese sollten offenbar der neuen politischen und militärischen Führung treu dienen.



    Als Folge entstand ein psychologischer Medienkrieg, der zahlreiche menschliche Opfer forderte, heißt es weiter in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft. Laut einem Arbeitspapier der Militärabteilung der Staatsanwaltschaft am Obersten Gerichtshof seien 800 von den insgesamt 1200 Opfern der Ereignisse vom Dezember 1989 nach dem 22. Dezember gestorben, also nach dem Sturz des Regimes. Ferner gab es über 5000 Verletzte, einige Tausend Personen wurden illegal ihrer Freiheit beraubt und einer unmenschlichen Behandlung unterzogen.



    Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens in der Akte zur Revolution erfolgt einige Monate nachdem der interimistische Oberstaatsanwalt Bogdan Licu dies gefordert hatte. Er sagte, die Einstellung des Verfahrens im Oktober 2015 sei unbegründet und illegal gewesen. Das damals beschlossene Strafmaß sei falsch, sagte Licu ferner. Die Revolutionsakte hatte mehrere Urteile gegen Rumänien am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach sich gezogen.