Tag: Verhütung

  • Mütter im Kindesalter: ein Teufelskreis, der sich reproduziert

    Mütter im Kindesalter: ein Teufelskreis, der sich reproduziert




    Rumänien belegt EU-weit den ersten Platz in der Zahl der minderjährigen Mütter im Verhältnis zur weiblichen Gesamtbevölkerung. Gabriela Alexandrescu, geschäftsführende Leiterin der NGO Save The Children“ kennt die Hintergründe, die dazu geführt haben:



    EU-weit sind fast ein Viertel aller Mütter im Teenie-Alter in Rumänien zu finden, genauer gesagt 23% der Mütter, die unter 19 Jahre alt, also nicht volljährig sind. Mehr noch: Rumänien belegt den ersten Platz in der EU, was die Zahl der Mütter im zarten Alter von unter 15 Jahren anbelangt, und den zweiten Platz — nach Bulgarien –, was Mütter unter 19 Jahren betrifft. Allein auf Rumänien heruntergebrochen, werden 10% aller Geburten bei Müttern im Teenager-Alter verzeichnet. Viele dieser werdenden Mütter stammen aus Ortschaften, wo es überhaupt keine oder nur wenige Familienärzte gibt. Die Mädchen greifen während der Schwangerschaft oft auf Selbstmedikation, also auf Selbstbehandlung mit Medikamenten zurück, gehen nicht zum Arzt, um sich untersuchen zu lassen, oder machen einen Arzttermin erst dann aus, wenn es Komplikationen gibt oder wenn sich ihr Gesundheitszustand dramatisch verschlechtert. »Save The Children« hat sich hier aktiv eingebracht und wir helfen den werdenden Müttern und ihren Kindern im Rahmen von vier unterschiedlichen Programmen. Erstens geht es um die zeitgemä‎ße technische Ausrüstung der Entbindungskliniken, der Sektionen für Pädiatrie und Neugeborene in Krankenhäusern; zweitens geht es um die Bildung von Hilfsnetzwerken für junge Mütter und ihren Nachwuchs im ländlichen Milieu; drittens organisieren wir Fortbildungskurse für Berufshelfer, in erster Linie für medizinische Teams, die mit minderjährigen Schwangeren und Müttern arbeiten; und viertens entwickeln wir Programme für die Gesundheitserziehung, wir fördern Forschungsprogramme und veranstalten Debatten mit Experten und Behörden, um bei Bedarf eine Änderung der Sozialpolitik und der Gesetzeslage zu bewirken. Bislang haben wir mit mehr als 65.000 schwangeren Mädchen unter 15 Jahren gearbeitet, und man sieht schon die Früchte dieser Arbeit. Wir gehen jedes Jahr auf 46 Gemeinden zu, dabei haben wir gemischte Teams aus medizinischen Assistenten, Sozialhelfern und Psychologen im Einsatz, die die Realitäten vor Ort und die Bedürfnisse der jungen Mütter und ihrer Kinder kennen.“




    Das Phänomen der Schwangerschaft in äu‎ßerst jungen Jahren sei jedoch auch sozial — innerhalb der Familie — von Generation zu Generation übertragbar, sagt Oana Motea, Gesundheitsexpertin bei UNICEF Rumänien:



    Die Schlussfolgerung des Anfang des Jahres veröffentlichten UNICEF-Berichts ist klipp und klar: Schwangerschaften bei Teenie-Müttern im Alter von über 15 Jahren könnten durch Erziehung und Familienplanung im sozialen Umfeld der jungen Frauen und Männer vermieden werden. Das Phänomen der Schwangerschaft in viel zu jungen Jahren ist ein zyklisches und wiederholt sich oft in derselben Familie, es springt von Generation auf Generation über und reproduziert somit auch die prekäre wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Lage der Familie. Der Staat hat seine Rolle in der Familienplanung der jungen Generationen und in der Prävention von Schwangerschaften bei Minderjährigen komplett verkannt. Wir brauchen hier gut aufeinander abgestimmte Staatstätigkeiten für Reproduktionsgesundheit und öffentliche Kampagnen für die Sensibilisierung der Gemeinschaften, die an die Psyche und emotionale Welt der Teenager angepasst sind.“




    Mütter im Kindesalter oder Kinder, die Kinder kriegen — so werden in Rumänien die jüngsten Mütter genannt. Die Daten über Rumänien aus dem UNICEF-Bericht seien schockierend, führt die Gesundheitsexpertin Oana Motea weiter aus:



    2019 wurden mehr als 16.600 Schwangerschaften bei Teenagern registriert. Das war zwar eine Abnahme um 9% im Vergleich zu 2018, doch zugleich wurde eine 11-prozentige Zunahme der Schwangerschaften im Alter von unter 15 Jahren in den Regionen Nordwesten und Nordosten verzeichnet. Diese Zahlen zeigen deutlich, wie weit verbreitet dieses Phänomen ist und wie wichtig Erziehungsma‎ßnahmen für alle Teenager sind, die auf ihre Kommunikationskanäle und ihre Bedürfnisse abgestimmt sind.“




    Doch wie kann man das Problem der ungewollten Schwangerschaften in jungem Alter angehen? Gabriela Alexandrescu von Save The Children“ glaubt, nur mehr Arztpraxen und gezielte Programme im ländlichen Milieu könnten das Problem lindern:



    Wir haben unlängst zusammen mit den Behörden eine Studie über Frauen im Teenager-Alter aus benachteiligten Milieus durchgeführt. Wir haben 46 Gemeinschaften in der Zeitspanne Juli–August 2021 unter die Lupe genommen, und die Ergebnisse sind erschreckend: Es gibt gravierende Mängel in der gesundheitlichen Versorgung der werdenden und jungen Mütter. In ländlichen und benachteiligten Gemeinden liegt das Durchschnittsalter der ersten Geburt bei 16 Jahren und drei Monaten. Wenn noch mehr Kinder hinzukommen, so ist das Durchschnittsalter bei der zweiten Geburt 18 Jahre und ein Monat; bei der Geburt des dritten Kindes sind diese Frauen im Schnitt 19 Jahre und fünf Monate alt. 40% der schwangeren Teenager und jungen Mütter haben sich nie ärztlich untersuchen lassen, entweder weil es keine Gesundheitseinrichtung im Ort gibt oder weil sie sich eine Untersuchung finanziell nicht leisten können. 87% der Teenager in diesen Milieus kennen keine Verhütungsmethoden, 72% der jungen Mütter berichten, dass sie in äu‎ßerst bescheidenen Verhältnissen wohnen — in einem oder höchstens zwei Räumen, oft zusammen mit Personen aus anderen Familien. 55% der Befragten sagten auch, dass ihr Einkommen nicht einmal für die Grundbedürfnisse ausreiche und dass sie daher auf das Kindergeld angewiesen seien. Es gibt sogar junge Frauen, die knapp vor dem 25. Lebensjahr das fünfte Kind gebären. Das ist eine äu‎ßerst besorgniserregende Situation.“




    Die NGO Save The Children“ hat ihre Tätigkeit auch auf die Moldaurepublik ausgeweitet und hofft auf denselben Erfolg der Kampagnen auch im Nachbarland, sagt die geschäftsführende Vorsitzende Gabriela Alexandrescu:



    Wir wollen unser Erfolgsmodell in Rumänien auch auf die Moldaurepublik übertragen, wo wir mit dem Verein »Gesundheit für Jugendliche« sowie mit dem Info- und Dokumentationszentrum für Kinderrechte in der Hauptstadt Chișinău zusammenarbeiten. Beginnend mit diesem Jahr werden wir integrierte Gemeinschaftsprogramme in 16 Landkreisen Rumäniens und 15 Rayons in der Moldaurepublik durchführen. Dieses Vorgehen ist auch in weitergehender Hinsicht von Bedeutung für die Gesundheit der Frauen im Teenager-Alter. Es ist bekannt, dass Schwangerschaft in sehr jungen Jahren mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist — sie kann zu hohem Blutdruck, Anämie, Frühgeburt, postnataler Depression oder untergewichtigen Babys führen. Hinzu erhöht eine verfrühte Mutterschaft das Risiko des Schulabbruchs, des Abdriftens in Armut und der Übertragbarkeit dieser Lebensweise auf künftige Generationen. Aus diesem Grund stehen unsere Experten und Berater in ländlichen und benachteiligten Gemeinschaften in ständigem Kontakt sowohl zu den Teenagern als auch zu deren Familien. Es ist sehr wichtig, mit diesen jungen Frauen unmittelbar zu kommunizieren.“

  • Familienplanung Fehlanzeige: Schwangerschaft und Abtreibung unter Minderjährigen besorgniserregend

    Familienplanung Fehlanzeige: Schwangerschaft und Abtreibung unter Minderjährigen besorgniserregend

    Fast jedes zehnte Kind wird in Rumänien von einer jugendlichen Mutter im Alter von 15 bis 19 Jahren auf die Welt gebracht. Damit nimmt Rumänien einen der ersten Plätze in der EU in puncto Teenage-Schwangerschaften ein. Unter diesen Umständen muss man sich fragen: Gibt es überhaupt so etwas wie Familienplanung hierzulande?



    Eine Schwangerschaft sollte in der Theorie einen Kinderwunsch erfüllen und zu dem Zeitpunkt erfolgen, wenn die Eltern erwachsen genug sind, um ein Kind gro‎ßziehen zu können. In der Praxis sieht die Lage anders aus: Laut einer UNICEF-Statistik von 2012 gab es in Rumänien die meisten minderjährigen Mütter europaweit. Und eine Studie, die das Nationale Statistikinstitut zwischen Januar 2012 und März 2013 durchgeführt hat, zeigte, dass von etwa 12.000 schwangeren jungen Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren etwa 7.500 sich für eine Abtreibung entschlossen haben. In den letzten Jahren stieg die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Rumänien kontinuierlich, warnen die Frauenärzte. Die Frauenärztin Monica Cârstoiu von der Universitätsklinik Bukarest bringt weitere Details:



    Wie die jüngste UNICEF-Studie zeigte, belegt Rumänien den ersten Platz bei minderjährigen Müttern — durchschnittlich 8.500 pro Jahr. In Rumänien wählen die Frauen am häufigsten die Abtreibung als Verhütungsmethode gegen eine unerwünschte Schwangerschaft, und wir haben uns vorgenommen, diese Situation zu ändern. Es gibt doch viele andere Verhütungsmethoden zum Vermeiden einer unerwünschten Schwangerschaft. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation hat Rumänien die höchste Abtreibungsrate in Europa: 480 Abtreibungen bei 1000 lebend geborenen Kindern.“




    Diese besorgniserregenden Statistiken werden dadurch bestätigt, dass rumänische Frauen nicht regelmä‎ßig zum Frauenarzt gehen. Die Hauptursache dafür ist der Mangel an sexueller Erziehung über die Bedeutung der regelmä‎ßigen Untersuchungen, meinen die Frauenärztin Monica Cârstoiu und ihre Berufskollegen. Dabei fehlt es an mehr als nur an Erziehung über die gesunde Fortpflanzung; in Rumänien gibt es nur wenig Informationen darüber, wie eine moderne Frau über ihren eigenen Körper entscheiden kann. Daniela Drăghici setzt sich für sexuelle Erziehung und Information im Rahmen der Gesellschaft für Feministische Analysen ANA ein:



    Ein gro‎ßes Problem besteht aus der Methode und Möglichkeit, junge Frauen (und nicht nur) darüber zu informieren, dass sie das Recht haben, in voller Kenntnis der gesunden Fortpflanzung über ihren eigenen Körper zu bestimmen. 2003 hatte der rumänische Staat gewisse Fortschritte in diesem Bereich erzielt — es gab ein Zusammenarbeitsprotokoll zwischen dem Gesundheitsministerium, dem Bildungs- und Jugendministerium und der rumänischen Regierung. Besagtes Protokoll sah vor, dass Grundschüler bereits in der zweiten Klasse Sexualerziehung auf dem Stundenplan haben. Diese Initiativen wurden aber nicht verwirklicht — unter anderen haben die amerikanischen Stiftungen, die Fonds dafür angeboten hatten, nach dem EU-Beitritt Rumäniens ihre Finanzierungen zurückgezogen.“




    Im Rahmen dieses leider nicht mehr existierenden Programms wurde sogar ein Lehrbuch für Sexualkunde erarbeitet und von allen beteiligten Ministerien angenommen. Das Lehrbuch war das Resultat einer Zusammenarbeit mit fachkundigen NGOs. Alles war so bedacht worden, damit bei den Stunden für Gesundheit in der Familie“ (das war die offizielle Bezeichnung des neuen Schulfachs) die Empfindlichkeit und das Unbehagen der Beteiligten berücksichtigt werden sollten. Daniela Drăghici dazu:



    Wenn dieses Projekt sehr langsam, mit kleinen Schritten gelaufen wäre, wäre alles stufenweise geschehen, so dass weder die Eltern noch die Kinder sich dadurch gestört oder beängstigt gefühlt hätten. Ferner hätten sich auch die Ärzte für Familienplanung daran beteiligt. Mit externer Finanzierung wurden Ärzte für Allgemeinmedizin im Fach Familienplanung weitergebildet — diese Ärzte sind jetzt Experten für Familienplanung, aber sie können leider ihre Fachkenntnisse nicht voll einsetzen.“




    Eine solche Ärztin ist Iuliana Balteş, stellvertretende Direktorin einer Klinik, wo auch eine Praxis für Familienplanung funktioniert. Es ist eine der weniger noch funktionierenden Stellen für Familienplanung, die von der Verwaltung des 1. Bukarester Bezirks finanziert wurden. Iuliana Balteş spricht über die Folgen der mangelnden Informationen über die gesunde Fortpflanzung:



    Vor einigen Jahren hatten wir ein gesamtes Nationalprogramm zur Familienplanung erarbeitet — alles lief sehr gut, die Abtreibungsrate war gesunken. Das Programm wurde aber gestoppt, und inzwischen gibt es leider immer mehr Abtreibungen und unerwünschte Schwangerschaften bei Teenagers. Finanziell betrachtet wäre es viel günstiger, ein gut strukturiertes nationales Programm zur Familienplanung durchzuführen, als die Folgen der unerwünschten Schwangerschaften oder der Abtreibungen zu behandeln.“




    In den Anfangsjahren der Familienplanung gab es in ganz Rumänien etwa 240 Fachpraxen für Familienplanung. Mit der Zeit wurden die meisten dieser Fachpraxen geschlossen — in Bukarest gibt es nur noch 4 oder 5, und nur wenige Frauen nehmen sie in Anspruch. Warum? Iuliana Balteş antwortet:



    Erstens weil die Frauen keine korrekte Informationen bekommen. In der Regel informieren sie sich gegenseitig, und schlie‎ßlich kommen sie auch in die Fachpraxis. Zweitens: Durch das erwähnte Nationalprogramm für Familienplanung hatten wir vor einigen Jahren kostenlose Verhütungsmittel für Schüler und Studenten, die nicht genug Geld hatten, um Verhütungsmittel zu kaufen und zu Risikogruppen wurden. Leider ist unser Programm in Vergessenheit geraten, die Regierung hat nichts mehr dafür getan, und wir können keine kostenlosen Verhütungsmittel mehr verteilen. Folglich sind auch immer weniger Frauen in die Praxen für Familienplanung gekommen. Zwei Drittel der Frauen waren vom Lande, aus ärmlichen Verhältnissen, sie kamen regelmä‎ßig und waren sehr zufrieden, dass sie Verhütungsmittel gratis erhielten. Jetzt, da wir keine kostenlosen Verhütungsmittel mehr haben, kommen die Frauen nicht mehr zu uns.“




    Fazit: Die Fachärzte für Familienplanung empfehlen, dass die Behörden, die Ministerien und die Nichtregierungsorganisationen ihre Zusammenarbeit wiederaufnehmen und die Informationsprogramme über gesunde Fortpflanzung und Familienplanung wieder ins Leben rufen.