Tag: Wahrnehmung

  • Fake News: nur Falschmeldungen oder gezielte Manipulation?

    Fake News: nur Falschmeldungen oder gezielte Manipulation?

    Schon zu Beginn der Pandemie wiesen die Behörden und Regierungen in ihren Botschaften auf die Präsenz eines Informationsangriffs oder, besser gesagt, Desinformationsangriffs hin, der Konturen zu verändern vermag. Es gibt viele Gründe für Fake News. Diese können politisch motiviert sein oder die Interessen der Impfgegner vertreten, sie können Persönlichkeiten ein strahlendes Profil verschaffen oder — im Gegenteil — eine andere abwerten.



    Fake News sind nicht neu. Mit den Online-Plattformen haben sie aber riesig an Bedeutung gewonnen. Der Begriff Fake News ist nicht dem der Falschnachricht gleichzusetzen. Online-Desinformation hat nichts mit Journalismus gemeinsam, erklärte gegenüber Radio Rumänien Professor Alina Bârgăoanu, Mitglied der Expertengruppe für die Bekämpfung der falschen Nachrichten und der Desinformation der Europäischen Kommission. Das Kommunikations- und Informationsökosystem hat sind in den letzten Jahren von Grund auf verändert, ausgehend vom Online-Bereich, wobei die Mainstream-Medien den Kollateralschaden davon trugen, erklärt Prof. Bârgăoanu



    Die Verwendung des Begriffs Fake News kann in die Irre führen, denn wenn wir den Fake-News-Begriff verwenden, dann denken wir an den Unterschied zwischen wahr und unwahr. Doch im Grunde genommen hat das Riesenphänomen der Online-Desinformation nicht unbedingt etwas mit dem Wahrheitsgehalt zu tun, sondern ist vielmehr ein Betrug an der Verwendung unseres persönlichen Profils, unserer Daten, in dem wir als Nutzer von Online-Plattformen zur Zielscheibe werden.“




    Die Gefahr liegt in der Manipulation, begünstigt vom Algorithmus. Fake News werden aufgrund unserer Interessen geschaffen und zielgerichtet geliefert, abhängig vom registrierten Online-Verhalten. Von hier aus ist es einfach. Es ist überhaupt nicht schwer, einen Menschen zu beeinflussen, dessen Profil man sehr gut kennt, das Interesse dieses Menschen zu wecken und ihn zu verleiten, die Information, die seine Befürchtungen oder Vorurteile bestätigt, weiterzuleiten. In dieser Gleichung spielt das Binom Facebook-Google die Hauptrolle. Es trägt die Daten zusammen und verbreitet schnell und zielgerecht Informationen an eine fantastisch hohe Zahl von Nutzern, denn ihr Profil lässt sich leicht erspähen. Die israelischen Nachrichtendienste haben Artikel veröffentlicht, in denen sie behaupten, die Bereitschaft eines Menschen, sich in die Luft zu sprengen, aufgrund seines Schokoladenkonsums erstellen zu können, nannte Professor Alina Bârgăoanu als Beispiel.



    Fake News sind weder Nachrichten noch sind sie komplett falsch. Wir können selbstverständlich auch über den Journalismus reden, dem Informationsfehler unterläuft, der bewusst Desinformationen auf dem Markt bringt. Die schlechte Nachricht aber ist, dass wir bei Fake News nicht über Nachrichten sprechen. Wir können über Gefühle reden, über Meme, Kurzfilme, Karikaturen, Hashtags, nicht aber über etwas Falsches. Eine Nachricht kann wahr sein, aber wenn sie anhand von Algorithmen, Suchmaschine vervielfältigt wird, dann mutiert diese zu einem Fake, weil sie in einen ungleichen Wettbewerb mit einer genauso wahren, aber nicht verbreiteten Nachricht steht. Dieses Phänomen habe ich Desinformation 2.0 genannt, weil ich auf eine völlig neue Erscheinung hinweisen wollte, die im Zusammenhang mit der Explosion der Online-Plattformen steht, und nicht mit dem Journalismus.“




    Wir hier in Rumänien seien in die Falle getappt, das Gespräch über Fake News mit den Begriffen wahr oder unwahr zu führen, behauptet Professor Alina Bârgăoanu.



    Ich glaube, der grundlegende Unterschied liegt zwischen »Viralem« und »Nichtviralem«, zwischen dem, was auf die Suchmaschinen gelangt und dem, was nicht auf die Suchmaschinen kommt, was von Facebook übernommen oder von Facebook herausgenommen wird. Es gibt Mechanismen, anhand welcher Google deinen Namen auf dem 1. Platz stellen kann oder auf dem 100. in einer Suchanfrage. Das bedeutet nicht, dass du nicht existierst, aber Google kann dich zu einer öffentlichen Person machen oder aus dem öffentlichen Raum verbannen. Wenn wir über das umfassende Phänomen der Online-Desinformation sprechen, dann sollten wir meiner Meinung nach nicht mit den Begriffen wahr/unwahr argumentieren, sondern aufgrund der grundlegenden Änderungen, die die Online-Plattformen im Informationsökosystem herbeigeführt haben.“




    In den meisten Fällen finden wir in Fake News panikmachende Übertreibungen. Ihre Verbreitung wird durch den Bange machenden Charakter beflügelt, durch die Tatsache, dass es Informationen enthält, die einen verstören oder wütend machen. Diese können Spannungen bewirken, Menschen oder Behörden an den Pranger stellen oder die soziale Kohäsion schwächen. Besorgniserregend ist desgleichen, dass Fake News ihre Wirkung auch nach ihrer Widerlegung weiter entfalten. Bildhaft ausgedrückt, greifen Fake News die Urteilsfähigkeit an, und eine unter Beschuss stehende Aufnahmefähigkeit ist viel anfälliger für Manipulation. Die Manipulation ist ein wichtiger Bestandteil der hybriden Kriegsführung, wobei dahinter auch staatliche Akteure stehen können. Ihr Zweck, ist Änderungen in der kollektiven Wahrnehmung herbeizuführen. Dafür wird Unzufriedenheit, Frustration sogar Hass gestreut, um eine politische Reaktion zu erzielen. Es entstehen zum Beispiel antieuropäische oder antiwestliche Parteien, um einen dramatischen Paradigmenwechsel in der Geopolitik und Sicherheit herbeizuführen.

  • Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand

    Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand

    Der bereits in den anderen Ländern des ehemaligen Osblocks einsetzende Niedergang des Kommunismus hatte einen hohen Preis in Rumänien — tausende von Opfern, die meisten davon junge Menschen, die mit ihrem Blut vor 30 Jahren Geschichte geschrieben haben. Eine derartige Revolution verändert die Selbstauffassung der gesamten Gesellschaft in Bezug auf ihren eigenen Werdegang.



    Das Gedächtnis hat jedoch subjektive Züge, und jeder Rumäne erinnert sich anders an die Zeit vor Dezember 1989. Im Suţu-Palast in Bukarest fand ein Treffen statt, das sich mit dem Einfluss der persönlichen Archive auf das Image der Osteuropäer im Zusammenhang mit den Veränderungen von 1989, aber auch mit dem alltäglichen Leben dieser Zeit befasste. Raluca Alexandrescu, Universitätsdozentin an der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Bukarest, spricht über das subjektive Erinnerungsvermögen:



    Es war kalt in den Wohnungen, die Leute standen für alles Mögliche Schlange in den Läden… Wenn ich Leute treffe, die mir erzählen, dass es ihnen während des Ceauşescu-Regimes gut ging, bin ich immer wieder erstaunt, obwohl es viele Arten gibt, sein Leben zu führen. Andererseits ist es aber auch verständlich, dass die Erfahrungen der Einzelnen vor 1989 unterschiedlich sind und miteinander konfrontiert werden müssen. Aus diesem Grund denke ich, dass die heutige Blockade in der Wahrnehmung mit diesem anhaltenden Konflikt zwischen den unterschiedlichen Erlebnissen der Einzelnen zu erklären ist. Einige sind nostalgisch, andere haben für die Zeit vor Dezember 1989 sogar eine Art Kult entwickelt und wiederum ist es für andere Menschen unvorstellbar, dem Kommunismus und dem Ceauşescu-Regime mit Nostalgie zu begegnen.“




    In der rumänischen Gesellschaft war die weit verbreitete Angst vielleicht das prägendste Gefühl während des Ceauşescu-Regimes. Der von der Securitate betriebene Unterdrückungsapparat war zu einem unsichtbaren, jedoch allgegenwärtigen Feind geworden, und der Mut, öffentlich über die eigenen politischen Überzeugungen zu sprechen, wurde von den meisten Menschen als riskantes Wagnis angesehen. Raluca Alexandrescu bringt weitere Einzelheiten:



    In diesem schizoiden Umfeld, in dem viele von uns aufgewachsen sind, wusste jeder sehr genau, dass es überhaupt nicht ratsam war, das zu Hause in der Familie Besprochene weiterzuerzählen. Dies ist für meine Generation, für die etwas jüngere und insbesondere für die etwas ältere Generation immer noch ein Problem. Wir leben, wir bilden uns und agieren in der Gesellschaft, vielleicht ohne es zu merken, in einem Zustand der Binarität uns selbst gegenüber, aber auch im Verhältnis zur Öffentlichkeit. Unser Bezug zur Öffentlichkeit und zur Stellungnahme und Involvierung im öffentlichen Leben ist ebenfalls davon geprägt, ohne dass wir es merken würden.“




    Der Moment der Revolution änderte das Bewusstsein und bestimmte das Leben der Überlebenden. Der Weg zur Demokratie wurde mit der Überwindung der Angst eröffnet. Die rumänischen Bürger gewannen eines der wichtigsten Grundrechte: die Rede- und Meinungsfreiheit. Raluca Alexandrescu dazu:



    Die Erfahrung von 1989 war bis zu einem gewissen Punkt sogar eine unvermittelte. Ich erinnere mich, dass ich am 21. Dezember 1989 mit meinen Brüdern in die Stadt ging, um etwas für Weihnachten zu kaufen. Wer sich noch daran erinnert, dass es damals kaum noch etwas zu kaufen gab, versteht, dass es nur ein Vorwand war, ein wenig aus dem Haus zu gehen. Mein Bruder, meine Schwester und ich gingen zum Universitätsplatz, wo die Menschen bereits zu protestieren begonnen hatten. Ich erinnere mich, dass ich mit 14 Jahren versuchte, ‚Nieder mit dem Kommunismus!‘ und ‚Nieder mit Ceauşescu!‘ zu skandieren. Doch damals und dort, beim Hotel Intercontinental, kam der Ton aus meinen Stimmbändern, aus meiner Kehle nicht raus. Ich war wie versteinert. Es waren etliche Minuten, in denen meine Stimmbänder auf die Befehle des Gehirns nicht mehr reagierten. Ich schrie aber innerlich, und das ist der Moment, an den ich mich als meine kleine innere Revolution erinnere.“




    Anlass des Treffens zur Erinnerung an die Revolution und ihre Auswirkungen auf die gegenwärtige rumänische Gesellschaft war die Ausstellung des amerikanischen Fotografen Edward Serotta. In jenen Dezembertagen 1989 dokumentierte er — der Securitate zum Trotz — die Ereignisse auf der Stra‎ße. Ähnlich war er noch in Bulgarien, Ungarn, der Tschechoslowakei, Polen und der DDR vorgegangen, wei‎ß Adrian Cioflâncă, Direktor des Zentrums für die Geschichte der jüdischen Gemeinschaften in Rumänien und Mitglied der Behörde für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs (CNSAS):



    Edward Serotta hatte mehr Bewegungsfreiheit als zum Beispiel Anne Applebaum, die 1989 zusammen mit einem BBC-Journalisten nach Rumänien kam und am Flughafen von Securitate-Beamten mit riesigen Walkie-Talkies begrü‎ßt wurde, wie in einem albernen Agenten-Film. Die Securitate wollte die beiden Journalisten einschüchtern, sie daran hindern, sich mit einigen Dissidenten zu treffen und einige wichtige Orte aufzusuchen, die mit der antikommunistischen Dissidenz zu tun hatten. Praktisch konnten die beiden ausländischen Journalisten nicht viel erreichen, überall, wohin sie gingen, waren ihnen Securitate-Leute auf den Fersen. Im Fall von Edward Serotta tappte die Securitate in eine Falle. Serotta hat sie hereingelegt, er hat vorgetäuscht, eher an den jüdischen Gemeinden in Rumänien interessiert zu sein. Er kannte allerdings verschiedene Memoiren über Rumänien in der Zwischenkriegszeit.“




    1989 — das Jahr, in dem Europa zu sich selbst wiederfindet“, eine Ausstellung im Museum für die Geschichte der Stadt Bukarest, die in Partnerschaft mit dem Österreichischen Kulturforum organisiert wurde, setzt sich nicht so sehr mit dem Fall des Kommunismus auseinander, sondern dokumentiert vielmehr die Wiederverankerung der Freiheitsidee im kollektiven Denken. Die rumänische Gesellschaft befindet sich immer noch in einem Wandel der Wahrnehmungen, Mentalitäten und der Erinnerungsfähigkeit.

  • Wahrnehmung des Kommunismus 30 Jahre danach: gemischte Bewertung

    Wahrnehmung des Kommunismus 30 Jahre danach: gemischte Bewertung

    Laut einer Meinungsumfrage glauben nach 30 Jahren seit dem Sturz der kommunistischen Regime in Osteuropa immer noch 27% der Rumänen, dass das kommunistische Regime gut für Rumänien war, weitere 30% sind hingegen der Auffassung, dass der Kommunismus schlecht war. Gleichzeitig antworten 34,4% der Befragten mit der Äu‎ßerung Die Dinge sind komplizierter; Der Kommunismus in den 1950er Jahren war eine Sache, der während des Ceauşescu-Regimes war anders.“



    Eine weitere soziologische Umfrage, die im November gestartet wurde, zeigt, dass die Hälfte der Rumänen glaubt, dass es im Kommunismus besser gewesen sei. Diese Art von Umfragen wird seit 1989 durchgeführt, und die Ergebnisse waren stets etwas anders. Zum Beispiel glaubte 20 Jahre nach der Dezemberrevolution von 1989 etwa die Hälfte der Rumänen, dass es vorher besser war, und 14% von ihnen glaubten, dass sich die Dinge nicht zum Guten geändert hätten. Unabhängig von den Unterschieden zwischen den Methoden und Ergebnissen ist es ganz klar, dass es viele positive Wahrnehmungen gibt, vielleicht genauso viele wie die negativen. Die Forscherin Manuela Marin von der West-Universität in Timişoara (Temeswar) hat in mehreren Studien das Phänomen analysiert, das als kommunistische Nostalgie“ bezeichnet wurde. Sie ist der Meinung, dass man zur Erklärung dieses Phänomens diejenigen Aspekte analysieren sollte, die die Menschen in Bezug auf die jüngste Vergangenheit als positiv wahrnehmen. Manuela Marin:



    Nach dem, was mir aufgefallen ist, geht es hier vor allem um das Wohlbefinden, das den Menschen durch die staatliche Bevormundung zuteil wird: ein stabiler Arbeitsplatz und Lebensbedingungen, die als anständig angesehen wurden, bis hin zu einer gewissen Gleichheit in der Gesellschaft. Was die Rumänen am Kommunismus meiner Meinung nach schätzten, war der bevormundende Staat, der sich in das Leben der Bürger einmischte. Auch im Hinblick auf frühere Umfragen sollte erwähnt werden, dass die Rumänen nicht wieder in das politische Regime mit all seinen Einschränkungen der Rede- und Meinungsfreiheit zurückkehren wollen. Was sie wollen, ist eine Mischung zwischen dem sozialistischen Wohlergehen und der Freiheit, die sie jetzt genie‎ßen.“




    In Wirklichkeit war der sozialistische Wohlstand eine Illusion. Wie könnte man also diese verschönte Wahrnehmung der Vergangenheit erklären? Manuela Marin versucht es und antwortet:



    Wir müssen daran denken, dass es in den 1970er–1980er Jahren und sogar in den 1960er Jahren, weil man normalerweise zwischen den verschiedenen Stadien des Kommunismus unterscheidet, den Menschen darauf ankam, eine Wohnung in einem Wohnblock zu bekommen, Zugang zu Elektrizität und hei‎ßem Wasser zu haben und auch ein stabiles Einkommen zu erlangen. Für die in den 1940er und frühen 1950er Jahren geborene Generation war das das Maximum an Wohlstand, von dem sie träumen konnte. Die 1970er Jahre gelten als die Jahre des sozialistischen Wohlstands, aber die Menschen damals hatten nichts, womit sie diesen Wohlstand vergleichen konnten. Sie erinnern sich nur an den festen Arbeitsplatz, an den Urlaub am Meer oder in den Bergkurorten und dass sie sich irgendwann eine Waschmaschine oder einen Fernseher leisten konnten. Wir müssen diejenigen verstehen, die vom Land kamen und sich in einer Stadt oder einem besser entwickelten Ort niederlie‎ßen, das war ein Schritt nach vorn in Bezug auf den materiellen Wohlstand.“




    All diese Vorteile und Fortschritte wurden vom Staat bereitgestellt, so dass die positive Wahrnehmung des Kommunismus auch eine Frage der Nostalgie für diese Art von fürsorglichem Staat ist. Im Kommunismus wurde alles vom Staat geregelt: Arbeit, Wohnung, Urlaub und sogar Freizeit. Der schnelle und traumatische Niedergang der Wirtschaft, der durch den angekündigten Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus ausgelöst wurde, verwirrte viele und lie‎ß sie von einer Art involviertem Staat träumen, was aber seinen Preis haben sollte, wie Manuela Marin erläutert:



    Der Einzelne sah sich mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die alles in Frage stellten, was ihm bis dahin vertraut war: die eigene Existenz und das Leben im Allgemeinen. Es geht um das, was ich das Verschwinden des Gesellschaftsvertrages nenne. Der kommunistische Staat ist ein paternalistischer Staat, der einen gewissen ungeschriebenen Sozialvertrag mit den einfachen Bürgern abgeschlossen hat: Ich sorge für eure Grundbedürfnisse, und ihr verpflichtet euch, euch zu unterwerfen und die Entscheidungen der kommunistischen Partei oder des Staates umzusetzen.“




    30 Jahre nach dem Untergang dieses bevormundenden Staates haben es die nachfolgenden Regierungs- und Verwaltungsstrukturen nicht geschafft, die Abhängigkeit vom Staat durch das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit einiger Institutionen zu ersetzen, die bestimmte Rechte garantieren. Wir haben mehr dazu von der Historikerin Alina Pavelescu, der stellvertretenden Direktorin des Nationalarchivs in Bukarest, erfahren:



    Gegenwärtig bedeutet es für einen Bürger, sich gut aufgehoben und sicher zu fühlen, auch den anderen Mitgliedern der Gesellschaft, den Behörden und Institutionen zu vertrauen. Und dieser Mangel an Vertrauen ist verständlich, solange die Beziehungen zwischen Bürgern und Institutionen in unserem Land nicht so gut sind, mit so vielen ungelösten Fragen in den letzten 30 Jahren, die sowohl mit dem kommunistischen Regime als auch mit der postkommunistischen Zeit zusammenhängen, als viele ehemalige Bonzen des kommunistischen Regimes die öffentliche Agenda besetzten und nur ihre persönlichen Interessen verfolgten. Die Folge ist das mangelnde Vertrauen der Bürger in andere Menschen und auch in die Institutionen.“




    Andererseits sind viele der im Kommunismus entstandenen Probleme nur mühsam und teilweise gelöst worden. Ganz im Gegenteil, viele negative Aspekte haben sich hartnäckig gehalten und haben mancherorts sogar zugenommen. Und das habe bei den jungen Leuten, die glauben, dass es sich um Phänomene aus der jüngsten Vergangenheit handelt, Verwirrung gestiftet, meint Alina Pavelescu:



    Es ist ziemlich merkwürdig, dass viele junge Leute oder Menschen mittleren Alters sagen, dass es früher besser gewesen sei, wenn man bedenkt, dass diejenigen, die damals lebten, wissen sollten, dass zum Beispiel die Behandlungsbedingungen in den Krankenhäusern schrecklich waren, so viel schlimmer als heute. Das Bestechungssystem zum Beispiel stand bereits in den 1980er Jahren fest im Sattel und hatte sich in allen Krankenhäusern verbreitet.“




    Aber damit die jüngeren Generationen über all diese Dinge erfahren, sollte die Geschichte des Kommunismus besser vermittelt und verstanden werden. Bildung und geringere Erwartungen an einen paternalistischen Staat könnten Lösungen für die jüngeren Generationen sein, um die aus dieser Zeit geerbten Mentalitäten loszuwerden. Alina Pavelescu glaubt, dass Kinder heute die Chance haben, in einer offenen Gesellschaft und einer Welt zu leben, in der ihr kritisches Denken frei wachsen kann.

  • Gender-Barometer im Vergleich: Geschlechterrollen fortschrittlicher als vor 18 Jahren wahrgenommen

    Gender-Barometer im Vergleich: Geschlechterrollen fortschrittlicher als vor 18 Jahren wahrgenommen

    Rumänien ist ein Land, in dem sich die Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Fragen nach einem modernen Trend ändert, ein Land, das immer noch zwischen der konservativen und der fortschrittlichen Haltung in Bezug auf Gleichstellungsfragen schwankt, aber auch ein Land mit einer eher schwachen Wahrnehmung der Notwendigkeit einer Politik, die sich auf Gleichstellungsfragen konzentriert. Dies waren die wichtigsten Schlussfolgerungen des Geschlechterbarometers im Jahr 2018, das 18 Jahre nach dem ersten Geschlechterbarometer in Rumänien im Jahr 2000 durchgeführt wurde. Das neueste Barometer wurde im Auftrag der feministischen NGO Filia Center erstellt. Es erfasst ganz genau die Veränderung bestimmter Mentalitätsmuster, während andere Mentalitäten in der Zeit eingefroren sind und Unsicherheit in Bezug auf bestimmte Einstellungen entsteht. Häusliche Gewalt, Bildung für Gesundheitsversorgung und Reproduktion, die hohe Zahl der Teenie-Mütter, die in Rumänien in gro‎ßer Zahl leben — das sind die Themen, die in den letzten Jahren auf die öffentliche Agenda gesetzt wurden. Ebenso möchte das Filia Center, dass die Ergebnisse einer solchen Forschung die Entstehung einer angemessenen Geschlechterpolitik unterstützen. Andreea Braga ist die Vertreterin des Filia Centers. Sie wird uns nun Einzelheiten über den Hintergrund, vor dem das Gender-Barometer ermöglicht wurde, und über die möglichen Lösungen für das Problem mitteilen.



    Patriarchale geschlechtsspezifische Vorurteile im Zusammenhang mit Gewalt, aber auch der Mangel an Informationen über häusliche Gewalt und die Dynamik der Gewalt unter Fachleuten vor Ort, Polizisten, Richtern oder Sozialarbeitern, schränken den Zugang von Frauen zu ihren Rechten ein. Von Anfang an stellen wir fest, dass selbst Polizisten Opfer entmutigen, Strafanzeige zu erstatten, so dass einfach nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Ich will nicht verallgemeinern, nicht alle von ihnen verhalten sich so, aber wir wollen, dass so viele Fachleute wie möglich geschlechtsspezifisch sensibel sind, Stereotypen und Vorurteile gegenüber Frauen und Männern überwinden können, damit sie in Fällen häuslicher Gewalt sofort eingreifen können, zumal ihre Intervention den Unterschied zwischen Leben und Tod machen kann. Wir stehen nach wie vor an der Spitze der europäischen Länder, was die Zahl der Mütter im Teenageralter, die hohe Kindersterblichkeitsrate, den begrenzten Zugang zu Gesundheitsdiensten für Mütter betrifft. Es gibt eine gro‎ße Zahl von Frauen, die es in der Schwangerschaft nie zum Arzt schaffen. Deshalb haben wir eine Lösung vorgeschlagen, die darin besteht, kommunale Netzwerke von Hebammen und Krankenschwestern wiederzubeleben, die ihre Nutznie‎ßer erreichen und mit der überwiegenden Mehrheit der Frauen in der Gemeinde zusammenarbeiten können. Wir wollen das Netzwerk der Familienplanungspraxen revitalisieren. Leider gibt es auch eine Art Widerstand der öffentlichen Meinung, wenn wir über reproduktive Rechte und den Zugang zur Geburtenkontrolle sprechen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir das ändern.“




    Unter diesen Umständen haben die Ergebnisse des Gender-Barometers von 2000 und des Gender-Barometers im Jahr 2018 im Vergleich nach Meinung der Universitätsprofessorin und Soziologin Laura Grunberg die Entstehung positiver Veränderungen, aber auch den Fortbestand eingefrorener Einstellungen aufgezeigt. Viele der Antworten im Jahr 2018 sind widersprüchlich und deuten auf die Schwankungen der Mentalitäten zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen traditionalistischen und zukunftsorientierten Einstellungen hin. Hier ist Dr. Laura Grunberg, die über eingefrorene Wahrnehmungen spricht.



    Auf die Frage, ob der Mann das Familienoberhaupt ist, zeigen die Statistiken, dass 83% der Befragten im Jahr 2000 »Ja« gesagt haben, während im Jahr 2018 immerhin noch 70% die Frage bejaht haben. Das ist jedoch eine gute Entwicklung. Aber ich finde es immer noch schwierig, es als Veränderung zu betrachten, denn 70% ist immer noch viel. Die Situation ist die gleiche, wenn es um die Frage geht, ob Frauen ihrem Mann folgen sollen. In gewisser Weise ist der Wandel hier offensichtlicher, von 78% auf 65%, die erachten, dass die Frau dem Mann hörig sein sollte. Aber ich finde dieses Ergebnis immer noch nicht zufriedenstellend. Es gibt sichtbare Unterschiede, aber die Zahl ist immer noch hoch. Ich hätte erwartet, dass sich die Dinge in 18 Jahren mehr ändern würden.“




    Dennoch gibt es im Geschlechterbarometer 2018 viele positive Aspekte. Laura Grunberg:



    Es hat sich eine Veränderung in der Art und Weise ergeben, wie die Idee einer weiblichen Präsidentin wahrgenommen wird. Im Jahr 2000 waren die Rumänen damit nicht einverstanden. Im Jahr 2000 gaben etwa 73% der Befragten an, dass sie einen männlichen Präsidenten bevorzugen, während heute nur noch 43% diese Idee unterstützen, was eine fantastische Veränderung ist. Was auch die Vorstellung betrifft, dass Männer besser als Frauen in der Lage seien, zu führen, so ist der Rückgang beträchtlich — von 54% auf 44%. Das bedeutet, dass Frauen genauso gut sind wie Männer, und einige von ihnen sind sogar besser. Auch die Vorstellung, dass Frauen zu sehr mit Hausarbeiten beschäftigt seien und daher keine Zeit hätten, in Führungspositionen zu arbeiten, nimmt von 68% auf 44% ab. Was die Vorstellung betrifft, dass es Frauen an Selbstvertrauen mangelt, so glaubten das 43% der Rumänen im Jahr 2000, im Gegensatz zu nur 31% im Jahr 2018.“




    Das Gender-Barometer zeigt deutlich, dass sich die Bemühungen der gemeinnützigen Organisationen ausgezahlt haben, um das Bewusstsein für häusliche Gewalt zu schärfen und rechtliche Ma‎ßnahmen gegen Aggressoren und zugunsten des Opfers zu unterstützen. Laura Grunberg:



    Im Vergleich zum Jahr 2000 sehen mehr Menschen häusliche Gewalt nicht mehr als eine private Sache an, die innerhalb der Familie angegangen werden muss. Im Gegenteil, die Polizei ist die erste Institution, die diese Fragen lösen sollte. Im Jahr 2000 waren 35% der Befragten der Meinung, dass die Partner ihre Probleme selbst lösen sollten, während derzeit nur noch 20% diese Idee unterstützen und sagen, dass man als aller erstes die Polizei rufen sollte. Das ist ein Mentalitätswechsel, etwas sehr Schwieriges. Also zahlen sich die Bemühungen aus.“




    Das Fazit des Gender Barometers lautet, dass sich Rumänien verändert und die Wahrnehmung der Menschen in Bezug auf die traditionellen Rollen von Frauen und Männern diversifiziert.

  • Verantwortungsvolle Bürger – aber verantwortungslose Gesellschaft

    Verantwortungsvolle Bürger – aber verantwortungslose Gesellschaft

    Es ist ein Paradox: 97% der Menschen halten sich selbst für verantwortungsbewusst, aber nur 8% glauben, dass sie in einer verantwortungsbewussten Gesellschaft leben. Aber 89% der Bürger sagten, dass sie eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft empfinden. Was auf einen ersten Blick seltsam erscheint, ist in der Soziologie Alltag, meint der Fachmann: Diese sehr ausgeprägte Dissonanz haben wir auch bei anderen Studien angetroffen, bei denen wir den gesunden Menschenverstand auszuforschen versuchten. Sie nimmt eine einfache Form an: Ich besitze Merkmal X, aber niemand anders oder ganz wenige haben dieses Merkmal ebenfalls. Jeder glaubt, dass er seinen Job macht und sich korrekt verhält“, sagt Barbu Mateescu.



    Zum einen habe das zu tun mit einem aus dem Kommunismus überlieferten generellen Misstrauen in die Gemeinschaft, zum anderen mit einer Kombination zwischen einem sehr kritischen Blick auf die Gesellschaft und einer sehr positiven Selbstwahrnehmung, meint er. Bestes Beispiel sei die Wahrnehmung im Umweltschutz. 95% fühlen sich verantwortlich für die Umwelt — aber das Land wird gerade von der EU abgestraft für die fehlerhafte Abfallwirtschaft, so Barbu Mateescu: Die Leute glauben sogar, dass die Verantwortung für die Umwelt wichtiger ist als die für Freunde, Kollegen, Vorgesetzte oder Mitarbeiter. Umwelt belegt in dieser Rangordnung Platz zwei gleich hinter der Familie. Wie der Soziologe aber weiter ausführt, setzten die meisten Befragten das Umweltbewusstsein mit einfachen Alltagshandlungen gleich — wenn sie nach einem Papierkorb suchen, anstatt das Papier auf die Stra‎ße zu werfen, haben sie die Umwelt gerettet.



    98% der befragten Personen sind der Meinung, dass die Verantwortung gegenüber der eigenen Familie am stärksten ins Gewicht fällt. Überhaupt spielt der enge Umkreis eine herausragende Rolle — 92% fühlen sich gegenüber Freunden verantwortlich. Interessanterweise spielt das Verantwortungsgefühl per se eine gro‎ße Rolle — 98% glauben, dass sie für den Erfolg relevant ist. Die Erfolgsidee wird also auch aus dieser Perspektive definiert, findet der Soziologe Barbu Mateescu: Der Dreh- und Angelpunkt der rumänischen Gesellschaft ist die Familie und der sehr enge Umkreis: Eltern, Ehepartner, Kinder. Der Zusammenhalt dieser Familie ist ausschlaggebend, damit jemand Erfolg beanspruchen kann.“ Barbu Mateescu fügt an, dass auch die Bildung und Erziehung der Kinder wichtig ist — dem Kind eine Ausbildung zu geben, die ihm dann ausreichend Ansehen und finanzielles Vermögen sichern, gehört ebenfalls zum Erfolg. Für die meisten ist ein anständiges, ausgeglichenes Leben sehr wichtig — sie mögen keine Schulden und wenn sie Schulden machen, wollen sie sie schnellstmöglich zurückzahlen. 9 von 10 Rumänen gaben in der Erhebung an, ihre Schulden pünktlich zu bezahlen. 8 von 10 erklärten, nur so viel auszugeben, wie sie sich leisten können. 6 von 10 sagen, dass sie gerne sparen wollen — aber nur 3 von 10 gelingt das.



    Ist aber dieses Bild einheitlich? Nicht unbedingt, glaubt Barbu Mateescu. Die Eigenwahrnehmung des Verantwortungsbewusstseins hängt sehr viel von spezifischen Umständen ab — in einer siebenbürgischen Stadt, wo relativ viel Kapital vorhanden ist und wo es kaum Jobprobleme gibt, sieht es anders aus als in einer auf einen ersten Blick ähnlichen Kommune in der Moldau, wo Arbeitsplätze selten sind. Es ist also schwer, Gemeinsamkeiten zu finden“, sagt Mateescu. Der Soziologe unterstreicht aber einen klaren roten Faden — wo immer die Befragten auch wohnten, die Familie kam immer zuerst.

  • Vergangenheitserforschung: Nostalgie verzerrt die Wahrnehmung

    Vergangenheitserforschung: Nostalgie verzerrt die Wahrnehmung

    Die Menschen glaubten, die Geschichte halte die Ereignisse so fest, wie sie sich in Wirklichkeit zugetragen haben. Als sie die Geschichte zu einem akademischen Fach machten, glaubten sie, dass hier die Wahrheit zu finden sei. Die Philosophie der Geschichte sagt, dass die Geschichte, das Gedächtnis und die Wahrheit nur Fragmente von dem seien, was den Individuen und der Gemeinschaft gehörte. Die Nostalgie, die wir manchmal verspüren, bringt uns in eine Vergangenheit, die wir beschönigen, egal wie sie in Wirklichkeit war.



    Die Erinnerungen an den Kommunismus sind nur schwer einzuordnen und zu bewältigen, zumal sie einigerma‎ßen von der Nostalgie humanisiert wurden. Nach den Jahrzehnten der kommunistischen Diktatur, nach über 25 Jahren seit dem Fall des kommunistischen Regimes und nach zahlreichen Studien über die katastrophalen Fehler des Kommunismus neigen die Menschen, sich durch Nostalgie mit dem Kommunismus und seinen Fakten zu versöhnen. Die Generation Stets voran!“ (Pioniergru‎ß, der dem in der DDR üblichen Seid bereit! Immer bereit“ entspricht — Anm. d. Red.) ist die Kindergeneration der 1970er-80er Jahre, die heute erwachsen ist. Manchmal wird sie mit der Generation der Dekret-Kinder verwechselt, die in Folge des Dekrets Nummer 770 aus dem Jahr 1966, das die Abtreibungen verbot, auf die Welt kam. Diese Generation erlebt heute die Nostalgie. Es geht um die Nostalgie nach der Jugend und nicht um die Nostalgie nach dem kommunistischen Regime.



    In den 90er Jahren betrachtete die Generation Stets voran!“ die Nostalgie der Alten mit Gleichgültigkeit und Empörung. Mit der Zeit wurde auch die Generation Tot înainte!“ (Stets voran!“) nostalgisch. Zuerst noch verspielt, dann immer ernster. Die Historiker Simona Preda und Valeriu Antonovici haben 22 Persönlichkeiten über ihre Kindheit befragt, was zur Herausgabe des Buches Stets voran! Erinnerungen aus der Kindheit“ und zur Produktion eines Dokumentarfilms führte. Simona Preda sprach über die Mühe, mit den Befragten über ihre Erinnerungen zu sprechen, und über die Gefahr, eine verzerrte Wahrnehmung der Vergangenheit zu bekommen:



    Was ist so schwierig daran, über die eigene Kindheit zu sprechen? Es mag vielleicht eine Binsenwahrheit sein, aber es ist tatsächlich schwer, über die eigene Kindheit zu sprechen, besonders wenn die Kamera läuft. Es ist kompliziert, sich in eine Vergangenheit zurückzuversetzen und Erinnerungen zu wiedergeben, die man nach so langer Zeit mit einer anderen ideologischen Einstellung betrachtet, die viel später entstanden ist. Wenn man mit Erwachsenen Gespräche führt, mit Studien zu tun hat oder ideologischen Einflüssen ausgesetzt ist, riskierst man, eine A-posteriori-Einstellung gegenüber Ereignissen zu entwickeln, die man in der Kindheit unter ganz anderen Bedingungen erlebt und gefühlt hat. Die Hauptfalle, in die man bei Vergangenheitserforschung dieser Art tappen kann, ist die späte Befragung, wobei die Antworten letztendlich von dem Erwachsensein kontaminiert sind. Die Erinnerungskultur und die mündliche Geschichte werden immer von der Zeit beeinflusst. Wenn es um Geschichte, aber auch wenn es um unsere eigene Person geht, arbeiten wir nur mit Deutungen. Wir können die damaligen Realitäten oder die eigene Vergangenheit nie so festhalten, wie wir sie damals aufgefasst haben, mit all dem, was wir damals für gut oder schlecht oder gar au‎ßerordentlich hielten. Eine ganzheitliche Zurückgewinnung der Geschichte ist nicht möglich, egal wie sehr wir uns das wünschten.“




    Die Sehnsucht nach der Kindheit während des Kommunismus ist leichter zu verstehen als andere Nostalgiearten, weil sie im Gedanken in den Lebensabschnitt der Unschuld und der Unbeschwertheit führt, als die Welt in der Kindeswahrnehmung schöner und besser war und der Mensch mit Liebe und Fürsorge umhüllt wurde. Die quasimilitarisierte Struktur der Pionierorganisationen, die rote Fahne, der Pioniergru‎ß, die Schuluniform, die Schulbücher — kurzum die ganze Welt eines Kindes, das 1970-1980 geboren wurde, erfreut sich heute einer gütigen, milden Wahrnehmung, obwohl sie den Lebensstil unter einem politischen Regime verkörperte, das seine Bürger drillte und demütigte. Simona Preda hat sich mit ihrer eigenen Kindheit auseinandergesetzt und ist sich bewusst, dass man sich die alten Zeiten zwar nicht zurückwünscht, aber die Erinnerung daran kann man auch nicht einfach ausklammern.



    Es gibt die Möglichkeit, dass wir nur auf das zurückbesinnen, was uns am besten gefallen hat oder gefallen hätte. Wir denken uns in eine Rolle zurück, die wir uns damals zu spielen wünschten. Hier spielt die Zeit wieder einmal eine Rolle. Ich glaube, die Protagonisten unserer Befragung waren ehrlich. Es gibt Momente, in denen wir uns Fragen über bestimmte Aspekte der Vergangenheit stellen. Ich glaube nicht, dass anhand solcher Erinnerungsgespräche Diagnosen oder soziologische Studien erstellt werden können, nicht nach drei oder drei‎ßig Gesprächen, auch nicht nach dreihundert, drei Millionen oder 23 Millionen, wieviel Einwohner Rumänien einmal hatte. Jeder hat seine eigene Kindheit, seine eigenen nostalgischen Momente erlebt, jeder hat glorreiche und demütigende Momente individuell erlebt. Es gibt hier allgemein gültiges Modell. Wie es jemand ausdrückte: Ich bin nicht im Kommunismus aufgewachsen, sondern habe als Kind meine Kindheit erlebt.“




    Die Generation Stets voran!“ ist die Generation, die die historische Chance hatte, sich vom politischen Regime, das das Volk unterdrückte, zu befreien. Sie ist jene Generation, die Rumänien zu dem machte, was es heute ist, eine Generation, die — trotz aller Nostalgie — noch ein Wörtchen mitzureden hat.

  • Minderheiten: Ausstellung über Wahrnehmung ethnischer Gruppen in der visuellen Kultur

    Minderheiten: Ausstellung über Wahrnehmung ethnischer Gruppen in der visuellen Kultur

    Zwischen dem 20. August und dem 4. Oktober hat die Kulturstiftung PostModernism Museum in Brüssel das Forschungsprojekt Ethnische Minderheiten in der visuellen Kultur — Fokus Rumänien“ ausgestellt. Die Initiative ist im Kontext der aktuellen Frage der Integration der Flüchtlinge entstanden, die Europa beschäftigt. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Tatsache, dass in Rumänien 18 Minderheiten leben, die durch je einen Abgeordneten im Parlament vertreten werden. Das Projekt erinnert an den 100. Jahrestag der Gründung Gro‎ßrumäniens, der am 1. Dezember 2018 gefeiert wird, und bringt Konzepte wie Identität, kulturelle Vielfalt und Staatsangehörigkeit in den Vordergrund. Wir haben den Kurator Cosmin Năsui um Einzelheiten gebeten:



    Unser Interesse als Forscher in diesem Feld lag nicht darin, neue Etiketten zu identifizieren, laut denen ethnische Gruppen eingestuft werden könnten, sondern den multikulturellen Faktor zu identifizieren und den durchaus wichtigen Beitrag der Minderheiten zu unserer jungen Nation zu betonen. Wir wollten dem Publikum bewusst machen, dass die ethnischen Volksgruppen einen entscheidenden Beitrag zur Schaffung der rumänischen Identität geleistet haben. Ganz interessant war für uns, zu erfahren, welche Minderheiten in den letzten 100 Jahren über unser Territorium nach anderen Teilen Europas gezogen sind und welche als sogenannte ‚übernationale‘ ethnische Gruppen eingestuft werden, das hei‎ßt Gruppen, die in ganz Europa leben, so zum Beispiel die Roma und die Juden. Sehr interessant war auch die Frage der Minderheiten, die in unserer Nachbarschaft leben, also der Volksgruppen, die im Kontext der politisch bedingten Schrumpfung und Ausdehnung des Territoriums entstanden, also als Rumänien zu einem gewissen Zeitpunkt in der Geschichte Bevölkerung der Nachbarstaaten eingliederte oder als sich solche Gruppen gro‎ßen Gemeinschaften auf unserem Territorium anschlossen. Ein gutes Beispiel wären die Ungarn und die Deutschen in der südostrumänischen Dobrudscha sowie die Schwaben im westrumänischen Banat. Es handelt sich also um vielfältige Gemeinschaften, die einen äu‎ßerst interessanten Beitrag zur sogenannten visuellen Kultur gebracht haben.“




    Die Ausstellung ist in zwei Abschnitte unterteilt: Die erste wird den alten Minderheiten und ihren Abbildungen in der visuellen Kultur Rumäniens gewidmet, also den Juden, Griechen, Lipowanern, Ungarn, Deutschen, Türken, Tataren, Roma, die zweite den neuen Minderheiten, die nach der Wende nach Rumänien gezogen sind — Chinesen, Engländer, Franzosen, Inder, Libanesen. Cosmin Năsui kommt erneut zu Wort mit Einzelheiten:



    Wir stellen sowohl Originalstücke der Malerei, Graphik, Skulptur und Fotografie als auch Werke der graphischen Datenverarbeitung aus, die letzteren werden verschiedenen Unterthemen gewidmet: Exotik, Diskriminierung, Autonomie, Exil und Kolonisation. Es handelt sich um Bild und Text, die überlappt werden, damit sie leicht verstanden werden, denn wir setzen uns mit einem Thema auseinander, dem wir über 100 Jahre folgen.“




    Die alten“ Minderheiten sind in interessanten Gemälden rumänischer Maler wie Iosif Iser, Nicolae Tonitza, Octav Băncilă, Nicolae Grigorescu und in Bildern und Postkarten abgebildet. Im Fall der Volksgruppen, die nach Rumänien nach der Wende gezogen sind, lässt sich eine andere Situation auszeichnen. Cosmin Năsui erläutert:



    Diese Volksgruppen sind meistens in der visuellen Kultur zu finden, zum grö‎ßten Teil im Bereich der Filmkunst. Die neue rumänische Kinowelle thematisiert oftmals das Leben der ethnischen Volksgruppen. In der Dokumentation »Anul dragonului« (»Das Jahr des Drachen«) setzen sich die Regisseure Adina Popescu und Iulian Manuel Ghervas mit dem Alltag der Chinesen in Rumänien auseinander, Radu Gabrea thematisiert in »Mănuşi roşii« (»Rote Handschuhe«) und »Cocoşul decapitat« (»Der geköpfte Hahn«), einer Verfilmung der gleichnamigen Romane von Eginald Schlattner, das Leben der Siebenbürger Sachsen. Es gibt zudem Spielfilme, Dokumentationen und Doku-Spielfilme wie die Produktion von Alexander Nanau »Toto şi surorile lui« (»Toto und seine Schwestern«), die sich mit der Situation der Roma-Minderheit auseinandersetzt. In Bukarest fanden au‎ßerdem zahlreiche Ausstellungen zum Thema Diskriminierung statt, in Kronstadt und Klausenburg gibt es eine Reihe von Denkmälern, die nach der Anerkennung des Holocausts errichtet wurden. Die ersten visuellen Zeichen, die an die Holocaust-Anerkennung auf rumänischem Territorium erinnern, waren die Schilder, die an die Wände der Bahnhöfe befestigt worden sind, von wo die sogenannten Züge des Todes ihre unheilvolle Reise in die Vernichtungslager antraten.“




    Das Projekt Ethnische Minderheiten in der visuellen Kultur — Fokus Rumänien“ regt zum Nachdenken an, die Kommentare, die das Publikum hinterlässt, werden zum Teil des Ausstellungskatalogs. Die Ausstellung wurde anschlie‎ßend nach Bukarest verlegt, wo sie zwischen dem 9. Oktober und dem 3. November im zum Museum der Stadt Bukarest gehörenden Villa Minovici zu besichtigen ist. Von Bukarest wandert die Ausstellung weiter nach Kronstadt, Klausenburg und Craiova. 2017 soll das Projekt die Benelux-Länder erreichen.




    Deutsch von Ana Nedelea

  • Atypical Beauty Contest: Modeschau zur positiven Wahrnehmung behinderter Menschen

    Atypical Beauty Contest: Modeschau zur positiven Wahrnehmung behinderter Menschen

    Sie betrachtet das Leben nicht als Gottes Gabe und richtet sich gerne im Leben nach folgenden Worten des Autors George Bernard Shaw aus: Versuche das zu bekommen, was du liebst, sonst bist du gezwungen, das zu lieben, was du hast!“. Magda Coman ist eine junge Frau im Rollstuhl. Sie leitet den Verein Open Your Heart“ und kämpft für ein gerechtes Image behinderter Personen in Rumänien. Und sie hat es mit zahlreichen Vorurteilen zu tun. Und muss viele Hürden im Alltag überwinden. Wir baten sie, uns einiges über den von ihr gegründeten Verein zu erzählen sowie über einen Beauty-Contest, Atipic Beauty, den sie schon zum neunten Mal veranstaltet. Wo kam diese Initiative her? Dazu Magda Coman:



    Wir gründeten den Verein 2013, aus dem Wunsch heraus, behinderten Personen entgegen zu kommen und um ein anderes Image behinderter Menschen innerhalb der Gesellschaft zu schaffen. Behinderte Menschen werden in Rumänien stark diskriminiert. Ich setze mich ein, damit die behinderten Personen als ganz normale Menschen betrachtet werden. Damit sie nicht gleich mit dem Drama, das sie durchmachten und sie an den Rollstuhl fesselte, in Verbindung gebracht werden.“




    Der von ihr veranstaltete Beauty-Contest zielt auf eine tiefergehende Schönheit ab. Eine Schönheit, die keinen Normen entspricht und keinerlei Zeitschriftenkriterien erfüllt. Der Beauty-Contest bezieht sich auf die Schönheit des menschlichen Wesens. Ein Schönheitswettbewerb für behinderte Personen. Mehr Einzelheiten dazu bringt Magda Coman:



    Atipic Beauty ist scheinbar ein Fashion-Event. 12 Models im Rollstuhl steigen auf die Bühne. Sie werden von 12 in der Öffentlichkeit bekannten Personen begleitet. Wir veranstalten den Schönheitswettbewerb schon zum 9. Mal. Dieses Jahr in Cluj/Klausenburg, im Casino Park. Es ist das erste Mal, dass der Beauty Contest im Freien stattfindet, d.h., die Teilnehmeranzahl ist nicht mehr eingeschränkt. Allmählich wird deutlich, dass ich es geschafft habe, die Art und Weise, in der behinderte Personen wahrgenommen werden, zu ändern. Die teilnehmenden Models haben ihre Art und Weise, zu leben und zu denken, grundsätzlich geändert. Die jungen Frauen sind entweder Hochschulabsolventinnen oder Studentinnen. Das ist zumal ein Erfolg. Wir leben in einem Land, in dem Rollstuhlnutzer überhaupt keine Erleichterungen im alltäglichen Leben haben. Und dennoch sind sie ein positives Beispiel. Durch den Schönheitswettbewerb Atipic Beauty wollen wir zeigen, dass eine Behinderung den Menschen nicht davon abhält, ein ganz normales Leben weiter zu führen. Behinderte Menschen haben ebenfalls eine Familie, Kinder. Die rumänische Gesellschaft muss das noch verinnerlichen.“



    Ursprünglich hätte der Schönheitswettbewerb Atipic Beauty“ alljährlich stattfinden sollen. Die Veranstaltung war allerdings so erfolgreich, dass sie innerhalb von drei Jahren schon neunmal organisiert wurde. Zumal es kein typischer Schönheitswettbewerb ist. Dazu Magda Coman:



    Es ist kein Schönheitswettbewerb im echten Sinne des Wortes. Das Konzept weicht vom internationalen Vorbild ab. Die rumänische Gesellschaft war nicht bereit, ein Beauty Contest für behinderte Frauen anzunehmen, so wie es in anderen Ländern ist. Bei uns geht es schlicht um eine Modeschau. Die Models im Rollstuhl und ihre Begleiter präsentieren verschiedene Kleidungsstücke, entworfen von rumänischen Modedesignern. Jede einzelne Frau vermittelt von der Bühne aus eine Botschaft an die Gesellschaft. Sie sagt dem Publikum, wie sie gerne wahrgenommen werden will. Und drückt die Hoffnung aus, die Menschen werden in ihr künftig viel mehr als eine auf den Rollstuhl angewiesene Person sehen.“



    Die auf den Rollstuhl angewiesenen Models kommen aus allen Ecken des Landes, sogar aus dem Ausland, aus Italien, der Republik Moldau oder Russland, so unsere Gesprächspartnerin:



    Eine Designerin kam dieses Jahr aus Barcelona angeflogen. Tina Olari — sie hat die Kleider für den Beauty Contest Miss Worls 2015 geschaffen. Anca Manea und Luminiţa Blazer sind dieses Jahr auch dabei. In Cluj/Klausenburg arbeiten wir nur mit drei Designern zusammen. Gewöhnlich sind es mehr. Wir versuchen jedes Mal, etwas daran zu ändern.“




    Das Projekt Atipic Beauty“ zielt auf eine Nische der Modeindustrie ab. In Europa erfährt die Mode für behinderte Personen eine immer stärkere Entwicklung. In Rumänien war es allerdings eine Premiere. Au‎ßerdem werden behinderte Menschen aus einem anderen Blickwinkel präsentiert. Auf der Bühne, während der Modeschau, wird ersichtlich, dass Eleganz und Glanz keine Grenzen kennen. Schöne Kleider können daher hemmungslos von allen Menschen getragen werden. Der Verein Open Your Heart setzt sich für die Rechte behinderter Personen ein. Er kämpft dafür, dass ihr Image unverfälscht wahrgenommen wird, und versucht Vorurteile abzuschaffen. Dafür organisiert der Verein auch andere Veranstaltungen. Dazu Magda Coman:



    Der Verein Open Your Heart veranstaltet spezielle Events für behinderte Menschen. Am 3. Dezember, dem internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen, haben wir den »3. Dezember anders« organisiert. Eine weitere Veranstaltung war »Das Gute ist mit einem Plus gekennzeichnet«. Wir bringen jedes Mal behinderte Menschen vor, die ein gutes Beispiel darstellen. Jeder von uns braucht ab und zu ein gutes Wort, eine Ermunterung. Unabhängig davon, ob er im Rollstuhl sitzt oder gesund ist. Gute Beispiele stärken eine Gesellschaft, sie zeigen uns, wie wir bessere Menschen werden können.“




    Der Verein Open Your Heart beweist, dass die innere Schönheit jegliche, auch gesundheitliche Hürden bewältigen kann. Und dass Eleganz keine Grenzen kennt und mit Würde von jedermann getragen wird.

  • Wahrnehmung der Flüchtlingskrise in Rumänien: Unzulängliche Information führt zu Intoleranz

    Wahrnehmung der Flüchtlingskrise in Rumänien: Unzulängliche Information führt zu Intoleranz

    Der massive Flüchtlingsstrom und dessen Bewältigung ist eine der grö‎ßten Herausforderungen, mit denen die EU seit ihrer Gründung konfrontiert wird. Es ist eine Situation, über die jeder, der mehr oder weniger informiert ist, eine Meinung hat. Auf den ersten Blick haben die Rumänen nichts dagegen, dass Flüchtlinge nach Rumänien kommen. Dennoch wollen sie diese nicht in die Gesellschaft integrieren und mit ihnen Seite an Seite leben. Das ist die Schlussfolgerung der Umfrage Die Wahrnehmung der Flüchtlingskrise durch die Rumänen“, die neulich von dem Verband Pro Democraţia durchgeführt wurde. Iuliana Iliescu, Projektleiterin des Verbandes:



    Grö‎ßtenteils lassen sich die Menschen über die Social Media über die Flüchtlingskrise informieren. Rund 55% behaupten, dass sie ihre Informationen aus Sozialnetzen beziehen, und 29% aus dem Rundfunk und Fernsehen. Sie zeigen sich überwiegend besorgt über die Situation, wegen der negativen Nachrichten, die in diesen Netzwerken verbreitet werden. Bezüglich der Zahl der in Rumänien anwesenden Flüchtlinge, und ich beziehe mich auf die neu angekommenen, nach 2015, glaubt die Mehrheit, dass es sich um über 300 Flüchtlinge handelt — rund 35% glauben das. Unseres Wissens nach sind nur 15 Flüchtlinge gekommen. Hinsichtlich der Frage, ob sie mit der Anwesenheit der Flüchtlinge einverstanden sind, da gibt es ein Gleichgewicht zwischen Ja und Nein. Rund 54% sagen Nein, 46% Ja. Wenn wir die Akzeptanz eines Europäers in der Familie oder am Arbeitsplatz mit der eines Flüchtlings vergleichen würden, dann gibt es einen riesigen Unterschied. Bezüglich des Flüchtlings würden 26,5% der Rumänen bevorzugen, dass er nur auf Besuch kommt. Wenn wir die Lage in Syrien, und nicht nur, betrachten, sagen recht viele der Befragten, und zwar 18%, dass sie sie abschieben würden. Dagegen würden nur 2,5% einen europäischen Bürger einer anderen Nationalität abschieben.“




    Wenn man allerdings über die Kinder der Flüchtlinge spricht, sind die Rumänen duldsamer. Die meisten von ihnen würden akzeptieren, dass ihre Söhne und Töchter, Flüchtlingskinder unter ihren Schulkameraden haben. Besorgniserregend ist, dass 40% der Meinung sind, dass Flüchtlinge in speziellen Lagern, nicht in der Stadt oder auf dem Land, wie es normal für die Integration sein würde, untergebracht werden sollen, sagt Iuliana Iliescu. Eine weitere Umfrage, die von INSCOP Research erarbeitet wurde, zeigt, dass 80% der Rumänen ablehnen, dass Flüchtlinge oder Einwanderer sich in Rumänien niederlassen.



    Diesen Monat haben das Informationsbüro des Europaparlaments in Rumänien und der Verband Pro Democraţia eine Veranstaltung organisiert, die der Flüchtlingskrise gewidmet war. Claudiu Crăciun, Experte des Verbandes Pro Democraţia, hat darüber gesprochen, dass die Rumänen in der Vergangenheit mit Flüchtlingen aus Griechenland, aus der Türkei und aus dem Nahen Osten positive Erfahrungen hatten. Laut Claudiu Crăciun gibt es keinen hohen Widerstand auf zwischenmenschlicher Ebene. Das apokalyptische Bild der Ankunft der Flüchtlinge wird von Politikern, Institutionen und den Medien gezeichnet. Beim selben Rundtischgespräch erörterte Eleodor Pîrvu, stellvertretender Leiter des Generalinspektorats für Einwanderung im Au‎ßenministerium, dass es das Phänomen der Einwanderung in Rumänien seit langem gibt, und sprach über die rumänische Gesetzgebung in diesem Bereich:



    Das Asyl-, Migrations- und Integrationssystem wurde nicht gleich nach der Revolution geschaffen. Dennoch wurden gleich nach der Revolution sehr wichtige Schritte unternommen, insbesondere durch den Beitritt zur Flüchtlingskonvention von 1991. Danach folgte eine Reihe von Gesetzen, die die Umsetzung der einschlägigen Politik geregelt haben. Der Höhepunkt ist die gegenwärtige Gesetzgebung und das System, das man im Bereich Asyl, Migration und Integration geschaffen hat. Dieses entspricht ganz den europäischen Anforderungen in diesem Bereich, mit allen bestehenden Richtlinien — die Richtlinie zur Qualifikation, die Richtlinie bezüglich Verfahren, die Richtlinie bezüglich Aufnahmebedingungen. Wir haben auch zwei Verordnungen — die Dublin- und die Eurodac-Verordnung.“




    Laut Eleodor Pîrvu lag der Durchschnitt der Asylanträge in Rumänien in den letzten Jahren bei rund 1.200–1.300. Die Anträge wurden von Bürgern aus unterschiedlichen Nicht-EU-Staaten gestellt. In Rumänien gibt es eine Anstalt, die sechs Unterkunfts- und Empfangszentren für Asylbewerber mit einer Gesamtkapazität von 950 Plätzen koordiniert, die zu Krisenzeiten aufgestockt werden kann. Alle Asylanträge, die auf rumänischem Territorium gestellt werden, werden sehr schnell, binnen 30 Tagen, bearbeitet. Es ist das kürzeste Asylverfahren europaweit. Eleodor Pîrvu:



    Alle Asylbewerber werden überprüft, in unsere Datenbanken registriert und laut den Standards in diesem Bereich bearbeitet. Diejenigen, deren Anträge abgewiesen werden, haben die Möglichkeit, diese Beschlüsse vor Gericht anzufechten. Diejenigen, die angenommen werden, erhalten eine Art Schutz, ein Flüchtlingsstatus oder einen Subsidiaritätsschutz, und können an dem Integrationsprozess teilnehmen. Dieser Prozess ist zurzeit nicht pflichtig für Personen, die Schutz erhalten. Neulich wurden in das Asylgesetz einige Bedingungen eingeführt, um nichtrückzahlbare Finanzhilfe 12 Monate lang von dem rumänischen Staat zu erhalten. In dieser Zeit ist die Person in Integrationsaktivitäten auf verschiedenen Ebenen involviert.“




    Laut dem Verteilermechanismus der Flüchtlinge unter den EU-Mitgliedsstaaten sollen Rumänien im Zeitraum 2016-2017 insgesamt 6.205 Flüchtlinge zugewiesen werden.



    Deutsch von Florin Lungu

  • Wahlfach „Geschichte des Kommunismus“ in rumänischen Schulen

    Wahlfach „Geschichte des Kommunismus“ in rumänischen Schulen

    Seit 2008 wurde in den Gymnasien ein Wahlfach für Geschichte des Kommunismus eingeführt. Der Endbericht des Präsidialausschusses für die Analyse der Kommunistischen Diktatur in Rumänien umfasste eine solche Empfehlung. Kurz nachdem der Lehrplan erarbeitet wurde, hat man auch die Schulbücher für die 11. und 12. Klasse veröffentlicht. Die Schulbücher kamen unter der Federführung des Instituts für die Erforschung der Verbrechen des kommunistischen Regimes (IICCMER) heraus. Was die Schulbücher behandeln, erfahren wir vom ehemaligen Vorsitzenden des Instituts, Andrei Muraru:



    Wir versuchen für die Periode 1947-1989 die Innereien dieses Regimes zu erforschen: das Alltagsleben, die Wirtschaft, das Kulturleben, die Minderheiten, das politische Regime, die Unterdrückung. Natürlich waren die Bemühungen, alle diese Themen zusammen zu bringen, nicht einfach. Aber wir haben auf kurze Autorentexte und viele historische Quellen fokussiert: Archiv-Dokumente und Materialien mündlich überlieferter Geschichte. Das Schulbuch kommt zusammen mit einer DVD mit Videoaufnahmen aus dem Archiv des nationalen Fernsehsenders TVR aus dem Jahr 1988. Aus unserer Sicht ist es ein sehr gut erstelltes Instrument, das dem Schüler die Möglichkeit gibt, selbst zu forschen. Wir wollten kein Propaganda machen, keine Vision betreffend die Geschichte des Kommunismus in Rumänien aufzwingen. Deshalb lautet der Titel des Schulbuchs »Eine Geschichte des Kommunismus«, weil je nachdem, wer erforscht, kann es mehrere Geschichten des Kommunismus geben.“



    Zurzeit ist dieses Wahlfach in 146 Schulen belegbar. Seit seiner Einführung wählen es etwa 3000 Schüler jährlich. Zudem organisiert IICCMER Seminare mit den Geschichte-Lehrern, weil das Unterrichten dieses Faches spezifische Kenntnisse und Methoden voraussetzt.



    Der Informationsbedarf ist gro‎ß. Das beweisen auch die Umfragen betreffend die kommunistische Periode. Einer Umfrage von 2010 zufolge, die vom IICCMER in Auftrag gegeben wurde, hätten die Rumänen eine zwiespältige Einstellung gegenüber der kommunistischen Epoche in Rumänien. 47% der Befragten erklärten, der Kommunismus sei eine gute Idee, wäre jedoch falsch umgesetzt worden. Knapp 30% waren der Meinung, die Idee des Kommunismus sei falsch. Im Dezember 2013 zeigte eine weitere Umfrage, dass 47,5% der Rumänen den kommunistischen Anführer Nicolae Ceauşescu als einen Politiker mit einer positiven Rolle in der Geschichte Rumäniens empfinden. 46,9% empfanden ihn als eine negative Persönlichkeit.



    Auch der Vorgänger Ceauşescus, Gheorghe Gheorghiu-Dej, wird von 42,3% der Rumänen als positiv empfunden. 39,1% der Befragten erklärten, er habe eine negative Rolle gespielt. Unter diesen Voraussetzungen sind die Meinungen der Schüler vor Beginn dieses Kurses nicht überraschend. Mihai Stamatescu, Geschichte-Lehrer in Orşova und einer der Autoren des Schulbuchs dazu:



    Im Allgemeinen haben die Kinder die Informationen von der Familie, von den Nachbarn und der breiteren Gemeinde bekommen. Aus den Medien bekommen sie weniger Informationen. Die angeeigneten Informationen entsprechen meistens denen aus der Öffentlichkeit, beispielsweise: ‚Ja, früher war es besser, weil wir Arbeitsplätze hatten‘, ‚Ja, es war gut, weil wir Wohnungen erhielten‘, ‚Ja, es war gut, weil wir Gasflaschen [fürs Herd] bekamen‘. Die Kinder kommen mit diesen Informationen und auch mit anderen in die Schule und erfahren plötzlich, dass sie irgendetwas nicht zusammenpasst. Die Erklärungen, die der Kurs anbietet, und die Zeitgeschichte, die in der Schule unterrichtet wird, zeigen eine andere Realität. Die Schüler erkennen, dass die Nostalgien der Eltern sich nicht unbedingt auf das kommunistische Regime beziehen, sondern auf ihre Jugend. Wenn du Argumente hast, wenn du Beweise zeigst, wenn du sie aufforderst, historische Quellen nachzuschlagen, wenn du ihnen erklärst, was Manipulation, Propaganda bedeutet, werden sie mit Sicherheit verstehen, was ihren Eltern widerfahren ist. Sie sind bereit, logisch und kritisch zu urteilen über alles, was geschehen ist.“




    Nach dem Besuch dieses Kurses beginnen die Schüler einen Teil der alltäglichen Realitäten besser zu verstehen. Sie zeigen immer mehr Interesse für dieses Fach. Durch eine Annäherung an aktuelle Themen versucht man die Geschichte des Kommunismus auch in jüngere Klassen zu unterrichten. Mihai Stamatescu:



    Wir haben ein Dokument mit dem Titel »Menschenrechte in der neuesten Geschichte Rumäniens« erstellt. Wir haben festgestellt, dass wir in Kontakt mit dem kommunistischen Regime vor dem Erreichen der Volljährigkeit treten können. Wir haben ein Dokument erstellt, dass auch von Gymnasiums-Schüler und Grundschulkinder benutzt werden kann. Solange die Kinder das Fach »Gesellschaftliches Engagement« studieren, haben wir uns gedacht, dass die beste Perspektive, Informationen über das kommunistische Regime zu bringen, die der Menschenrechte ist. Es gibt genügend Gymnasial-Lehrer, die dieses Dokument benutzen.“




    Natürlich kann ein einziger Kurs die Wahrnehmung einer ganzen Gesellschaft nicht radikal ändern. Au‎ßer Schulunterricht müsste es auch andere unterschiedliche Initiativen geben, um das breite Publikum über den Kommunismus zu informieren. Andrei Muraru, ehemaliger Vorsitzender des Instituts für die Erforschung der Verbrechen des Kommunistischen Regimes (IICCMER) über die Auswirkungen dieses Kurses:



    Es hängt auch von dem ab, was wir als Gesellschaft dafür tun. Das polnische Pendant unserer Institution, das Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej, IPN), hat über 2000 Angestellte, wir haben nur 36. Sie haben ein Budget von 60 Millionen Euro, wir haben ein Budget von 1 Million Euro. Sie fingen 1999 an, als sie gegründet wurden, und die Ergebnisse beginnen jetzt, nachdem 10-15 Jahre lang massiv in die Bildung investiert wurde, sichtbar zu werden. Die Investitionen beschränkten sich nicht auf Kurse, sondern umfassten auch Spiele für Kinder, Jugendliche, Schulprogramme, Filme, Konferenzen und Bücher. Je weniger wir investieren, desto mehr werden die Umfragen nostalgische Botschaften über die kommunistische Periode vermitteln. Diese Nostalgie vermischt sich mit der Empörung gegenüber der aktuellen Regierung. Alles hängt von den Ressourcen ab, die die Gesellschaft in diesen Bereich investiert.“




    Das Wahlfach Geschichte des Kommunismus“ wird nur in Gymnasien mit geisteswissenschaftlichem Schwerpunkt im Unterricht angeboten, nicht aber in Berufsschulen oder Schulen mit künstlerischem Profil. Es ist nur eines der Wahlfächer, die rumänische Schüler belegen dürfen.



    Audiobeitrag hören: