Tag: Weltpolitik

  • Globale Sicherheit und Völkerrecht im 21. Jh.: Gespräch mit dem Politologen Iulian Chifu

    Globale Sicherheit und Völkerrecht im 21. Jh.: Gespräch mit dem Politologen Iulian Chifu





    Nach mehr als einem Jahr, seitdem Moskau die so genannte militärische Spezialoperation losgetreten hat, sagt der Kremlchef, dass es bei der Militäraktion in der Ukraine um die Existenz Russlands als Staat ginge. In einer Rede vor Arbeitern in einer Fabrik, in der Hubschrauber für das russische Militär hergestellt werden, wiederholte Wladimir Putin seine These, dass das Ziel des Westens darin bestehe, Russland zu zerschlagen. Für uns ist dies keine geopolitische Aufgabe, sondern eine Überlebensfrage, bei der es darum geht, die Voraussetzungen für die künftige Entwicklung unseres Landes und die Zukunft unserer Kinder zu schaffen“, so der Kremlchef, der den Westen beschuldigte, die Ukraine als Instrument für einen Krieg gegen Russland zu benutzen. In Bezug auf die Ukraine betonte Putin, dass Moskau jahrzehntelang versucht habe, gute Beziehungen zu dem Land aufrechtzuerhalten, doch mit dem vom Westen angezettelten Staatsstreich“ im Jahr 2014 habe sich alles geändert“.



    Es sei nicht das erste und wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal, dass die Rhetorik eines russischen Staatschefs aus einer parallelen Realität zu stammen scheint, wobei sich Wladimir Putin in eine anklagende Position begibt und Russland als Opfer des Westens hochstilisiert. Die Besonderheit des 21. Jahrhunderts besteht darin, dass die Welt sich von einer bipolaren Stabilität in eine Instabilität mit vielen Unbekannten begeben hat, sagt der rumänische Sicherheitsexperte und Politikwissenschaftler Iulian Chifu im Gespräch mit Radio Rumänien. Professor Chifu, der mit der ehemaligen Sowjetunion bestens vertraut ist und als Russland-Experte gilt ist, hat in seiner vierbändigen Studie Die Neugestaltung der Sicherheit und das Völkerrecht im 21. Jh.“ die Entwicklungen, Trends und die aktuellen Verwerfungen in der Weltpolitik analysiert.



    Gorbatschow konnte eines nicht vorhersehen und er wusste auch nicht, wie er sich darauf einstellen sollte – die Tatsache, dass nach der Entlassung der verschiedenen Nationen aus dem berüchtigten »Gefängnis der Völker«, wie die Sowjetunion genannt wurde, diese versuchen würden, ihre Identität wieder zu finden und ihren eigenen, unabhängigen Weg zu gehen. Daher war der Zusammenbruch der Sowjetunion ein natürlicher Prozess. Es war ein Versuch des kommunistischen Regimes, zu überleben, und er endete nur mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Staates, wie wir ihn kannten, denn es war ein künstlicher Staat, der aus Teilen zusammengesetzt war und nur durch Gewalt und Repression sowie die erdrückende Macht einer totalitären Ideologie zusammengehalten werden konnte. Das Gleiche geschieht heute oder wird sich in naher Zukunft vor unseren Augen [in Russland] abspielen. Es ist eine allgegenwärtige Frage: Wie geht es weiter mit Putin, wie würde eine Post-Putin-Ära aussehen, würden Putin und der Putinismus eine Niederlage in der Ukraine überleben? Und hier ist die Literatur sehr reichhaltig, in meinem Buch versuche ich, durch das Prisma meiner eigenen Einschätzungen eine Antwort darauf zu finden. Sicher, Putin wird nicht überleben können, aber das wirft gleich eine andere Frage auf: Es gibt geheimdienstliche Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass man im Kreml bereits nach einem Nachfolger für Putin sucht. Natürlich wird Putin nicht aufgrund von Unruhen, nicht aufgrund von öffentlichem Druck beseitigt werden, sondern sein eigenes Umfeld wird sich seiner Person entledigen. Der Putinismus als Ideologie wird allerdings zu überleben versuchen, indem Putin durch einen Nachfolger aus dem inneren Kreis ersetzt wird, so wie es zum Beispiel bei Leonid Chruschtschow der Fall war.“




    Professor Chifu verwies auch auf die Situation des russischen Militärs — junge, ahnungslose Männer, die mit veralteten Waffensystemen an die ukrainische Front geschickt werden, um als Kanonenfutter verheizt zu werden. Gleichzeitig, so der Politikwissenschaftler, habe Putin ein Jahr nach Beginn der so genannten Sonderoperation noch kein Narrativ gefunden, mit dem er seine eigene Öffentlichkeit, geschweige denn die internationale Gemeinschaft, von der Notwendigkeit dieses Kriegs überzeugen könne. In der komplizierten geopolitischen Lage weltweit sollten andererseits auch die Rolle und die Ziele Chinas nicht unterschätzt werden, führt Iulian Chifu weiter aus:



    Putins Problem ist, dass sich die Welt dramatisch verändert hat, dass die Macht im absoluten Sinne verschwunden ist, dass wir heute anstelle von zwei Supermächten zwei Gro‎ßmächte und viele Regionalmächte haben und dass keine der beiden Gro‎ßmächte Russland ist, sondern die USA und China diese Position einnehmen. Wenn man den Ehrgeiz Putins und des russischen Volkes hat, das schon immer mit diesem Exzeptionalismus und der absoluten Überlegenheit und der Idee der Aufteilung der Welt in Einflusssphären gefüttert wurde, dann ist das aus diesem Gesichtspunkt sicherlich ein Problem. Xi Jinping hat ein anderes Gewicht — China ist eine aufstrebende Gro‎ßmacht, das Land hat Ambitionen globaler Natur, es will die Welt unterwerfen. Putin ist für Xi Jinping ein Anhängsel, ein Juniorpartner, und au‎ßerdem pfuscht er ihm ins Handwerk, er stört seine Geschäfte. Als China den sogenannten 12-Punkte-Plan für die Lösung des Ukraine-Konflikts vorlegte, enthielt er eigentlich nur zwei klare Botschaften: keine Atomwaffen einsetzen und den Krieg so schnell wie möglich beenden.“




    China sei an einer schnellen Beendigung des Kriegs interessiert, weil dieser Krieg indirekt auch China etwas kostet, sagt Iulian Chifu. Und die Strategie der beiden autoritären Führer falle dementsprechend aus: Putin müsse viel Lärm machen, um an den Tisch eingeladen zu werden, an dem über globale Fragen diskutiert wird; Xi Jinping wiederum stützte seine Stärke und seine Macht auf die Wirtschaft. Doch brauche er auch Stabilität und Ruhe, um unter dem Radar zu operieren und seine Macht zu vergrö‎ßern. Wenn Putin für Turbulenzen sorge, habe auch China ein Problem, so der Politikwissenschaftler Iulian Chifu im Gespräch mit Radio Rumänien.

  • Was bringt das Jahr 2017 in der Weltpolitik?

    Was bringt das Jahr 2017 in der Weltpolitik?

    Das erste globale Event ist die Ablösung im Wei‎ßen Haus — am 20. Januar tritt Donald Trump in Washington sein Amt an. Er will schnell die Transpazifische Partenerschaft TPP aufkündigen, die als Obamacare bekannten Gesundheitsversicherungen auflösen und neu gestalten und die umweltpolitischen Ma‎ßnahmen der Regierung von Barack Obama rückgänig machen. Die Financial Times kommentiert, das besonders das erste Treffen zwischen Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin Aufmerksamkeit verdient — schlie‎ßlich vermuten die US-Geheimdienste, dass der Kreml-Chef versucht hat, den unerwarteten Sieg des republikanischen Kandidaten herbeizuhacken. Sicherheitsexperte und Politologe Iulian Chifu bleibt gelassen:



    Das ist ein extrem wichtiges Ereigns, schlie‎ßlich geht es um die US-Regierung. Wir müssen aber ganz klar wissen, dass Regierungen die Au‎ßen- und Sicherheitspolitik der Ländern nicht substantiell ändern, sondern nur Prioritäten neu ordnen und Nuancen anders setzen. Die Informationsgrundlage des gesamten Verwaltungsapparats ist ja die gleiche. Eine neue Regierung unter Trump kommt, und wir werden sehen, wieviel Kontinuität bleibt und welche Schwerpunkte der neue Präsident setzt.“




    Judy Dempsey, Forscherin bei Carnegie Europe in Brüssel und au‎ßenpolitische Journalistin schreibt in einem Leitartikel für die Washington Post, dass Trumps Absicht, die Beziehungen zu Russland neu zu beleben, die Schwächen der europäischen Verbündeten der USA offenbaren wird. Diese können Russland nicht alleine Paroli bieten, wenn die USA nicht zu ihren Sicherheitsengagements stehen“. Laut Dempsy haben die US-Regierungen Europa gewarnt, die Verteidigungsetats aufzustocken, aber es hat sich wenig getan, wie die Terrorattacken der letzten Zeit zeigen, so Dempsy.



    Spätestens im März will dann die britische Premierministerin, Theresa May, den Austritt ihres Landes aus der EU beantragen. Für die Union geht so ein für die Sicherheitsfrage wichtiges Mitglied verloren. Au‎ßerdem besteht keine Erfahrung im Umgang mit Austritten aus der Union, glaubt Iulian Chifu:



    Gro‎ßbritannien und der Brexit sind ein extrem wichtiges Problem für die EU, auch weil wenige Leute wissen, wie dieser Brexit aussehen wird. Es ist zum ersten Mal, dass ein Land die EU verlässt und diese Erfahrung wird nicht unbedingt die angenehmste sein, wenn man von den Voraussetzungen des Brexits ausgeht und von der Tatsache, dass viele britische Branchen nach Europa übersiedeln werden. Was den Brexit-Machern und den Euroskeptikern vorschwebt scheint utopisch — also die Idee, dass man im Binnemarkt bleibt und alle Privilegien und Freizügigkeiten genie‎ßt, im Gegenzug aber die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Gro‎ßbritannien einstellt. Es bestehen im Moment viele Fragezeichen und es wird eine neue Erfahrung sein. Es bleibt abzusehen, wie das Land diese Erfahrung verdaut, nicht nur in diesem Jahr, sondern auch während den Verhandlungen und nach dem eventuellen Austritt.“




    Von gro‎ßer Tragweite wird dem Politologen Iulian Chifu nach auch die Wahl eines neuen Präsidenten in Frankreich sein — wobei mit Marine Le Pen, die gut in den Meinungsumfragen steht, durchaus auch eine Präsidentin möglich ist:



    Es ist eine interessante Lage — eine sozialistische Partei, deren bestplatzierter Kandidat und Ex-Premierminister Manuel Valls erst an vierter Stelle liegt. Wir haben eine neue Kraft auf der mitte-links-orientierten Seite, mit Emmanuel Macron, der es noch vor Frau Le Pen in die Stichwahl schaffen könnte. Und wir haben den konservativen Kandidaten François Fillon, der die meisten Siegeschancen hat, der aber heute viel aus Frau Le Pens Argumente übernimmt und eher ganz rechts tendiert. Er will zwar nicht wie Frau Le Pen aus der EU austreten, aber es geht hier um Freizügigkeit und das Verhältnis zu Russland.“




    In einer nächsten Ausgabe befassen wir uns mit den Wahlen in Deutschland, der Situation in Syrien und den kommenden NATO-Gipfeln.