Tag: Wohnqualität

  • Hörerpostsendung 5.3.2017

    Hörerpostsendung 5.3.2017

    Heute möchte ich eine Hörerfrage ausführlich beantworten. Eine äu‎ßerst interessante Frage erhielten wir von unserem Stammhörer Paul Gager aus Österreich. Folgende Zeilen hinterlie‎ß er in unserem Online-Feedback-Formular:



    Werte Redaktion!



    Am deutschen politischen Aschermittwoch behauptete der FDP-Vorsitzende Lindner in seiner Rede, live zu sehen/hören auf Phoenix TV, Zitat: In Rumänien leben 95 Prozent der Menschen im Eigenheim, in Belgien 75 Prozent und in Deutschland nur 50 Prozent.“ Zitat Ende. Kann das stimmen? Wenn Ja: Warum wandern dann so viele Rumänen in die Fremde? Aber irgendwie vermute ich, dass diese Angaben falsch sind? Weil ansonsten würde sich Rumänien ja künstlich arm rechnen in der EU. Aber wenn 95 Prozent der Menschen im Eigenheim wohnen sollten, dann ist ja das Land reich nach landläufiger Armuts-Reichtums-Definition.



    Mit grübelnden Grü‎ßen



    Paul Gager




    Lieber Herr Gager, vielen Dank für Ihre Zeilen. Die Live-Übertragung vom politischen Aschermittwoch in Deutschland habe ich selbst mitverfolgt, da ich zu Hause auch eine Satellitenschüssel habe. In dem Sinne danke ich Ihnen auch für die TV-Tipps aus dem deutschsprachigen Raum, die Sie uns immer wieder schicken. Nun zu den Zahlen, die der FDP-Politiker genannt hat: Sie stimmen, wenn man sie mit jenen vom Europäischen Statistikamt vergleicht, nur muss man dabei beachten, dass Statistiken immer zu interpretieren sind, bevor man voreilige Schlüsse zieht. Und Politiker tun das mit Vorliebe: sich nur jene Zahlen herauszupicken, die die eigenen Thesen, eine bestimmte politische Ideologie oder parteipolitische Zwecke auf den ersten Blick unterstützen. Wenn ich mich recht entsinne, hat Christian Lindner sinngemä‎ß gesagt, dass er sich mehr Wohneigentum in Deutschland wünsche, denn nur wer sich Eigentum verschaffen könne, übernehme auch mehr Verantwortung in der Gesellschaft. Klassisch liberale These und daran ist — in der liberalen Logik — nichts auszusetzen.



    Nur: Dass Lindner dabei Vergleiche zwischen einem der ärmsten und einem der reichsten EU-Länder zieht, ist ein Trick aus der Rhetorik-Kiste, denn er zitiert nur die Zahlen, die seine These scheinbar untermauern. (Die Zahlen dürften übrigens aus der Eurostat-Wohnstatistik vom November 2015 stammen, die sich auf das Jahr 2014 bezog. Eine Aktualisierung wird noch im laufenden Monat erwartet.) Es stimmt zwar, dass in Rumänien Ende 2014 in puncto Wohnbesitzverhältnisse 96,1% der Menschen ein Eigenheim besa‎ßen, während es in Deutschland 52,4% waren und der EU-Durchschnitt bei 27,1% lag. Doch Wohnbesitzverhältnisse sind bei weitem nicht der einzige Indikator, der über arm und reich entscheidet. Armut und Reichtum bzw. der Entwicklungsstand eines Landes lassen sich an einer Vielzahl von Eckdaten und deren Auswertung im Zusammenspiel eruieren. So etwa mag Rumänien Spitzenreiter im Wohneigentum sein (und dafür gibt es eine Erklärung, auf die ich noch zurückkomme), aber gleichzeitig steht Rumänien sehr schlecht da, was die Wohnungsqualität anbelangt. Aus derselben Statistik von Eurostat erfahren wir folgendes:



    Ein wesentliches Kriterium zur Bewertung der Qualität von Wohnraum ist die Frage, ob der Wohnraum ausreicht. Die Überbelegungsquote gibt den prozentualen Anteil der Bevölkerung an, der in überbelegtem Wohnraum lebt. Der Indikator, der auf der Grundlage der Zahl der Räume berechnet wird, die einem Haushalt zur Verfügung stehen, richtet sich nach der Grö‎ße des Haushalts, dem Alter der Haushaltsmitglieder und der familiären Situation.



    2014 lebten 17,1% der Bevölkerung der EU-28 in überbelegten Wohnungen. Am höchsten war diese Quote unter den EU-Mitgliedstaaten in Rumänien (52,3%), Ungarn (44,6%), Polen (44,2%), Bulgarien (43,3%) und Kroatien (42,1%) […]. Hingegen verzeichneten Belgien (2,0 %), Zypern (2,2 %), Irland (2,8 %), die Niederlande (3,5%) und Malta (4,0 %) die geringsten Überbelegungsquoten, sieben weitere EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegen, die Schweiz und Island […] gaben an, dass 10,0% der jeweiligen Bevölkerung in überbelegten Wohnungen lebten.“



    Aha — wie war das nochmal? Über 52% der ach so glücklichen Eigenheimbesitzer in Rumänien leben in überbelegten Wohnungen — Reichtum sieht in meinen Augen anders aus. Weitere Indikatoren ergänzen das Bild — ich zitiere weiter von der Eurostat-Webseite:



    Um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten, flie‎ßen neben der Überbelegung in den Indikator für die Wohnungsqualität einige weitere Aspekte ein, wie das Fehlen von Bad oder Toilette, ein undichtes Dach oder ungenügende Helligkeit der Wohnung. Die Quote schwerer wohnungsbezogener Entbehrung ist definiert als der Anteil der Personen, der in einer überbelegten Wohnung lebt und auf den zugleich mindestens eines der zuvor genannten Kriterien für wohnungsbezogene Entbehrung zutrifft.



    In der gesamten EU-28 waren 2014 5,1% der Bevölkerung von schwerer wohnungsbezogener Entbehrung betroffen. In fünf EU-Mitgliedsstaaten war über ein Zehntel der Bevölkerung von schwerer wohnungsbezogener Entbehrung betroffen; dieser Anteil betrug in Lettland 16,6 %, in Ungarn 18,1 % und erreichte mit mehr als einem Fünftel der Bevölkerung in Rumänien (21,4 %) einen Spitzenwert.“



    Auch weitere Kriterien spielen eine Rolle, etwa die Bezahlbarkeit von Wohnraum oder die Belastung des Wohneigentums durch Darlehen und Hypothekschulden. Zu viele Zahlen möchte ich Ihnen heute aber nicht antun, wer sich für mehr Details interessiert, findet sie auf der Eurostat-Webseite in allen Sprachen der EU.



    Nur noch ein letztes Detail, das ich eingangs in Aussicht gestellt hatte: Sie werden sich sicher gefragt haben, wie es zu den genannten Wohnbesitzverhältnissen kam, wenn auch unter mangelhaften Qualitätsbedingungen in der Behausung. Vor der Wende lebten viele Menschen (insbesondere in Gro‎ßstädten) in vom kommunistischen Regime enteigneten Häusern oder in nach dem Krieg gebauten Plattenbausiedlungen, die dem Staat gehörten. Die Eigentumsverhältnisse waren vor 1989 andersrum — abgesehen vom Haus der Gro‎ßeltern auf dem Lande hatten nur die Wenigsten in der Stadt eine Eigentumswohnung. Zum einem haben die rechtmä‎ßigen Besitzer enteigneter Häuser oder ihre Nachkommen ihr Eigentum zurückerstattet bekommen. (In nicht wenigen Fällen waren es allerdings auch skrupellose Immobilienhaie, die Besitzrechte erworben hatten.) Zum anderen hat die erste postkommunistische Regierung gleich nach der Wende von 1989 beschlossen, die Wohnungen in Plattenbausiedlungen zu symbolischen Preisen an die Mieter zu verkaufen. Das entsprechende Dekret wurde vom damaligen Premierminister Petre Roman am 7. Februar 1990 unterzeichnet. Der Staat wollte sich somit die Kosten für Instandhaltung sparen, Menschen, die ohnehin in bescheidenen Verhältnissen lebten, wurden über Nacht Eigentümer der Streichholzschachteln“, wie man im Volksmund die kleinen Wohnungen in der Platte verspottet. Ob diese Ma‎ßnahme gut oder schlecht war, darüber lässt sich streiten. Zum einen kam damit tatsächlich eine neue Verantwortung auf, die es bis damals nicht gegeben hatte — der Staat sorgte ja früher theoretisch für alles. Und ich habe nicht selten zwar kleine Plattenbauwohnungen gesehen, die aber sehr schick und mit viel Sinn für Effizienz und Komfort eingerichtet sind. Am anderen Ende der Skala sind Wohnungen von älteren oder armen Menschen, die sich nichts Neues leisten können und daher wie anno dazumal aussehen. Und schlie‎ßlich müssen jetzt die jeweiligen Vereine der Wohnungseigentümer selber dafür sorgen, dass Sauberkeit im Treppenflur herrscht, dass der Fahrstuhl repariert wird oder dass ausgebrannte Glühbirnen im Flur ersetzt werden. Dementsprechend kann es sehr unterschiedlich aussehen. Ein weiterer Nachteil der zersplitterten Eigentumsverhältnisse in Hochhäusern ist, dass man nach jedem Wechsel des Eigentümers einer Wohnung mit Instandsetzungsarbeiten rechnen muss. Wenn dem neuen Besitzer nichts in der alten Einrichtung der erworbenen Wohnung gefällt, kann man wochenlang mit Hämmern, Bohren und Fräsen in der Nachbarschaft rechnen. Und das kann sich beliebig mehrmals im Jahr wiederholen, denn, anders als in Deutschland, darf man den Eigentümern hierzulande nicht vorschreiben, alle Renovierungsarbeiten in einer bestimmten Jahresperiode durchzuführen. Entsprechend gereizt können manchmal die Nerven der Menschen in der Platte sein.



    Mit dieser ausführlichen Beantwortung der Frage von Herrn Paul Gager, die hoffentlich auch für andere Hörer interessant war, mache ich Schluss für heute und verlese noch g’schwind die Namen der Hörer, die uns in der vergangenen Woche geschrieben haben:



    Postbriefe erhielten wir von Sandro Blatter aus der Schweiz und Christoph Paustian aus Deutschland.



    E-Mails erhielten wir bis Freitagnachmittag von Rolf Endris, Christian Laubach, Bernd Seiser, Petra Kugler und Hans-Joachim Pellin (alle aus Deutschland). Das Internetformular nutzte Paul Gager (aus Österreich).




    Audiobeitrag hören:




  • Einwanderung: Neue Studie zur Integration der Migranten in Rumänien

    Einwanderung: Neue Studie zur Integration der Migranten in Rumänien

    Durch das allgemeine Programm Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“ der Europäischen Gemeinschaft hat das Zentrum für Forschung und Dokumentation im Bereich der Eingliederung der Migranten in Zusammenarbeit mit der Stiftung für eine Offene Gesellschaft (Open Society Foundation) den Barometer 2015 erarbeitet. Das Team, das von Camelia Mihalache koordiniert wird, hat die Integrationsphasen der Einwanderer in 13 Schritte eingeteilt, von der Freizügigkeit bis zur tatsächlichen Integration durch die Erlangung der Staatsbürgerschaft.



    Um die rumänische Staatsbürgerschaft zu erlangen, muss sich ein Einwanderer acht Jahre lang legal in Rumänien aufhalten oder fünf, falls dieser mit einem rumänischen Staatsbürger verheiratet ist. Während dieser ganzen Zeit haben die Migranten kein Recht, zu wählen oder gewählt zu werden, Parteien zu gründen oder Petitionen einzureichen. Die Änderung der Bedingungen, unter denen sich die Einwanderer am politischen Leben aktiv beteiligen können, mit Ausnahme des Wahlrechts, was eine Verfassungsnovelle voraussetzen würde, erfordert nur eine moderne Vision über die positive Rolle der Vielfalt im Leben einer Gesellschaft. Bianca Floarea, Forscherin der Stiftung für eine Offene Gesellschaft, erläutert die Ergebnisse des Barometers:



    Die Freizügigkeit ist eine erste Dimension der Integration. Es handelt sich um die Einreise- und Aufenthaltsrechte in Rumänien. Au‎ßerdem haben wir uns auf die Mobilität innerhalb Rumäniens bezogen. Für diesen Zweck wurden drei Kennzahlen in Betracht gezogen: die freizügigen Einreise- und Aufenthaltsbedingungen, die Binnenfreizügigkeit und die Erneuerung der Aufenthaltserlaubnisse für Einwanderer. Was die Bewertung der Freizügigkeit anbelangt, schnitt diese ganz gut ab, obwohl schlechter als letztes Jahr. Diese erhielt 7 Punkte und belegt somit den dritten Platz. Die Höchstzahl von 10 Punkten erhielten die öffentliche Meinung und die Familienzusammenführung. Den dritten Platz belegen also die Freizügigkeit und die Arbeitserlaubnis und die wirtschaftliche Eingliederung. Was den ersten Indikator anbelangt, muss man noch sagen, dass ein Bürger eines Drittlandes eine Reihe von Anforderungen erfüllen muss, um nach Rumänien einreisen zu können oder eine lang- oder kurzfristige Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Ein Teil dieser Anforderungen sind allgemein. Z.B. muss er über einen gültigen Reisepass verfügen, kein Einreiseverbot in Rumänien haben und keine Gefahr für die Sicherheit der anderen darstellen. Es gibt aber auch eine Reihe von spezifischen Bedingungen, die mit dem Einreisezweck in Verbindung stehen, sei es die Wiedervereinigung der Familie oder ein Studienaufenthalt.“




    Verglichen mit dem vorjährigen Barometer zur Integration der Einwanderer, führte die Verabschiedung der Verordnung 24/2014 dazu, dass einige Kategorien von Personen keine Arbeitserlaubnis mehr erlangen müssen, wenn sie bereits eine Aufenthaltserlaubnis erlangt haben. Es handelt sich um die Leiter der Filialen, Niederlassungen oder Vertretungen ausländischer Unternehmen in Rumänien, aber auch um Personen, die in Rumänien studieren wollen. Was die Antidiskriminierung anbelangt, stellt Daniela Tarnovschi, Forscherin der Stiftung für eine Offene Gesellschaft, die Ergebnisse des Berichtes vor.



    Die Rumänen erachten sich als tolerant und akzeptieren Einwanderer. Was Diskriminierung anbelangt, haben wir in dem Bericht die Definition aus der Gesetzgebung verwendet. Wir haben vier Indikatoren in Betracht gezogen: die Anerkennung der Grundrechte, den Rechtsschutz der Ausländer gegen die Diskriminierung, effiziente Richtlinien zur Diskriminierungsbekämpfung und die Frage nach dem gefühlten Eindruck, ob sich die Einwanderer tatsächlich nicht diskriminiert fühlen. Die Auswertung stellt fest, dass es im Vergleich zu 2014 eine Verschlechterung gibt, was Nichtdiskriminierung anbelangt. Die Grundrechte werden zwar anerkannt, doch es gibt keine Mechanismen zur Umsetzung und Überwachung der Antidiskriminierungsrichtlinien. Was den Rechtsschutz der Ausländer gegen Diskriminierung angeht, gibt es einen allgemeinen Rechtsrahmen, doch keinen speziellen für die Ausländer oder dieser wird mangelhaft umgesetzt. In puncto effiziente Politik zur Diskriminierungsbekämpfung zeigt das Ergebnis, dass es keine effizienten Gesamtrichtlinien zur Bekämpfung der Diskriminierung gibt.“




    Wie ist der Zugang der Ausländer zur staatlichen Unterstützung und zu den Sozialsystemen? Luciana Lăzărescu erläutert die Ergebnisse der Stiftung für eine Offene Gesellschaft:



    Das Wohlstandsniveau ist eigentlich kennzeichnend für alle anderen Parametern. Wir haben uns insbesondere auf die Qualität des Wohnraums bezogen. Es handelt sich um Sozialwohnungen, aber wir haben auch über Privatwohnungen berichtet. Wir haben über den Zugang zum Sozialhilfesystem, zu dem Gesundheitswesen und zu Sozialversicherungen gesprochen. Eine wichtige Rolle in der Gewährung von Hilfeleistungen spielt die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Anstalten und nicht zuletzt die Kontrolle und Evaluierung der Auswirkung der Programme und Dienstleistungen auf die Einwanderer.“




    Die Bewertung des Wohlstandes der Einwanderer weist eine Punktzahl über den Durchschnitt der anderen überprüften Parameter auf, die Gegenstand des Berichts der Stiftung für eine Offene Gesellschaft 2015 waren.