Tag: Zarenreich

  • Abraham Goldfaden begründete das Jiddisch-Theater

    Abraham Goldfaden begründete das Jiddisch-Theater

    Er wurde 1840 in der heutigen Ukraine als Sohn eines jüdischen Uhrmachers geboren und kam als Literat und Dramaturg im Alter von 26 Jahren in Iaşi an: Abraham Goldfaden. Wenige wissen, dass er eigentlich die Grundlagen des Jiddisch-Theaters baute. Konservativ-jüdisch erzogen, Autor von Theaterstücken, Gedichten und Rezensionen in der Presse des russischen Reiches und der Donaumonarchie, war Goldfaden fanatischer Verfechter der Bildung als wichtiges Mittel zur Haskala — der jüdischen Aufklärung –, ein Modernisierer durch und durch, sagt Camelia Crăciun, die an der Universität Bukarest jiddische Kultur unterrichtet und das jüdische Staatstheater in Bukarest literarisch berät: In Iaşi fand er in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts optimale Voraussetzungen für die Gründung des ersten Theaters mit einer professionellen Truppe, die in jiddischer Sprache auftrat“, meint die Forscherin.



    Aus Iaşi strahlte das Phänomen international aus, bis es schlie‎ßlich in den USA zur maximalen Popularität fand. Leicht war es nicht, erklärt Camelia Crăciun: Bis zum Holocaust gab es in der jüdischen Kultur nämlich ein Spannungsverhältnis zwischen dem Jiddischen und dem Hebräischen. Das Jiddische wurde verdrängt, das Hebräische war die kultivierte Sprache der Eliten, die in der Justiz und der Verwaltung und der Religion und vor allem von Männern eingesetzt wurde. Jiddisch war so verpönt, dass die ersten Autoren unter Pseudonym schrieben, um ihre Familie nicht zu kompromittieren, sagt Camelia Crăciun, die das konkrete Projekt Goldfadens erläutert:



    Das ist so eine offene Frage: Wie kommt man denn überhaupt darauf, ein Theater und eine professionelle Truppe zu gründen? Drei Akteure beanspruchen den Einfall. Die Frau eines gewissen Itzok Librescu aus Iaşi sagt, sie habe Goldfaden bei einem Gespräch über ein Zeitschriftprojekt gesagt, doch besser ein Theater zu gründen, wie es die Rumänen haben. Über 40% der damaligen Stadtbevölkerung aus Iaşi sprach Jiddisch, ging aber in rumänische Theaterhäuser, die damals schon Tradition hatten. Goldfaden selbst erzählt, dass er bemerkte, wie viele Stra‎ßenmusikanten seine eigenen Jiddisch-Gedichte musikalisch verarbeiteten. Diese Musikanten zogen durch die Kneipen und führten kleine Stücke auf, um die Gäste zu amüsieren. Goldfaden überlegte sich also, daraus ein breiteres Programm zu machen. Einer dieser damals beliebten Musikanten, Israel Grodner, beansprucht die Idee für sich: Er habe Goldfaden eingeladen, ein grö‎ßeres Projekt zu beginnen, das ist also der dritte mögliche Protagonist“, zählt die Kulturforscherin Camelia Crăciun auf.



    Wie auch immer: unter Goldfaden und seinen Leuten fand in Iaşi die erste Aufführung eines jiddischen Stückes statt und die Bahn für den Erfolg war frei: Die erste Aufführung hat ihren Platz in der Literaturgeschichte dank Mihai Eminescu — er gilt sozusagen als Standesbeamter, der die Geburt dieses Theaters registrierte. In der Zeitung »Curierul de Iaşi« schrieb er am 20. August 1876 eine Rezension. Eminescu sprach Deutsch und lebte in einem Gebiet mit vielen Jiddisch sprechenden Menschen, also waren diese Stücke für ihn erschlie‎ßbar. Die Rezension fiel positiv aus, nur am Text selbst fand er etwas auszusetzen. Er schien eher positiv beeindruckt zu sein von der Show, aber besonders von der Reaktion des Publikums“, sagt die Theaterfrau Camelia Crăciun.



    Abraham Goldfadens Theater reiste anschlie‎ßend durch ganz Ost- und Mitteleuropa. Er war der Meinung, dass Theater auf Jiddisch zu einem Kulturgut aller Juden werden muss. Goldfaden verlie‎ß Rumänien 1896 und zog nach New York, wo er eine lebendige jüdische Theaterszene begründete und bis zu seinem Tod im Jahr 1908 die jüdische Kultur mitprägte.

  • 100 Jahre seit der Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien

    100 Jahre seit der Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien

    Der östliche Teil des mittelalterlichen Fürstentums Moldau war 1812 infolge der russisch-türkischen Kriege an das Kaiserreich Russland gefallen und wurde fortan Bessarabien genannt. Durch den Anschluss wurde eine historische Ungerechtigkeit, die sich vor 106 Jahren ereignet hatte, wieder gut gemacht.



    Die Umstände waren während des Ersten Weltkriegs kompliziert gewesen. Die Lage in Russland war nach drei Jahren Krieg katastrophal. Die soziale Spannung war wegen der gescheiterten Reformen und der unvollständigen Modernisierung besonders hoch. Die Revolutionen im Jahr 1917, jene in Februar-März und Oktober-November, brachten die Hoffnungen eines neuen Anfangs. Vor diesem Hintergrund veränderte sich die politische Karte Russlands. Alte Staaten wie Polen erschienen wieder auf der Landkarte, einige haben ihre neue politische Identität bekanntgemacht, während andere Territorien sich mit Nachbarstaaten vereinigten. Bessarabien gehört zu dieser zu Letzt erwähnten Kategorie.



    Die Vereinigung der Republik Moldau mit dem Königreich Rumänien war ein Werk der Elite. Der Historiker Ioan Scurtu spricht über die Entstehung der bessarabischen Elite in den Jahren vor 1917:



    Die bessarabische politische Elite hat sich besonders nach der russischen Revolution von 1905 entwickelt. Damals wurden neue Reformen eingeführt. Man hatte Zugang zu Kultur, Bildung — allerdings nicht in rumänischer Sprache. Es gab die Möglichkeit, dass junge Moldauer in Russland studieren. Dadurch entstand eine Elite, die eine bedeutende Rolle in dem Entwicklungsprozess des nationalen Bewusstseins der Rumänen hatte. Die Intellektuellen, die nach Bessarabien zurückkamen, gaben Zeitungen heraus und veröffentlichten Bücher, die illegal verbreitet wurden. Constantin Stere, der wegen seiner nationalen Aktivität nach Sibirien deportiert wurde, hatte die Idee gefördert, nach Jugendliche die Universität in Jassy besuchen und somit in Rumänien studieren zu lassen, um eine solide rumänische Kultur zu verinnerlichen.“




    Die gro‎ßen politischen Veränderungen fanden nicht nur dank der Intellektuellen statt. Sie seien ebenfalls das Ergebnis der Anstrengungen organisierter, disziplinierter Verbände, sagt der Historiker Ioan Scurtu weiter:



    Als die russische Revolution im Jahre 1917 begann, gab es eine bessarabsiche intellektuelle Elite. Hinzu kamen auch die Militärs. Es war ja Krieg, Russland trat Juli 1914 in den Krieg ein. Die jungen Männer aus Bessarabien wurden in die russische Armee eingezogen. 1917 brach die Revolution in Petrograd aus. Es wurde eine Interims-Regierung eingesetzt, geleitet von dem Prinzen Lwow, der zwei wichtige Ma‎ßnahmen für die Armee getroffen hat. Die erste bezog sich auf das Recht der Soldaten, ihre Führungskräfte nicht mehr zu grü‎ßen. Für eine Armee, die vor allem Hierarchie und Disziplin bedeutete, war das etwas Besonderes. Man bildete Soldatenausschüsse, die ihre Führer aus den Reihen der Soldaten wählten, so dass eine Instabilität in der Armee herrschte. Die zweite Ma‎ßnahme war, dass die Soldaten der russischen Armee sich nach nationalen Kriterien organisieren durften. So entstand eine Bewegung in der russischen Armee, es war Winter, die Soldaten verlie‎ßen ihre Einheiten und gründeten eigene militärische Verbände mit nationalen Strukturen. Die moldauischen Soldaten wurden ein sehr aktiver und dynamischer Faktor der nationalen Bewegung. Die sozialdemokratische interimistische Regierung hatte bekanntgegeben, sie erkenne die autonome Organisierung der russischen Territorien nach nationalen Kriterien an. So entstanden nationale Bewegungen in Finnland, im Baltikum, in Polen und natürlich Bessarabien.“




    Das Parlament Bessarabiens, der Landesrat, stimmte am 27. März 1918 durch namentliche Abstimmung für den Anschluss an das Königreich Rumänien. Von den 135 anwesenden Abgeordneten haben 86 für die Vereinigung und 3 dagegen gestimmt. 13 Abgeordnete waren abwesend und weitere 36 haben sich enthalten. Es gibt Stimmen, die behaupten, Rumänien habe sich durch Wahlbestechung eingemischt. Der Historiker Ioan Scurtu kommentiert diese Interpretierung:



    Es sind einfache Legenden. Die Dokumente beweisen die damalige Stimmung. Beim Kongress der Soldaten im Juli 1917 hat man die Organisierung eines Parlaments unter dem Namen Landesrat beschlossen. Hauptziel der Wahlen war die Autonomie Bessarabiens im Zarenreich und später der Anschluss an Rumänien. Die Wahlen fanden auf Berufsebenen statt: Lehrer, Arbeiter, Priester, Studenten, Soldaten. Als der Landesrat am 21. November 1917 zusammenkam, wusste man schon, was man damit erzielen will. Es ging um eine komplizierte Struktur, es waren nicht nur ein paar Individuen, die man hätte bestechen können. Es war eine positive Atmosphäre. Man könnte die Zahl der Enthaltungen kommentieren. Es waren Abgeordnete der nationalen Minderheiten, die sich aber nicht gegen den Anschluss ausdrückten. Sie haben erklärt, sie wurden einberufen, um für die Autonomie zu stimmen. Beratungen für den Anschluss wurden allerdings nicht organisiert.“




    Der Anschluss Bessarabiens an das Königreich Rumänien am 27. März 1918 war nur die erste Folge einer Reihe von Ereignissen nach dem Ersten Weltkrieg, die am 1. Dezember 1918 mit der Vereinigung Siebenbürgens mit dem Altreich und der Entstehung Gro‎ßrumäniens endete.

  • Bessarabien im Zarenreich des 19. Jh.: Spielball der Großmächte

    Bessarabien im Zarenreich des 19. Jh.: Spielball der Großmächte

    812 wurde Bessarabien — der östliche Teil der moldauischen Fürstentums — zum ersten Mal von Russland annektiert. Das Ereignis prägte und prägt auch noch heute die Beziehungen zwischen Rumänien und Russland. 1812 rückte Russland näher an die Donau heran. Es war die Zeit der napoleonischen Kriege, die ganz Europa erschütterten. Russland kämpfte gegen Frankreich und das Osmanische Reich, um die Meeresengen zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer zu erobern. Zwischen dem Osmanischen Reich und Russland lagen die rumänischen Fürstentümer.



    Infolge des russisch-türkischen Krieges von 1806-1812, der mit dem Friedensvertrag von Bukarest endete, wurde die östliche Hälfte des Fürstentums Moldau, das sogenannte Bessarabien, von Russland besetzt. Die jetzige Moldaurepublik entstand also im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen Frankreich, Russland und dem Osmanischen Reich. Der Historiker Andrei Cuşco von der Universität in Kischinew dazu:



    Die Annektierung Bessarabiens vom Russischen Reich in 1812 wird manchmal als uninteressant betrachtet. Es wird als militärisch-diplomatische Abmachung angesehen. Natürlich ging es auch darum, aber im Jahr 1812, als Russland näher an die untere Donau rückte, gab es einen harten Wettkampf zwischen dem Reich Napoleons und dem Russischen Reich. Schon von Anfang war das Problem Bessarabien, das keinen direkten Zusammenhang zu den napoleonischen Kriegen hatte, eine Folge der Rivalität zwischen den Weltreichen. Die russische Armee zog sich nach Bessarabien zurück. Die rumänischen Fürstentümer wurden nicht in ihrer Gänze annektiert. Aus russischer Sicht erweitert das Zarenreich seine Macht nicht, sondern zieht sich zurück.“




    Bessarabien wird als künstliches politisches Gebiet aus der Taufe gehoben. Und das merkt man auch aus den unklaren Reaktionen und dem Verhalten der russischen Beamten, die in die Region kommen und am Anfang nicht so recht wissen, was sie dort anfangen sollen. Der Historiker Andrei Cuşco meint, die russische Verwaltung habe drei Pläne für dieses Territorium erstellt:



    Es gibt drei Denkansätze für diese Region, die einander ablöten. Der erste Ansatz kam gleich nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags: Bessarabien musste ein Schaufenster, ein Modell für die balkanischen Völker werden. Bessarabien war dem griechischen Projekt, so wie dieses am Anfang des 19. Jahrhunderts wahrgenommen wurde, unterstellt. Wichtiger war den Russen eigentlich, was südlich der Donau passierte. Damit galt Bessarabien zunächst als ein Gebiet nördlich der Donau, das den Osmanen abgerungen worden war.“




    Die Erfindung Bessarabiens war ein komplexerer Prozess. Dabei spielten die Ideen der Epoche betreffend den Staat, den Verwaltungsaufbau, das Experimentieren mit modernen Errungenschaften und die Rolle, die Russland dabei einnehmen sollte, eine gro‎ße Rolle. Der Historiker Andrei Cuşco berichtet weiter:



    Viel interessanter sind die anderen beiden Visionen. Eine Vision im Kopf der russischen Bürokraten verknüpft Bessarabien mit den westlichen Randgebieten des Reiches: Polen, Finnland, die baltischen Staaten. Diese verfügten über eine historische Tradition und erfreuten sich eines privilegierten Status in der Zeit der administrativen Experimente in den Randgebieten während der Herrschaft von Alexander I. 1818 wird das Autonomie-Experiment in Bessarabien eingeleitet, worauf weniger als ein Jahrzehnt später verzichtet wurde, weil die russischen Bürokraten immer auf lokale Vermittler, auf den örtlichen Adel angewiesen waren. Sie finden hier aber keinen Adel wie in Finnland oder Polen. Da kommt, was ich als Dualität des moldauischen Raumes nenne, zum Vorschein, weil wir nicht von einer kulturell stark geprägten Region sprechen können. Bessarabien befindet sich in den ersten Jahrzehnten nach der Annexion in einem Prozess der Umgestaltung, zumindest bis 1834, als es schwierig wird, die Grenze über den Pruth zu passieren. Die echte Grenze war der Dnjestr geblieben.“




    Es gab noch einen dritten russischen Plan für die Integration Bessarabiens in das Zarenreich, der letzten Endes im 19. Jahrhundert angewandt und später, zu sowjetischen Zeiten, weitergeführt wurde. Der Historiker Andrei Cuşco gibt wieder Auskunft:



    Der dritte administrative Plan zur Integration Bessarabiens ins Russische Reich wird sich durchsetzen. Dabei handelt es sich um die Zusammenlegung Bessarabiens mit der im Osten angrenzenden Region Neu-Russland. Das geschieht gleich nach 1828, nach dem Ende der Autonomie. Bessarabien wird immer mehr als ein Kolonisationsraum betrachtet, den es mit fremden Kolonisten aus dem Süden zu besiedeln gilt. Aus russischer Sicht war das Autonomie-Experiment von 1818 unvorstellbar und nicht mehr nutzbringend geworden. Die Impulse und Modelle der russischen Bürokraten waren aber nicht so vernünftig, wie sie die Historiker von darstellen. Bis in den 1830er Jahren war Bessarabien auf den russischen Karten nicht als vom Rest des rumänischen Raumes getrennte Region eingezeichnet.“




    Bessarabien wurde zu einem russischen Gouvernement am Rande des Zarenreiches. Die Mehrheit der Bevölkerung ist auch heute noch rumänischstämmig, die Geschichte der Region ist aber von ihrem Status als Spielball der Gro‎ßmächte abzuleiten.

  • Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien 1918: Umstrittener Akt staatlicher Raison

    Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien 1918: Umstrittener Akt staatlicher Raison

    Nach dem Kriegsaustritt Russlands war Rumänien alleine an der Ostfront geblieben und hatte deshalb ein Friedensabkommen beantragt. Das Land sollte sich anschlie‎ßend einerseits mit der Besetzung durch die Mittelmächte und andererseits mit der Evakuierung der vom Revolutionsdrang erfassten russischen Armee konfrontieren.



    Der Arzt Daniel Ciugureanu war einer der aktivsten Anhänger der Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien. Sein Sohn, Gheorghe Ciugureanu, gab 1993 ein Interview für das Zentrum für Mündliche Geschichte des Rumänischen Rundfunks, indem es auch um seinen Vater ging. Ciugureanu stammte aus einer traditionsreichen Bojarenfamilie aus Hotin in der heute zur Ukraine gehörenden Nordbukowina, er promovierte in Medizin an der Universität Kiew. Während des Studiums gründete er den Kulturkreis Deşteptarea“ (Erwachen“), gemeinsam mit dem Historiker Ştefan Ciobanu, dem Schriftsteller Alexe Mateevici, dem Ingenieur Nicolae Codreanu und anderen Nationalgesinnte. Im Interview von 1993 erinnerte sich Gheorghe Ciugureanu an die von seinem Vater erwähnte politische Zusammensetzung des Landesrates Bessarabiens, dem die entscheidende Rolle bei der Vereinigung der Provinz mit Rumänien zukommen sollte.



    Im Jahre 1917 hat mein Vater Daniel an der Gründung des Landesrates, also des Parlaments der ehemaligen Moldauischen Republik teilgenommen, das zum ersten Mal am 25. November 1917 tagte. In der Sitzung vom 27. November 1917 proklamierte es die Autonomie der Demokratischen Moldauischen Republik, die jedoch weiterhin dem Zarenreich einverleibt blieb. Die Zusammensetzung des Landesrates sah in etwa wie folgt aus: Au‎ßer einiger weniger bedeutenden politischen Fraktionen, die eher nach ethnischen Kriterien zustande gekommen waren, wie etwa die Union der Deutschen, die Union der Gagausen, Juden sowie Ukrainer und Polen, gab es eigentlich zwei politische Fraktionen, die sich gegenüber standen. Es gab die sogenannte Bauernfraktion, die von Ion Inculeţ angeführt wurde, ihm folgten Pantelimon Erhan und Pantelimon Halippa sowie andere, die für die Autonomie Bessarabiens plädierten, jedoch weiter Teil des Russischen Reiches bleiben wollten. Der Moldauer Block hatte Daniel Ciugureanu als Anführer, gefolgt von Buzdugan, Anton Crihan, Ştefan Holban, Dimitrie Bogoz und anderen.“




    Der Vereinigungsprozess verlief nicht glatt, auch wenn viele Bessarabier nationalistische Überzeugungen hatten. Die Anarchieperiode nach der Machtübernahme durch die Sowjets in Petersburg habe gro‎ße Unruhen erzeugt, erzählte Gheorghe Ciugureanu.



    In einer ersten Phase hatte die Bauernfraktion die Macht ergriffen, Ion Inculeţ wurde zum Präsidenten des Landesrates gewählt, wobei die Regierung von Pantelimon Erhan geführt wurde. Die Exekutive war damals irgendwie der Zentralregierung in Petersburg untergeordnet. Die erste Phase dauerte von der ersten Sitzung am 25. November 1917 bis zum 14. Januar 1918. In diesem Zeitraum und vor der Gründung des Landesrates, aber vor allem während dieser Zeitspanne, intensivierte sich die Invasion der russischen Deserteure von der moldauischen Front. Diese massenhafte Fahnenflucht war die Folge der in Russland beginnenden Revolution. Auf ihrem Weg ins Land marschierten sie durch Bessarabien und verübten dort Raubüberfälle und Morde, wobei sie auch von Einheimischen aus den untersten Schichten gefolgt wurden. Die Lage war unerträglich geworden, da sie von den sowjetischen Volkskommissaren gelenkt wurden und eine regelrechte Hetzjagd gegen die Oberhäupter der rumänischen Volksbewegung gestartet hatten. In diesem Zusammenhang wurde Simion Gurafa getötet, der, nebenbei gesagt, mein Taufpate war. Er starb im Weingarten von Hodorogea, einem weiteren rumänischen Nationalisten, ihn tötete eine Bande von Deserteuren. Mein Vater musste sich damals verstecken, abtauchen, denn sonst hätte er sicherlich zu den ersten Opfern gehört.“




    Angesichts der offensichtlichen Gefahr der völligen Zerstörung forderten die Anführer der Bessarabien-Rumänen die Unterstützung der rumänischen Armee für die Wiederherstellung der Ordnung an. Nichtsdestotrotz lie‎ßen die Bessarabier die Operationen der rumänischen Armee nicht ohne eigene Protestaktionen gewähren, sagte Gheorghe Ciugureanu im Interview mit dem Zentrum für Mündliche Geschichte.



    Die Krise hatte ihren Höhepunkt erreicht. Anfang Januar 1918 waren die siebenbürgischen Freiwilligen, die den Bessarabiern im Kampf gegen die Banden helfen wollten, im Bahnhof von Chişinău massakriert worden. Jenen Ereignissen folgte eine geheime Beratung der Anführer des Moldauischen Blocks aus der damaligen Opposition, eine Beratung, die im Haus des Ingenieurs Nicolae Codreanu stattfand und bei dem mein Vater den Vorsitz hatte. Bei diesem Treffen beschloss man, einige Entsandte nach Iaşi zu schicken, die der rumänischen Regierung in Iaşi die Unterstützung der rumänischen Armee gegen die verübten Massaker und Morde verlangen sollten. Die Entsandten des Moldauischen Blocks kamen in Iaşi an, wo sie ihr entsprechendes Schreiben überreichten. Die rumänische Armee reagierte blitzartig, gleich am nächsten Tag wurde ein Armeekorps von der Karpatenfront unter dem Befehl des Generals Ernest Broşteanu nach Bessarabien beordert. Der Korps drang etwa am 9. Januar nach Bessarabien ein, also gleich nach drei Tagen wurde der Pruth überquert und in Richtung Chişinău losmarschiert. In dem Moment gab es einen völlig ungewöhnlichen Eingriff seitens des Landesrates und der bessarabischen Regierung — sie schickten der rumänischen Regierung in Iaşi ein Protesttelegramm, gezeichnet von Ion Inculeţ und gegengezeichnet von Regierungschef Pantelimon Erhan, in dem in scharfem Ton gegen den Einmarsch der rumänischen Armee in Bessarabien protestiert wurde.“




    Die Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien im März 1918 wurde in der Tat nicht von allen Bessarabiern willkommen gehei‎ßen. Allerdings brachte das Ereignis den lang ersehnten Frieden nach den vier blutigen Kriegsjahren.