Tag: Zensur

  • „Reflector“: Mutige TV-Sendung nahm es mit kommunistischen Bonzen und Korruption auf

    „Reflector“: Mutige TV-Sendung nahm es mit kommunistischen Bonzen und Korruption auf

     

     

    Es ist eine Binsenwahrheit: In totalitären Gesellschaften ist die Presse gleichgeschaltet, und jeder weiß, dass er in staatlichen Medienprodukten mit Lügen konfrontiert wird und meistens nur Propaganda schlucken muss. So auch im kommunistischen Rumänien geschehen.

     

    Doch die Geschichte der Presse während der kommunistischen Jahre in Rumänien wies auch – für kurze Zeit – ein einigermaßen ehrenwertes Kapitel auf, in dem die Journalisten versuchten, ihre Berufsethik anzuwenden und die Stimme der Gesellschaft zu sein. Die Zeit zwischen 1966 und 1971 war die beste für die Presse unter dem kommunistischen Regime in Rumänien, und einige Medien-Produktionen waren beim Publikum besonders erfolgreich. So z.B. die Sendung „Reflector“ (zu deutsch in etwa: „Im Scheinwerferlicht“), die im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin wurden institutionelle Missstände und Missbräuche durch Politiker oder Leiter staatlicher Behörden vor Augen geführt.

     

    Die Sendung „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“) war ein Versuch, verantwortungsvollen Journalismus zu betreiben – allerdings setzte das kommunistische Regime dabei klare Grenzen. Die offizielle Ideologie der rumänischen kommunistischen Partei durfte nicht in Frage gestellt werden, ebenso wenig wie das Wesen der Staatsmacht und der sozialen und politischen Ordnung. Ein Tabu waren auch die Person des Führers Nicolae Ceaușescu, seine Familie und die Verwandten, die führenden Aktivisten der Partei, die Armee, der Repressionsapparat, bestehend aus der Miliz und der Securitate, sowie Mitarbeiter der Justiz und des staatlichen Finanz- und Bankensektors. Daher befasste sich die Sendung „Reflector“ meistens mit Missständen und Fehlleistungen in der sozialistischen Konsumwirtschaft.

     

    Die Sendung wurde beginnend mir 1967 ausgestrahlt und orientierte sich an ähnlichen Sendungen in der westlichen Presse. Die Öffnung des rumänischen Fernsehens gegenüber dem Westen ist den Journalisten Silviu Brucan und Tudor Vornicu zu verdanken. Der zu erst Genannte war damals Intendant des Senders und zuvor Botschafter des sozialistischen Rumänien in den USA und bei der UNO gewesen und war von den amerikanischen Medien besonders angetan. Ironie des Schicksals – oder rumänische Paradoxie – der Mann war in den 1950er Jahren einer der schlimmsten Hetzer in der kommunistischen Presse gewesen – und in den 1990ern wieder als Talkshow-Gast gefragt. Tudor Vornicu hingegen, Chefradakteur der Sendung „Reflector“, hatte als Korrespondent des Rumänischen Rundfunks in Frankreich Karriere gemacht und war wiederum mit den französischen Medien vertraut. Aus diesem fragwürdigen Mix sollte ein halbwegs gutes Medienprodukt entstehen. Und darüber weiß der Journalist Ion Bucheru zu berichten, damals Vizeintendant des rumänischen Fernsehens und Koordinator des Teams, das die Sendung machen durfte. In einem Interview mit dem Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des rumänischen Rundfunks von 1997 erinnerte sich Bucheru, was den Erfolg der Sendung ausmachte.

     

    Ich war damals verantwortlich für die Sendung, die inzwischen zweimal wöchentlich ausgestrahlt wurde und 20 bis 25 Minuten dauerte. Die Sendung wurde bald zu einer sozialen Instanz. Die fünf Hauptakteure, die routinemäßig in der Sendung auftraten, führten sich wie Staatsanwälte auf und glaubten, einen sozialen Auftrag zu haben und ausüben zu müssen. Sie hatten einen direkten Draht zu den Menschen, sie wurden einfach von Bürgern angerufen, die keine andere Hoffnung mehr im Kampf mit der Bürokratie oder mit staatlichen Institutionen hatten.“

     

    Es war einfach ein schlechtes Omen, im Fernsehen vorgeführt zu werden, vor allem wenn es um skandalöse Fälle von Missbrauch, Inkompetenz oder Gleichgültigkeit in Umgang mit öffentlichen Geldern ging. Deshalb war selbst in den kleinsten Läden oder an Marktständen Panik angesagt, wenn das Kamera-Team von „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“)“ urplötzlich auftauchte. Ion Bucheru, der Chefredakteur von damals, erinnert sich weiter:

     

    Wir schlugen damals ziemlich über die Stränge: Wir beendeten die Sendung immer mit einem Standbild und einem Text. Das Bild zeigte ein schwarzes Auto, das in einer Abgas- oder Staubwolke davon düste, und der sarkastische Text lautete: »In diesem Auto verlässt Genosse Minister Soundso das Ministerium, wahrscheinlich in Eile, um an irgendeiner Sitzung teilzunehmen. Und er hatte es so eilig, davonzukommen, dass er nicht einmal die Zeit hatte, mit dem Reporter der Sendung zu sprechen.« Sie können sich vorstellen, was es für einen Wirbel veursachte, wenn ein Redakteur der Sendung den Leiter eines staatlichen Unternehmens oder einen stellvertretenden Minister anrief, um ihm nur mitzuteilen, dass das Journalisten-Team von »Reflector« bald vorbeikäme oder schon auf dem Gelände angekommen sei.“

     

    Doch dann kam der Moment Juli 1971, als der Diktator Nicolae Ceaușescu seine ominösen Thesen verkündete, mit denen eine 180-Grad-Wende eingeleitet wurde: vom relativ liberalen Kommunismus zum National-Kommunismus, in dem jede Kritik am System nicht mehr willkommen war. Es war im Grunde eine Rückkehr zur stalinistischen Epoche der 1950er Jahre, was eine große Bestürzung in den Ländern der freien Welt auslöste, die bis dahin die angebliche Distanzierung des rumänischen Führers von der Sowjetunion geschätzt und unterstützt hatten. Diese Rückentwicklung beeinflusste auch die Sendung „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“), die nach und nach an Schärfe verlor und uninteressant wurde, wie sich der damalige Chefredakteur Ion Bucheru erinnerte:

     

    Die sogenannten Juli-Thesen entsprangen Ceaușescus Geist, Kopf und Feder im Zuge eines Fernsehskandals. Es war der Moment, als Ceaușescu nach 1968 den Höhepunkt seiner Popularität und seines nationalen und internationalen Ansehens erreicht hatte. Es war eine Zeit, in der Rumänien international als ein kleines Weltwunder in dieser Ecke Europas galt. Es war eine Zeit, in der die Staatsoberhäupter Rumänien ihre Türen öffneten, selbst die konservativsten, selbst diejenigen, die es bis dahin abgelehnt hatten, Ceaușescu zu empfangen oder ihm die Ehre eines Staatsoberhauptes zu erweisen. Wenn man damals als rumänischer Journalist im Ausland unterwegs war – und ich habe das selbst erlebt –, wurde man nicht nur mit Sympathie, sondern mit einer Art von Brüderlichkeit betrachtet. Wir waren oft schlecht ausgestattet, ohne logistische Möglichkeiten unterwegs, und waren obendrein auch sehr schlecht bezahlt. Aber es gab eine solche Welle der Sympathie um uns herum, dass uns die ausländischen Kollegen beisprangen und uns vieles zur Verfügung stellten.“

     

    Mitte der 1980er Jahre, als das Fernsehprogramm nur noch zwei Stunden am Tag umfasste, wurde die Sendung „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“) eingestellt. Nach der Wende von 1989 gab es den Versuch, sie wiederzubeleben, doch sie konnte nie wieder an ihren vorherigen Erfolg anbinden.

  • Rundfunkgeschichte: Hörspiele für Kinder waren ein konstanter Erfolg

    Rundfunkgeschichte: Hörspiele für Kinder waren ein konstanter Erfolg

     

     

    Hörspiele für Kinder aus dem Hause Radio Rumänien waren entlang der Zeit sehr erfolgreich, und ihr Erfolg ist das Verdienst von Drehbuchautoren, Schauspielern und Regisseuren sowie von technischen Teams. Sie alle haben die Geschichte des Kinderhörspiels mitgeschrieben. Im Archiv des rumänischen Rundfunks gibt es zahlreiche Aufzeichnungen zur Geschichte der Sendungen für Kinder, darunter Interviews mit wichtigen Persönlichkeiten, die damit verbunden sind.

     

    Die Schriftstellerin Silvia Kerim war auch als Radiojournalistin tätig und hat mit Hingabe an Kindersendungen gearbeitet. Sie begann ihre Arbeit im Rundfunk 1961 in einer Kulturredaktion, die versuchte, der politischen Ideologie der Zeit zu entkommen. 1998 hat das Zentrum für mündliche überlieferte Geschichte des rumänischen Rundfunks Silvia Kerim interviewt. Im Interview erinnert sich die Kinderbuchautorin, wie es den Hörspielmachern gelang, die Qualität der Produkte für die kleinsten Zuhörer beizubehalten.

    Ich wurde einer Redaktion zugeteilt, der mir sehr gut gefiel, sie hieß »Theater am Mikrophon für Kinder«. Das war ein Glücksfall, denn die meisten Stücke, die das Hörspiel-Repertoire für Kinder ausmachten, waren Märchen und Geschichten. Sie stammten aus der Weltliteratur, so dass Ideologie und Manipulation dort nicht wirklich hineinpassten. Die Schauspieler waren großartig, die Regisseure waren großartig, so dass es keinen Platz für Lügen und Kompromisse gab.“


    Wie an jedem Arbeitsplatz sind das Klima und die Belegschaft ausschlaggebend. Die Kinderbuchautorin Silvia Kerim erinnert sich weiter an ihre Zeit in der Hörspielredaktion für Kinder.

    In der Redaktion hatten wir Eduard Jurist als Chef, von ihm habe ich gelernt, was es heißt, als Vorgesetzter bescheiden zu sein, nicht den Chef zu spielen, eine gleichmäßig verteilte Aufmerksamkeit gegenüber jüngeren oder älteren Redakteuren zu haben. Ich hatte auch Vasile Mănuceanu als Kollegen. In dieser Redaktion der Jugendprogramme arbeiteten viele Ausnahmetalente, darunter der begnadete Schriftsteller Călin Gruia. Mit großer Freude möchte ich auch Mioara Paler erwähnen, die einst die Kinderredaktion leitete und der ich die Freude am Schreiben für Kinder verdanke. All diese Kollegen haben in mir diese Liebe zu Kindern gespürt, sie haben meinen Wunsch gespürt, für Kinder zu schreiben.“

     

    Als Autorin hat Silvia Kerim viele Drehbücher für Kinderhörspiele verfasst. Im Interview mit dem Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte erinnerte sie sich, wie wichtig ihr die Geschichten waren, die sie von ihren Eltern in der Kindheit erzählt bekam.

    In der Redaktion wurde mir aufgetragen, einige Geschichten zu überarbeiten, die schlecht aus der chinesischen oder japanischen Literatur übersetzt worden waren. Man gab mir solche Geschichten und Kurzgeschichten, die einen ganz eigenen Dreh hatten. Als ich sie nacherzählte, wurde mir klar, dass ich viel von meiner Fantasie in sie hineinlegte und dass ich die Geschichten, die mir im Kopf herumschwirrten, irgendwann selbst schreiben könnte, was wiederum magische Wurzeln hatte. Meine Mutter erzählte meinem Bruder und mir Abend für Abend Geschichten, als wir noch sehr klein waren. Eine Zeit lang war es »Schneewittchen«, ich glaube, ein Jahr lang hörten wir uns Nacht für Nacht »Schneewittchen« an, entweder in Episoden oder gekürzt. Und wenn meine Mutter bei einem Detail nicht mehr weiter wusste, sprangen wir beide ein, um ihr zu widersprechen und sie daran zu erinnern, dass es beispielsweise nicht Schlafmütz war, der dies und jenes getan oder gesagt hatte. Und dann gab es Geschichten, die von Tieren handelten, die meine Mutter ebenso wie mein Vater sehr liebten. Beide Eltern haben diese Zuneigung für Tiere an uns weitergegeben.“

     

    Doch in den Jahren, in denen Silvia Kerim Kindergeschichten über den Äther brachte, indoktrinierte das kommunistische Regime die Öffentlichkeit mit aller Gewalt. Auch Kulturredaktionen waren der Zensur unterworfen. Doch die Journalistin und Autorin, schaffte es, sich der Zensur und Ideologie in subtiler Weise zu entziehen.

    Ich möchte wirklich sagen, dass im Falle meiner Texte die Ideologen es ziemlich schwer hatten, Propaganda unterzubringen. Ich habe nie das Wort »Pionier« verwendet, Wörter wie »Partei« und »Pionier« kamen in meinen Texten nie vor. Meine Drehbücher und Geschichten sind traurige Geschichten von armen Menschen, vom Sterben der Großeltern, vom teuersten Kuchen, dem Apfelkuchen, oder vom köstlichsten Nachtisch, dem Toast mit Pflaumenmus. Ich habe immer gedacht, dass es viel mehr unglückliche, verwaiste Kinder gibt als reiche, verzogene Kinder. Und dass diese Geschichten sie erreichen müssen, oder vielmehr auch sie. In einer Zeit, in der wir angehalten wurden, nur über glückliche Kinder zu schreiben, die unter der Obhut der Partei gesund und unbeschwert aufwachsen würden, war es nicht leicht, einen Text an der Zensur vorbeizukommen, vor allem wenn die dort beschriebene Realität eher traurig und hoffnungslos aussah.“

  • Gegenkultur im kommunistischen Rumänien: subtile Ironie und kontrollierte Subversion

    Gegenkultur im kommunistischen Rumänien: subtile Ironie und kontrollierte Subversion

    Diese Vorschriften wurden von den kommunistischen Aktivisten, die für Kultur und Zensur zuständig waren, geschrieben. Sie zielten zwar überwiegend auf die Hochkultur ab, doch die nicht herkömmlichen Kulturformen wurden an den Rand gedrängt und materialisierten sich meist in das, was wir als Gegenkultur kennen.



    Neben Klassik und Opernmusik manifestierte sich die Gegenkultur vor allem in den Bereichen Rock, Jazz, Blues und Volksmusik. Die Popmusik erwies sich damals als die konformistischste in der kommunistischen Zeit, streng nach dem Kanon. Künstler, die versuchten, Stile au‎ßerhalb des Kanons anzunehmen, gab es aufgrund des schwierigen Zugangs zu den Inspirationsquellen recht wenige. Aus diesem Grund waren Versuche, durch Musik Botschaften zu vermitteln, die nicht den offiziellen kulturellen Richtlinien entsprachen, damals eher selten.



    Dennoch entstand die Gegenkultur aus dem Bedürfnis der Menschen nach Freiheit im Schöpfungsprozess. Ihre Inspirationsquellen wie Beatmusik, Rock, Blues und Jazz aus dem Westen wurden zusammen mit anderen westlichen Produkten, die auf dem kommunistischen Markt wirklich schwer zu finden waren, wie Kleidung, Kosmetik und Schmuck, nach Rumänien geschmuggelt. Neben all diesen Gütern schmuggelten ausländische Studenten Vinylplatten nach Rumänien — mit Musik, die im Ausland produziert wurde.



    Eine weitere Inspirationsquelle für die musikalische Gegenkultur Rumäniens waren die Jazz- und Rockmusikprogramme von Willis Conover und Cornel Chiriac, die von den Sendern Voice of America bzw. Radio Freies Europa ausgestrahlt wurden.



    Noch wichtiger als die Musik war die Poesie, und die von der damaligen rumänischen Gegenkultur vorgeschlagenen Verse hatten die Ironie als Hauptmerkmal, um Ideen und kritisches Denken zu stimulieren. Der starke Lebensmittelmangel und die extrem düstere Atmosphäre der 1980er Jahre waren eine wichtige Inspirationsquelle für die nonkonformistischen Dichter der damaligen Zeit. Obwohl das kommunistische Regime schlie‎ßlich ein paar Zugeständnisse machte, die die Jazzfestivals von Sibiu (Hermannstadt) und Costineşti erlaubten, war die düstere Realität überall sichtbar. Der Historiker Sorin Antohi erinnert sich an diese düstere Zeit in der Geschichte Rumäniens.


    Ich erinnere mich an eine Episode aus der Zeit der schweren Nahrungsmittelknappheit, die Rumänien damals in der kommunistischen Epoche heimsuchte. Ich war gerade vom Jazzfestival in Sibiu im Jahr 1980 mit ein paar Freunden zurückgekehrt. Wir waren auf dem Weg nach Iaşi im Nordosten Rumäniens und mussten in Ploieşti, im Süden, umsteigen. Während wir die Stadt durchquerten, um zu einem anderen Bahnhof zu gehen, sahen wir Menschen in der Nähe eines der grö‎ßten kommunistischen Supermärkte, die sich drängten und schubsten, um Butter zu kaufen. Wir sahen kleine wei‎ße Pakete in der Luft fliegen und wussten zunächst nicht, was es war. Dann stellten wir fest, dass die Kommunisten die 200-Gramm-Pakete Butter in zwei Hälften geschnitten hatten, damit sie an so viele Kunden wie möglich verkaufen konnten. Die Leute, die wir sahen, kämpften also heftig für 100 Gramm Butter.“



    Im kommunistischen Rumänien führte die Zensur bestimmte Formen des musikalischen Ausdrucks ein, was einige der Künstler dazu veranlasste, zu versuchen, sie zu vermeiden. Einer dieser Künstler war der Architekt und Sänger Alexandru Andrieş, ein Aushängeschild der musikalischen Gegenkultur in den 1970er und 1980er Jahren. Zwei seiner Songs waren durchschlagende Hits, nämlich Was für eine schöne Stadt“ und In den Nachrichten“. Im ersten Song deutete Andrieş auf die allgegenwärtige Existenz von Fabriken und Industriewerken hin, die überall zu sehen waren und gegen die Prinzipien und Trends der modernen Städtebauplanung verstie‎ßen. Gleichzeitig enthielt der Text des Liedes ironische Kommentare, die sich an die Privilegierten des Regimes richteten, die in Stadtvierteln lebten, die weitaus besser versorgt waren als die Schlafstätten der Durchschnittsbürger. Der zweite Song, In den Nachrichten“, war kein subversiver Song, sondern ein Pastiche. Das Lied wurde später, in den 1980er Jahren, subversiv, als die Nahrungsmittelkrise die rumänische Bevölkerung traf. Im Text wird das Wort Telejurnal“ (Nachrichtensendung im Abendprogramm des damaligen Fernsehens) auf caşcaval“ (Gelbkäse nach Emmentaler Art) gereimt, den man nur noch in Propagandasendungen im Fernsehen erblicken konnte, denn in den Läden gab es fast nichts mehr zu kaufen.



    In einer kürzlich abgehaltenen Konferenz erinnerte sich Alexandru Andrieş daran, wie er eine Leidenschaft für die Musik entwickelte, die den Mainstream herausforderte oder verballhornte:



    Ich muss zugeben, dass es einerseits reines Glück war, als die Schwester meiner Mutter, meine Tante, 1966 durch Heirat in die USA auswanderte. Und so hatte ich Zugang zu Büchern und LPs, die hier unerreichbar waren. Ich erinnere mich, dass das Smithsonian Museum eine Art Vinylausgabe amerikanischer traditioneller Musik herausgegeben hat, eine Enzyklopädie, es gab Aufnahmen von 1900 bis heute, mit der Musik von Afroamerikanern, die Blues sangen, mit der Musik der Indianer. Ich wollte diese Enzyklopädie haben und ich wusste nicht, dass es sich tatsächlich um eine Box mit Vinyl-LPs handelte, die sehr schwer wog. Kein Wunder also, dass die Behörden mich herbeigerufen haben, um ihnen zu sagen, was das mit der gro‎ßen Kiste war, die ich aus den USA erhalten hatte.“




    Englisch war ein wichtiger Bestandteil der musikalischen Gegenkultur. Andrieş erinnerte sich, dass der Musiklehrer im Unterricht ziemlich oft einen Plattenspieler mitbrachte und die Musik von den Rolling Stones spielte. Für Andrieş sorgte jedoch die Tatsache, dass Englisch die Sprache der Lieder war, für gro‎ße Unzufriedenheit, und das beeinflusste den Künstler stark.



    Mich störte ungemein, dass ich nicht auf Rumänisch hören konnte, was ich in anderen Sprachen hörte. Und ich wurde deswegen sauer. Natürlich interessierte mich die rumänische Unterhaltungsmusik überhaupt nicht, mit all ihren langweiligen Texten und mit all den Leuten, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten, solche Lieder zu schreiben, Songwritern und Sängern, die keine Probleme mit der Zensur hatten. In der damaligen rumänischen Unterhaltungsmusik gab es nur zwei Varianten: Entweder gab es Texte, die nichts Besonderes vermittelten, oder es gab Gedichte von klassischen rumänischen Dichtern, deren Werk veröffentlicht worden war. Und das war der Hauptgrund, warum ich mir sagte, warum nicht einige Songs so schreiben, wie ich sie gerne hören würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich sie live vor dem Publikum singen würde.“




    Die Produkte der musikalischen Gegenkultur der 1980er Jahre waren eine Zeitlang auch nach 1989 noch beliebt. Und das nicht aufgrund der Relevanz, die sie heute — noch? — haben mögen, sondern wegen ihres damaligen subversiven Wertes.

  • Rumänisches Fernsehen in den 1960er–70er Jahren: staatliche Propaganda, aber auch sozialer Auftrag

    Rumänisches Fernsehen in den 1960er–70er Jahren: staatliche Propaganda, aber auch sozialer Auftrag

    Ab Mitte der 1940er Jahre wurden Printmedien und Hörfunk zentral gesteuert. Die Geburtsstunde des Fernsehens fand vor einem Hintergrund der ständigen Kontrolle vonseiten der Staatspartei statt. Die rumänische Presse diente in der Nachkriegszeit der kommunistischen Propaganda, aber das 1957 gegründete Fernsehen versuchte, auch sozialen Themen und Unterhaltungssendungen nach westlichen Standards Rechnung zu tragen. Der Journalist Ion Bucheru war Anfang der 1970er Jahre Vizeintendant der Rumänischen Rundfunkanstalt. Zuvor hatte er bei den Printmedien gearbeitet und sah den Posten beim Fernsehen als Herausforderung an. In einem Interview mit dem Zentrum für Mündliche Geschichte des rumänischen Hörfunks von 2003 erklärt Bucheru, dass das Fernsehen eine Investition gewesen sei, mit der versucht wurde, Rumänien den Anschluss an die restliche Welt zu ermöglichen.



    Der Zufall wollte es, dass ich 1970 eine Stelle beim Fernsehen angeboten bekam. Es sei erwähnt, dass zu dem Zeitpunkt gerade die neue Sendeanlage in der Calea Dorobanţilor fertiggestellt worden war, zu dem Zeitpunkt eine der modernsten Sendeanlagen der Region, die technisch mit den neuesten und den leistungsstärksten Geräten ausgestattet war — auf jene Zeit bezogen, natürlich. Leider waren die Dimensionen nicht genau berechnet worden, d.h. bei der Planung und dem Bau war ein Betrieb von etwa 50 bis 55 Stunden pro Woche vorgesehen: Sendung, Produktion und Ausstrahlung. Für dieses Arbeitsvolumen war die Sendeanlage ideal, sie war funktional gebaut, die gro‎ßen Studios, die Produktion, insgesamt waren die drei Studios zu diesem Zeitpunkt ausreichend. Nun, bald sollte sich die Investition aufgrund des Ausma‎ßes des Fernsehens als überholt erweisen. Ich sollte den gesamten journalistischen Bereich übernehmen, d.h. alle journalistischen Programme, soziale Recherchen, all das, was Reportage bedeutete, au‎ßerhalb der Nachrichten und des Journals und der Wirtschaftsprogramme.“




    Natürlich bestand der Hauptauftrag des staatlichen Fernsehens in der Propaganda zugunsten des Regimes. Im Interview von 2003 machte Bucheru keinen Hehl daraus.



    Von einem Vizepräsidenten erwartete man die Koordination und Ausrichtung einiger Bereiche und natürlich die politisch-ideologische Ausrichtung der Programme und ebenso die unbedingt notwendigen kulturellen Elemente, die zu dieser Zeit, in den 70er Jahren, selbstverständlich waren. Der gesamte Prozess erlebte irgendwann einen sehr schnellen, sehr scharfen, dramatischen, sogar tragischen Verfall. Als ich zum Fernsehen kam, war die allgemeine Ausrichtung der Anstalt jene eines Parteiorgans, wie das in der gesamten Presse der Fall war. Der erste Punkt der Verfassung sah die Parteiführung in allen Tätigkeitsbereichen vor, insbesondere in den Bereichen des geistigen, kulturellen, politischen, ideologischen Lebens. Ich glaube nicht, dass irgendjemand der Welt vorgaukeln sollte, er hätte vor 89 in der rumänischen Presse gearbeitet, ohne in der Parteipresse zu arbeiten! Natürlich gab es einen gewaltigen Unterschied zwischen der Art und Weise, in der dieses Prinzip bei Kulturzeitschriften wie »Secolul XX« (»Das 20. Jahrhundert«) oder »România Literară« gelebt wurde, obwohl auch diese als Organ des Schriftstellerverbandes eine gewisse Bedeutung hatte, und etwa bei der Rundfunkanstalt. Im Grunde war es aber dasselbe.“




    In den 1970er Jahren erreichte das rumänische Fernsehen 117 Stunden Sendezeit pro Woche, eine beeindruckende Statistik für seine damaligen Ressourcen, die jedoch im Vergleich zu westlichen öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern eher bescheiden ausfiel. Trotzdem habe das Fernsehen eine kulturpädagogische Funktion übernommen, berichtete Ion Bucheru.



    Das Filmrepertoire war recht ordentlich, obwohl die Spielfilme einen geringeren Anteil hatten als bei westlichen Fernsehsendern, darunter auch das öffentliche Fernsehen. Die Filme waren pädagogisch wertvoll. Die Serien waren im Allgemeinen aufmerksam ausgewählt und ich gehörte zu den gro‎ßen Konsumenten von BBC-Fernsehserien. Es ist zum Beispiel interessant, dass die »Forsyte Saga« in Bukarest ausgestrahlt wurde, noch bevor sie in Paris ausgestrahlt wurde. Das Fremdsprachenprogramm begann in den 1970er Jahren, als ich dort ankam, mit dem präzisen Auftrag, Fremdsprachenkurse im Fernsehen anzubieten.“




    Auch die sozialen Inhalte waren in den 1970er Jahren, in denen ein wenig Meinungsfreiheit erlaubt war, äu‎ßerst beliebt. Aber dies sollte sich im nächsten Jahrzehnt ändern. Ex-Vizeintendant Ion Bucheru erinnerte sich 2003 an zwei sehr beliebte soziale Sendungen: Reflector“ und Ancheta socială“.



    Ich war für »Reflector« als Vertreter der Institutionsleitung verantwortlich. Die Sendung wurde zu dieser Zeit zweimal in der Woche gesendet, und »Ancheta socială« wurde mindestens alle zwei Wochen ausgestrahlt. »Reflector« war 20, manchmal 25 Minuten lang, »Ancheta« stieg auf 50 Minuten an und sogar eine Stunde. Diese beiden Programme waren zu einer sozialen Institution geworden: Die Menschen wandten sich oft an »Reflector« und »Ancheta socială«. Die fünf Produzenten des »Reflector« waren wie Staatsanwälte, die ihr Mandat wie ein öffentliches Mandat ausübten. Sie hatten einen persönlichen Briefwechsel mit den Menschen, sie wurden einfach von Personen gerufen, die keine andere Hoffnung mehr hatten, oder von Institutionen, die sogar die rechtlichen Möglichkeiten zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten mit Privatpersonen und anderen Behörden ausgeschöpft hatten.“




    In den späten 1970er Jahren bü‎ßte das rumänische Fernsehen jedoch an Attraktivität ein, und seine Programme wurden zunehmend farblos und dem Personenkult um Nicolae Ceauşescu verschrieben. In den 1960er und vor allem in den 1970er Jahren hatten die Journalisten der Anstalt aber bewiesen, dass sie ihren Beruf professionell hätten ausüben können, wenn sie die Freiheit gehabt hätten.

  • Hörerpostsendung 9.7.2017

    Hörerpostsendung 9.7.2017

    Liebe Freunde, willkommen zur letzten Hörerpostsendung in diesem Sommer. Heute möchte ich zum Schluss eine interessante Aufzeichnung aus unserem Audioarchiv senden, doch zuvor sollen noch unsere Hörer zu Wort kommen.



    Aus Grafing in der Nähe von München meldete sich Werner Schubert unlängst per E-Mail:



    Hallo Sorin, hallo liebe Redaktion,



    der allgemeine Untertauch-Trend auf Kurzwelle färbt auch auf mich ab, ich höre immer weniger direkt über den Empfänger und schreibe kaum noch Empfangsberichte. QSLs gibt es ohnehin nur noch aus wenigen Ländern, so hat mich die Post gefreut, die ich im Mai bekommen habe: Eine QSL für meinen Bericht vom Juli letzten Jahres. Ich muss allerdings gestehen, dass ich kein so fanatischer Kartensammler bin, deswegen freue ich mich zwar über die Kärtchen, ich kann aber auch ohne leben…



    Als Betreuer des Radio-Tirana-Hörerklubs erinnere ich mich an einen Hörer, der mir vor Jahren eine Reklamation schickte bezüglich fehlender QSL-Karten aus Albanien. Die Berichte waren allerdings teilweise schon über 20 Jahre alt. Nun ja, ich habe seine Bitte nach Tirana weitergeleitet und der gute Mann hat wohl auch seine Karten bekommen. Allerdings neuere Auflagen, denn seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes hat der Hörerklub den Druck der QSL-Karten übernommen. Das klappt ganz gut, die Bilder stammen von Hörern oder von Astrit Ibro, der auch Direktor des Auslandsdienstes ist. Probleme mit dem Versand gibt es bei den albanischen Kollegen auch nicht, die Karten füllen Astrit und seine Kollegin Svjetllana selbst aus und senden sie ab. Leider sendet Radio Tirana nun auch nicht mehr direkt, sondern nur noch über den Shortwave-Service in der Eifel und über Anlagen in Florida.



    Zwischen Albanien und Rumänien gibt es ja historisch auch einige Beziehungen, nicht nur die Hymne der Albaner, die ja von einem rumänischen Komponisten stammt. Als Albanien 1913 einen “neutralen” Herrscher brauchte, fiel die Wahl auf den deutschen Fürsten Wilhelm zu Wied und seine Frau Sophie von Schönburg-Waldenburg. Ich erwähne das, weil das Paar nach 1925 in Rumänien lebte, wo Wilhelm auch 1945 starb. Das Grab der Wieds befindet sich in der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Bukarest mit einem Stein mit deutscher Aufschrift. Aber das nur so am Rande.



    Heute kam das Thema “Honig” zur Sprache. Bei uns ist es gerade üblich, Blumen für Honigbienen anzupflanzen, weil die Bienen u.a. durch die üblichen Monokulturen immer weniger wurden. Kennt man dieses Problem auch in Rumänien? Bei uns in Grafing ist es die Initiative “Grafing summt”, ein Ableger von “Deutschland summt”, die sich besonders dafür stark macht. Sie gehört zu unserem Bürgerzentrum, in dem ich auch aktiv bin, wir haben jetzt am Zaum unseres Hofes auch Blumen gepflanzt.



    Liebe Grü‎ße und bis bald,


    Werner Schubert (mit [den beiden Vierbeinern] Speedy und Molly)




    Vielen Dank für Ihre Zeilen und Gru‎ß zurück nach Grafing, lieber Herr Schubert. Ja, auch in Rumänien beklagen Imker die Folgen der Monokulturen in ihren Fachzeitschriften und Online-Portalen. Die evangelische-lutherische Kirche AB in Bukarest kenne ich gut — als Schüler bin ich oft sonntags in diese Kirche gegangen, weil es nach der Messe, die auf deutsch abgehalten wurde, immer Orgenkonzerte gab. Pfarrer war damals der aus Siebenbürgen stammende Otto Reich, seine Gattin, Ilse Maria Reich, war schon damals eine über die Landesgrenzen hinaus bekannte Organistin und auch die Söhne des Ehepaars waren als Musiker im Kirchenchor aktiv. Nach der Wende übersiedelte die Familie nach Deutschland, Ilse Maria Reich konzertiert aber jedes Jahr in ihrer alten Heimat, und zwar auf der Bühne des Bukarester Athenäums und in mehreren Städten in Siebenbürgen.




    Alexandru Buşneag ist ebenfalls in Deutschland zu Hause — er machte sich Sorgen wegen des geplanten Ausbaus der Kernenergie in Rumänien:



    Sehr geehrte Redakteure von RRI,



    aus Ihren Sendungen habe ich erfahren, dass Rumänien das AKW in Cernavodă ausbauen will, anstatt dieses in Zukunft durch andere Energiequellen zu ersetzen — wie es beispielsweise in Deutschland der Fall ist.



    Abgesehen von den nicht einkalkulierbaren Risiken der Kernenergie müsste man all denen, die behaupten, dass Atomenergie billig“ oder rentabel“ sei, folgende Fragen stellen:



    Wer bezahlt für die Atommüll-Endlager, die praktisch auf alle Ewigkeit“ gesichert werden müssen? Was werden hunderte und tausende künftiger Generationen von uns denken — auch nur in Anbetracht der anfallenden Kosten, die sie tragen werden –, wenn wir ihnen diese Last aufbürden, nur um einige Jahre billigeren“ Strom zu erzeugen?




    Vielen Dank für Ihre Zeilen, lieber Herr Buşneag. Prinzipiell gebe ich Ihnen Recht, nur kann sich Rumänien momentan nicht leisten, allein auf erneuerbare Energiequellen zu setzen, wenn es einigerma‎ßen selbstständig in der Energieversorgung bleiben will, um nicht von Russlands Gnade abhängig zu werden. In den vergangenen Jahren wurde dennoch in erneuerbare Energie investiert, ich habe in der Dobrudscha zahlreiche Windkraftanlagen gesehen, deren Nutzen ist allerdings umstritten. Und auch in Deutschland wurden nicht alle AKWs über Nacht ausgeschaltet, es wurden auch dort Übergangsfristen geregelt.




    Weiter geht es nach Mannheim, wo unser Hörer Andreas Pawelczyk zu Hause ist. Folgendes Feedback gab er uns zu einem Thema, das im Wirtschaftsmagazin behandelt wurde:



    Beeindruckend fand ich am 13.06.17 Ihren Bericht über die Fischerei im kommunistischen Rumänien, und zwar im Business Club. Die Fischerei des Landes hatte ja zur damaligen Zeit einen hohen Platz im Kommunismus. So sollen früher 6.000 Leute auf den Schiffen gearbeitet haben. Der Fang in den Ozeanen soll bei 150.000 Tonnen gelegen haben. Zudem wurden 100.000 t Fisch exportiert. Damals wurden in Rumänien 8-10 kg Fisch pro Kopf und Jahr gegessen. Bis jetzt soll die Produktion allerdings stark gesunken sein. Auch der Pro-Kopf-Fischverbrauch ist mittlerweile auf 4-5 kg pro Kopf und Jahr gesunken. So ändern sich die Zeiten durch die Marktwirtschaft. Die Rumänen essen zudem heute am liebsten Lachs und Forelle. Mir hat der Bericht sehr gut gefallen, da ich leider im damaligen Westdeutschland und auch heute an solche Informationen nicht drankam.




    Vielen Dank für Ihr Feedback, lieber Herr Pawelczyk. Ich möchte gerne auch den poetischen Gru‎ß verlesen, den Sie uns vor einigen Woche schickten:



    Zum bevorstehenden Sommer auch in Rumänien wünsche ich Ihnen und den Hörern alles Beste und möchte dies mit einem Sommergedicht von Johann Wolfgang von Goethe ausdrücken. Dies lautet (leicht gekürzt) so:



    Der Sommer folgt. Es wachsen Tag und Hitze,


    und von den Auen dränget uns die Glut; […]


    Der Donner rollt, schon kreuzen sich die Blitze,


    die Höhle wölbt sich auf zur sichern Hut.“




    Und schlie‎ßlich einen letzten E-Mail-Schreiber möchte ich zitieren. Christian Siebert meldete sich aus Berlin mit folgenden Zeilen:



    Liebe Redaktion,



    lange Zeit habe ich keinen Empfangsbericht mehr gesendet, obwohl ich nach wie vor einige Male pro Woche Ihr Programm höre. Heute habe ich RRI mit meinem Collins 51J-4 und einigen Metern Draht als Antenne im 4. Stock eines Berliner Mietshauses gehört. Ich hatte diesen gro‎ßen Empfänger wegen einer kritisch zu empfangenen Station ohnehin in Betrieb — für das starke, saubere Signal von RRI brauche ich ihn eigentlich nicht.



    Besonders interessant fand ich heute den Bericht über die neue Regierung, den Besuch des amerikanischen Präsidenten in Polen und die Energiepolitik. Au‎ßerdem die Digitalisierung des Gastgewerbes, die ja auch bei uns immer weiter voran geht und den Bericht über Theater auf dem Land.




    Auch Ihnen vielen Dank für das Feedback, lieber Herr Siebert.



    So, das war’s im letzten Funkbriefkasten vor der Sommerpause. In den folgenden Wochen werden Sie Wiederholungen hören, mit frischer Hörerpost melde ich mich wieder am 17. September. Ich werde natürlich nicht die ganze Zeit weg sein und zumindest E-Mails lese ich auch zwischendurch. Bevor es zur versprochenen Audiodatei geht, noch schnell die Postliste:



    Postbriefe erhielten wir von Brian Webb (Neuseeland), Christoph Paustian, Uwe Haferkorn, Michael Brawanski, Wolfgang Kühn und Georg Koch (alle aus Deutschland). E-Mails erhielten wir in den vergangenen zwei Wochen bis einschlie‎ßlich Freitagnachmittag von Dmitriy Kutuzov (Dmitrij Kutusow) aus Russland, Josef Robl aus Österreich, Michal Hudák aus Tschechien sowie von Werner Schubert, Bernd und Willi Seiser, Alexandru Buşneag, Burkhard Müller, Petra Kugler, Michael Willruth, Siegbert Gerhard, Andreas Pawelczyk und Christian Siebert (alle aus Deutschland).




    Und jetzt zur kleinen Sensation aus unserem Audioarchiv. Günter Grass hielt sich im November 1969 kurz in Bukarest auf. Anlass dazu war eine Literaturkonferenz des deutschen Germanisten und Komparatisten Eberhard Lämmert zum 20-jährigen Jubiläum der BRD und eine geplante Buch-Ausstellung mit zeitgenössischer deutscher Literatur. Doch dann kam es zu einem Eklat: Die rumänischen Behörden wollten aus Rücksicht auf das Bruderland DDR einige Bücher aus der Ausstellung herausnehmen — es ging namentlich um Autoren, die aus der DDR in die Bundesrepublik übersiedelt waren (oder rübergemacht hatten“, wie man damals sagte). Nach der Konferenz von Eberhard Lämmert sprach auch Günter Grass einige Minuten. Das Publikum war wohl sorgfältig ausgewählt worden, denn Grass amüsiert sich prächtig über die braven Zuhörer, die Professor Lämmert — anders als in Deutschland, wo die Jugend damals rebellierte — fast andächtig zugehört hatten. Und dann kam er nicht drum herum, als den Vorfall mit den Büchern zu erwähnen und als Zensur zu kritisieren. Daraufhin meldet sich eine Dame aus dem Publikum, vermutlich eine Lehrkraft der Bukarester Germanistik, und meint ziemlich linientreu“ (im Sinne der Kommunistischen Partei), dass das sozialistische Rumänien Rücksicht auf die internationale Politik nehmen müsse, gerade weil es im Vorjahr 1968 die bekannten Ereignisse“ in der Tschechoslowakei gegeben habe. Gemeint waren damit der Prager Frühling und der darauf folgende Einmarsch der Sowjettruppen in die Tschechoslowakei. Danach bricht die Aufzeichnung abrupt ab. (Mehr über die Hintergründe der Bukarester Literaturtagung ist einem interessanten Artikel von Ingmar Brandsch in der Siebenbürgischen Zeitung zu entnehmen.) Unser damalige Redakteur Jürgen Salzer war dabei in der Aula der Bukarester Jura-Fakultät und lie‎ß das Tonbandgerät laufen. Gut verstaut und in äu‎ßerst schlechtem Zustand fand ich das Band vor ca. zwei Jahren in einem Schrank. Für die Restaurierung des Tonbandes, die mir die anschlie‎ßende Digitalisierung ermöglichte, bedanke ich mich herzlichst bei Herrn André Huthmann vom Deutschen Rundfunkarchiv.



    Im Folgenden hören Sie die Wortmeldung von Günter Grass, aufgezeichnet am 6. November 1969 in Bukarest. Sorin Georgescu dankt Ihnen fürs Zuhören und wünscht Ihnen einen angenehmen Sommer.




    Audiobeitrag hören:




  • Rundfunkgeschichte: Auslandssendungen unter Zensur und Kontrollwahn in den 1950ern

    Rundfunkgeschichte: Auslandssendungen unter Zensur und Kontrollwahn in den 1950ern

    Die ersten offiziellen Sendungen in Fremdsprachen des Rumänischen Rundfunks wurden Anfang der 1930er Jahre konzipiert und waren als Informationsquelle für das Corps Diplomatique gedacht. 1932 bestanden die Sendungen aus kurzen Info-Meldungen, zunächst in französischer und englischer Sprache, später auch auf italienisch und deutsch, über die Reichtümer, die Wirtschaft, die Kultur und das Schaffen Rumäniens“. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hat einen Anstieg und eine Auffächerung der Informationen aus Rumänien in den Auslandssendungen in Fremdsprachen mit sich gebracht. Neben den Sendungen in deutsch, französisch, englisch und italienisch kamen noch andere in griechisch, türkisch, serbisch, russisch und später (1941-1942) in ukrainisch hinzu. In der Kriegszeit hatten diese Sendungen einen ausgeprägt propagandistischen Charakter, zur Unterstützung der militärischen Operationen und politischen Handlungen Rumäniens sowie zur Unterstützung der Achsenmächte, vorrangig Deutschlands, mit denen Rumänien verbündet war.



    Am 23. August 1944 wechselte Rumänien die Fronten und schloss sich den Alliierten an. Ende 1944 wurde ein neuer Sender namens Dacia Romana“ ins Leben gerufen, der in fünf Sprachen ausstrahlte: Deutsch, Englisch, Russisch, Französisch und Ungarisch. Das nach dem Krieg an die Macht gehievte kommunistische Regime markierte auch die Geschichte des Rumänischen Rundfunks dramatisch. Im Kalten Krieg und hinter dem Eisernen Vorhang wurden die Sendungen von Radio Bukarest für das Ausland zum Propaganda-Instrument degradiert. Trotzdem beinhalteten die Sendungen auch brauchbare bis genie‎ßbare, von der Zensur weniger bestimmte Inhalte über Freizeit und Tourismus, Kultur, Musik und Sport.



    1950 hatte Sergiu Levescu sein Abitur beim Französischen Lyzeum in Bukarest gemacht. Im selben Jahr erhielt er eine Stelle in der Französischen Abteilung des Rumänischen Rundfunks; das ging aber nicht so einfach, weil er nicht aus einer Arbeiterfamilie kam. 1998 erzählte Sergiu Levescu in einem Interview mit dem Zentrum für Mündlich Überlieferte Geschichte des Rumänischen Rundfunks über seine Position in der Redaktion und über die tägliche Arbeit in der Französischen Abteilung:



    Damals war das Personal nicht sehr zahlreich — es gab einen Abteilungschef, zwei Übersetzer und zwei Kontrolleure. Die Kontrolleure prüften und genehmigten die Texte, damit die französischen Übersetzungen mit den rumänischen Originaltexten übereinstimmten. Zu jener Zeit gab es keine redaktionelle Aktivität in den Fremdsprachenabteilungen — die Texte erhielten wir von zwei Hauptabteilungen, die für Beiträge zu Inlands- bzw. Auslandsthemen zuständig waren. Die Redakteure von diesen zwei Abteilungen verfassten Texte in rumänischer Sprache — Nachrichten, Kommentare und andere Beiträge, die wir in die jeweiligen Fremdsprachen übersetzten. Dann prüfte der Kontrolleur, ob die Übersetzung sprachlich korrekt und inhaltlich mit dem Originaltext konform war. Dann wurden die Texte an die Rundfunksprecher weitergegeben, die sie einsprachen. Alles wurde auf Tonband aufgenommen — Livesendungen in Fremdsprachen gab es damals nicht. Die übersetzten Texte wurden auf der Schreibmaschine in drei Exemplaren geschrieben. Ein Exemplar war für den Rundfunksprecher. Ein zweites Exemplar erhielt der Kontrolleur, der, nachdem er den Text geprüft und eventuell korrigiert hatte, neben dem Rundfunksprecher im Aufnahmestudio sa‎ß und ihm beim Einsprechen zuhörte, damit dieser nicht etwas sagt, was im Text nicht enthalten war. Und schlie‎ßlich kam das dritte Exemplar in die Hände einer Person, die eigentlich nicht zur Redaktion gehörte. Als die Sendung lief, sa‎ß diese Person in einem Büro, in einem anderen Teil des Rundfunkgebäudes, hörte die Sendung mit dem Text in der Hand und prüfte, ob alles, was der Sprecher gesagt hatte, mit dem geschriebenen Text übereinstimmte. Es wurde also eine mehrstufige Kontrolle der Sendungen durchgeführt.“




    1955 heiratete die Engländerin Marjorie Negrea den Rumänen Stavarache Negrea; beide lie‎ßen sich in Rumänien nieder und wurden Mitarbeiter der Englischen Abteilung. In einem Interview mit dem Zentrum für Mündlich Überlieferte Geschichte des Rumänischen Rundfunks von 1997 sprach Marjorie über ihre Tätigkeit als Rundfunksprecherin und Kontrolleurin:



    Kurz nachdem ich in Rumänien angekommen war, ging ich zum Zentralen Parteikomitee. Da sagte man mir, dass ich, wenn ich in Rumänien leben und arbeiten wollte, eine Empfehlung für Arbeit im Rundfunk und Fernsehen erhalten könnte — dort brauchte man nämlich Mitarbeiter, die Englisch sprachen. Ich musste ein paar Teste bestehen, ich korrigierte Texte mehrerer Übersetzer und dann wurde ich Rundfunksprecherin. In den darauffolgenden Jahren arbeitete ich auch als politische Kontrolleurin. Es war eine interessante Tätigkeit, ich prüfte, ob die Übersetzung in Sinne der damals vertretenen politischen Ideologie korrekt war. Ich konnte damals nicht sehr gut Rumänisch, es war manchmal schwer, aber ich hatte immer eine gute Arbeitsbeziehung zu den Kollegen.“




    In den 1950er Jahren, als sie im Rumänischen Rundfunk angestellt wurde, war Maria Lovinescu zuerst Redakteurin in der Auslandsredaktion der Fremdsprachenabteilungen und dann arbeitete sie in der Italienischen Abteilung. 1995 erinnerte sie sich an die Hörerbriefe:



    Am Anfang erhielten wir nicht sehr viele Hörerbriefe, aber mit der Zeit wurden es mehr, weil unsere Hörer viele Fragen über Rumänien hatten. Sie interessierten sich für die rumänische Volksmusik, für die rumänische Kultur. Wir sendeten viele Berichte über rumänische Ferienorte, über Regionen mit schönen Naturlandschaften, und unsere Hörer wollten wissen, wie man Rumänien besuchen könnte. Ich bin der Ansicht, dass sie sich weniger oder gar nicht für politische Aspekte interessierten. Falls sie sich für Politik interessierten, hatten sie direkte Informationsmittel, zum Beispiel Zeitungen.“




    Nach der antikommunistischen Revolution vom Dezember 1989 wurde aus Radio Bukarest Radio Rumänien International, eine Verjüngung des Personals vollzog sich rasch und der Auftrag bekam andere Dimensionen: der Wiederanschluss Rumäniens an die demokratische Staatengemeinschaft und die Wiederherstellung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Rumänien und den Auslandsrumänen.

  • Die Studentenpresse im kommunistischen Rumänien (II): Die Jahre 1970-1980

    Die Studentenpresse im kommunistischen Rumänien (II): Die Jahre 1970-1980

    In den 1950er Jahren und in der ersten Hälfte der 1960er Jahren haben die Steife und der Dogmatismus des Regimes der Presse einen militanten, aggressiven und hysterischen Ton vorgeschrieben. Die ideologische Entspannung Mitte der 1960er Jahre brachte auch im Bereich der Presse einen Wandel mit sich. Auch wenn die Ideologie und die Zensur nicht nachgegeben haben, wurde der Ton der Presse etwas moderater. Zugleich wuchs die Bedeutung der professionell geschriebenen Artikel.



    Die Studenten-Presse kopierte den Stil der zentralen Presse. Die Presse-Liberalisierung Mitte der 1960er Jahre erfasste insbesondere die Studenten-Presse, mit dem Ziel, die Tendenzen der neuen Generation zu beobachten. Es erschienen Zeitschriften, deren Qualität viel besser war als die ihrer Vorgänger. Die Zeitschrift Echinox erschien in Cluj-Klausenburg, Alma Mater und Opinia studenţească — Die Studenten-Meinung — in Iaşi. Constantin Dumitru war stellvertretender Chef-Redakteur bei der Opinia studenţească, die 1974 ins Leben gerufen wurde, und erinnert sich an die Reform der Studenten-Presse.



    Die Grundlagen der Stunden-Presse wurden 1968 geschaffen. Das war kein Zufall, es handelt sich um dieses wunderbare Jahr, das für Rumänien viel bedeutet hat. Natürlich kam die Studenten-Presse auch früher zum Ausdruck, 1964. Das war aber eine Kolchose-Variante, eine Pinnwand-Variante. Die echte Studenten-Presse entwickelt sich beginnend mit 1968. Ich muss Ihnen ehrlich gestehen, das alles geschah aufgrund einer Freigabe vom Zentralkomitee, von Ceauşescu persönlich. Er wollte damals wissen, wie die Leute frei denken. Es war ein Experiment, Ceauşescu wurde von Fachleuten beraten. Es war ein Moment, den ich auf eigener Haut erlebt habe, ein Moment der Freiheit der Presse, sogar der kommunistischen Presse. Sie konnten es sich nicht leisten, dieses Experiment bei der Parteizeitung »Scînteia« durchzuführen, das wäre unsinnig gewesen.“




    Der neue Stil der Presse im Kommunismus bedeutete auch eine Raffinierung der Zensurmethoden der Presse-Abteilung. Die Journalisten mussten einen subtileren Kampf führen. Constantin Dumitru:



    Die Zensur-Institution hie‎ß Presse-Abteilung. Dieser gehörten Fachleute an, die Texte entziffern konnten, um zu sehen, was sich dahinter versteckt. Sie sollten erfahren, ob die politischen Interessen des Kommunismus direkt oder indirekt gefährdet sind, ob diese Interessen nicht unterschwellig getroffen werden. Leider arbeiteten in der Presse-Abteilung, mit einigen Ausnahmen, Dummköpfe. Als Studenten machten wir uns immer wieder lustig über sie. Wir tricksten sie aus, wann immer wir auch konnten. Sie waren dumm und ungebildet.“




    Eine hinterhältige Ma‎ßnahme des Regimes war die Übergabe der Zensur-Aufgaben an die Chef-Redakteure. Dennoch gab es auch gravierende Abweichungen. Constantin Dumitru:



    Die Kommunistische Partei hat eine geniale Ma‎ßnahme getroffen. Die Zensur gab es, als ich mit 18 Journalist wurde. Dann gab es diese nicht mehr. Warum? Weil die Kommunistische Partei intelligent genug war, diese abzuschaffen. Sie haben uns, Chef-Redakteure und stellvertretende Chef-Redakteure, einbestellt und haben uns gesagt: ‚Genossen, ab heute gibt es keine Zensur mehr.‘ Wir waren so froh! Ihr werdet die Zensur sein, haben sie uns dann gesagt. Da verschwand gleich unsere Freude! In der Regel war das Wort des Chef-Redakteurs entscheidend, keiner kontrollierte den Chef-Redakteur-Genossen. Die Zensur wurde nur dann sehr aufmerksam, wenn es sich um etwas Offensichtliches handelte. Ceauşescu sollte in Pressebildern nicht mit einem Schiff im Hintergrund erscheinen, mit sichtbarer Glatze oder von der Seite, was den Eindruck der Einäugigkeit hätte erwecken können. Es gab aber auch Probleme. So zum Beispiel kam ein französischer Staatspräsident zu Besuch, der gro‎ßwüchsig war und er wurde von Ceauşescu am Flughafen empfangen. Er hielt seinen Hut in der Hand. Das Foto war lächerlich. Der Franzose war richtig hochwüchsig. Dann haben die Genossen Ceauşescu auf dem Foto einen Hut auf den Kopf gesetzt, sie haben aber vergessen, den Hut in der Hand wegzuretuschieren. So erschien er in der Scînteia-Zeitung mit zwei Hüten. Mit dem einen auf dem Kopf und dem anderen in der Hand. Ein paar Genossen wurden entlassen. Die Dummheit nahm die Stelle der Freiheit ein. Es gab keine Absichten, eine Revolution zu entfachen, man hat öfters einfach Fehler begangen.“




    Heute meint Constantin Dumitru, man habe trotz der Strenge der Zensur als ehrenhafter Journalist tätig sein können. Das hing aber auch vom Gewissen der Journalisten ab.



    Zumindest bei der »Opinia studenţească« haben wir keine Propaganda gemacht. Die Leitartikel könnte ich auch heute veröffentlichen, ich befürchte, sie sind sogar besser als die von heute. Auch »Echinoxul« hatte qualitative Leitartikel. Andere verstanden die Leitartikel als eine Fassade, hinter der sie was immer sie auch wollten schrieben. In Leitartikeln schrieb man Lobgesänge auf das Regime. In der Studenten-Presse ist das nicht passiert. Wir beschäftigten uns nicht mit der Politik. In der »Opinia studenţească«, die ich zwischen 1974 und 1975 geleitet habe, gab es nicht einmal einen Artikel, in dem das Regime gelobt wurde. Nicht mal eine Zeile. Es war also möglich.




    Die Presse der 1970er-80er Jahre war repräsentativ für die politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lage der Epoche. Die Geschichte hat es als ein Kapitel eines abscheulichen Regimes verzeichnet, in der die Gesellschaft andere Erwartungen hatte.



    Deutsch von Alex Grigorescu



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  • Rumänien in den 1980er Jahren: Briefe im Visier der Securitate

    Rumänien in den 1980er Jahren: Briefe im Visier der Securitate


    Wer das zugängliche Archiv eines Geheimdienstes erforscht, erwartet, Details über die informative Arbeit eines (totalitären) Staates, über geheime Missionen und über diplomatische Hintergründe und politische Interessen zu finden. Wie auch andere Institutionen der kommunistischen Regimes hatte die rumänische Sicherheitspolizei, die Securitate, als Ziel, die Gesellschaft komplett zu kontrollieren.


    Der Briefverkehr stellte eine beliebte Informationsquelle der Securitate dar. Der Repressionsapparat wusste genau, wie er in der dunkelsten Periode der jüngsten rumänischen Geschichte auf bestimmte soziale Verhaltensweisen zu reagieren hatte.


    Liviu Ţăranu, Forscher bei der Behörde für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs (CNSAS), ist der Autor des Bandes Românii în Epoca de Aur. Corespondenţă din anii ’80“ (Die Rumänen in der Goldenen Epoche. Briefwechsel aus den ’80er Jahren“). Der Ausdruck Goldene Epoche“ war eine Schöpfung der kommunistischen Propaganda. Er sollte die hervorragende Leistung Rumäniens unter seiner weisen“ Leitung aufzeigen. Die wirkliche Lage war jedoch genau das Gegenteil: eine tiefe materielle und spirituelle Krise.


    Im erwähnten Band ist ein Teil der Briefe veröffentlicht, die von rumänischen Bügern an staatliche Behörden in den 1980er Jahren verschickt wurden. Darin ging es meistens um Beschwerden mittelloser oder gro‎ßköpfiger Familien über die Versorgungsengpässe, die häufigen Stromausfälle, die hohen Preise und die Unsicherheit des Arbeitsplatzes. Die Securitate kontrollierte in den damaligen Jahren die Zuschfriften aufs Strengste: Wurde der Ton als regimefeindlich eingestuft, erreichten die Briefe den Empfänger nicht mehr. In der Audiodatei erläutert Liviu Ţăranu die Stimmung im Rumänien der 1980er Jahre und die Methoden der Securitate, Briefe an die Staats- und Parteileitung zu filtern.


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