Tag: Zentralkomitee

  • Bukarest Souterrain – Unter den Straßen der rumänischen Hauptstadt

    Bukarest Souterrain – Unter den Straßen der rumänischen Hauptstadt

    Bukarest hat eine spannende Geschichte, und besonders faszinierend ist die Geschichte der Stadt unter der Stadt, die Geschichte der Souterrains. Stra‎ßen, Tunnel, unterirdische Flüsse, Bunker, Katakomben, riesige Hallen voller Geheimnisse, Labyrinthe — eine wenig bekannte Schattenwelt unter der Hauptstadt Rumäniens. Mit ihrer blühenden Phantasie haben viele Parapsychologie-Fans das Mythos einer parallellen Stadt geschaffen — abgesehen davon gibt es aber in der Tat ein unterirdisches Bukarest mit spektakulären Souterrains.



    Unter den Stra‎ßen und den Gebäuden von Bukarest sind im Laufe der Zeit Souterrains zu ganz bestimmten Zwecken entstanden. Im Mittelalter bauten die Weinproduzenten und die Weinhändler gewaltige Keller, um den Wein in riesigen Fässern zu lagern. Diese Weinkeller waren so gro‎ß, da‎ß Weinkarren dadurch fahren konnten. Im 19. Jh. entstanden gro‎ße Gebäude mit Fluchttunneln. Ein Beispiel dafür ist der 1 Kilometer lange Tunnel vom Palast Ghica-Tei, im Nordosten Bukarests, der bis zum Kloster Plumbuita führt. Im Zentrum der Stadt, im Nordwesten des Parks Cişmigiu, befindet sich die Kirche Schitu Măgureanu — sie ist durch mehrere Souterrains mit dem Kretzulescu-Palast verbunden, der etwa 100 Meter ostwärts entfernt liegt. Die wichtigsten Bukarester Souterrains sind aber diejenige, die unter dem Revolutionsplatz in der Stadtmitte laufen.



    Augustin Ioan ist Professor für Architekturgeschichte an der Bukarester Hochschule für Architektur und Städtebau. Er erläutert die Gründe, warum die Bukarester Souterrains nicht als praktische, zweckmä‎ßige Bauten, sondern eher als geheimnisumwobene Stadtgeschichte attraktiver wurden:



    Das Thema ‚Souterrains‘ ist ein interessantes Thema, das in der Geschichte Bukarests immer wieder auftaucht. Es gab eine richtige Souterrain-Besessenheit, man wollte geheime Fluchtwege zur Verfügung haben, falls das osmanische Heer die Stadt besetzen sollte. Wie alle Städte au‎ßerhalb der Karpaten durfte auch Bukarest keine Festungsanlagen haben — die osmanische Verwaltung hatte es verboten. Die von der Hohen Pforte ernannten Herrscher lebten in der ständigen Furcht, eines Tages abgesetzt zu werden, was in der Regel einer Hinrichtung gleich war. Deshalb wollten sie Fluchttunnel haben, um sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Im 18. Jh. lie‎ß Fürst Alexandru Ipsilanti einen mehrere Kilometer langen Tunnel bauen, der vom offiziellen Fürstenpalais auf der Calea Victoriei bis zu seiner eigenen Residenz, in der Gegend des heutigen Parlamentsgebäudes, führte. Es gibt viele Geschichten über die Bukarester Souterrains. Unter dem Ghica-Palast existiert mit Sicherheit ein Tunnel, er ist gro‎ß genug, damit eine gro‎ße Kutsche dadurch fahren kann.“



    1989 waren die Bukarester Souterrains plötzlich zum Hauptthema der Öffentlichkeit geworden; die radikalen Änderungen, mit denen die rumänische Gesellschaft konfrontiert wurde, führten zu einer wahren Psychose — man fühlte sich ständig von Terroristen“ bedroht, die sich unerkannt und ungestört durch geheime Souterrains bewegten und jeden einfachen Bürger ermorden konnten. Augustin Ioan kennt viele Geschichten, die ihm von sog. Zeitzeugen“ als durchaus wahre Begebenheiten erzählt wurden:



    Die Bukarester Souterrains, die geheimen Tunnel unter der Stadt, wurden in den bewegten Tagen der rumänischen Revolution zum wichtigen Gesprächsthema. Man sprach ständig von Terroristen, wie sie aus dem Nichts auftauchten und wieder verschwanden, es wurden auch einige Falltüren am heutigen Revolutionsplatz entdeckt, die zu den Tunneln unter dem Gebäude des damaligen Zentralkomitees der Kommunistischen Partei führten. Diese Geschichten sind bis heute nicht geklärt worden, sie gehören inzwischen zu einer sog. ‚Mythologie‘ der rumänischen Revolution. Es handelte sich um eine Massenobsession, die psychologisch erklärbar ist. In diesem Zusammenhang agiert die Massenpsychologie — die Geschichten um das ehemalige ‚Haus der Republik‘ oder ‚Haus des Volkes‘, das heutige Parlamentsgebäude, sind das beste Beispiel dafür. Die geheimen Tunnel unter dem Gebäude, die nur die Eingeweihten kennen, funktionieren im Unterbewu‎ßtsein der Bürger wie das Thema des Menschenopfers in der Ballade ‚Meister Manole‘“.



    Die Ballade vom Maurermeister Manole erzählt, da‎ß der Schwarze Prinz in einem schönen Tal ein Kloster errichten wollte. Als er einen Schäfer sieht, der auf seiner Flöte spielt, fragt der Prinz ihn, ob er nicht auf seinem Weg irgendwo verlassene Mauern gesehen habe, die nicht fertig gebaut wurden. Dieser entgegnet, da‎ß er welche gesehen hat. Und da‎ß bei deren Anblick seine Hunde heulen, als ob der Tod sie verfolgen würde. Der Schwarze Prinz zeigt Meister Manole und den anderen neun Maurern die Mauern und trägt auf, hier das schönste Kloster auf Erden zu errichten.



    Das, was sie tagsüber bauen, stürzt jedoch nachts immer wieder ein, so da‎ß der Prinz ungeduldig wird und ihnen droht, sie lebendig einzumauern. Manole erfährt in einem Traum, da‎ß die Mauern stehen bleiben, wenn sie die Frau, Schwester oder Braut einmauern, die am nächsten Morgen als erste auf der Baustelle ist. Am nächsten Morgen sieht er jedoch schon von weitem, da‎ß es seine Frau ist, die als erste kommt. So bittet er Gott, er möge es so heftig regnen lassen, da‎ß die Flüsse über die Ufer steigen und sie nicht mehr weiterkommt. Gott hat Erbarmen und lässt es regnen. Sie kämpft sich aber durch. Da bittet er Gott um einen Sturm. Sie kommt aber auch dort hindurch und kommt erschöpft an. Alle anderen Maurer sind erleichtert, als sie die Frau sehen. Er sagt zu ihr, da‎ß sie Spa‎ß machen wollen und sie einmauern. Die Mauer wächst und die Frau lächelt nicht mehr und meint, da‎ß die Mauer sie erdrückt. Manole arbeitet aber stumm weiter. Sie fleht ihn an, da‎ß die Mauer ihre Brust und ihr ungeborenes Kind erdrückt. Er baut sie aber komplett ein und hört sie nur noch seufzen, da‎ß ihr Leben erlischt.



    Das Kloster, schön wie kein Zweites auf dieser Erde, wird fertig gestellt. Der Prinz kommt und bewundert es und fragt die Maurer, ob sie ein noch schöneres bauen könnten, was diese bejahen. Daraufhin wird er wütend und lä‎ßt das Gerüst wegnehmen, damit die Maurer auf dem Dach elendig sterben. Sie aber machen sich Flügel aus Schindeln, um herunterzuspringen, sterben jedoch alle. Als Manole springen will, hört er eine erstickte Stimme aus der Mauer: Die Mauer erdrückt mich.“ Da erfa‎ßt ihn gro‎ßer Gram, und er stürzt in den Tod. An der Stelle, wo er aufschlägt, entspringt sofort eine Quelle, aber ihr Wasser ist bitter wie die Tränen.



    Die Legende des Meisters Manole lebt noch in der modernen Zeit. Ein Offizier, der bei den Bauarbeiten zum Haus des Volkes“ anwesend war, erzählte, er habe selbst gesehen, wie ein Arbeiter in ein Betonfundament geworfen und dort eingemauert wurde. Nach 1989 sprach man über diesen Fall, eine Familie hätte damals bitter geweint. Es gibt oft Zeitzeugenerzählungen, die repräsentative Prachtbauten mit solchen Gründungsmythen in Verbindung bringen.



    Zum Bukarester Parlamentsgebäude, dem ehemaligen Haus des Volkes“, und seinen geheimen Souterrains gibt es noch eine spannende Geschichte. Anfang der 1990er Jahre ging Augustin Ioan mit einer Gruppe von Journalisten zum untersten Gescho‎ß des Palastes. Dort machte die Architektin Anda Ştefan verblüffende Bildaufnahmen, die in einer Ausstellung öffentlich gemacht wurden. Augustin Ioan:



    Im Souterrain trafen wir auf einige Arbeiter, die ein Spa einrichteten, sie brachten Keramikfliesen an den Wänden. Auf die Frage, wer die Arbeiten angeordnet habe, wollten sie nicht antworten. Keiner wollte zugeben, da‎ß er einen Auftrag und Geld dafür bekommen hätte. Um zu beweisen, da‎ß er nichts zu verbergen hat, führte der Verwalter die Journalisten und ein Fernsehteam bis zum untersten Gescho‎ß des Gebäudes. Dort war es vollkommen dunkel, das einzige Licht kam von den Aufnahmekameras. Eine Architektin machte auch Fotos mit Blitzlicht, aber sie sah gar nichts, sie nahm blo‎ß Bilder in voller Finsternis auf. Erst später, auf den fertigen Bildern, sah man, da‎ß an den Wänden Anarchisten-Sprüche und Freimaurer-Symbole gemalt waren, an einem Ort, wo niemand gelangen konnte — und wäre jemand dorthin gelangt, so hätte man da nichts tun können. Das Untergeschoss war voller Abfälle — am liebsten hätte man dort saubermachen sollen.“



    Geheimnisse und Mysterien sind immer interessanter als die banale Wirklichkeit, und die Mischung von Realität und Phantasie macht gerade den Charme der Geschichte Bukarests aus.



    Audiobeitrag hören:



  • 24 Jahre seit Ausbruch der rumänischen Revolution

    24 Jahre seit Ausbruch der rumänischen Revolution

    Am 16. Dezember ist im westrumänischen Timişoara (zu dt. Temeswar) der antikommunistische Aufstand ausgebrochen. Das an der Grenze zu Ex-Jugoslawien gelegene Temeswar stand damals gefühlt bereits im Einklang mit den jüngsten Änderungen in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und der DDR, wo — unter dem Druck des Volkes und vom sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow angetrieben — die Diktatoren kommunistischer Staaten sich mit dem Rücktritt und der gewaltlosen Machtübergabe abfinden mussten. In Bukarest wurde hingegen der Diktator Nicolae Ceauşescu, selbst wenn auf internationaler Ebene immer mehr isoliert und beim Volk verhasst, beim Kongress im November 1989 als Führer der kommunistischen Partei erneut einstimmig im Amt bestätigt.



    Die Propaganda, die den Personenkult des kommunistischen Diktators nährte, war vom Alltag der Rumänen stets widerlegt. Auslöser der rumänischen Revolution war dennoch der Beschluss der Temeswarer Behörden, den regimekritischen evangelisch-reformierten Pfarrer ungarischer Abstammung László Tőkés aus der Stadt auszuweisen. Menschen begannen sich vor dem Haus des Pfarrers zu sammeln. Hunderte Temeswarer schlossen sich ferner der Gruppe an, um den Pfarrer zu unterstützen und zum ersten Mal sogar gegen das kommunistische Regime zu protestieren. Dies führte anschlie‎ßend zu den ersten Zusammenstö‎ßen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Einer der Demonstranten erinnert sich daran:



    Wir haben gefühlt, dass es an der Zeit war, etwas für das rumänische Volk zu tun. Das wichtigste ist, wir haben wir Schritt nach vorne in Richtung Freiheit und Demokratie gewagt.“



    Das Regime reagierte rücksichtlos und die Armee eröffnete das Feuer auf die unbewaffneten Demonstranten, kurz danach lehnte die Armee den weiteren Schie‎ßbefehl des Diktators ab und stellte sich auf Seiten des Volkes. Temeswar wurde am 20. Dezember offiziell die erste kommunismusfreie Stadt Rumäniens. Der Aufruhr breitete sich schnell im ganzen Land aus und erreichte seinen Höhepunkt in Bukarest, wo Tausende Menschen zu einer vorgeplanten Versammlung aufgerufen worden waren. Der Diktator wurde aber ausgebuht und die Bukarester drangen in das Erdgeschoss des Zentralkomitee-Gebäudes ein. Am 22. Dezember verlie‎ß das Diktatorenpaar Bukarest in einem Hubschrauber. Nicolae und Elena Ceauşescu wurden schlie‎ßlich in Tîrgoviste verhaftet und durch ein Militärtribunal in einem Schnellverfahren zum Tod verurteilt.