Tag: Zivilbevölkerung

  • Wehrfähigkeit: Kommt der freiwillige Wehrdienst?

    Wehrfähigkeit: Kommt der freiwillige Wehrdienst?

     

    Befeuert hatte die Diskussion der Generalstabschef der rumänischen Streitkräfte, der mit ungewöhnlich deutlichen Worte Politik und Öffentlichkeit aufhorchen ließ. In einem Interview mit einem Radiosender hatte er unlängst gesagt, dass die rumänische Bevölkerung durchaus einen Grund zur Besorgnis haben sollte und dass der Staat seine Bürger auf ein unerwünschtes Szenario wie einen Krieg vorbereiten müsste. General Gheorghiță Vlad hatte auch darauf hingewiesen, dass der Truppenbestand der Streitkräfte zahlenmäßig bei weitem nicht ausreiche und dass die Reservisten zu alt seien, um im Falle eines Krieges an der Front zu kämpfen.

    Die Politik reagierte unwirsch auf die Einlassungen des Generals – mehrere Politiker bezeichneten ihn als einen Panikmacher, der seine Befugnisse überschritten habe. Doch im Stillen müssen sie ihm wohl zugestimmt haben, denn derzeit arbeitet die Politik an der Aktualisierung der Rechtsvorschriften über die öffentliche Wehrbereitschaft. Ein Gesetzentwurf, der bereits 2019 vom Verteidigungsausschuss initiiert worden war befindet sich seit 2022 im interministeriellen Genehmigungsverfahren. Darin wird vorgeschlagen, dass Personen zwischen 18 und 35 Jahren mit ständigem Wohnsitz in Rumänien unabhängig von ihrem Geschlecht auf freiwilliger Basis an einem maximal viermonatigen militärischen Grundausbildungsprogramm teilnehmen können. Dort können sie den Umgang mit verschiedenen Waffentypen erlernen sowie an Feldorientierungs-, Dekontaminations- und Erste-Hilfe-Kursen teilnehmen. Während dieser Zeit erhalten sie kostenlose Unterkunft, Verpflegung und Ausrüstung sowie ein monatliches Entgelt in Höhe von umgerechnet rund 600 €, was dem Sold der dienenden Soldaten entspricht.

    Am Ende des Programms gibt es einen Bonus von drei Bruttodurchschnittsgehältern. Auch Studenten könnten Praktika absolvieren, um grundlegende militärische Fähigkeiten zu erwerben, wenn sie dies während der Universitätsferien wünschen. Alle, die ein freiwilliges Ausbildungsprogramm absolvieren, würden entweder die Mobilisierungsreserve der rumänischen Streitkräfte aufstocken oder könnten an einem Auswahlverfahren teilnehmen, um Berufssoldaten mit einem Arbeitsvertrag in der Armee zu werden.

    Das Militär macht sich nach wie vor stark für die militärische Ausbildung auf Volontariatsbasis, während die Politik beteuert, dass es keineswegs um die Wiedereinführung der Wehrpflicht geht. Und Premierminister Marcel Ciolacu beschwichtigt, dass von Russland keine unmittelbare Gefahr für Rumänien ausginge:

    Jedes Land muss auf das Schlimmste vorbereitet sein. Es gibt aber keinen Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, denn von Russland kommt derzeit keine Bedrohung. Wir müssen also ein normales Land sein und vorsorglich auf eine freiwillige und bezahlte militärische Ausbildung zählen, in der die Bevölkerung die Grundsätze der Verteidigung lernt. Es muss also allen klar sein, dass der Krieg vor der Haustür keine Bedrohung für Rumänien ist. Es wird keinen Krieg gegen Rumänien geben!“

    Das Gesetz über den freiwilligen Wehrdienst soll bis Juni vom Parlament verabschiedet werden. Rumänien hat derzeit einen Mangel sowohl an aktiven Soldaten als auch an Reservisten. Das Land könnte sich im Bedarfsfall auf etwa 70 000 aktive Kader und Berufssoldaten stützen, während es in den 1990er Jahren noch mehr als 300 000 waren. Die natürlich alternde Reserve setzt sich hauptsächlich aus den Menschen zusammen, die bis 2007 ihren Wehrdienst geleistet hatten, als die Wehrpflicht im Zuge des Nato-Beitritts ausgesetzt wurde. In einem Interview mit Radio Rumänien erklärte Generalleutnant a.D. Virgil Bălăceanu, Präsident der rumänischen Vereinigung der Reserveoffiziere, wie es zur heutigen Situation gekommen ist:

    Länder wie Polen haben seit der Aussetzung der Wehrpflicht den Bedarf an einer frischen, jungen und ständig ausgebildeten Reserve erkannt. In Rumänien hingegen spielte die Reserve nach der Aussetzung der Wehrpflicht keine Rolle mehr. Die politischen Maßnahmen sind in dieser Phase überfällig, und ich möchte Ihnen ein Beispiel geben, das dies belegt. Polen hat das Gesetz über die freiwilligen Reservisten im Jahr 2009 verabschiedet, als es die Wehrpflicht aussetzte. Rumänien führte ein solches Gesetz erst zehn Jahre nach Aussetzung der Wehrpflicht ein. Und jetzt erleben wir eine zweijährige Verzögerung bei der Verabschiedung eines Gesetzes über die Vorbereitung der Zivilbevölkerung auf die Verteidigung. Und ebenso haben wir eine Verzögerung bei der Einführung der freiwilligen und bezahlten Militärausbildung, was als unverantwortlich bezeichnet werden muss. Die Dinge sind in gewisser Weise auf das Missverständnis zurückzuführen, das sowohl in der Politik als auch bei einigen Spitzenvertretern der Streitkräfte nach der Aussetzung der Wehrpflicht herrschte, nämlich dass die Reserve nicht notwendig sei, dass die Reservisten nicht mehr so wichtig seien. Es ist höchste Zeit, dies zu ändern, und nur die verantwortungsvolle Position von General Vlad, dem Generalstabschef, hat nun einen Prozess in Gang gesetzt, der schon vor zwei Jahren hätte beginnen sollen.“

     

    Eine auf der Straße durchgeführte Blitz-Umfrage unter Jugendlichen zeigt, dass die Meinungen sehr auseinanderdriften und die Kampfeslust sich eher in Grenzen hält:

    Es ist meine Heimat, ich würde also wahrscheinlich kämpfen, wenn es darauf ankommt.“ „Na klar würde ich für mein Land kämpfen, hier haben alle meine Vorfahren gelebt.“ „Ich würde nicht zur Waffe greifen, würde mich irgendwie drücken, weil ich Angst vor dem Krieg habe.“ „Ich wünschte, dass wäre nicht notwendig, aber wenn’s darauf ankommt, werde ich sehen.“ „Ich bin eher ein Pazifist, aber wenn mich das Land braucht, werde ich dafür einstehen.“

    Eine kürzlich durchgeführte professionelle Umfrage unter der Gesamtbevölkerung zeigt ein ähnlich gemischtes Bild. Die Mehrheit der Rumänen (71 %), ist der Meinung, dass die rumänische Armee im Falle eines Angriffs nicht in der Lage wäre, das Land zu verteidigen. Auf die Frage, ob sie bereit wären, an militärischen Ausbildungskursen teilzunehmen, stimmten 37 % der Befragten zu, 57 % lehnten dies ab. Bei der gleichen Frage sind 14 % der 18- bis 35-Jährigen dafür, während 77 % dagegen sind. Und 69 % der Gesamtbevölkerung glauben, dass das Nordatlantische Bündnis zu Hilfe kommen würde, da die NATO-Mitgliedschaft Rumänien die stärksten Sicherheitsgarantien in der Geschichte des Landes gewährleistet. Militärexperten weisen jedoch darauf hin, dass Rumänien zwar Teil des Bündnisses ist, die Nato aber im Falle einer Gefahr nicht wie bei einem Anruf über die Notrufnummer 112 reagieren könne, um innerhalb von Minuten einzugreifen.

  • Zweiter Weltkrieg: Erdölfelder im Prahova-Tal unter Bombenangriffen der Alliierten

    Zweiter Weltkrieg: Erdölfelder im Prahova-Tal unter Bombenangriffen der Alliierten

    Die 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bukarest gelegene Stadt Ploieşti, Hauptstadt des Kreises Prahova und der gleichnamigen Ölregion, einer Region, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für Glück und Wohlstand der Stadt sorgte, befand sich während des Zweiten Weltkriegs inmitten von Turbulenzen. In der Tat war die Ausbeutung des schwarzen Goldes der Hauptvorteil, den Rumänien auf den Tisch gelegt hatte, als es im Juni 1941 den Bündnisvertrag mit Nazi-Deutschland unterzeichnete. Es war das rumänische Erdöl, das die deutsche Kriegsmaschinerie am meisten brauchte. Nachdem Rumänien ein Verbündeter Deutschlands geworden war, befand es sich bald im Krieg mit den ehemals verbündeten Mächten, wie Gro‎ßbritannien und den Vereinigten Staaten.



    Die ölreiche Prahova-Region zog jedoch nicht nur die Begehrlichkeiten des deutschen Verbündeten auf sich, sondern auch den Zorn und die Bomben der feindlichen Flugzeuge. Die ersten Versuche, das Prahova-Ölgebiet und die Stadt Ploieşti zu bombardieren, wurden im Sommer 1941, gleich nachdem Rumänien in den Krieg gegen die UdSSR eingetreten war, von der sowjetischen Luftwaffe unternommen. Der Historiker Lucian Vasile, Autor einer Monographie über die Stadt Ploieşti, analysiert die Auswirkungen der Angriffe, die von den Flugzeugen der feindlichen Mächte zwischen den Jahren 1941 und 1944 gegen die Stadt verübt wurden:



    Es gibt keinen möglichen Vergleich zwischen der Gewalt der sowjetischen Angriffe im Jahr 1941 und der der amerikanischen Luftwaffe, drei Jahre später. Die Auswirkungen der sowjetischen Angriffe waren gering. Die sowjetischen Bombenangriffe, die mit ein paar Dutzend eher groben Flugzeugen durchgeführt wurden, kratzten kaum an der Stadt Ploieşti. Sie hatten es nur geschafft, ein paar Dutzend Bomben innerhalb der Stadt abzuwerfen. Es hatte einige Opfer in der Zivilbevölkerung gegeben, und einige der Raffinerien hatten kleinere Schäden erlitten. Und diese Razzien dauerten nicht länger als ein paar Wochen. Als sich die Front entfernte, war die Stadt Ploieşti bald au‎ßerhalb der Reichweite der sowjetischen Bomber.“




    Doch im Dezember 1941, nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor und dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, musste Rumänien angesichts des Bündnisspiels den Amerikanern den Krieg erklären. Und von diesem Moment an ändern sich die Daten des Problems völlig, denn die Vereinigten Staaten wollen um jeden Preis die Versorgungskapazitäten Deutschlands und seiner Verbündeten in Sachen Treibstoff vernichten. So fand der erste amerikanische Angriff auf die Stadt Ploieşti im Juni 1942 statt, durchgeführt von Staffeln, die in Nordafrika, in Benghazi, Libyen, stationiert waren. Lucian Vasile kennt diese erste Konfrontation zwischen den amerikanischen Piloten und den Verteidigern der Stadt Ploieşti:



    Der erste amerikanische Überfall, der 1942 stattfand, hatte sich als ein tagsüber durchgeführter Angriff materialisiert. Die Amerikaner hatten diese Lösung vor allem gewählt, um die Chancen zu erhöhen, ihre Ziele zu treffen. Natürlich riskierten sie, ihre Piloten zu enttarnen, und es war wahrscheinlicher, dass sie von der Flugabwehr der Stadt abgeschossen werden. Die Briten hingegen entschieden sich für einen Angriff bei Nacht. Das war zwar weniger zielsicher, doch sicherer für ihre Piloten, die unversehrt wieder zurückfliegen konnten.“




    Die unter deutschem Kommando organisierte Flugabwehr umfasste mehrere hundert Flugabwehrgeschütze und Dutzende von Kampfflugzeugen. Die im August 1943 durchgeführte Operation Tidal Wave“, an der 170 amerikanische schwere Bomber vom Typ B-24 Liberator teilnahmen, scheiterte am erbitterten Widerstand der gemeinsamen rumänisch-deutschen Verteidigung, der es gelang, 53 Flugzeuge abzuschie‎ßen, 440 amerikanische Soldaten zu töten und 220 Gefangene zu machen. Die Operation Tidal Wave“ galt später als einer der bittersten Misserfolge der amerikanischen Luftwaffe während des Zweiten Weltkriegs. Aber es sollte nicht lange so bleiben. Im Frühjahr 1944 konnte sich die amerikanische Luftwaffe tatsächlich rächen. Lucian Vasile, Monograph der Stadt Ploieşti, mit Einzelheiten:



    Die Bombenangriffe von 1944 haben die Stadt in Stücke gerissen. Die Industrie wurde hart getroffen, und auch die Wohngebiete. Ein Achtel der Gebäude wurde in Schutt und Asche gelegt, ein Drittel der Stadt wurde getroffen. Der Angriff im Mai 1944 zielte auf das Zentrum der Stadt. Der Feind wollte Schrecken verbreiten, die Moral der Einwohner brechen, ihre Rebellion provozieren, damit sie Sabotageakte produzieren, um so die Reaktionsfähigkeit der Stadtverteidigung zu verringern.“




    Aber der Krieg ist die Quelle aller Schrecken und Fehler. Eines der letzteren: die versehentliche Bombardierung und Zerstörung des Armenviertels der Stadt, des Mimiu-Viertels, das hauptsächlich von Roma-Bevölkerung bewohnt war. Lucian Vasile:



    Mimiu war ein Randbezirk, der an die Stadt angrenzte. Es wurde nicht per se angegriffen, sondern befand sich vielmehr in der Position eines Kollateralopfers, eines Opfers ihrer Armut. Wissen Sie, von Beginn des Krieges an gab es eine nächtliche Ausgangssperre, aber auch Tarnungen, weil wir Angst vor nächtlichen Angriffen hatten. So wurde alles in Dunkelheit getaucht, auch die Fabriken, die Raffinerien, mit einer Ausnahme: der Bezirk Mimiu. In der Tat zeigte die Analyse der Situation, die im Winter 41/42 durchgeführt worden war, dass nur der Bezirk Mimiu vom Himmel aus sichtbar war. Das lag daran, dass die Bewohner aufgrund ihrer Armut einen neuen Brennstoff zum Heizen verwendeten, nämlich mit Erdölprodukten getränkte Erde. Sie hatten kein Holz zum Heizen. Und so wurde in der Nacht die ganze Stadt in Dunkelheit getaucht, während der Stadtteil Mimiu mit tausend Lichtern erstrahlte. Dies war fatal für die Einwohner.“




    Am 23. August 1944 brach Rumänien sein Bündnis mit Nazi-Deutschland. Danach hörten die Bombenangriffe, die die Stadt Ploieşti in Trauer stürzten, endgültig auf. Auch die Ölindustrie kehrte zu einem Anschein von Normalität zurück, während die Menschen noch auf das Ende des Unglücks hofften, das der Zweite Weltkrieg für alle Zeitgenossen war.

  • 30 Jahre seit den Bergarbeiter-Unruhen in Bukarest

    30 Jahre seit den Bergarbeiter-Unruhen in Bukarest

    Die damaligen Ereignisse bewiesen, dass eine Gesellschaft, die frisch einem totalitären politischen Regime entronnen war, noch die Dämonen der Vergangenheit bekämpfen musste, bevor sie vollständig heilen konnte. Im Juni 1990 wurde Bukarest von den Bergarbeitern gestürmt, um die damals regierende Nationale Rettungsfront gegen die Oppositionsparteien zu unterstützen. Unter anderem waren die Bergarbeiterunruhen in der Tat eine Manifestation von Hass und Intoleranz gegenüber dem demokratischen Pluralismus, der damals in Rumänien nur sehr mühsam zum Zuge kam. Vor dem Hintergrund der Protestkundgebungen der Opposition im April 1990 und nach den Wahlen vom 20. Mai 1990, die von der Nationalen Rettungsfront haushoch gewonnen worden waren, stiegen die Spannungen buchstäblich in die Höhe. Die staatlichen Institutionen versuchten die Protestkundgebungen auf dem Universitätsplatz zu untersagen, was den Beginn dreitägiger gewalttätiger Zusammenstö‎ße bedeutete, die schlie‎ßlich sechs Menschenleben forderten und 750 weitere Verletzte hinterlie‎ßen.



    Was zwischen dem 13. und 15. Juni geschah, war ein einzigartiges Ereignis. Der Historiker Cristian Vasile erläutert, was an diesem Ereignis so einzigartig war.



    Einige Historiker stellten es vor dem Hintergrund der Zeitspanne unmittelbar nach dem Kommunismus in Rumänien und beschrieben es als die letzte Repression kommunistischen Ursprungs, die in diesem Land stattgefunden hat. Und sie haben meiner Meinung nach Recht, denn die damaligen Ereignisse, die Gewalt gegen einen Teil der Zivilbevölkerung, haben gewisse Gemeinsamkeiten mit dem, was in der nationalen Geschichte unmittelbar nach 1944 geschah. Eine Erklärung dafür könnte die Tatsache sein, dass der politische Stab und die politischen Praktiken vom März 1945 [als unter Druck der Sowjetunion die erste kommunistische Regierung in Bukarest an die Macht gehievt wurde — Anm. d. Red.] auch nach diesem Datum weitergeführt wurden. Die gängige politische Praxis, Zivilisten gegeneinander aufzuhetzen, wurde ebenfalls im Juni 1990 umgesetzt.“




    Es wurde gesagt, dass die Krawalle der Bergarbeiter im Juni 1990 dadurch ermöglicht wurden, dass die staatlichen Institutionen schwach waren und die Polizei die Protestkundgebungen am 13. Juni nicht niederschlagen konnte. Der Historiker Cristian Vasile dazu:



    Ich neige auch dazu, an die Theorie zu glauben, dass die Polizei schwach war und nicht in der Lage war, bestimmte Formen von Volksunruhen einzudämmen. Wenn wir uns genauer ansehen, wie sich die Dinge zwischen dem 13. und 15. Juni entwickelt haben, vor allem am 13. Juni, da dieser Tag der Höhepunkt war, können wir in der Tat feststellen, dass die Polizei nachgelassen hat, aber es gibt auch einige Fragen, die bisher ungeklärt bleiben. Es gibt mehrere Aufnahmen, echte Aufnahmen, es gibt diese Funkbotschaften des damaligen stellvertretenden Innenministers, General Diamandescu, der dem Empfänger seiner Botschaften so etwas wie ‚Wir werden die (Polizei-)Busse in Brand setzen, wie vereinbart‘ sagte. Was sollen wir daraus verstehen? Dann gibt es übereinstimmende Zeugenaussagen, wonach es nicht die Protestierenden waren, die das Polizeigebäude in der Hauptstadt in Brand setzten, sondern das Gebäude von innen in Brand gesetzt wurde. Ungeklärt ist auch, warum Hunderte von Polizisten sich ihre Positionen verlie‎ßen und das Gebäude des Innenministeriums ebenfalls ungeschützt lie‎ßen.“




    Die neue Macht, die Ion Iliescu verkörperte, musste durch die Manipulation der Menschenmengen gestärkt werden, so dass die meisten derjenigen, die die Randale der Bergarbeiter analysierten, dies als eine sinnvolle Erklärung der damaligen Ereignisse ansehen. Der Historiker Cristian Vasile berichtet weiter:



    Die Unruhen, die auf dem Universitätsplatz und in der Calea Victoriei aufflammten, wurden gegen Mitternacht in der Nacht zum 13. Juni und bis 3 Uhr morgens am 14. Juni niedergeschlagen. Der Polizei gelang es, alles unter Kontrolle zu bringen, die Randalierer wurden festgenommen. Etwas später kamen die Bergleute, sie wurden vom damaligen Präsidenten Ion Iliescu begrü‎ßt. Anstatt die Spannung zu entschärfen und den Bergarbeitern zu sagen, Armee und Polizei hätten alles unter Kontrolle, lud Ion Iliescu sie ein, den Universitätsplatz zu besetzen. Was war der Zweck einer solchen Aktion, wenn die Polizei und die Armee schon einige Stunden zuvor die Situation vollständig unter Kontrolle gebracht hatten? Diese völlig leichtsinnige Einladung führte zu den gewalttätigen Zusammenstö‎ßen, die am 14. Juni am Morgen und in den folgenden Tagen ausbrachen. Alles in allem war es also eine absolut sinnlose Anstiftung zur Gewalt, eine kriminelle Handlung, die des Strafgesetzbuches würdig war.“




    Die Bergarbeiterunruhen vom Juni 1990 waren ein letztes Aufbäumen der kommunistischen Denkweise in einer Gesellschaft, die erst nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes im Dezember 1989 neu entstanden war. Cristian Vasile:



    Warum die Bergarbeiter? Es gab in denselben Tagen den Versuch, auch andere Kategorien von Arbeitern aufzuwiegeln, schon am 13. und 14. Juni. Es gibt festgehaltene Zeitzeugenaussagen, dass ein Aufruf an Arbeiter aus mehreren Fabriken in Bukarest gerichtet wurde, gegen die Demonstranten vorzugehen. Nicht wenige Gewerkschaften lehnten den Vorschlag ab und weigerten sich, einzugreifen, mit der Begründung, dass der Konflikt politischer Natur sei und es ihnen nicht zustehe, die Ordnung wiederherzustellen. Es scheint jedoch, dass die Bergarbeiter als Kategorie empfänglicher für die Propaganda der damaligen Nationalen Rettungsfront, des Iliescu-Regimes, waren. Was Ion Iliescu betrifft, so hat er sich verteidigt, indem er behauptete, er habe seinen Aufruf nicht nur an die Bergleute, sondern an alle verantwortungsbewussten gesellschaftlichen Kräfte gerichtet. Aber das ist ein erschwerender Umstand für jemanden, der Präsident eines Landes ist. Und genau hier liegt die Tragödie dieser Episode, da war die Manipulation eines Teils der Bukarester Bevölkerung, die den Bergleuten buchstäblich Beifall für ihre Taten spendete. Und was sie taten, war, junge Studenten zu Brei zu schlagen, ebenso wie bärtige Männer oder Frauen, die Miniröcke trugen. Das erinnerte stark an Ceauşescus Politik, an die Jagd auf Rocker in den 1970er Jahren.“




    Der Preis, den Rumänien für die Bergarbeiterunruhen vom 13. bis 15. Juni 1990 zahlen musste, war seine eigene internationale Isolation. Konkret bedeutete dies, dass das Abkommen mit dem IWF eingefroren wurde, aber auch, dass es unmöglich war, einen weiteren Kredit aufzunehmen. Politisch gesehen verhinderten die Bergarbeiterunruhen vom Juni 1990, dass Rumänien dem Europarat beitreten konnte. Erst 1993 wurde Rumänien Mitglied des Europarates, viel später als viele andere Länder des ehemaligen Sowjetblocks.

  • 16 Jahre nach 9/11

    16 Jahre nach 9/11

    Überall auf der Welt gedenken die Menschen der Opfer der Anschläge vom 11. September 2001. Nahezu 3000 Menschen kamen ums Leben bei den vier koordinierten Flugzeugentführungen mit anschließenden Selbstmordattentaten auf wichtige zivile und militärische Gebäude in den USA. Die Flugzeugentführer gehörten zur islamistischen Terrororganisation Al-Qaida. Die Terroristen wollten eines der Flugzeuge ins Weiße Haus fliegen, nur der mutige Einsatz der Passagiere, die sich den Entführern in den Weg stellten, hatte offenbar dazu geführt, dass die Attentäter ihr eigentliches Vorhaben nicht durchführen konnten.



    In den nächsten Jahren wurden noch immer Opfer identifiziert. Wie die Korrespondentin von Radio Rumänien in den USA berichtet, soll dieses Jahr eine neue Gedenkstätte errichtet werden, die an die Opfer der Anschläge errinert. Auf einem Strand in Long Island soll ein 9 Meter hoher Stahl-Turm mit Granitplatten entstehen, auf denen die Namen der Opfer eingraviert werden sollen. Auf einer getrennten Granitplatte sollen die Namen der 582 Polizisten, Feuerwehrleute und Helfer stehen, die in den Trümmern des World Trade Centers ums Leben kamen. Viele Überlebende leiden heute noch, 16 Jahre später, unter einem psychischen Trauma.



    Menschen aus 90 Ländern sind bei den Anschlägen vom 11. September 2001 ums Leben gekommen, unter ihnen auch fünf US-amerikanische Bürger rumänischer Herkunft: Eugen Gabriel Lazăr, Corina und Alexandru Liviu Stan, Joshua Poptean und Ana Fosteris sowie der bekannte Architekt Arkady Zaltsman aus Republik Moldau, der den Parlamentspalast in der moldauischen Hauptstadt Chişinău entworfen hat. Bukarest hat damals, genau wie die ganze Welt, die Terroranschläge auf Schäfste verurteilt und sich unmittelbar der internationalen Anti-Terror-Koalition angeschlossen. Selbst wenn damals Rumänien kein NATO-Land war, entsandte Bukarest Truppen nach Afghanistan, wo die Taliban unter dem Schutz der Al-Qaida stehen. Laut dem rumänischen Verteidigungsministerium, seien 25 rumänische Soldaten in Patrouille-oder Kampfmissionen in Afghanistan gestorben. Weitere 100 sind verletzt worden. Auch 16 Jahre später werden rumänische und amerikanische Truppen dort stationiert. Die rumänischen Truppen beteiligen sich an einer NATO-Mission zur Ausbildung und Beratung für die afghanischen Sicherheitskräfte sowie Unterstützung für die Zivilbevölkerung.