Tag: zurückgelassene Kinder

  • Hörerpostsendung 21.05.2023

    Hörerpostsendung 21.05.2023





    Liebe Freunde, herzlich willkommen zur Hörerpostsendung von RRI!




    Heute möchte ich mit einem langjährigen Hörer aus Österreich beginnen, der uns mindestens zweimal in der Woche Feedback zum Programm gibt, aber auch immer wieder interessante Links und TV-Tipps aus der deutschsprachigen Medienlandschaft schickt, die mit Rumänien zu tun haben. Paul Gager ist abwechselnd in Wien und im Burgenland daheim und


    unlängst schickte er uns einen Link zu einer kurzen TV-Doku, die auf ARTE lief und bis Oktober 2025 noch in der Mediathek des Senders abrufbar ist. Gastarbeiter gesucht! Asiatische Arbeitskräfte in Rumänien“ ist der teaserhafte Titel der rund 33-minütigen französischen Doku aus dem Jahr 2022, die ein aktuelles Thema aufgreift. Mit folgenden Worten wird der Inhalt beschrieben:



    Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus hat Rumänien über vier Millionen Staatsbürger verloren, die zum Arbeiten in den Westen abgewandert sind. Ergebnis: Einer neueren Studie zufolge erklären 80 % der rumänischen Arbeitgeber, keine Beschäftigten zu finden. Um diesen Notstand zu lindern, rekrutiert das Land in Asien. In Partnerschaft mit mehreren asiatischen Ländern hat Bukarest die Anzahl der Arbeitserlaubnisse für Nicht-EU-Bürger von 3 000 Visa im Jahr 2016 auf 100 000 im Jahr 2022 erhöht.



    Um den gro‎ßen Zustrom zu bewältigen, regeln rumänische Vermittlungsagenturen — inzwischen sind es schätzungsweise 4 000 — die Aufnahme der Ausländer. Im Auftrag der Arbeitgeber suchen sie — in enger Zusammenarbeit mit ihren örtlichen Mittelsleuten in den jeweiligen Ländern — nach geeigneten Kandidaten. Dabei können sie aus einem reichen Reservoir an Interessenten schöpfen.




    In der Doku werden die Leiterin einer solchen Vermittlungsagentur sowie ein Gastarbeiter aus Nepal porträtiert. Denn nicht alles ist ein Zuckerschlecken, wenn man einen Arbeitsplatz in der EU — in diesem Fall in Rumänien — findet. Der aus Nepal stammende Mann kam 2019 nach Rumänien; vorher war er in Dubai. Er selbst sei mit seinen Arbeitsbedingungen in einer kleinen Bukarester Druckerei recht zufrieden, wolle jedoch die schlechte Behandlung anderer ausländischer Arbeiter nicht tatenlos hinnehmen. Daher gründete er auf YouTube einen eigenen Videokanal, auf dem er über solche Vorfälle berichtet. Er informiert seine 25 000 Follower über zweifelhafte Agenten und über das rumänische Arbeitsrecht. Als sehr aktives Mitglied seiner Gemeinschaft setzt er alles daran, Lösungen für andere Ausländer in prekärer Lage zu finden, wie in der Doku auf ARTE TV dargestellt wird.



    Ich kann Ihnen bestätigen, dass im Bukarester Stadtbild immer mehr Asiaten zu sehen sind. Es sind mehrheitlich Menschen aus Südasien, also aus Indien, Nepal und Sri Lanka, die meistens auf Baustellen, in Fabriken oder im Dienstleistungsbereich arbeiten. So etwa sind bei Lieferdiensten (etwa mit dem Fahrrad, E-Roller oder Moped) kaum noch Einheimische eingestellt. Auch Frauen aus den Philippinen, die bei wohlhabenderen Familien als Kinderbetreuerinnen angestellt sind, sieht man seit einigen Jahren öfters in den Bukarester Parks. Sie sind wohl auch deshalb begehrt, weil sie den Kindern Englisch beibringen. Und allein in meinem Stadtteil gibt es inzwischen drei Läden mit indischen und nepalesischen Produkten, darunter viele Reissorten, Tee, Hülsenfruchtgemüse u.a.m. Einer dieser Läden befindet sich in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung, der freundliche Betreiber stammt aus Nepal, lebt schon seit 2016 in Rumänien, wie er mir erzählte, spricht ausgezeichnet rumänisch und berät gerne Kunden, die mit den Produkten nicht vertraut sind.




    In der Doku wird auch das Phänomen der Arbeitsmigration aus rumänischer Perspektive angerissen. Und zwar geht es um das Problem der zurückgelassenen Kinder. Es wird der Fall einer 60-jährigen Frau geschildert, die sich um ihre beiden Enkelkinder kümmern muss, weil ihre Tochter eine Arbeit in einem englischen Spielkasino antrat. Seit mehr als zwei Jahren ist die Tochter nicht nach Rumänien zurückgekehrt. Das Geld, das sie der Mutter schickt, reicht nicht, und so muss auch die Gro‎ßmutter weiterarbeiten: Zweimal wöchentlich verkauft sie Kleidung auf dem Markt. Ihren jüngsten Enkel lässt sie dann in einem von einer NGO verwalteten Kinderhilfswerk. Er teilt das Schicksal vieler Kinder, deren Eltern Rumänien verlie‎ßen, um im Ausland Geld zu verdienen. Die Zahl dieser sogen. Arbeitswaisen“ wird in der Doku auf 100 000 bis 300 000 geschätzt. Auch wir haben das Thema im letzten Sozialreport gebracht, laut der NGO Save the Children“ sind in ganz Rumänien sogar etwa 500 000 Kinder von der Migration mindestens eines Elternteils betroffen.




    Von Herrn Gager erfuhren wir auch, dass es in Wien insgesamt drei rumänische Kirchengemeinden gibt: eine rumänische Baptistengemeinde und zwei rumänisch-orthodoxe Kirchen — die Andreas-Kirche und die Heilige-Antonius-der-Gro‎ße-Kirche. Vielen Dank für die Info, lieber Herr Gager. Als ich in den Frühneunzigern in Wien studierte, gab es nach meinem Wissen nur eine kleine rumänisch-orthodoxe Kapelle, die in einem Raum in einem historischen Gebäude unweit des Heldenplatzes eingerichtet war. Nochmals vielen Dank für die Hörertreue und herzliche Grü‎ße nach Wien, lieber Herr Gager!




    Von Ralf Urbanczyk (Eisleben, Sachsen-Anhalt) erhielten wir unlängst Feedback zu unserem Programm:



    Am Montag brachten Sie einen informativen Bericht über die Neuerungen beim integrierten Informationssystem zur Überwachung von eingeschlagenem Holz SUMAL 2.0“. Das scheint jetzt effektiver den illegalen Holzhandel und damit den illegalen Holzeinschlag zu erschweren, weil es den Zustand der Wälder und den Holzkonsum gleicherma‎ßen in den Blick nimmt. Dringend notwendig ist das System auf jeden Fall. Schlie‎ßlich ist die Nachfrage nach Holz als Brenn- und Heizmaterial infolge steigender Energiepreise und staatlicher Förderung der Holzverbrennung so stark gestiegen, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass diese Menge nachhaltig oder in Holzplantagen erzeugt werden kann. Vielleicht erweist sich das System SUMAL 2.0“ sogar als so effektiv, dass es flächendeckend über die Ländergrenzen hinweg eingesetzt werden kann. Gut wäre das — im Sinne des Schutzes der Wälder.



    Weil es in Ihrem Programm rings um den Maifeiertag so gut wie keine Meldungen oder Kommentare zu Kundgebungen der Gewerkschaften oder zu Demonstrationen von politischen Gruppen im Land gab, nehme ich an, dass es in Rumänien, wie auch in Deutschland, kaum nennenswerte Aktionen gegeben hat. In Deutschland hielten die Gewerkschaften zwar in den grö‎ßeren Städten Kundgebungen ab, doch die waren im Vergleich zu früheren Jahren nur spärlich besucht. Selbst die früher so gefürchteten Krawalldemonstrationen autonomer Gruppen in Berlin und Hamburg hielten sich arg in Grenzen. Der Maifeiertag scheint seinen ursprünglichen Sinn verloren zu haben, in Deutschland, in Rumänien und in vielen anderen Ländern. Er ist nur noch ein zusätzlicher freier Tag zum Vergnügen. Ich habe den Tag jedenfalls genutzt, um bei einem Spaziergang durch Wald und Wiese mich am erwachenden Frühling zu erfreuen und mit meinem Taschenradio und frei gespannter Drahtantenne wieder einmal Radio au‎ßerhalb des häuslichen elektronischen Störnebels zu empfangen.




    Vielen Dank für das ausführliche Feedback, lieber Herr Urbanczyk. Im Jahr 2000 war ich für etwa zweieinhalb Monate Korrespondent des Rumänischen Rundfunks in Berlin. Da habe ich irgendwo in Kreuzberg die Krawalldemos sogenannter Linksautonomer als Beobachter in der Stra‎ße miterlebt — um ein Haar hätte ich einen Wasserstrahl von den Wasserwerfern der Polizei abbekommen. Zusammen mit einem Journalisten von einer Nachrichtenagentur fand ich Zuflucht in einem Innenhof. Der Kollege war nach dem neuesten Stand der damaligen Kommunikationstechnologie ausgerüstet — mit Digitalkamera, Handy und Laptop. Allerdings musste man damals sein Handy per Kabel an das Laptop anschlie‎ßen, man nutzte es als mobiles Modem, um die von der Kamera heruntergeladenen Fotos einzeln über die langsame Edge-Übertragung an die Redaktion zu senden. Heute muss ich darüber schmunzeln, doch damals war ich schwer beeindruckt.




    Zum Schluss noch die gestern erhaltenen Zeilen unseres Hörers Peter Vaegler aus Stralsund, der u.a. von einem Ausflug ins benachbarte Polen berichtet:



    Liebe Freunde in Bukarest!



    Gerade habe ich gesehen, dass ich im Januar letztmalig geschrieben habe.



    Meine Frau ist mit einer Schulfreundin in die Türkei geflogen und ich bin wieder mit dem Auto in Polen unterwegs.



    Zuerst war ich im kleinen Ort Trzęsacz (Hoff an der Ostsee) und konnte einen herrlichen Sonnenuntergang fotografieren — siehe Foto. Dieser Ort ist bekannt für seine Kirchenruine. Während sich die Kirche im 14. Jahrhundert noch 2 km vom Ufer befand, nahm sich die Ostsee Stück für Stück des Ufers an, so dass die Kirche letztendlich ins Meer stürzte. Die letzte Wand der Kirche konnte aufwändig gesichert werden und ist jetzt eine Touristenattraktion.



    Jetzt bin ich allerdings schon im Ort Misdroy, der mit 395 m die längste Seebrücke Polens aus Beton hat. Am Wochenende ist hier auf der Promenade viel Trubel. Es gibt jede Menge Restaurants, Imbisse mit Sü‎ßigkeiten und Eis und Souvenirs, die kein Mensch braucht.



    Carsten Fenske, der Ihren Sender ja im vergangenen Jahr besuchte, hat mir geschrieben, dass die Sendungen aus Rumänien im Augenblick weniger gut zu empfangen sind. Ich habe meinen Weltempfänger natürlich mit und habe heute Nachmittag die Sendung gehört. Die ersten 20 Minuten konnte ich dem Inhalt noch einigerma‎ßen folgen, dann wurde der Empfang immer schlechter.



    Ich wundere mich immer, wie die Zeit vergeht. Am 11. Juni werde ich meinen 70. Geburtstag feiern und im August sind es schon 55 Jahre her, dass ich die Sendungen aus Rumänien verfolge.



    Mit freundlichen Grü‎ßen


    Peter Vaegler




    Lieber Herr Vaegler, vielen Dank für das Feedback und die schönen Fotos vom Sonnenuntergang und der Kirchenruine. Von den QSL-Karten habe ich allerdings keine Neuigkeiten zu melden, wir wissen also noch nicht, ob — und falls ja — wann wir eine Kartenserie verlegt bekommen.




    Weiteres Feedback per E-Mail erhielten wir in der vergangenen Woche noch von Jens Adolph, Maria Seiser, Patrick Kessler, Reinhard Schumann und Ralph Babel (D) sowie von Ratan Kumar Paul (IND). Einige Postbriefe sollen laut unserer Bearbeitungsstelle eingetroffen sein, ich hebe sie mir für nächsten Sonntag auf.




    S.G. sagt an dieser Stelle: Danke fürs Zuhören und bis demnächst!

  • Arbeitsmigration: Zurückgelassene Kinder oft belastet

    Arbeitsmigration: Zurückgelassene Kinder oft belastet





    Seit mehr als 20 Jahren, seit das Phänomen der Auswanderung von Arbeitskräften in Rumänien weit verbreitet ist, zeigt sich eine seiner dramatischsten Auswirkungen: Kinder, die in ihrem Heimatland in der Obhut von Gro‎ßeltern oder anderen Verwandten zurückgelassen werden. Einige Eltern nehmen zwar ihre Kleinkinder mit, wenn sie zu verschiedenen Arbeitsplätzen in der EU aufbrechen, doch gibt es nicht wenige Fälle von Familien, die durch die dauerhafte Niederlassung im Ausland auseinandergerissen werden.



    Die NGO Save the Children“ macht schon seit vielen Jahren auf diese Situation aufmerksam, die nun auch in einer statistischen Studie quantifiziert wurde. Auf der Grundlage von Daten, die zwischen Juli und September 2022 erhoben wurden, zeigt die Untersuchung, dass fast ein Viertel der rumänischen Kinder im Alter von 0 bis 17 Jahren mindestens einen Elternteil hat, der zum Zeitpunkt der Untersuchung dauerhaft im Ausland arbeitete. Bei 61,5 % dieser Kinder war nur der Vater weg, bei 20,4 % war nur die Mutter fernab von der Familie, und bei 18,1 % befanden sich beide Elternteile im Ausland.



    Landesweit befinden sich mehr als 500 000 rumänische Kinder in dieser Situation, die meisten von ihnen müssen schon in einem sehr frühen Alter ohne Eltern auskommen. Im Durchschnitt lässt die Mutter die Familie zurück, sobald das Kind 6 Jahre alt ist, während der Vater in der Regel schon einen Job im Ausland findet, wenn das Kind noch jünger ist. Wenn es um die Entscheidung geht, zwecks einer besser bezahlten Arbeit ins Ausland zu ziehen, so werden die Kinder bereits in jungen Jahren zu Rate gezogen, wie die Studie zeigt. Anca Stamin von der NGO Save the Children“ nuanciert jedoch das düstere Gesamtbild, das die Studie zeichnet:



    83 % der befragten Erwachsenen gaben an, dass ihr Kind an der Entscheidung, das Land zu verlassen, beteiligt war. Im Gegensatz dazu gaben die Kinder an, dass sie in deutlich geringerem Ma‎ße beteiligt waren (62 %), und wir neigen dazu, eher den Aussagen der Kinder zu glauben. Au‎ßerdem gab fast ein Drittel der befragten Kinder (31 %) an, dass sie mit dem Wegziehen ihrer Eltern ins Ausland nicht einverstanden waren, selbst wenn sie gefragt wurden. Au‎ßerdem hat die Umfrage gezeigt, dass die meisten Kinder, die sich in dieser Situation befinden, von den Sozialämtern nicht erfasst werden. Im Grunde gaben nur 39 % der Eltern an, dass das Sozialamt über die Situation des Kindes Bescheid wei‎ß. Was die Unterrichtung der Schulen betrifft, so gaben 57 % der Eltern an, dass sie die Schule über die Situation informiert hätten. Es liegt auf der Hand, dass keine der beiden Institutionen über vollständige Informationen verfügt. Daraus ergibt sich, dass die Eltern oder Betreuer zögern, den Wegzug der Eltern zu melden — weder der Schule noch den Behörden.“




    Die Tatsache, dass nicht alle Eltern die Situation ihrer zurückgelassenen Kinder den Behörden melden, erschwert es diesen oder NGOs, bei Problemen einzugreifen. Und die Studie von Save the Children“ weist auf die zusätzlichen Risiken für Kinder hin, die von Eltern zurückgelassen werden, die zum Arbeiten ins Ausland gezogen sind, führt Anca Stamin weiter aus:



    Bei einigen Risikoverhaltensweisen wurde ein sehr gro‎ßer Unterschied zwischen Kindern aus Migrantenfamilien und Kindern aus Familien ohne Migrationshintergrund festgestellt. Bei ersteren ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Internet expliziten sexuellen und pornografischen Inhalten ausgesetzt sind, um 38 % höher, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich aggressiv gegenüber anderen Kindern verhalten und Alkohol konsumieren, ist doppelt so hoch. Ebenso ist die Wahrscheinlichkeit, verbotene Substanzen zu sich zu nehmen oder Zigaretten zu rauchen, wesentlich höher. All dies geschieht vor dem Hintergrund mangelnder elterlicher Kontrolle, des leichten Zugangs zu elektronischen Geräten, der schlechten Kommunikation mit Eltern oder Betreuern und der fehlenden Gesundheitserziehung. Und diese aggressiven Verhaltensweisen können eine Form der Externalisierung der negativen Gefühle, der emotionalen Erfahrungen sein, die das Kind nach dem Auszug der Eltern macht. In unserer Erfahrung in der Arbeit mit Kindern dieser Kategorie sind wir oft auf Kinder gesto‎ßen, die sich verlassen fühlen oder Schuldgefühle wegen des Wegzugs ihrer Eltern entwickeln. Selbst wenn die Eltern es gut gemeint haben, war es falsch, dem Kind zu sagen, dass sie weggehen, um ihnen durch ein höheres Einkommen ein besseres Leben zu ermöglichen, denn damit haben sie dem Kind eine zusätzliche Last aufgebürdet.“




    Kommunikation ist sehr wichtig, um die Familie zusammenzuhalten, und die digitale Revolution von heute macht dies viel einfacher. So kommuniziert die Mehrheit der im Ausland arbeitenden Eltern über Online-Videoplattformen mit ihren Kindern und nur 19 % ausschlie‎ßlich per Telefon. 45 % nehmen einmal am Tag Kontakt auf, und etwa 15 % der Familien kommunizieren mehrmals am Tag. Die Statistik zeigt aber, dass es auch Situationen gibt, in denen die Kommunikation seltener ist: 33 % der im Ausland lebenden Eltern sprechen einmal alle zwei bis drei Tage mit ihren Kindern und 7 % nur einmal pro Woche. Darüber hinaus sprechen 20 % der Jugendlichen, deren Eltern im Ausland arbeiten, einmal pro Woche oder seltener mit ihnen. Andreea ist 12 Jahre alt und geht in die sechste Klasse. Ihr Vater arbeitet seit ihrem zweiten Lebensjahr in der Schweiz.



    Wir sind telefonisch oder durch Kurznachrichten in Kontakt. Wenn er Urlaub hat oder sich die Möglichkeit ergibt, kommt er vorübergehend in die Heimat. Wir sehen uns also eher selten und halten den Kontakt übers Handy oder durch Messages auf. Es ist weder eine sehr herzliche noch eine distanzierte Beziehung. Es ist schon ok, aber ich muss sagen, dass ich meiner Mutter viel näher stehe.“




    Andreea eröffnete noch, dass sie ihren Vater noch nie in der Schweiz besucht hat, doch bestehe die Möglichkeit, dass sie ihn diesen Sommer dort besucht, um zwei Wochen zusammen zu verbringen. Obwohl die finanzielle Situation der Familie durch die Überweisungen des Vaters jetzt besser sei, hätte sie es trotzdem vorgezogen, dass sich die Familie nicht auf diese Weise trennt. Au‎ßerdem lehnt sie es ab, zum Vater in die Schweiz zu ziehen.



    Es geht nicht darum, dass es die Möglichkeit nicht gäbe, in die Schweiz zu ziehen. Doch ich will nicht wegziehen, und meine Mutter würde es auch nicht zulassen, denn wir haben uns hier in Rumänien ein Leben aufgebaut. Ich gehe hier in die Schule, habe Freunde, meine Mutter hat auch Freunde am Arbeitsplatz, es wäre einfach schwer, von vorne anzufangen, sich ein neues Leben in einem anderen Land mit einer anderen Sprache aufzubauen.“




    Obwohl Andreea mit ihrer derzeitigen Situation im Reinen zu sein scheint und in der Schule gute Leistungen bringt, zeigt die Studie von Save the Children“, dass die Migration eines Elternteils mit einer 62%-igen Wahrscheinlichkeit einhergeht, dass die Leistungen der Kinder in den ersten Schuljahren stagnieren.

  • Zurückgelassene Kinder von Arbeitsmigranten: gravierende psychologische Folgen

    Zurückgelassene Kinder von Arbeitsmigranten: gravierende psychologische Folgen



    Die rumänische Regierung hat unlängst einen Gesetzesentwurf verabschiedet, mit dem die Trennung der Kinder von Arbeitsmigranten von ihrer Familie verhindert werden soll. Der Gesetzestext bezieht sich insbesondere auf vulnerable Bevölkerungsgruppen, die ständige Unterstützung benötigen. Die prekäre wirtschaftliche Lage dieser Familien zwingt viele Eltern, das Land zu verlassen, um einen etwas besser bezahlten Job im Ausland zu finden, was dramatische emotionale Folgen für die zurückgelassenen Kinder hat.



    Wenn Sie für einen besser bezahlten Jobs das Land verlassen, gehen viele Eltern in dieser Situation das Risiko ein, das emotionale Gleichgewicht ihrer Kinder zu opfern. Durch die fehlende Nähe und Liebe ihrer Eltern emotional verkrüppelt, entwickeln manche Kinder abnormes Verhalten. Sie haben Probleme in der Schule, streiten mit anderen Familienmitgliedern, sie rebellieren auf alle möglichen Arten. Die Schule wei‎ß oft nicht, wie sie mit diesen Krisen umgehen soll, und andere Familienmitglieder auch nicht. Zu Hause finden die Eltern während der Urlaube ganz andere Kinder vor als die, die sie zurückgelassen hatten.



    Gerade hier will man mit der jüngsten Gesetzesinitiative Abhilfe schaffen. Laut Regierungssprecher Dan Cărbunaru wird der Gesetzentwurf die Umsetzung von Ma‎ßnahmen zur Verhinderung von Trennungen durch die Gewährung von Soforthilfe für diese Familien ermöglichen. Der Gesetzentwurf sieht die Einrichtung einer nationalen Beobachtungsstelle für Kinder vor — ein Informationsmodul, das in das nationale Digitalsystem integriert werden soll. Im Klartext hei‎ßt das, dass die lokalen Behörden genaue Aufzeichnungen über jede von Trennung bedrohte Familie mit Kindern zur Verfügung haben werden. Das Projekt umfasst auch Ma‎ßnahmen zur Rehabilitierung von Kindern mit Behinderungen, psychologische Interventionsdienste und Psychotherapie für diese Kinder.



    Denn mit der psychologischen und emotionalen Entwicklung der Kinder sei nicht zu spa‎ßen, geben Experten zu bedenken. Kindheitstraumata können einen Menschen ein ganzes Leben lang verfolgen, und wenn man nicht frühzeitig eingreift, wird es später noch schwieriger sein, alles wieder ins Lot zu bringen. Psychologen sprechen von einem Unterschied zwischen Trennungsfurcht und Verlustangst. Elena Maria Dumitrescu ist kognitive Verhaltenstherapeutin und erklärt sehr anschaulich, was Trennungsfurcht und Verlustangst bedeuten:



    Ich denke, es ist wichtig, zwischen Trennungsfurcht und Verlustangst zu unterscheiden. Von Geburt an brauchen wir Sicherheit, und das führt dazu, dass der Säugling bzw. das Kleinkind Trennungsängste gegenüber der Bezugsperson entwickelt. Es ist ein natürlicher Prozess, den wir alle in unserer frühen Entwicklung durchlaufen. Wichtig ist, wie wir diese Phase durchlaufen, und das hat damit zu tun, wie die wichtigen Menschen in unserem Leben sowohl unsere emotionalen als auch unsere materiellen Bedürfnisse befriedigen.“




    Folglich ist die Angst vor dem Verlassenwerden die grö‎ßte Angst des Neugeborenen und des Kleinkindes, und die Art und Weise, wie die Eltern ihre Zuneigung zum Ausdruck bringen, ist entscheidend für die ausgewogene Entwicklung des Kindes.



    Besonders verletzlich sind die Kinder in vulnerablen Gemeinschaften und Familien, in denen die Eltern nicht wissen, wie sie am besten über die Runden kommen sollen — ob sie ihnen zuerst materielle Unterstützung geben und dafür ihre Kinder emotional vernachlässigen, oder ob sie ihnen Liebe aus der unmittelbaren Nähe geben, aber im Gegenzug Armut und Entbehrungen aller Art in Kauf nehmen müssen. Hier beginnt ein Wechselbad der Gefühle bei den Kindern, und die Eltern wissen oft überhaupt nicht, wie man das emotionale Gleichgewicht wiederherstellen kann. Die Psychotherapeutin Elena Maria Dumitrescu erklärt, wie sich das Verhalten von Kindern verschlechtern kann, wenn sie keine Liebe von ihren Eltern erhalten:



    Bestimmte Ereignisse sowie die unzureichende Befriedigung dieser Bedürfnisse werden vom Kind als Verunsicherung empfunden und führen zu einem Übergang von Trennungsangst zu Verlustangst und damit zu einer als geringer wahrgenommenen Kontrolle der Realität. Wir sehen das bei Kindern, die als Folge der Verunsicherung ihre Möglichkeiten einschränken, ihre Umwelt zu erkunden, neue Fähigkeiten zu entwickeln, sich neuen Herausforderungen zu stellen oder Hilfe zu suchen. Es gibt Situationen, in denen das Kind von seiner Familie getrennt ist und sowohl physische als auch emotionale Distanz zu den geliebten Menschen in seinem Leben empfindet. Dies führt zu einer abnehmenden Toleranz gegenüber Ungewissheit, die der Angst zugrunde liegt.“




    Es bleibt abzuwarten, wie erfolgreich die Programme sein werden, die die Regierung in vulnerablen Gemeinschaften umsetzen will. Im ostrumänischen Landkreis Tulcea werden zurzeit mehr als 300 zurückgelassene Kinder durch ein europäisches Projekt der Stiftung Sera România“ betreut. Dies ist eine höhere Zahl von Kindern als ursprünglich im Projekt angesetzt, was zeigt, wie notwendig die Entwicklung solcher Programme ist.