Category: Pro Memoria – zur Geschichte Rumäniens

  • „Reflector“: Mutige TV-Sendung nahm es mit kommunistischen Bonzen und Korruption auf

    „Reflector“: Mutige TV-Sendung nahm es mit kommunistischen Bonzen und Korruption auf

     

     

    Es ist eine Binsenwahrheit: In totalitären Gesellschaften ist die Presse gleichgeschaltet, und jeder weiß, dass er in staatlichen Medienprodukten mit Lügen konfrontiert wird und meistens nur Propaganda schlucken muss. So auch im kommunistischen Rumänien geschehen.

     

    Doch die Geschichte der Presse während der kommunistischen Jahre in Rumänien wies auch – für kurze Zeit – ein einigermaßen ehrenwertes Kapitel auf, in dem die Journalisten versuchten, ihre Berufsethik anzuwenden und die Stimme der Gesellschaft zu sein. Die Zeit zwischen 1966 und 1971 war die beste für die Presse unter dem kommunistischen Regime in Rumänien, und einige Medien-Produktionen waren beim Publikum besonders erfolgreich. So z.B. die Sendung „Reflector“ (zu deutsch in etwa: „Im Scheinwerferlicht“), die im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin wurden institutionelle Missstände und Missbräuche durch Politiker oder Leiter staatlicher Behörden vor Augen geführt.

     

    Die Sendung „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“) war ein Versuch, verantwortungsvollen Journalismus zu betreiben – allerdings setzte das kommunistische Regime dabei klare Grenzen. Die offizielle Ideologie der rumänischen kommunistischen Partei durfte nicht in Frage gestellt werden, ebenso wenig wie das Wesen der Staatsmacht und der sozialen und politischen Ordnung. Ein Tabu waren auch die Person des Führers Nicolae Ceaușescu, seine Familie und die Verwandten, die führenden Aktivisten der Partei, die Armee, der Repressionsapparat, bestehend aus der Miliz und der Securitate, sowie Mitarbeiter der Justiz und des staatlichen Finanz- und Bankensektors. Daher befasste sich die Sendung „Reflector“ meistens mit Missständen und Fehlleistungen in der sozialistischen Konsumwirtschaft.

     

    Die Sendung wurde beginnend mir 1967 ausgestrahlt und orientierte sich an ähnlichen Sendungen in der westlichen Presse. Die Öffnung des rumänischen Fernsehens gegenüber dem Westen ist den Journalisten Silviu Brucan und Tudor Vornicu zu verdanken. Der zu erst Genannte war damals Intendant des Senders und zuvor Botschafter des sozialistischen Rumänien in den USA und bei der UNO gewesen und war von den amerikanischen Medien besonders angetan. Ironie des Schicksals – oder rumänische Paradoxie – der Mann war in den 1950er Jahren einer der schlimmsten Hetzer in der kommunistischen Presse gewesen – und in den 1990ern wieder als Talkshow-Gast gefragt. Tudor Vornicu hingegen, Chefradakteur der Sendung „Reflector“, hatte als Korrespondent des Rumänischen Rundfunks in Frankreich Karriere gemacht und war wiederum mit den französischen Medien vertraut. Aus diesem fragwürdigen Mix sollte ein halbwegs gutes Medienprodukt entstehen. Und darüber weiß der Journalist Ion Bucheru zu berichten, damals Vizeintendant des rumänischen Fernsehens und Koordinator des Teams, das die Sendung machen durfte. In einem Interview mit dem Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des rumänischen Rundfunks von 1997 erinnerte sich Bucheru, was den Erfolg der Sendung ausmachte.

     

    Ich war damals verantwortlich für die Sendung, die inzwischen zweimal wöchentlich ausgestrahlt wurde und 20 bis 25 Minuten dauerte. Die Sendung wurde bald zu einer sozialen Instanz. Die fünf Hauptakteure, die routinemäßig in der Sendung auftraten, führten sich wie Staatsanwälte auf und glaubten, einen sozialen Auftrag zu haben und ausüben zu müssen. Sie hatten einen direkten Draht zu den Menschen, sie wurden einfach von Bürgern angerufen, die keine andere Hoffnung mehr im Kampf mit der Bürokratie oder mit staatlichen Institutionen hatten.“

     

    Es war einfach ein schlechtes Omen, im Fernsehen vorgeführt zu werden, vor allem wenn es um skandalöse Fälle von Missbrauch, Inkompetenz oder Gleichgültigkeit in Umgang mit öffentlichen Geldern ging. Deshalb war selbst in den kleinsten Läden oder an Marktständen Panik angesagt, wenn das Kamera-Team von „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“)“ urplötzlich auftauchte. Ion Bucheru, der Chefredakteur von damals, erinnert sich weiter:

     

    Wir schlugen damals ziemlich über die Stränge: Wir beendeten die Sendung immer mit einem Standbild und einem Text. Das Bild zeigte ein schwarzes Auto, das in einer Abgas- oder Staubwolke davon düste, und der sarkastische Text lautete: »In diesem Auto verlässt Genosse Minister Soundso das Ministerium, wahrscheinlich in Eile, um an irgendeiner Sitzung teilzunehmen. Und er hatte es so eilig, davonzukommen, dass er nicht einmal die Zeit hatte, mit dem Reporter der Sendung zu sprechen.« Sie können sich vorstellen, was es für einen Wirbel veursachte, wenn ein Redakteur der Sendung den Leiter eines staatlichen Unternehmens oder einen stellvertretenden Minister anrief, um ihm nur mitzuteilen, dass das Journalisten-Team von »Reflector« bald vorbeikäme oder schon auf dem Gelände angekommen sei.“

     

    Doch dann kam der Moment Juli 1971, als der Diktator Nicolae Ceaușescu seine ominösen Thesen verkündete, mit denen eine 180-Grad-Wende eingeleitet wurde: vom relativ liberalen Kommunismus zum National-Kommunismus, in dem jede Kritik am System nicht mehr willkommen war. Es war im Grunde eine Rückkehr zur stalinistischen Epoche der 1950er Jahre, was eine große Bestürzung in den Ländern der freien Welt auslöste, die bis dahin die angebliche Distanzierung des rumänischen Führers von der Sowjetunion geschätzt und unterstützt hatten. Diese Rückentwicklung beeinflusste auch die Sendung „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“), die nach und nach an Schärfe verlor und uninteressant wurde, wie sich der damalige Chefredakteur Ion Bucheru erinnerte:

     

    Die sogenannten Juli-Thesen entsprangen Ceaușescus Geist, Kopf und Feder im Zuge eines Fernsehskandals. Es war der Moment, als Ceaușescu nach 1968 den Höhepunkt seiner Popularität und seines nationalen und internationalen Ansehens erreicht hatte. Es war eine Zeit, in der Rumänien international als ein kleines Weltwunder in dieser Ecke Europas galt. Es war eine Zeit, in der die Staatsoberhäupter Rumänien ihre Türen öffneten, selbst die konservativsten, selbst diejenigen, die es bis dahin abgelehnt hatten, Ceaușescu zu empfangen oder ihm die Ehre eines Staatsoberhauptes zu erweisen. Wenn man damals als rumänischer Journalist im Ausland unterwegs war – und ich habe das selbst erlebt –, wurde man nicht nur mit Sympathie, sondern mit einer Art von Brüderlichkeit betrachtet. Wir waren oft schlecht ausgestattet, ohne logistische Möglichkeiten unterwegs, und waren obendrein auch sehr schlecht bezahlt. Aber es gab eine solche Welle der Sympathie um uns herum, dass uns die ausländischen Kollegen beisprangen und uns vieles zur Verfügung stellten.“

     

    Mitte der 1980er Jahre, als das Fernsehprogramm nur noch zwei Stunden am Tag umfasste, wurde die Sendung „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“) eingestellt. Nach der Wende von 1989 gab es den Versuch, sie wiederzubeleben, doch sie konnte nie wieder an ihren vorherigen Erfolg anbinden.

  • Das Gefängnis in Aiud

    Das Gefängnis in Aiud

    Traurige Berühmtheit hat die Stadt Aiud mit ihren rund 22.000 Einwohnern durch das dortige Gefängnis erlangt. Als eines der großen politischen Gefängnisse während des kommunistischen Regimes wurde das, was in Aiud geschah, nach 1989 in das Bewusstsein der Rumänen gerückt. Nach 35 Jahren ist die vom Historiker Dragoș Ursu vom Nationalmuseum der Union in Alba Iulia verfasste Geschichte des Gefängnisses von Aiud eine willkommene redaktionelle Veröffentlichung:
    “Der Widerstand der rumänischen Gesellschaft gegen den Kommunismus, gegen das kommunistische Regime, das nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde, war in erster Linie politischer Natur. Denn die rumänische Gesellschaft, die politischen Parteien, das, was wir allgemein als Zivilgesellschaft bezeichnen, die Rumänen als Ganzes, sahen im Kommunismus einen Feind, der die Existenz der rumänischen Demokratie und des rumänischen Staates bedrohte. Es handelte sich um ein von den sowjetischen Besatzern aufgezwungenes, illegitimes und kriminelles Regime. Die Opposition gegen das kommunistische Regime war also in erster Linie politischer Natur, und das brachte die Regimegegner in die Gefängnisse, ins Visier der Securitate und der kommunistischen Repression, und so landeten sie in Aiud. Die Umerziehung ist eine Form der politischen Konfrontation zwischen dem Regime und den Inhaftierten, denn das Regime betrachtet die Inhaftierten nicht nur als Personen, die in Verwaltungshaft ihrer Freiheit beraubt wurden, sondern als Volksfeinde. Sie mussten in der Haft weiter unterdrückt und durch einen Prozess der politischen Umerziehung, der politischen Umstrukturierung und der psychologischen Umerziehung einem entmenschlichenden Regime unterworfen werden.”
    Die Insassen des Gefängnisses von Aiud waren sehr unterschiedlich, aber es war bekannt als das Gefängnis der Legionäre. Dragoș Ursu: “Quantitativ gesehen ist Aiud vielleicht das geräumigste Gefängnis, wenn wir von der Haftkapazität sprechen. Bis zu 3600 bis 4000 Personen können zu einem bestimmten Zeitpunkt hineingelassen werden, und während der gesamten kommunistischen Haftzeit wurden etwa 14.000 Gefangene in Aiud inhaftiert. Und was die Qualität betrifft, so war Aiud 1948, als eine Kategorisierung, eine Aufteilung der Gefängnisse vorgenommen wurde, den Gefangenen vorbehalten, die wir als Intellektuelle bezeichnen, oder besser gesagt, die einen intellektuellen Beruf ausübten: Beamte, Menschen mit freien Berufen und Intellektuelle, neben dem, was wir nach dem Zweiten Weltkrieg allgemein als Sträflinge bezeichnen. Und in Bezug auf die Politik, sagen wir, auf die politische Abstammung, ja, Aiud ist bekannt als <Gefängnis der Legionäre>, derjenigen mit einer politischen Legionärsvergangenheit, aber das geschieht vor allem während der Umerziehung. Während der gesamten Haftzeit war das nicht ganz so, sie bildeten eher eine relative Mehrheit. In Aiud waren auch Mitglieder anderer politischer Parteien inhaftiert, Liberale, Bauern, Offiziere der ehemaligen königlichen Armee, Bauern, die gegen die Kollektivierung waren, Mitglieder oder solche, die in den Bergen im bewaffneten Widerstand gekämpft haben.”
    Neben Pitești, Gherla und Canal fand auch in Aiud die so genannte Umerziehung statt, eine der extremen Formen der Brutalität, mit der die Menschen von einem Regime behandelt wurden, das von sich behauptete, der größte Menschenfreund zu sein. Dragoș Ursu hat jedoch auch Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten der Umerziehung festgestellt:
    “Wir können im Spiegel Pitești das Phänomen der Umerziehung von Pitești sehen, das sich dann auf Gherla und Canal ausdehnt, das Phänomen der gewalttätigen Umerziehung par excellence von extremer Gewalt. Im Gegensatz dazu sprechen wir in Aiud von der späten Umerziehung nach der zweiten Repressionswelle, der Repressionswelle nach der ungarischen Revolution, bei der das Regime eher Mittel und Instrumente der psychologischen Umerziehung, der psychologischen Kriegsführung, der kulturellen Umerziehung einsetzt. Es wendet also nicht direkt und offen Gewalt und Folter an, und zwar aus ganz praktischen Gründen: Die Häftlinge, die Gegenstand der Umerziehung wurden, waren Menschen, die nach 10, vielleicht 15 Jahren Haft kamen, sie waren körperlich, geistig und moralisch erschöpft. Jede minimale Form von Folter, von physischer Gewalt hätte sie also ausgeschaltet, sie wären der Umerziehung erlegen und somit hätte der Prozess sein Ziel nicht erreicht. Und das ist der entscheidende Unterschied zu Aiud. War Pitești eine gewaltsame Reduktion, so ist Aiud eher eine Umerziehung im psychologischen, ideologischen, kulturellen Bereich, mit der das Regime versucht, die Inhaftierten auf seine Seite zu ziehen, bzw. sie dazu zu bringen, ihre eigene politische Vergangenheit offenzulegen. Auf diese Weise haben sie sich vor sich selbst und vor ihren Mitgefangenen moralisch kompromittiert, so dass sie im Hinblick auf ihre Freilassung nicht mehr in der Lage wären, sich politisch zu reaktivieren, sich nicht mehr politisch zu betätigen.”
    Was ist das Vermächtnis von Aiud im kollektiven Gedächtnis? Dragoș Ursu: “Die Umerziehung in Pitești durch extreme Gewalt, Brutalität und ein Werkzeug der Bestialität, das manchmal unsere Vorstellungskraft übersteigt, hat die Opfer freigesprochen. Denn angesichts der extremen Gewalt gibt die menschliche Natur meistens nach. Und dann, auch auf der Ebene des Gedenkens, der Gedächtnisprotokolle der Überlebenden, werden diejenigen, die dieses Wort verwenden, etwas ungerechtfertigt von uns Heutigen, moralisch freigesprochen, eben weil die extreme Gewalt dies garantiert. Im Gegensatz dazu wurde in Aiud, gerade weil die Umerziehung eher psychologisch war, die Einheit der Erinnerung gebrochen. Und wir sehen, wie die Gedenkenden, die Überlebenden, argumentieren, das Schuldgefühl derjenigen vermitteln, die sich irgendwie auf die Seite des Regimes gestellt haben. Damit wird die Umerziehung in Aiud in ein anderes Licht gerückt. So gesehen kann man sagen, dass es dem Regime gelungen ist, Misstrauen und Spannungen unter den Gefangenen zu säen, zunächst in der Umerziehung und dann auf der Ebene der Gedenkstätten, bei den Überlebenden, die diese Zeilen geschrieben haben. Das ist in Pitești nicht der Fall, denn dort ist die Erinnerung viel einheitlicher und die Häftlinge verstehen sich, weil sie extreme Gewalt erlebt haben. Andererseits ist Aiud irgendwie anders.”
    Über das Gefängnis von Aiud gibt es nun eine Monographie, die eine Zeit und einen Ort der Unmenschlichkeit, in der sich das kommunistische Regime hervortat, in die Gegenwart zurückholt.
  • Rumänisch-Orthodoxe Kirche feiert zwei historische Jubiläen

    Rumänisch-Orthodoxe Kirche feiert zwei historische Jubiläen

    Zur symbolischen Bedeutung des zweiten Ereignisses, des Jahrhundertjubiläums, erklärte der Historiker Dragoș Ursu vom Nationalmuseum der Vereinigung in Alba Iulia:

    “Nach den Vereinigungen von 1918, als Bessarabien, die Bukowina und Siebenbürgen sich mit dem Königreich Rumänien zusammenschlossen, stand die Rumänisch-Orthodoxe Kirche vor einer neuen kirchlichen Herausforderung. Die rumänische Orthodoxie war zahlenmäßig eine der stärksten orthodoxen Kirchen, insbesondere angesichts der repressiven Maßnahmen gegen die Kirche in der Sowjetunion. In dieser Situation stellte sich die dringende Aufgabe der kirchlichen Vereinigung. Zum Zeitpunkt der großen Vereinigung 1918 existierten vier unterschiedliche kirchliche Traditionen: das Königreich Rumänien, die Metropolie von Siebenbürgen, die Metropolie der Bukowina, die einst zur österreichischen Hälfte der Doppelmonarchie gehörte, sowie die Metropolie von Bessarabien, die über hundert Jahre der Russifizierung unterworfen war. Die Zusammenführung dieser kirchlichen Strukturen war ein sechsjähriger Prozess, der 1925 abgeschlossen wurde. Gleichzeitig wurde mit der kirchlichen Vereinigung die Gründung des Rumänischen Patriarchats beschlossen, da eine so große Kirche mit über 15 Millionen Gläubigen diesen Status verdient hatte. Die ökumenische Patriarchie stand unter dem Druck der neuen türkischen Republik, und die russische Kirche wurde vom sowjetischen Staat verfolgt. Somit war die rumänische Orthodoxie die stärkste in jener Zeit und erhielt die Anerkennung als Patriarchat.”

    Der entscheidende Moment fand 1925 statt, als dieser politische, symbolische und administrative Prozess abgeschlossen wurde. Dragos Ursu berichtet weiter:

    Am 4. Februar 1925 beschloss die Synode auf Vorschlag des Metropoliten Nektarie von Bukowina die Erhebung der Rumänisch-Orthodoxen Kirche in den Rang eines Patriarchats. Anschließend wurde die Entscheidung vom Senat verabschiedet und vom Parlament bestätigt. Im August und September 1925 erfolgte die Anerkennung durch die ökumenische Patriarchie, die bis dahin die rumänische Kirche betreut hatte. Schließlich fand am 1. November 1925 die feierliche Inthronisierung des ersten rumänischen Patriarchen Miron Cristea statt. Die Erhebung zum Patriarchat vereinte nicht nur die vier orthodoxen Traditionen innerhalb Rumäniens nach der politischen Einigung von 1918, sondern festigte auch den Status der Rumänisch-Orthodoxen Kirche auf europäischer und globaler Ebene.”

    Der Historiker Dragoș Ursu fasste die Verdienste der sechs bisherigen Patriarchen zusammen:

    Miron Cristea (1925-1939) war der Patriarch der Vereinigung, der die institutionelle und theologisch-bildende Entwicklung der Kirche einleitete. Nicodim Munteanu (1939-1948) war der Patriarch der Kriegs- und Diktaturzeiten. Während seiner neun Amtsjahre durchlebte Rumänien die Herrschaften von Karl II., der Legionäre, Antonescu sowie den Zweiten Weltkrieg und die Einführung des Kommunismus. Iustinian Marina (1948-1977) ist eine umstrittene Figur: Einerseits galt er als “Roter Patriarch”, der mit dem kommunistischen Regime kollaborierte, andererseits sicherte er das Überleben der Kirche durch institutionelle Konsolidierung. Iustin Moisescu (1977-1986) hatte eine eher theologisch-kulturelle Ausrichtung, wurde jedoch von der Politik Ceaușescus unter Druck gesetzt, insbesondere durch den Beginn der systematischen Zerstörung von Kirchen in Bukarest. Teoctist Arăpașu (1986-2007) bewegte sich in einer ambivalenten Position: einerseits in Nähe zur kommunistischen Regierung, andererseits als Patriarch der Wendezeit und europäischen Integration. In seiner Amtszeit fiel der historische Besuch von Papst Johannes Paul II. 1999 in Rumänien. Daniel Ciobotea (seit 2007) ist der derzeitige Patriarch. Er hat sich besonders um die Entwicklung der Kirche in der rumänischen Diaspora gekümmert und die Orthodoxie in Bessarabien gestärkt, vor allem im Kontext des aktuellen Ukraine-Krieges. Zudem ist er der Patriarch der Nationalkathedrale, einem seit 1925 geplanten Projekt, das nun unter ihm verwirklicht werden soll.”

    Das hundertjährige Jubiläum des Patriarchats spiegelt die Geschichte des 20. Jahrhunderts wider – eine Geschichte voller Herausforderungen, die von Zeitzeugen erlebt und von Historikern erforscht wurde. Die Zukunft wird neue Herausforderungen bringen, auf die kommende Generationen ihre eigenen Antworten finden werden.

  • Rumänisch-japanische diplomatische Beziehungen

    Rumänisch-japanische diplomatische Beziehungen

    Unabhängig von physischen Entfernungen nähern sich Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften einander an, weil sie Nähe spüren und wünschen. Bis zum 20. Jahrhundert, als die Globalisierung alles reduzierte, hatten die Menschen eine natürliche Anziehungskraft auf ihre weiter entfernten Mitmenschen. Sie wollten ihre Sitten und Gebräuche kennen lernen, ihre Sprache erlernen und ihre Mentalität kennenlernen. Rumänen und Japaner kennen sich offiziell seit etwa 125 Jahren, denn die Schriften des rumänischen Reisenden Nicolae Milescu Spătarul über die Japaner aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammen aus einer Zeit, in der der Personenverkehr eingeschränkt war.
    Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, genauer gesagt im Jahr 1902, nahm der japanische Botschafter in Wien Kontakte mit der rumänischen Seite auf und äußerte den Wunsch, bilaterale Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu knüpfen. In diesem Jahr wurde ein Handelsvertrag unterzeichnet, der die rechtliche Grundlage für die Entwicklung der Beziehungen bilden sollte. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs standen Rumänien und Japan auf der gleichen Seite der Schützengräben, im Bündnis der Entente. Im August 1917 eröffnete Rumänien eine diplomatische Vertretung in Tokio, und fünf Jahre später, im Jahr 1922, tat Japan dasselbe. Zwischen 1922 und 1927 wurde die rumänische Gesandtschaft in Tokio aufgrund von Haushaltskürzungen geschlossen, aber nach 1927, als die rumänische Gesandtschaft wieder eröffnet wurde, wurden die Beziehungen bis September 1944 ununterbrochen aufrechterhalten. Im Zweiten Weltkrieg waren Rumänien und Japan erneut Verbündete, dieses Mal im Rahmen der Achse Rom-Berlin-Tokio.
    Nach dem Krieg wurden die Beziehungen 1959 wieder aufgenommen, und Ion Datcu wurde 1966 zum Botschafter Rumäniens in Japan ernannt. In einem 1994 vom Zentrum für Mündliche Geschichte des rumänischen Rundfunks geführten Interview erinnerte sich Datcu daran, dass er bei seiner Ankunft auf dem Posten nicht viele japanische Beamte vorfand, die viel über das Land wussten, aus dem er kam: “Was Rumänien betrifft, so war ich erstaunt über das geringe Wissen, das in parlamentarischen Kreisen, selbst unter Regierungsmitgliedern, vorhanden war. Sie wussten sehr wenig, und ich erinnere mich, dass sie damals, als wir bestimmte Themen, auch europäische, diskutierten, nicht verstehen konnten, dass wir andere Positionen als die Sowjetunion vertraten. Sie sahen diesen Teil Europas als einen Block, einen Monolithen. Das war nicht nur in Japan so, ich habe das auch in den USA erlebt. Aber ich möchte sagen, dass die Geschäftsleute auf der anderen Seite wussten, dass sie Interessen hatten. Ich besuchte viele Unternehmen, wir kauften bereits Schiffe, bauten Schiffe, ich taufte auch einige Erztransporter, Fischerboote wurden gekauft. Sogar die großen Unternehmen für elektronische Geräte schauten sich den Markt an. Mir ist dieser interessante Unterschied zwischen Politikern und Geschäftsleuten aufgefallen. Es gab eine große Diskrepanz.”
    Aber Ion Datcu sollte eine große Überraschung erleben, als er den japanischen Herrscher traf: “Kaiser Hirohito war ein außerordentlich netter Mann, jenseits seiner Aura des Mystischen war er ein äußerst herzlicher, zugänglicher Mensch. Und ich hatte die unglaubliche Überraschung, dass der Kaiser mehr über Rumänien wusste als die Mitglieder der damaligen Regierung. Er begann mit mir über das Donaudelta zu sprechen und war ein großer Spezialist für die Fauna, insbesondere für Fische. Und er hat mir das tatsächlich gezeigt, er hatte einige Bücher, und dann habe ich ihm versprochen <Majestät, ich werde mein Bestes tun> und als ich in den Urlaub fuhr, habe ich einige Bücher mitgebracht, die ich gefunden hatte, mit Karten des Donaudeltas, und ich habe sie ihm angeboten. Und er fragte mich immer <Wie lange wird dieses Paradies in Europa dauern?> Und ich kam auf die Idee, ich sagte <Vielleicht kommen Sie einmal und sehen die Donau, das Donaudelta und das Schwarze Meer>, dieses Gebiet, das er für seine Studien für sehr interessant hielt. Er hatte wahrscheinlich Biologie studiert und sich mit verschiedenen Wassertieren beschäftigt.”
    Die rumänisch-japanischen Beziehungen wurden von wirtschaftlichen Fragen dominiert. Ion Datcu sagte sogar, dass die Japaner eine neue Art der Diplomatie erfunden hätten, nämlich die wirtschaftliche: “Mein Mandat in Bukarest war in der Tat fast ausschließlich wirtschaftlich. Damals hatten wir die Idee, eine Reihe unserer Industriekapazitäten zu modernisieren, darunter auch die Aluminiumfabrik. Ich erinnere mich, dass wir das mit einem Unternehmen, Marubeni, gemacht haben, wir haben eine Flotte gebaut, und wir haben versucht, auch zu exportieren, und es ist uns sogar gelungen, Knüppel in ein Land zu exportieren, das Stahl bestimmter Art und Größe herstellte, sie produzierten Lager und viele andere Produkte, ich erinnere mich sogar an Eierpaste. Aus Sicht der rumänischen Regierung war das kein großes politisches Interesse. Zu dieser Zeit war Japan ein wirtschaftliches Interesse, und aus japanischer Sicht war es die Blütezeit der so genannten Wirtschaftsdiplomatie. Sie führten die Wirtschaftsdiplomatie ein. Ich, der ich mich intensiv mit diesen Aspekten befasst hatte, hatte den Eindruck, dass die Wirtschaftsdiplomatie nicht losgelöst von der Politik, von militärischen Faktoren und so weiter betrieben werden konnte, wie es normalerweise der Fall ist. Die Wahrheit ist, dass die Japaner die Wirtschaftsdiplomatie tatsächlich entwickelt und verfeinert haben. Was bedeutete das? Ihre Außenpolitik und ihre diplomatischen Prioritäten wurden, abgesehen von den Vereinigten Staaten von Amerika, von der Nachbarschaft und anderswo nach wirtschaftlichen Interessen festgelegt.”
    Rumänien und Japan, zwei weit voneinander entfernte Länder, haben bereits eine jahrhundertealte Tradition bilateraler Kontakte. Es ist eine Tradition, die sie durch die Vergangenheit, aber auch durch die Werte der Gegenwart eng zusammenhält.
  • 50 Jahre seit der Unterzeichnung der Akte von Helsinki

    50 Jahre seit der Unterzeichnung der Akte von Helsinki

    Nach 1945 war Europa brutal geteilt, und die Hoffnungen der Europäer, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zur Normalität zurückzukehren, nachdem sie sich vom Faschismus befreit hatten, wurden zunichte gemacht. Der Eiserne Vorhang, der Europa in das westliche, wohlhabende und demokratische Europa und das östliche, verarmte und vom Kommunismus tyrannisierte Europa teilte, verlief mitten durch Deutschland und seine Hauptstadt Berlin. Etwa zwei Jahrzehnte lang, bis in die späten 1960er und frühen 1970er Jahre, standen sich die beiden europäischen Staaten hasserfüllt gegenüber, und die Spannungen erreichten Paroxysmen, insbesondere während der Raketenkrise von 1962. Doch während man in Westeuropa den Willen dieser Nationen erkennen kann, Teil eines demokratischen Systems zu sein, wurde in Osteuropa der Wille der von den Sowjets besetzten und zum Hass gegen andere Europäer getriebenen Nationen mit Füßen getreten. Die antikommunistischen Aufstände in Polen und Ostdeutschland 1953, in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968, die alle von den Sowjets brutal niedergeschlagen wurden, bewiesen, dass die Osteuropäer nicht die Feinde der Westeuropäer sein wollten.
    Doch im Laufe der Zeit und mit dem Generationenwechsel änderten sich auch die Einstellungen. Die Europäer, sowohl im Westen als auch im Osten, suchten nach einer Lösung für ein Leben in Frieden und schlugen neue Konzepte wie die Entspannung der Beziehungen auf dem alten Kontinent vor. Die neue Mentalität schlug sich in der Gründung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) nieder, einem Forum für Diskussionen über heikle Fragen zwischen Europäern. Die Hauptstadt Finnlands als neutrales Land wurde für das erste Treffen des Forums im Juli 1973 ausgewählt. Ein weiteres Treffen folgte im September 1973 in Genf, und zwei Jahre später, im August 1975, wurde in Helsinki die Schlussakte unterzeichnet, die Nicolae Ceaușescu für Rumänien unterzeichnete. Obwohl sie hauptsächlich für Europa von Bedeutung war, unterzeichneten schließlich auch 57 Länder, darunter einige aus Nordamerika und Asien, die Akte.
    Der Diplomat und Professor Cristian Diaconescu, ehemaliger Außenminister, beschrieb die Veränderungen, die sich in den europäischen Beziehungen ergaben: “Seit den 1970er Jahren waren die beiden Blöcke in eine Logik der versuchten Ruhe, der versuchten Entspannung eingetreten. 1972 begannen die Vorverhandlungen, und man einigte sich allmählich darauf, dass diese Konferenz in Helsinki am 1. August 1975 eine Schlussakte über vier Bereiche verabschieden würde, die von allen damaligen europäischen Staaten, Kanada und den Vereinigten Staaten unterzeichnet wurde, außer von Albanien, das nicht teilnehmen wollte.”
    Die zehn Artikel der Akte sind auch als Konferenzdekalog bekannt und lauten wie folgt: Gleichheit der Souveränität und Achtung der sich daraus ergebenden Rechte; Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt; Unverletzlichkeit der Grenzen; territoriale Integrität der Staaten; friedliche Beilegung von Streitigkeiten; Nichteinmischung in innere Angelegenheiten; Achtung der Menschenrechte und der Grundrechte, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit; Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker; Zusammenarbeit zwischen den Staaten; gegenseitiges Vertrauen und Völkerrecht.
    Cristian Diaconescu fasste die Grundsätze zusammen, aus denen der Dekalog abgeleitet wurde: “Die Schlussakte von Helsinki bezog sich auf vier Bereiche. Der erste Bereich war der politisch-militärische Bereich, der den offensichtlichen politischen und militärischen Bereich, die territoriale Integrität, die Festlegung der Grenzen, die friedliche Beilegung von Streitigkeiten und die Umsetzung vertrauensbildender und sicherheitspolitischer Maßnahmen umfasste. Der zweite Bereich betraf die wirtschaftliche Dimension. Der dritte Bereich betraf die humanitäre Dimension, und hier geht es, den Problemen unserer Zeit entsprechend, um die Migrationsfreiheit, die Zusammenführung von durch Binnengrenzen getrennten Familien, den kulturellen Austausch, die Pressefreiheit. Und schließlich ging es im letzten Kapitel darum, eine Regelmäßigkeit für Mechanismen, Debatten und die Untersuchung der Umsetzung zu schaffen. Es gab noch weitere Treffen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, wie z.B. vor 1990 in den Jahren 1977 und 1978 in Belgrad, 1980 und 1983 in Madrid und 1986 und 1989 in Wien, die sich mit der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa befassten. Und 1990 wurde die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für zwei Jahre zu einem institutionalisierten multilateralen Rahmen auf diesen vier Ebenen. Die OSZE, die damalige KSZE, war die einzige multilaterale Organisation, die solche Themen diskutierte.”
    Nach 1990, als die Welle der bürgerlichen Revolutionen von 1989 die kommunistischen Tyranneien in der östlichen Hälfte Europas hinwegfegte, berührten die neuen Veränderungen auch das Erbe der Schlussakte von Helsinki. Sie blieb gültig und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) trat durch ein neues Dokument an die Stelle der KSZE. Cristian Diaconescu: “Das Wiener Dokument wurde angenommen. Dieses Dokument bezog sich genau auf Maßnahmen zur Stärkung des Vertrauens und der Sicherheit. Was beinhaltete dieses Dokument? Die Bereitschaft, sich gegenseitig über militärische Aktivitäten zu informieren, über verschiedene Aktionen mit politisch-militärischem Bezug, die eine Bedrohung darstellen könnten. Und um eine solche Entwicklung nicht auf die eine oder andere Weise grenzüberschreitend zu interpretieren, war eine frühzeitige Warnung notwendig.”

    Seit den 1970er Jahren wussten die Europäer, wie sie ihrem Kontinent eine neue Sicherheitsarchitektur geben konnten. An Herausforderungen mangelte es in den folgenden Jahren nicht, und die Fälle des Zusammenbruchs des ehemaligen Jugoslawiens und der ehemaligen Tschechoslowakei stellten auf tragische Weise die Tragfähigkeit der Grundsätze und Konzepte der gemeinsamen Sicherheit und Zusammenarbeit auf die Probe. Das Vermächtnis der Schlussakte von Helsinki hat die Überzeugung gestärkt, dass Krieg keine Lösung ist, aber die Europäer müssen heute auf alles vorbereitet sein.
  • Das unvollendete Bukarest

    Das unvollendete Bukarest

    Im rumänischen Raum begannen sich die modernen Städte nach dem europäischen Modell ab den 1830er Jahren zu entwickeln. Zu dieser Zeit bezogen sich einige Bestimmungen der organischen Verordnungen auf städtebauliche Maßnahmen, die ergriffen werden mussten, um den Lebensstandard der Einwohner zu erhöhen. Die Stadt, die den Ton für die Veränderungen angab, war die Hauptstadt Bukarest, die mit Ideen experimentierte, die in verschiedenen Epochen verbreitet wurden und die in den Städten der Provinz nachhallten. Die städtische Mikrogeschichte Bukarests ist weitgehend die urbane Makrogeschichte Rumäniens, mit oft widersprüchlichen Visionen, wie das Leben der Menschen aussehen sollte, mit einer Mischung aus Trägheit und konservativen Mentalitäten und Ambitionen und innovativen Veränderungen.

    Aus den Schriften derjenigen, die Bukarest in den verschiedenen Perioden seiner modernen Existenz besucht haben, erfahren wir, dass es eine Stadt im Wandel war, in der sich der Osten und der Westen trafen. Es war eine Stadt, die auf die großen europäischen Metropolen blickte und versuchte, mit ihnen und den Neuerungen der Zeit Schritt zu halten. Die Liste derer, die die Würde des Bürgermeisters der rumänischen Hauptstadt innehatten, umfasst berühmte Namen: den revolutionären Optiker Dimitrie C. Brătianu, den Journalisten und Politiker C. A. Rosetti, den Schriftsteller Barbu Ștefănescu Delavrancea, den Politiker Vintilă Brătianu. Zwei Namen ragen jedoch heraus, zwei Namen, die die Entwicklung der Hauptstadt am konsequentesten vorangetrieben haben: der liberale Jurist und Politiker Pake Protopopescu, Bürgermeister zwischen 1888 und 1891, und der Bauernjurist und Politiker Dem I. Dobrescu, Bürgermeister zwischen 1929 und 1934. Den beiden Bürgermeistern aus der Regierungszeit der Könige Carol I. und Carol II., mit deren Namen die wichtigsten Entwicklungslinien von Bukarest verbunden sind, gelang es, Mittel für große städtische Projekte zu mobilisieren. Dabei handelte es sich um das Straßen-, Wasser- und Abwassernetz, den öffentlichen Nahverkehr sowie um die Systematisierung der Flüsse Dâmbovița und Colentina.

    Nach 1945 führte das kommunistische Regime ebenfalls Stadtentwicklungsprojekte durch. In dieser Zeit kam es zu umfangreichen Umgestaltungen, aber auch zu Projekten, die sogar als stadtfeindlich bezeichnet werden könnten. Die Stadt dehnte sich aus und gewann an Höhe, es wurde mehr vertikal gebaut als zuvor, und der Zustrom der Landbevölkerung, der durch die Entwicklung der Industrie angezogen wurde, nahm zu, insbesondere ab den 1970er Jahren. Auch die beiden Führer des sozialistischen Rumäniens, Gheorghe Gheorghiu-Dej von 1945 bis 1965 und Nicolae Ceaușescu von 1965 bis 1989, haben die rumänische Hauptstadt entscheidend geprägt.

    Keine Stadt ist jemals fertig, sie folgt dem Lauf des Lebens derer, die sie bewohnen, und Bukarest ist da keine Ausnahme. Cezar Buiumaci ist Historiker der Stadt Bukarest, Museograph am Bukarester Stadtmuseum und beschäftigt sich mit Stadtplanung und der Geschichte der öffentlichen Denkmäler. Er ist verantwortlich für den letzten redaktionellen Beitrag „Die unvollendete Stadt“ über die tiefgreifenden Veränderungen der rumänischen Hauptstadt während der Jahre des sozialistischen Regimes zwischen 1945 und 1989.

    “<Die unvollendete Stadt> ist ein unvollendetes Werk, unvollendet in dem Sinne, dass es so viele Aspekte der Bestandteile der Stadt, der Transformationen, gibt, dass ein Autor die Forschung an einem bestimmten Punkt beenden muss. Ich habe die Recherche begonnen, weil ich persönlich verstehen wollte, was mit dieser Stadt passiert ist. Es war eine Mischung aus unterschiedlichen Informationen in verschiedenen Büchern und Artikeln, von denen sich keines wirklich und objektiv mit der kommunistischen Zeit befasste, und den Erinnerungen der Menschen, die durch bestimmte Einflüsse, insbesondere den Lauf der Zeit, verfälscht werden. Von einer Agglomeration am Rande des osmanischen Raums, der Hauptstadt des Fürstentums Walachei, wie sie um 1800 war, bis zu dem, was sie heute ist, hat sich Bukarest im Laufe von 225 Jahren viel verändert. Sie hat Naturkatastrophen wie Erdbeben, Brände und Epidemien erlebt, aber auch von Menschen verursachte Katastrophen wie Revolutionen, Kriege, militärische Besetzungen und die Systematisierung der 1980er Jahre.”

    Cezar Buiumaci wollte wissen, wie die Rumänen zu ihrer heutigen Hauptstadt kamen und schrieb ein Buch: “Was ist mit dieser Stadt geschehen? Was ist mit all diesen Vierteln, mit dieser Stadt, die die Stadt umgibt? Wie kommt es, dass wir die Viertel Militari, Drumul Taberei, Crângasi und andere haben, die alle die Altstadt umgeben? So habe ich versucht, herauszufinden, was passiert ist, und ich habe alle Informationen hier zusammengestellt, damit jeder verstehen kann, warum die Stadt unvollendet ist und was im Laufe der Zeit in Bukarest passiert ist. Der Historiker Răzvan Theodorescu sagte, dass Bukarest drei große Gründer hatte: Carol I., Carol II. und Ceaușescu. Ich bin anderer Meinung und sage, dass der dritte Gründer nicht Ceaușescu, sondern Dej ist. Diese Stadt ist so groß wie ein Land geworden, sie ist von mehreren anderen Städten umgeben, alle diese Viertel sind so groß wie eine Stadt, die Stadt in der Stadt, sie wurde zu Dejs Zeiten gebaut. Ceaușescu ist nicht der Gründer dieser Stadt, er ist derjenige, der sie zerstört und so dekonstruiert hat, dass sie nicht mehr wieder zusammengesetzt werden kann. Außerdem gab es keine Konsequenz und kein Projekt wurde zu Ende geführt, kein Systematisierungsprojekt, nicht einmal das Zerstörungsprojekt wurde zu Ende geführt. Die Stadt ist in vielerlei Hinsicht unvollendet.”

    Das heutige Bukarest ist eine Stadt, in der sowohl im Kern der alten Siedlung als auch im Hinterland Veränderungen stattgefunden haben. Namen alter Viertel wie Cotroceni, Vatra luminosaa, Dudești, Ferentari, Bucurestii Noi gehören zum heutigen Vokabular der Bukarester, ebenso wie Namen von Vierteln aus den Jahren des Sozialismus wie Titan, Berceni, Drumul Taberei und von Vierteln nach 1989 wie Brâncuși, Latin, Francez, Cosmopolis.

  • 100 Jahre rumänischer Schachverband

    100 Jahre rumänischer Schachverband

    In Paris war das berühmte Café de la Régence ein solcher Ort, während in Sankt Petersburg das Dominique mit Billardsälen, Dame- und Schachspiel bekannt war. Konkurrenz machte ihm das nahe gelegene Café Reiter, während in Moskau das Café Peking am Theaterplatz renommiert war. Die besten Spieler eines solchen Cafés konnten als professionelle Schachspieler angesehen werden. Zu jener Zeit gab es noch keine Schachvereine, und die Partien wurden häufig in Cafés ausgetragen – manchmal um Geld.

    Die Geschichte dieses Strategiesports in Rumänien feierte Anfang 2025 das 100-jährige Bestehen des Rumänischen Schachverbbands. Doch das Spiel selbst war in Rumänien natürlich schon früher präsent – doch obwohl die rumänischen Fürstentümer über mehrere Jahrhunderte Teil des Osmanischen Reiches waren, wo Schach bereits seit dem Mittelalter gespielt wurde, wurde Schach erst im Kontext der Revolution von 1848 aus Frankreich eingeführt. Der Schachhistoriker Ștefan Baciu schildert Details zur Verbreitung des Spiels im Rumänisch-sprachigen Kulturraum.

    „Auch in den hiesigen Cafés wurde Schach gespielt – und zwar leidenschaftlich. Ein in der Nähe von Czernowitz geborener Rumäne, George Marcu oder Georg Marco, veröffentlichte in der Fachzeitschrift Wiener Schachzeitung eine Partie, die er gegen seinen Bruder Mihai im Café Europa in Czernowitz gespielt hatte. Auch in den Bukarester Cafés wurde Schach mit Begeisterung gespielt.

    Manolache Costache Epureanu, Vorsitzender des Ministerrats gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wollte die Partie in einem Café nicht abbrechen, um zu seiner Kabinettssitzung zu gehen – eine Begebenheit, die in einer Skizze von I.L. Caragiale beschrieben wird. In Cafés wurden später auch die Grundlagen der ersten Schachvereine gelegt. 1875 organisierte der aus Österreich stammende Geigenvirtuose und Konservatoriumsprofessor Ludovic Wiest den ersten Schachsalon in Bukarest im Café Concordia in der Smârdan-Straße der Altstadt. 1892 wurde der erste Schachclub Bukarests im Café Kuebler gegründet. Frauen hatten keinen Zutritt zu den Cafés, aber wohlhabende Männer fanden Lösungen: Der Industrielle Basil Assan richtete in seinem Haus in Bukarest einen Schachsalon ein, in dem er mit seinen drei Töchtern spielen konnte.“

    Zu den Gründern des ersten Schachclubs zählte Hercule Anton Gudju, der in den 1880er-Jahren in Paris Jura studiert hatte und mehrere starke Turniere in der französischen Hauptstadt gewonnen hatte. Sein Sohn Ion Gudju war später maßgeblich an der Gründung des Rumänischen Schachverbands beteiligt.

    Im Sommer 1924 nahmen Ion Gudju, George Davidescu und Leon Loewenton während der Olympischen Sommerspiele in Paris an einem Mannschaftsturnier teil. Am 20. Juli 1924, nach der letzten Runde des Turniers, unterzeichneten 15 Delegierte die Gründungsurkunde der Fédération Internationale des Échecs (FIDE), darunter auch der Rumäne Ion Gudju. Nach seiner Rückkehr aus Paris bereiste Gudju das gesamte Land, um mit Vertretern der Schachkreise Großrumäniens über die Gründung eines nationalen Verbands zu sprechen, erläutert Ștefan Baciu die Geschichte.

    „Am 4. Januar 1925 gründeten Vertreter von 26 Schachkreisen das provisorische Komitee des Rumänischen Schachverbands. Zum Präsidenten wurde Adam Hențiescu gewählt, eine prominente Persönlichkeit der Epoche und Vorsitzender des Schachkreises Bukarest. Er war als Adam Hențiescu in Siebenbürgen geboren und hatte mit 21 Jahren die Karpaten überquert, um am Unabhängigkeitskrieg von 1877 teilzunehmen. Nach dem Krieg änderte er seinen Familiennamen von Hențiu in Hențiescu und studierte in Bukarest auf Apotheker. Er setzte sich für die Vereinigung Siebenbürgens mit dem Königreich Rumänien ein und kämpfte als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg.
    Leider verstarb er, bevor der Rumänische Schachverband offiziell gegründet wurde. Zum Initiativkomitee zählte auch der Temeswarer Alexandru Tyroler, der 1926 den ersten nationalen Meistertitel gewann. Bekannte Spieler waren Nicolae Brody aus Cluj und Janos Balogh aus Miercurea Ciuc, der mit einer Verteidigung, die seinen Namen trägt, in die Schachgeschichte einging. Dem Komitee gehörten auch Hochschulprofessoren, Anwälte und Politiker an.“

    Im Jahr 1925 wurden in den Städten, Gymnasien und Universitäten Großrumäniens Schachkreise gegründet, allein neun in Bukarest. Die Gründungsurkunde des Rumänischen Schachverbands wurde am 14. März 1926 anlässlich des ersten Kongresses des Verbands in Bukarest offiziell besiegelt. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 hatte auch Auswirkungen auf die Schachbewegung in Rumänien. In den Jahren 1932 und 1933 fand keine nationale Einzelmeisterschaft der Männer statt, und die rumänische Mannschaft, die zuvor regelmäßig an den ersten Schacholympiaden teilgenommen hatte, fehlte bei den Ausgaben von 1937 und 1939.

  • Diplomatische Beziehungen Rumänien – Bundesrepublik Deutschland

    Diplomatische Beziehungen Rumänien – Bundesrepublik Deutschland

    Die Entstehung zweier deutscher Staaten auf der europäischen Landkarte nach 1945 war die Folge tiefgreifender Divergenzen zwischen den USA, Großbritannien und der UdSSR in Bezug auf die Zukunft des Landes, das den schrecklichen Krieg begonnen hatte. Die beiden deutschen Staaten, West und Ost, standen sich mit tiefer Feindschaft gegenüber. Walter Hallstein, der erste Präsident der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, hatte der Doktrin den Namen gegeben, nach der die BRD keine diplomatischen Beziehungen zu den Ländern unterhielt, die die DDR anerkannt hatten. Und die Länder, die einem Block angehörten, unterhielten aus Solidarität keine diplomatischen Beziehungen mit dem deutschen Staat des anderen Blocks. So unterhielt Rumänien, das dem kommunistischen Block angehörte, keine Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland.
    Ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre sollte sich dies ändern. Im Jahr 1967 gelang es Rumänien, diplomatische Beziehungen zu Westdeutschland aufzunehmen, da sich das Konzept für die europäischen Beziehungen geändert hatte. Mit zwei gegenseitigen Besuchen, dem des rumänischen Außenministers Corneliu Mănescu in der BRD und dem des westdeutschen Außenministers Willy Brandt in Bukarest, wurde der Grundstein für die Annäherung gelegt. Das Oral History Center des rumänischen Rundfunks interviewte 1994 den Diplomaten Vasile Șandru, der sich an den Rahmen erinnerte, in dem sich die Veränderungen vollzogen.
    “Der Besuch von Vizekanzler Willi Brandt, der damals auch Außenminister war, fand zu einem Zeitpunkt statt, als Rumänien bereits diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufgenommen hatte. Der Hintergrund war folgender: Im Sommer 1966 war das Politische Konsultativkomitee des Warschauer Vertrages in Bukarest zusammengekommen. In dem bei dieser Gelegenheit verabschiedeten Dokument wurde die Idee einer europäischen Konferenz über Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa vorgestellt. Es enthielt auch eine Bestimmung, die sich für die Normalisierung der Beziehungen zu den beiden deutschen Staaten aussprach.
    Im Geiste dieses Dokuments hat Rumänien die Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, und zwar von seinem eigenen Standpunkt aus, auf eigenen Beschluss und ohne jegliche Konsultation mit seinen Verbündeten. Dies rief natürlich eine unzufriedene Reaktion hervor, insbesondere seitens der Sowjetunion und der anderen Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages, die behaupteten, dass die Aufnahme von Beziehungen zu Deutschland durch einen kollektiven Akt hätte erfolgen müssen.”
    Die neue Schicksalsphilosophie in Europa hatte also zu einer Neuausrichtung der Wahrnehmungen geführt.
    “Die Initiative Rumäniens fand ein positives Echo in der Bundesrepublik Deutschland, und Anfang 1967 kam es zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Zuvor hatte Rumänien bereits offizielle konsularische und kommerzielle Beziehungen zu Westdeutschland aufgenommen. Wir hatten bereits eine kommerziell-konsularische Vertretung in Köln. Nun war es an der Zeit, diese Beziehungen auf die höchste Ebene der diplomatischen Beziehungen zu heben. Aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland bedeutete die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien faktisch die Abkehr von der Hallstein-Doktrin, was selbst unter den damaligen Bedingungen des Kalten Krieges ein spektakulärer Schritt war, würde ich sagen.
    Die Bundesrepublik Deutschland hatte bis dahin eine sehr feste Haltung eingenommen, indem sie keinerlei Beziehungen zu den Staaten aufnahm, die Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik unterhielten. Die Position der Bundesrepublik Deutschland war, die Existenz eines zweiten deutschen Staates nicht anzuerkennen.”
    Vasile Șandru ist der Meinung, dass auch das persönliche Engagement viel zur Schaffung einer neuen Atmosphäre beigetragen hat.
    “Willy Brandt fuhr ans Meer, wo er von Nicolae Ceaușescu empfangen wurde, mit dem er ein etwa fünfstündiges Gespräch führte. Das Gespräch mit Nicolae Ceaușescu war vor allem politisch und bezog sich nicht nur auf die politische Situation in Europa, sondern auch auf die parteipolitischen Bindungen zwischen der kommunistischen und der sozialistischen Partei. Wie ist Willy Brandt an diesen Besuch herangegangen? Er kam mit seiner Frau und seinem Sohn Lars. Er hatte einen Sohn, der sich an diesen linken Bewegungen in Deutschland beteiligt hat. Er ging also nicht nur politisch, sondern auch persönlich an den Besuch heran, um unserem Land näher zu kommen. Frau Brandt und ihr Sohn hatten ein eigenes Programm am Meer. Sie hatten ein sehr interessantes Programm, sie waren sehr zufrieden mit dem Besuch, sie konnten auch einige rumänische Folklorevorführungen sehen und sie besuchten kulturelle Stätten. Es war ein Besuch mit einem Programm, das auch dazu beitrug, ein Bild von Rumänien zu schaffen.”
    Der kommunistische Würdenträger und Insider Paul Niculescu-Mizil sagte 1997, dass jenseits des Optimismus, mit dem wir heute blicken, die Schattenseiten kompliziert waren.
    “Als ich im Gefängnis saß, hörte ich einen Fernsehbericht von Cornel Mănescu darüber, wie die diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurden. Er sagte, er sei nach Deutschland gereist, habe sich mit Brandt getroffen und Brandt habe ihm gesagt, lass uns diplomatische Beziehungen aufnehmen, dann hätten sie sich die Hände geschüttelt und gesagt: Ja, wir sind einverstanden. Jetzt mal im Ernst. Ich weiß, wie diese Beziehungen aufgenommen wurden, ich war Mitglied des Ständigen Präsidiums. Dieses Problem wurde diskutiert und wieder diskutiert, wie man es machen kann, wie man es erreichen kann, wie die Sowjets reagieren werden, wie sie reagieren werden, ob es gut ist, ob es nicht gut ist.
    Das ging tagelang so weiter. Und als er ging, ging Mănescu mit einem präzisen Mandat, nämlich die diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen, es gab keine andere Möglichkeit. Ich war in Delegationen, es wäre absurd, etwas anderes zu sagen. Ich habe an vielen offiziellen Delegationen teilgenommen. Ich hatte ein Mandat von zu Hause, und wenn es nicht in die Situation vor Ort passte, musste ich mich zu Hause melden und um Genehmigung bitten.”
    1967 war Rumänien nach der UdSSR das zweite Land des kommunistischen Blocks, das Beziehungen zu Westdeutschland aufnahm. Es war ein diplomatischer Schritt, der die alten Beziehungen zwischen dem rumänischen Raum und dem gesamten deutschen Raum wiederherstellte.
  • Revolution von 1989: Wie nimmt die junge Generation die historischen Ereignisse wahr?

    Revolution von 1989: Wie nimmt die junge Generation die historischen Ereignisse wahr?

     

     

    Seit 1989 gedenken die Menschen in Rumänien im Dezember der antikommunistischen Revolution. Fast ein halbes Jahrhundert hatte ihnen das kommunistische Regime ihrer Rechte und Freiheiten und sogar ihrer menschlichen Würde beraubt. Im Unterschied zu anderen Ostblockstaaten wurde die Rückkehr zur Demokratie und zur Normalität im Dezember 1989 außerdem durch Blutvergießen erreicht.

    35 Jahre später lässt die emotionale Aufladung des Gedenkens nach, und die zeitliche Entfernung trägt zu einer zunehmend distanzierten Berichterstattung über die damaligen Ereignisse bei. Die neuen Generationen blicken auf den Dezember 1989 zwar mit der Neugierde für Ereignisse, die sich nicht hautnah erlebt haben. Doch besorgniserregend ist die Tatsache, dass viele junge Menschen heute nicht begreifen, was das totalitäre politische Regime für das Land und das Leben ihrer Eltern und Großeltern bedeutete.

     

    Die Historikerin und Schriftstellerin Alina Pavelescu entstammt der Generation, die die Revolution von 1989 erlebt und an ihr mitgewirkt hat. Sie hat ein Buch veröffentlicht, mit dem sie den Jugendlichen von heute vermitteln will, wie das Leben der Jugendlichen von damals war und wie es zur Revolution kam. Das Buch trägt den Titel „Die Revolution von 1989 – ein Nacherzählung für jene, die sie nicht erlebt haben“, und wir haben die Autorin gefragt, ob es eine Botschaft des Jahres 1989 für die Nachwelt gibt und ob es ihrer Generation gelungen ist, sie zu entziffern.

    Natürlich hätten wir das Vermächtnis des Jahres 1989 weitertragen müssen, um uns selbst zu finden und zu verstehen, was in den letzten 35 Jahren mit uns geschehen ist. Das ist uns bisher nicht gelungen, und wir können nur hoffen, dass wir von nun an weiser werden. Ich kann nur ein persönliches Zeugnis ablegen, und das ist die Bekundung eines Zeitzeugen, der auch 35 Jahre später noch eine große emotionale Belastung im Zusammenhang mit der Revolution verspürt. Dieser emotionale Ballast hindert uns daran, die Dinge klar zu sehen. Aber zumindest können wir unsere Geschichten so ehrlich erzählen, dass Menschen, die jünger sind als wir, heute begreifen, wie die Revolution von 1989 auch ihr Leben verändert hat. Und ich meine, dass sie ihr Leben zum Besseren verändert hat. Wenn meine Generation den Sinn der Ereignisse von 1989 nicht eruieren kann, schafft es vielleicht die junge Generation von heute, die Bedeutung dieser historischen Veränderung für ihr Leben zu begreifen.“

     

    Alina Pavelescu hatte das Gefühl, dass sie der heutigen und der kommenden Generation etwas über 1989 zu sagen hat. Ein Buch sei der geeignetste Weg gewesen, dies zu tun.

    Ich habe mir vor allem vorgenommen, junge Menschen zum kritischen Denken anzuregen. Mir ist klar, dass sie mit verschiedenen Geschichten und verschiedenen Versionen konfrontiert sind und sich wahrscheinlich fragen, wo die Wahrheit bei all den unterschiedlichen Darstellungen liegt. Deshalb habe ich im Buch zunächst alle Theorien und Hypothesen, die ich in den Diskursen über die Revolution identifiziert habe, mit ihren Pro- und Contra-Argumenten Revue passieren lassen. Aber ich gebe zu, dass ich es mir nicht verkneifen konnte, den Lesern im Nachwort zu dieser Abhandlung ausdrücklich zu sagen, dass die Revolution von 1989 tatsächlich eine solche war, weil sie unser aller Leben radikal verändert hat. Wir verdanken ihr die Freiheit der letzten 35 Jahre, auch wenn wir damals nicht wirklich wussten, was wir mit dieser Freiheit anfangen sollten, und wir stets das Gefühl hatten, dass sie uns jemand vor der Nase wegschnappt. Heute haben wir diese Freiheit immer noch, und das verdanken wir der Revolution von 1989 und den Menschen, die sich damals auf der Straße vor die Gewehrläufe gestellt und ihr Leben geopfert haben.“

     

    Doch wie ist Alina Pavelescu beim Schreiben ihres Buchs vorgegangen? War ihre Herangehensweise eher die einer Historikerin oder die subjektive Wahrnehmung der Schriftstellerin?

    Ein Historiker sollte eine kohärente und soweit wie möglich wahre Geschichte liefern, so nah wie möglich an der Schnittmenge der Wahrheit unterschiedlicher Ereignisse. Er muss nicht notwendigerweise Lektionen erteilen oder Interpretationen liefern, die über das persönlich Erlebte hinausgehen, auf das wir alle ein Recht haben. Aber ich fürchte, dass in Osteuropa und besonders in Rumänien, wo die Geschichte viel zu oft das Terrain politischer Kämpfe ist, die Historiker es nie wirklich schaffen werden, im Elfenbeinturm der abstrakten Geschichtsschreibung zu bleiben. Folglich denke ich, das Ehrlichste, was wir tun können, ist, zu versuchen, das Beste aus unserer Perspektive und aus der Perspektive des historischen Kontextes zu liefern. Ich glaube nicht, dass wir uns im Elfenbeinturm einschließen sollten, und ich glaube auch nicht, dass der Elfenbeinturm eine realistische Option ist. Gleichzeitig sollten wir aber auch nicht zulassen, dass Politiker unser Studienfach, nämlich die Geschichte, als Schlachtfeld für ihre ideologischen Grabenkämpfe missbrauchen.“

  • Die Wende in Rumänien: ein Dauerthema

    Die Wende in Rumänien: ein Dauerthema

    Die rumänische Revolution im Dezember 1989 ist der Wendepunkt der jüngeren Geschichte Rumäniens, der Nullpunkt, von dem aus die Ereignisse der Vergangenheit und Gegenwart eingeordnet werden.

    Am 16. Dezember 1989 begann in Timișoara ein kleiner Protest, der wie ein Schneeball eine Lawine von Demonstrationen auslöste. Der Sturm, der daraufhin das ganze Land erfasste, führte am 22. Dezember zum Sturz von Nicolae Ceaușescu und seinem Regime – um den Preis von etwa 1150 Toten und 4100 Verletzten. In Timișoara versuchte das Regime, sich der Leichen von 44 getöteten Demonstranten zu entledigen: Sie wurden nach Bukarest gebracht, in den Öfen eines Krematoriums verbrannt und ihre Asche in den Abwasserkanal der Gemeinde Popești-Leordeni südlich von Bukarest geworfen.

    Damals erhoben sich die Rumänen in Timișoara gegen alles, was die Politik seit 1945 ausgemacht hatte, und kämpften für ihre Rechte und ein besseres Leben. Am 16. Dezember 1989 ahnten nur sehr wenige Menschen, was die kommenden Tage bringen würden. Der Journalist Mircea Carp, einer der ehemaligen Intendanten des Radiosenders Freies Europa, erinnerte sich 1997 in einem Interview mit dem Zentrum für Mündliche Geschichte der Rumänischen Rundfunkgesellschaft an die fiebrigen Erwartungen jener Tage.

    „Auf die Ereignisse in Brașov im Jahr 1987 folgten die Jahre 1988 und 1989, in denen der Eiserne Vorhang gelüftet wurde und die Entwicklungen in Ostdeutschland, Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei an Fahrt aufnahmen. Nur bei uns schien alles stillzustehen. Ceaușescu wirkte so sicher in seiner Macht, dass er sogar eine offizielle Reise in den Iran unternahm und erst bei seiner Rückkehr erfuhr, dass es im Land schwerwiegende Entwicklungen gab. Doch selbst dann glaubte er nicht, dass seine Position gefährdet war.“

    In Europa brodelte es 1989 – bis Dezember konnte der Wind des Wandels, der Wind of Change aus dem berühmten Lied der deutschen Gruppe Scorpions, in ganz Mittel- und Osteuropa nicht mehr aufgehalten werden. Für Mircea Carp war der Beginn der rumänischen Revolution in Timișoara die Erfüllung eines brennenden Wunsches, aber auch ein Schock.

    „Im Dezember 1989 loderte mit den Ereignissen in Timișoara die erste Flamme auf. Der genaue Zeitpunkt überraschte uns. Wir hatten uns zwar intern und organisatorisch auf eine mögliche Veränderung des Regimes in Rumänien eingestellt, doch der 16. und 17. Dezember 1989 an sich trafen uns unvorbereitet. Ich selbst war in diesen Tagen sogar auf einem kurzen Urlaub und nicht im Büro. Mein Kollege Sorin Cunea war der Erste, der über die Ereignisse in Timișoara berichtete. Ab dem 18. Dezember organisierten wir uns und arbeiteten in Teams rund um die Uhr, basierend auf den Informationen, die wir von internationalen Nachrichtenagenturen und Reisenden aus Rumänien erhielten.“

    Die Rumänen, die jahrzehntelang in Angst und Erniedrigung gelebt hatten, fanden in den ausländischen rumänischsprachigen Radiosendern eine wichtige moralische Stütze. Mircea Carp betonte, dass er und sein Sender während der Befreiungstage in Timișoara ihre Pflicht so gut wie möglich erfüllten.

    „Als die Revolution begann, waren wir bereit – wir vom Freien Europa genauso wie die anderen Radiosender. Aber wir trugen nicht direkt durch aufwiegelnde Sendungen dazu bei, die Bevölkerung zum Aufstand gegen das Regime zu mobilisieren. Ob das besser oder schlechter gewesen wäre, kann man diskutieren. Aus meiner Sicht hätte aber die amerikanische Regierung – die Voice of America und Radio Freies Europa betrieben – niemals zugelassen, dass unsere Sender eine blutige Revolution oder solche Verluste an Menschenleben und Zerstörungen unterstützen.“

  • „Gazeta Matematică“ – die Fachzeitschrift für Mathematikliebhaber

    „Gazeta Matematică“ – die Fachzeitschrift für Mathematikliebhaber

    In ihrer fast 250-jährigen Geschichte verzeichnet die rumänische Presse auch das längste ununterbrochene Erscheinen einer Publikation. Es handelt sich um die „Gazeta Matematică“, eine Fachzeitschrift für Mathematikliebhaber, die 1895 in Bukarest auf Initiative einer Gruppe von Mathematikern und Ingenieuren veröffentlicht wurde. Zu den fünf Gründern gehörten die Ingenieure Victor Balaban, Vasile Cristescu, Ion Ionescu, Mihail Roco und Ioan Zottu. Nach Balabans frühem Tod wurde der Mathematiker Constanța Pompilian in die Gruppe aufgenommen. Bald gehörten zu dieser ersten Gruppe auch die Ingenieure Tancred Constantinescu, Emanoil Davidescu, Mauriciu Kinbaum und Nicolae Niculescu sowie die Mathematiker Andrei Ioachimescu und Gheorghe Țițeica. In den 129 Jahren, in denen die „Gazeta Matematică“ ununterbrochen erschien, war sie die Agora, in der sich die besten rumänischen Mathematiker, Forscher, Lehrer, Ingenieure, Wirtschaftswissenschaftler, Studenten und Schüler sowie andere Liebhaber des Fachs äußerten. Auch die Namen ausländischer Mathematiker sind auf den Seiten der Zeitschrift zu finden. Die „Gazeta Matematică“ bildete Generationen von Enthusiasten aus und organisierte Wettbewerbe. Zunächst erschien die Zeitschrift mit einem Umfang von 16 Seiten und einer Auflage von 144 Exemplaren, die auf der Grundlage von Abonnements verkauft wurden. Später stieg die Zahl der Käufer, und die höchste Auflage wurde in den 1980er Jahren erreicht, als eine Ausgabe in 120.000 Exemplaren erschien.
    Mit einer solchen Tradition ist die „Gazeta Matematică“ auch eine Quelle für die Erforschung der Entwicklung des Bildungswesens in Rumänien. Der Mathematiker und Schriftsteller Bogdan Suceavă wies auf den Reichtum hin, den die „Gazeta“ in dieser Hinsicht bietet. Spur: „Die Tatsache, dass es eine Datenbank mit einer Vielzahl von Aufgaben aus 129 Jahren gibt, bedeutet, dass man verschiedene historische Schichten, verschiedene Denkweisen über Bildung betrachten kann, um Aufgaben zu finden, die für eine bestimmte Altersgruppe geeignet sind. Diese Modelle befinden sich in der Gazeta. Seit mehr als einem Jahrhundert gibt es genug Beispiele, wurden genug Strategien ausprobiert, und so haben wir gesehen, wie eine interessante Bevölkerung reagiert. Die Tatsache, dass wir so viele Beispiele haben, so viele Möglichkeiten, über die Gazeta nachzudenken, wird es uns ermöglichen zu sehen, wie diese Erfahrung in einem breiteren Rahmen von Interesse ist.
    In ihrer langen Geschichte, die bis heute andauert, hatte die „Gazeta Matematică“ hohe Standards und förderte stets kreatives Denken. Bogdan Suceavă erinnerte an eine solche Episode originellen Denkens. Track: „Ein interessanter Fall war Sebastian Kaufman, der während der mündlichen Prüfung einige Formeln der Trigonometrie vergaß. Er wurde im Leitartikel kritisiert, er konnte nicht übergangen werden. Kein Problem, Kaufman lernt Trigonometrie und forscht schließlich mit Techniken, die mit Polarkoordinaten zu tun haben. Seine Arbeit erscheint einige Monate vor dem Eintritt Rumäniens in den Ersten Weltkrieg. Worum ging es dabei? Genauso wie wir die Potenz eines Punktes über einem Kreis haben – ein Konzept, das von Jakob Steiner 1826 eingeführt wurde – können wir die Potenz eines Punktes über einer ebenen algebraischen Kurve haben. Er schlägt vor, sie mit Polarkoordinaten zu schreiben und zu sehen, was passiert. Es war eine außergewöhnliche Arbeit, geschrieben von einem bemerkenswerten Gymnasiasten. Das war die Umgebung der Gazeta. Er bereitet sich auf den Wettbewerb vor, auf den Gazeta-Wettbewerb, er trifft sich mit den Bewertern, er ist alles andere als perfekt. Er wird kritisiert und verbessert sich, und auf der Grundlage dieses Umfelds entsteht etwas Kreatives. Das gleiche Problem wie bei Kaufman wurde nach dem Zweiten Weltkrieg untersucht, und ich glaube nicht, dass wir in anderen Quellen etwas finden, das vor 1956 veröffentlicht wurde. Die Tatsache, dass ein Gymnasiast so etwas in Bukarest gemacht hat, ist bemerkenswert.“
    Der Name der „Gazeta Matematică“ ist auch mit der Entstehung der Internationalen Mathematik-Olympiade, einem prestigeträchtigen Wettbewerb, verbunden. Rumänien hat bisher an allen Ausgaben teilgenommen und dabei 78 Goldmedaillen, 146 Silbermedaillen, 45 Bronzemedaillen und 6 Erwähnungen gewonnen. Damit belegt es den 6. Platz in der ewigen Bestenliste. Rumänien war Gastgeber von 6 Ausgaben: 1959, 1960, 1969, 1978, 1999 und 2018. Bogdan Suceavă. Laufbahn: „Die Initiative zu den Internationalen Olympiaden ging von der Rumänischen Gesellschaft für mathematische und physikalische Wissenschaften aus, die Diskussionen fanden zwischen 1956 und 1959 statt. Die erste Ausgabe fand ’59 statt. Damals war der Präsident der Gesellschaft Grigore Moisil, die Vizepräsidenten waren Caius Iacob und Nicolae Teodorescu. Damals war es aus politischer Sicht nicht einfach, eine internationale Veranstaltung zu organisieren, denn es gab mehrere Zwänge. Die erste war, alle notwendigen Genehmigungen zu erhalten. Die zweite war die Frage nach den internationalen Kontakten und dem Prestige, um ein internationales Projekt dieser Größenordnung zu starten. Ihre Generation hatte den Gazeta-Wettbewerb als Vorbild, und wenn man das Format vergleicht, so war dies ursprünglich die Idee: Es wurden nicht viele Aufgaben gestellt, die in sehr kurzer Zeit zu lösen waren, sondern Aufgaben, die viel Denkzeit erforderten, etwa eineinhalb Stunden pro Aufgabe. Das war die ursprüngliche Idee, und sie ähnelte sehr dem, was vor dem Ersten Weltkrieg in Rumänien versucht worden war. Die Initiatoren der Idee hatten das Gefühl, dass das Gazeta-Modell von internationalem Interesse sein könnte. Das sollte man zur Kenntnis nehmen und mit anderen Wettbewerben vergleichen, die es damals gab.“
    Die „Gazeta Matematică“ ist die Referenzpublikation der rumänischen Mathematiker, der rumänischen Schule der Mathematik. Es geht um Mathematik, aber auch um Bildung, um Geschichte, um kollektive Mentalität und um den Generationswechsel. Und vor allem ist es eine Tradition, die fortbesteht.
  • Die Kommunistische Partei Rumäniens in der Illegalität

    Die Kommunistische Partei Rumäniens in der Illegalität

    Das Ende des Ersten Weltkriegs war weit davon entfernt, die erhitzten Gemüter, die ihn ausgelöst hatten, zu beruhigen, sondern schürte neue Wut und Obsessionen, und extreme Lösungen wurden als am besten geeignet angesehen. So beherrschten Links- und Rechtsextremismus, Kommunismus und Faschismus, monströse Schöpfungen des Krieges, die Köpfe vieler Menschen. Eine Besonderheit des Ersten Weltkriegs war, dass weder die Sieger ihren Sieg genießen konnten noch die Verlierer auf Rache verzichteten. Es dauerte bis zum Zweiten Weltkrieg, bis die zerstörerischen Energien aufgebraucht waren.
    Die nach 1918 entstandenen neuen Staaten ergriffen Maßnahmen gegen den Extremismus und zur Sicherung ihrer Grenzen. Das Königreich Großrumänien, ebenfalls eine Schöpfung des Versailler Systems, ergriff harte Maßnahmen, um die extremistischen Erscheinungen zu beseitigen, die seine Existenz und sein Funktionieren gefährdeten. Am 6. Februar 1924, also vor mehr als 100 Jahren, verabschiedete die liberale Regierung unter Ion I. C. Brătianu das Gesetz über juristische Personen, mit dem extremistische Organisationen verboten wurden. Die beiden wichtigsten Organisationen, die davon betroffen waren, waren die 1923 gegründete rechtsextreme Nationale Christliche Verteidigungsliga und die 1921 gegründete linksextreme Rumänische Kommunistische Partei. Der Architekt des Gesetzes, nach dem das Gesetz benannt wurde, war Justizminister Gheorghe Gh. Mârzescu, ein Jurist und Bürgermeister von Iași während der Kriegsjahre.
    Während sich die extreme Rechte 1927 in Form der Legionärsbewegung neu erfand und in den späten 1930er Jahren legal und erfolgreich in der Öffentlichkeit agieren konnte, blieb die extreme Linke, ein Agent Moskaus in Rumänien, bis 1944 verboten. Am Ende des Zweiten Weltkriegs, nachdem die Sowjetunion Rumänien besetzt und die Kommunistische Partei Rumäniens (PCR) an die Macht gebracht hatte, machten die wenigen Mitglieder der Partei einen Ruhmestitel aus der Tatsache, dass sie Mitglieder einer verbotenen Organisation gewesen waren. Man nannte sie „Illegale“, und es gab sowohl solche, die im Gefängnis saßen, als auch solche, die versteckt in Freiheit den Anweisungen aus Moskau folgten. Einer der Illegalen war Ion Bică. Im Archiv des Zentrums für Mündliche Geschichte des rumänischen Rundfunks befindet sich ein Interview mit ihm aus dem Jahr 1971, in dem er erzählt, wie sie im April 1944 mit Hilfe einiger Leute aus der Verwaltung aus dem Lager in Târgu Jiu, in dem sich einige der kommunistischen Aktivisten befanden, geflohen sind: „Der Partei war es gelungen, eine enge Verbindung zwischen den Kämpfern draußen und den Kämpfern in den Gefängnissen und Lagern herzustellen. Sie wird mit einer schwierigen Situation konfrontiert. Während Hitlers Armeen einen Schlag nach dem anderen erhalten, intensiviert sich die Aktivität der Partei im Lande. Die Verbindung zwischen den Kommunisten drinnen und draußen wird durch einfache Leute hergestellt, die bestimmte Aufgaben im Verwaltungsapparat des Lagers übernehmen. Es gab zum Beispiel Frauen, die nach der Auflösung des Lagers in verschiedene Orte des Landes und nach Bukarest gingen. Es gab Frauen, die das Vertrauen der Kommunisten genossen, sie waren Überbringerinnen von Notizen, von Korrespondenz zwischen den Kommunisten draußen und denen drinnen sowie zwischen denen drinnen und denen draußen.“
    Anton Moisescu war ebenfalls Illegaler und erzählte 1995, wie seine Aktivitäten vor und während des Krieges aussahen: „Vorher war ich noch in der illegalen Partei tätig, aber ich arbeitete in einer Fabrik und unter meinem richtigen Namen, den jeder kannte, aber nicht als Parteiaktivist oder UTC-Aktivist. Diesmal musste ich jedoch meinen Namen ändern und mich nirgends blicken lassen, damit mich keiner unserer Agenten traf, denn die hätten mich sofort verhaftet. Und dann habe ich in einem geheimen Haus gelebt, habe meine Tätigkeit nachts ausgeübt, bin nur nachts zu Versammlungen und Sitzungen gegangen. Ich wurde gesucht, aber ich war für die Staatssicherheit unauffindbar.“
    Anton Moisescu verwies auch auf die Mittel zum Lebensunterhalt, die ein Illegaler hatte: „Wir lebten von der Hilfe der Aktiven in der Hauptstadt. Die Leute sparten etwas Geld für uns, denn wir waren nur wenige, wir waren nicht viele in dieser Situation. Die anderen Parteimitglieder und Sympathisanten sammelten für die politischen Gefangenen, ich habe mich auch darum gekümmert, mit der Roten Hilfe: Kleidung, Lebensmittel, Proviant, Geld. Ich habe ihnen das gegeben, was wir über ihre Verwandten gesammelt haben, wir haben sie in die Gefängnisse geschickt. Sie haben auch für uns gesammelt. Wir hatten ein geheimes Haus, in dem wir wohnten, normalerweise hatten wir nichts zu mieten, wir hatten kein Haus auf unseren Namen. Es war das Haus eines Sympathisanten, wo wir eine Zeit lang wohnten. Wenn uns etwas verdächtig vorkam, gingen wir in ein anderes Haus eines anderen Sympathisanten und so weiter. Die ganze Zeit waren wir in geheimen Häusern untergebracht, die der Sicherheitsbehörde nicht bekannt waren, auch nicht den Leuten, die als Aktivisten bekannt waren, sondern nur unseren Sympathisanten.“
    Die Zeit der Illegalität, in der die PCR tätig war, zwischen 1924 und 1944, war eine Zeit, in der sich der rumänische Staat in legislativer, administrativer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht konsolidierte. Und das Mârzescu-Gesetz war das Instrument, mit dem verhindert wurde, dass der Extremismus, sowohl der rechte als auch der linke, die Entwicklung eines Staates, der für seine Errungenschaften mit großen Opfern bezahlt hatte, aufhalten konnte.
  • Geschichte der modernen rumänischen Zivilisation: 100 Jahre seit Herausgabe von Lovinescus Werk

    Geschichte der modernen rumänischen Zivilisation: 100 Jahre seit Herausgabe von Lovinescus Werk

    Eugen Lovinescu ist 1881 in Fălticeni, im Norden Rumäniens, geboren und 1943 in Bukarest gestorben. Er ist unter anderem für sein umfangreiches dreibändiges Werk „Geschichte der modernen rumänischen Zivilisation bekannt“. Das Buch wurde 1924-1925, vor genau 100 Jahren, herausgegeben. Darin wird Lovinescus Vision von kleinen Gesellschaften präsentiert, die dazu neigen, sich mit großen Gesellschaften zu synchronisieren. Der Autor, ein überzeugter Anhänger westlicher Werte, legt das Gesetz der Nachahmung dar und zeigt, wie rückständige Gesellschaften von fortgeschrittenen Gesellschaften beeinflusst werden

    Seit seinem Erscheinen hat Lovinescus Werk zunehmend an Bedeutung für die rumänische Gesellschaft gewonnen. In den vergangenen 100 Jahren wurde Lovinescus These vom Synchronismus sowohl angegriffen als auch verteidigt.

    Nach Ansicht von Ion Bogdan Lefter, Professor für rumänische Literatur an der Universität Bukarest, geht das Buch über eine Literaturgeschichte hinaus. Deshalb würde es jetzt die Anerkennung bekommen, die es verdient habe.

    Die Frage, die ich mir sicherlich gestellt habe, lautet: Warum dieses Buch? Und natürlich gibt es dazu eine Reihe von Antworten, die vielschichtig sind. Die erste Antwort ist die außerordentliche Bedeutung des Autors. Für mich ist Lovinescu der wichtigste rumänische Literaturkritiker überhaupt, ja sogar eine Schlüsselfigur der rumänischen Kultur seit 1900. Die zweite Ebene der Antwort ist vielleicht überzeugender, da sie keine Bewertung und möglicherweise auch keine Subjektivität impliziert. Sie hat mit dem Profil dieses Buches in Bezug auf sein Thema und auf die heutige rumänische Welt zu tun. Lovinescu war ein Literaturkritiker, seine multidisziplinäre Relevanz ist unbestreitbar.

    Ion Lefter ist der Meinung, dass der Text von Lovinescu eine Aktualisierung verdient. Es ist bekannt, dass jeder Text ein Produkt seiner Zeit ist und mit jedem vergangenen Jahr „altert“. Lefter argumentiert, dass Lovinescu mit den Augen des 21. Jahrhunderts gelesen werden kann.

     Der Synchronismus ist, war und bleibt eine Form der Globalisierung. Globalisierung ist eine Form der Synchronisierung. Das Überbrücken von Lücken, das Eintreten in den Wettbewerb, die Angleichung sind auch Mikroprozesse. Wenn wir über eine einzelne Nation sprechen, befinden wir uns aus planetarischer Sicht immer noch auf einer Mikroebene. Oder, wenn wir die große planetarische Skala betrachten, sind die Phänomene eigentlich gleichartig, mit vielen Feinabstimmungen, die wir natürlich hinzufügen müssen. Lovinescus kulturelle Überlegungen zur Geschichte der modernen rumänischen Zivilisation haben von daher vielleicht auch eine zeitgenössische und sogar natürliche Dimension. Ich sage das nicht, um Lovinescus Bild als Prophet der Globalisierung aufzupolieren.

     Wer sich für Moden und Trends interessiert schaut auch auf die Richtung, in die sich die menschliche Zivilisation bewegt. Da Kultur und Zivilisation nicht voneinander zu trennen sind, hören wir heute Meinungen darüber, die aus der Vergangenheit stammen und nach den Vorstellungen der Gegenwart neu bewertet werden. Ion Bogdan Lefter sagt, ausgehend von den Thesen Lovinescus, dass die Entwicklung der Menschheit eher als Ergebnis allmählicher Anhäufungen und kaum als Folge extremer und spontaner Impulse zu sehen ist.

     Ich bin fest von der Idee der evolutionären Abstufungen überzeugt, die in erster Linie Kontinuitäten voraussetzt. Die Kontinuitäten können langsamer oder schneller sein, die Rhythmen können Kontinuität und Bruch näher bringen. Sind sie so radikal unterschiedlich, wie wir sie oft formulieren? Oder sind sie Teil umfangreicher Prozesse der Entwicklung und Kontinuität, die auch Rückschläge und Brüche beinhalten? Auf jeden Fall würde ich viel vorsichtiger und seltener radikale Bewertungen verwenden.

    Autoren wie Eugen Lovinescu, die über die Grenzen ihrer Disziplin hinausgehen, sind eher selten. Ion Bogdan Lefter ist der Ansicht, dass die historischen Zeiten, durch die Gesellschaften gehen, über die Persönlichkeiten verfügen, die sie verstehen können.

    Lovinescu kommt sehr schnell zu der Erkenntnis, dass Literatur ohne einen historischen Charakter nicht verstanden werden kann und nicht existiert. Es gibt keine Geschichte der Literatur ohne den Hintergrund der Sozialgeschichte, der großen Geschichte. Das ist eigentlich eine Entwicklungsstufe derjenigen, die in der jeweiligen Epoche alle soziokulturellen Bereiche verstanden haben. Die öffentliche Debatte setzt eben zuallererst den Diskurs voraus. Das Verfassen von Texten, das expressive Schreiben sind frei verfügbar und können von Fachleuten in allen Bereichen genutzt werden. Aber natürlich trainieren Schriftsteller auch für den Diskurs, sie sind Profis der öffentlichen Vorträge.

     Vor hundert Jahren hat Eugen Lovinescu der rumänischen Kultur ein großes Werk vermacht. Es war sowohl ein Buch über die Identität der rumänischen Gesellschaft als auch ein Buch über ihren Werdegang.

  • Parteizeitung „Scânteia“: die Anfänge des Presseorgans der rumänischen Kommunisten

    Parteizeitung „Scânteia“: die Anfänge des Presseorgans der rumänischen Kommunisten

    Eine der stärksten Waffen der Propaganda der kommunistischen Regime war die Presse. Die Rede- und Pressefreiheit ist ein Recht, das im 18. Jahrhundert errungen und in Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 formell als allgemeines Recht angenommen wurde. Doch totalitäre kommunistische und faschistische Regime haben dieses Recht mit Füßen getreten und in ein Mittel zur Einschüchterung und Gleichschaltung verwandelt.

    In den kommunistischen Ostblockstaaten Mittel- und Osteuropas drehte sich die gesamte Presse um die Ideologie. Die kommunistischen Parteien gründeten zu diesem Zweck ihre eigenen Presseorgane, die das Wesen ihrer Ideologie zum Ausdruck brachten. In der Sowjetunion gab es seit 1912 die Zeitung „Prawda“ („Die Wahrheit“), und im kommunistischen Bulgarien erschien bis 1990 „Rabotnitschesko Delo“ („Taten der Arbeiter“). In der Tschechoslowakei gab es bis 1995 die Parteizeitung „Rudé Právo“ („Rote Gerechtigkeit“). In der Deutschen Demokratischen Republik erschien ab 1946 die das Blatt „Neues Deutschland“ als Zentralorgan der SED. Im ehemaligen Jugoslawien wurde „Borba“ („Der Kampf“) bis 2009 herausgegeben und erschien danach episodisch weiter. In Polen wurde „Trybuna Ludu“ („Die Volkstribüne“) von 1948 bis 1990 gelesen. In Ungarn erschien ab 1942 „Szabad Nép“ („Freies Volk“), das 1956 in „Népszabadság“ („Volksfreiheit“) umgetauft wurde. Und schließlich in Rumänien wandte sich die Kommunistische Partei mit „Scânteia“ („Der Funke“) an die Gesellschaft.

    Gegründet 1931, als die Rumänische Kommunistische Partei (PCR) eine verbotene Partei war und vom rumänischen Staat radikal verfolgt wurde, weil sie für die Zerstückelung des Landes eintrat, erschien die Parteizeitung „Scânteia“ bis 1940 nur sporadisch. Ihr Name war eine Übersetzung des russischen Wortes „Iskra“ („Funke“) und eine Anlehnung an die gleichnamige Exilzeitung Lenins, die zwischen 1900 und 1905 erschienen war. Legal erschien „Scânteia“ erstmals am 21. September 1944, nachdem die Rote Armee am 30. August 1944 Bukarest besetzt hatte und bis 1947 die kommunistische Herrschaft in ganz Rumänien durchsetzen sollte.

     

    Der 1920 geborene Kunstkritiker Radu Bogdan war ein kommunistischer Sympathisant und hatte in den Kriegsjahren sporadische Kontakte zu Mitgliedern der Kommunistischen Partei gehabt. Unmittelbar nach dem Einmarsch der Sowjets wurde er politisch aktiv. 1995 erinnerte er sich im Interview mit dem Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte, wie er an der Neugründung der Parteizeitung mitgewirkt hatte.

    Am Anfang waren es fünf Personen, die von der Partei beauftragt wurden, die erste Ausgabe vorzubereiten. Der Komponist [und überzeugte Kommunist] Matei Socor stand an der Spitze des Teams, zu dem noch Pavel Chirtoacă, der Ingenieur Solomon, Radu Mănescu und Iosif Ardelean gehörten, der später bei der Zensurbehörde arbeiten sollte. Es begann also mit diesen fünf, wobei der Ingenieur Solomon administrative Aufgaben hatte. Damals schwebte mir vor, als Journalist tätig zu werden, aber ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte. Als ich hörte, dass Radu Mănescu eine Zeitung herausgeben sollte, ging ich zu ihm, stellte mich vor und fragte, ob ich mitmachen könne, weil ich Journalismus machen wollte. So wurde ich eingeladen, mich hinzusetzen und ein Volontariat zu machen. Es war die so genannte romantische Zeit, ich steckte voller Ideale! Am Anfang habe ich Korrekturlesen gemacht. Dort hatte ich Mirel Ilieșiu als Kollegen, einen Filmregisseur. Ich habe also schon mit der Arbeit an der ersten Ausgabe der Zeitung »Scânteia« einen Fuß in die Redaktion gesetzt.“

     

    In der Zeitung sprachen sich idealistische kommunistische Intellektuelle wie auch neuere Opportunisten mit extremer Gewalt gegen das bürgerliche Rumänien und die demokratische Gesellschaftsordnung aus. Einer der schärfsten Propagandisten war damals Silviu Brucan, der die gesamte Geschichte des Regimes erlebte und auch nach 1989 noch eine Zeit lang als Publizist tätig war. Radu Bogdan erinnerte sich an die „wachsame“ Tätigkeit der Presse in jenen Jahren, insbesondere die der Parteizeitung „Scânteia“, die vom marxistischen Soziologen Miron Constantinescu geleitet wurde.

    Matei Socor war nur einen Tag lang Leiter der »Scânteia«. Danach wurde er zum Rundfunk versetzt und wurde dessen Generaldirektor. Ein paar Tage nach den ersten Ausgaben der Parteizeitung bekamen wir Miron Constantinescu als Chef, er war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Wir haben in der Redaktion oft nachts gearbeitet. Die ersten Tage schlief ich mit ihm auf der gleichen Matratze auf dem Boden, es gab nämlich keine Betten. Das erste Redaktionsbüro von »Scânteia« befand sich im Gebäude der eingestellten [rechtsgerichteten] Zeitung »Curentul«, die von Pamfil Șeicaru geleitet worden war. Zu dieser Zeit war ich auch der Leibwächter von Miron Constantinescu. Aber das war mehr Schein als Sein, weil ich nicht bewaffnet war. Doch Constantinescu ging jeden Tag zum Allgemeinen Gewerkschaftsbund und ihm war es etwas mulmig zumute, allein auf der Straße unterwegs zu sein, also nahm er mich immer mit, um ihn zu begleiten. Ich war damals ziemlich gut gebaut und ein hochgewachsener Mann. Doch wir wurden nie angegriffen. Aber ein paar Monate lang war ich wie sein Schatten.“

     

    In den folgenden 40 Jahren war „Scânteia“ – ähnlich wie die Presseorgane der Schwesterparteien in den kommunistischen Ostblockstaaten – ein reines Propagandabüro, das die materiellen Entbehrungen und die brutale Verletzung der Menschenrechte verschleierte.

  • Geschichte des Kommunismus: Wie sich die Securitate vom KGB emanzipierte

    Geschichte des Kommunismus: Wie sich die Securitate vom KGB emanzipierte

     

     

    Es war der bis dahin kremltreue Bukarester Kommunistenführer Gheorghe Gheorghiu-Dej, der diese Emanzipationspolitik zunächst zögerlich und zurückhaltend einleitete. Sein Nachfolger Nicolae Ceaușescu sollte den sogenannten Unabhängigkeitskurs zementieren und zum Anlass nehmen, allmählich eine Personaldiktatur mit neostalinistischen Zügen zu errichten.

    Der General (a.D.) Neagu Cosma war Offizier in der Direktion für Spionageabwehr des Ministeriums für Staatssicherheit, die er jahrelang auch leitete. Im Jahr 2002 erinnerte er sich in einem Interview mit dem Zentrum des rumänischen Rundfunks für mündlich überlieferte Geschichte an die Umstände der Abkehr vom KGB.

    Solange die Sowjets hier waren – und sie waren wirklich mächtig, sie hatten überall ihre eigenen Leute an den Hebeln der Macht, in der Politik wie in den Geheimdiensten –, waren die Dinge recht einfach. Es wurde alles à la Kreml gehandhabt – soll heißen: mit der Brechstange. Massenverhaftungen waren damals aus allerlei Gründen und sogar wegen Lappalien an der Tagesordnung. Die Rolle der sowjetischen Berater, die eigentlich verdeckte KGB-Offiziere waren, bestand darin, den Kommandanten der jeweiligen Einheiten und den Leitern staatlicher Institutionen ständig auf die Finger zu schauen. Es gab einen Berater auf Ministerialebene, den Chef aller Berater, und mehrere Berater bei allen untergeordneten staatlichen Stellen. Auf Ersuchen des Ministers oder des jeweiligen Behördenleiters schalteten sie sich ein. Wenn wir beispielsweise ein Problem in der Orientierung, der Technik, der Arbeitsmethodik hatten, legte man das Thema dem sowjetischen »Berater« vor, und dieser schöpfte aus seiner unermesslichen »Erfahrung« – so hieß es damals – und kam mit einer Lösung auf. Das war zumindest die theoretische Rolle der sowjetischen Berater. In der Praxis haben sie sich rücksichtslos in alles eingemischt. In Wirklichkeit waren die sowjetischen Berater Führungsoffiziere von Spionagenetzwerken, die sogar die Strukturen der Securitate unterwandert hatten.“

     

    Mit der Zeit wollten sich die rumänischen Geheimdienstler diese Gängelung nicht mehr gefallen lassen. Der ehemalige Securitate-General Neagu Cosma erinnert sich weiter, wie die ersten Schritte eingeleitet wurden, um sich die lästigen sowjetischen „Berater“ vom Leibe zu halten.

    Irgendwann bestellt uns Innenminister [Alexandru] Drăghici zu sich, der verzweifelt darüber war, dass die Sowjets sich überall einmischen. Er sagte: »Leute, lenkt sie doch mit Vergnügungsprogrammen ab! Die mögen doch Angeln, Spaziergänge und Ausflüge, sicherlich sind sie auch Frauen und Wodka nicht abgeneigt. Gebt ihnen, was sie wollen, dann könnt ihr in Ruhe arbeiten.« Doch nach dem Aufstand 1956 in Ungarn waren die Sowjets besonders aufdringlich geworden, bei uns in der Spionageabwehr kreuzten auf einmal sechs solcher »Berater« auf. Die haben uns regelrecht kujoniert, und niemand wusste genau, wofür sie zuständig waren. Im Grunde haben sie Informationen gesammelt, es gab aber keine wirkliche Rechtfertigung mehr für ihre Anwesenheit, und diese war auch nicht mehr durch die Regierungsvereinbarungen gedeckt. Sie waren da, um den Puls des Ortes zu fühlen – aus Angst, dass auch in Rumänien etwas Ähnliches wie in unserer Nachbarschaft passieren könnte, und das wollten sie vereiteln.“

     

    Anfang der 1960er Jahre kam Parteigeneralsekretär Gheorghiu-Dej zu dem Schluss, dass in den rumänisch-sowjetischen Beziehungen eine Grenze überschritten worden war. Die Securitate nutzte ihr eigenes Informations- und Dokumentationszentrum, um die Anwesenheit der KGB-Agenten zu erfassen und diese zu beseitigen. Securitate-General Neagu Cosma wurde damals beauftragt, ein Team von 5–6 tüchtigen und verschwiegenen Beamten zu koordinieren, das mit der Ausarbeitung von Listen mit KGB-Agenten begann.

    Bis 1962 hatten wir einen großen Teil, vielleicht 80 Prozent des KGB-Netzwerks in unserem Land eruiert. Wir hatten keine andere Aufgabe, als dieses Spionage-Netzwerk zu erkennen. Es wurden Tabellen mit kurzen Kommentaren und Notizen erstellt, das gesamte Netzwerk wurde so von oben bis unten durchleuchtet. Dabei berücksichtigten wir auch das alte Spionage-Netzwerk, d.h. die Agenten, die schon während des Kriegs mit den sowjetischen Divisionen (»Tudor Vladimirescu« und »Horia Cloșca und Crișan)«, die aus rumänischen Kriegsgefangenen bestanden, nach Rumänien gekommen waren, sowie die sowjetischen Fallschirmjäger, die damals hier abgesprungen waren – allesamt standen mit den Russen unter einer Decke. Und diese Tabellen wurden dann Generalsekretär Gheorghiu-Dej vorgelegt.“

     

    Die Folgestrategie des rumänischen Staates war recht einfach. Den sowjetischen Spionen wurde klargemacht, dass alle ihre Aktivitäten bekannt seien, und sie wurden vor die Wahl gestellt: Entweder stellen sie ihre Zusammenarbeit mit dem KGB ein, dann würden sie begnadigt, oder ihnen wird kurzerhand der Prozess gemacht. Die meisten von ihnen nahmen das Angebot der Securitate an. Der ehemalige Mitarbeiter der Spionageabwehr bei der Securitate, Neagu Cosma, erinnert sich, welche Kriterien galten, um in die Liste der sowjetischen Spione aufgenommen zu werden:

    In der Anfangsphase hatten wir etwa 180 Spione aus dem ganzen Land auf die Liste gesetzt. Hinzu kamen Personen mit einem weniger sicheren Hintergrund, jedoch mit deutlichen Hinweisen, dass sie sowjetische Spione sein könnten. Zum Beispiel Leute, die in der Sowjetunion studiert hatten und mit russischen Ehefrauen nach Rumänien zurückgekommen waren. Auf den ersten Blick nichts Besonderes – in einer normalen Gesellschaft. Doch mit den Russen funktionierte das nicht so, nichts war normal und wir kannten die Vorgehensweise. Menschen, die mit russischen Ehefrauen aus der UdSSR nach Rumänien zurückkamen, waren uns von Anfang an verdächtig. Und dann haben wir erst einmal alle russischen Ehefrauen unter die Lupe genommen. Viele waren mit Militärs verheiratet, die hohe Positionen in der Armee und im Innenministerium innehatten, ganz zu schweigen von hochrangigen Posten im Wirtschaftsressort. Im politischen Apparat gab es viele Kader, die mit russischen Frauen verheiratet waren. Sicherlich gab es unter ihnen auch fähige Menschen, die nichts verschuldet hatten, sie fielen aber dieser Säuberung sozusagen als Kollateralschaden zum Opfer. Denn letztendlich wurden mit dieser Maßnahme alle sowjetfreundlichen Kader aus den wichtigsten Institutionen entfernt.“