Tag: Zwischenkriegszeit

  • Vorkriegszeit und Zwischenkriegszeit: Ausstellung im Stadtmuseum Bukarest

    Vorkriegszeit und Zwischenkriegszeit: Ausstellung im Stadtmuseum Bukarest

    Die Ausstellung im Filipescu-Cesianu-Haus zeigt zum Einen unterschiedliche Fragmente des Alltags. Da wäre zum Beispiel das Essensritual der Bukarester Elite, das im Kontext tiefgreifender kultureller Veränderungen zu sehen ist. Die Ausstellung beleuchtet andererseits den Übergang von der strengen Etikette der Vorkriegszeit zu der entspannteren gesellschaftlichen Haltung in der Zwischenkriegszeit. Andreea Mâniceanu, eine der Kuratorinnen, sprach mit uns über die Etikette der Bukarester Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

    In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Etikette und der Lebensstil der Bukarester Elite von mehreren charakteristischen Elementen geprägt, wie zum Beispiel dem westlichen Einfluss, da die meisten Vertreter der Elite im Ausland, insbesondere in Frankreich, studiert hatten. Das führte zu einer Anpassung an die westlichen Sitten und den Lebensstil. Mode, Architektur und gesellschaftliche Bräuche spiegelten diese Einflüsse wider.

    In dieser Zeit begannen die Leute aus den höheren sozialen Schichten sich auch anders zu kleiden, erklärt die Kuratorin Andreea Mâniceanu.

     „Die Bukarester Elite legte auch besonderen Wert auf die Kleidung. Die Herren trugen elegante, modische Anzüge, die von westeuropäischen Trends inspiriert waren, während die Damen hochelegante Kleider trugen, die oft von Modehäusern entworfen wurden. Darüber hinaus waren Bälle und Empfänge wichtige Anlässe, um diese Eleganz zu zeigen.

    Die Ausstellung gewährt dem Publikum auch einen Einblick in das Leben der Bukarester Elite in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit einem besonderen Fokus auf Wohnkultur und gesellschaftliches Leben. Die Kuratorin Mâniceanu geht unter anderem auf die Baustile in den verschiedenen Stadtgebieten und Epochen ein.

    In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte die Bukarester Elite oft in zentralen Stadtteilen wie der Calea Victoriei oder Cotroceni. Ihre Residenzen weisen einen besonderen Baustil auf, der neoklassizistische Elemente aus verschiedenen Epochen vereinte, wie der Jugendstil oder der neorumänische Stil. Die Elite traf sich regelmäßig bei Bällen, Empfängen und Festessen im Königspalast oder anderen prächtigen Häusern. Beliebte Orte wie das Capșa-Café waren Treffpunkte für Politiker, Künstler und Aristokraten.

    Die Austellung erforscht den Übergang aus der Vorkriegszeit zur Zwischenkriegszeit, sowie die Einflüsse auf die letztere. Der Fokus liegt dabei auf der Dynamik zwischen der Außen- und der Innendekoration.  Vor dem Krieg war der Lebensstil der Aristokraten von Luxus geprägt. Die Häuser waren opulent und raffiniert, sowohl außen als auch innen. Die Gestaltung der Räume orientierte sich an westlichen Trends und dem Barockstil. Außen waren die Häuser auf Prunk und sozialen Status ausgerichtet. Die Innenräume sollten die Gäste beeindrucken. Möbel, Dekorationen und Materialien waren der Ausdruck von Kontinuität zwischen äußerer und innerer Pracht.

    Die Ausstellung zeigt, wie sich Veränderungen in der Gesellschaft und Wirtschaft auf das Wohnen in der Vorkriegszeit auswirkten. Der Innenraum spiegelte die Außenwelt, die soziale Struktur und Etikette wider. In der Zwischenkriegszeit begannen Veränderungen im Alltag und in den ästhetischen Vorlieben die Wahrnehmung und Gestaltung der Außendekoration zu beeinflussen. Die Dynamik zwischen Innen- und Außengestaltung verdeutlicht, wie sich der Wohnraum im Laufe der Zeit veränderte.

    Die Bukarester Elite widmete sich in dieser Zeit auch kulturellen Phänomenen, weiß die Kuratorin Andreea Mâniceanu.

    Die Elite in Bukarest war auch eng mit der Kulturszene verbunden. Oper, Theater und Kunstausstellungen kamen in den höheren Schichten der Gesellschaft gut an. Darüber hinaus sahen die Vertreter der Elite in der Kunst und Literatur die Möglichkeit, als Mäzen, als Gönner, ihr Prestige zu zeigen.

    Die Ausstellung des Museums der Stadt Bukarest präsentiert also die Dynamik des Wandels in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Kuratorin Mâniceanu erklärt zusammenfassend, was genau sich am Lebensstil nach dem Krieg veränderte.

     Die Ausstellung <Geschmack, Raffinesse und Geselligkeit> zeigt, wie sich die Gesellschaft im Laufe der Zeit veränderte. Vom Fokus auf Status und Spektakel hin zu einer Gesellschaft, in der persönliche Intimität und Komfort wichtiger wurden als Prunk und gesellschaftliche Pracht. Es wird deutlich, wie sich der Lebensstil wandelte, die Zwischenkriegszeit war funktional und auf die private Sphäre ausgerichtet.

  • Nicolae Titulescu und die rumänische Diplomatie der 1930er Jahre

    Nicolae Titulescu und die rumänische Diplomatie der 1930er Jahre

    Das Ende des Ersten Weltkriegs hatte eine angespannte Atmosphäre und von Ressentiments geprägte europäische Beziehungen hinterlassen. Die besiegten Länder des von Deutschland geführten Blocks der Mittelmächte waren mit den Bestimmungen der Friedensverträge, die als „Versailler System“ bekannt sind, nicht einverstanden. Die Friedensverträge bedeuteten die Legalisierung ihrer Gebietsverluste und die Zahlung von Reparationen. Die Gründung des Völkerbundes im Jahr 1919, des Vorläufers der heutigen UNO, war ein Versuch, Vertreter aller Nationen zu Gesprächen an einen Tisch zu bringen, um die Erwartungen zu mildern. Rumänien war ein Befürworter des Versailler Systems und des Völkerbundes, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Einer der aktivsten Diplomaten des Landes war  Nicolae Titulescu.

    Der studierte Jurist Titulescu wurde in Craiova in Südrumänien geboren. Er war politisches Mitglied der Konservativen Demokratischen Partei und befürwortete den Eintritt Rumäniens in den Ersten Weltkrieg an der Seite Frankreichs. Nach dem Krieg war er bevollmächtigter Minister in Großbritannien, und zwischen 1928 und 1936 war er Außenminister in mehreren Regierungen. Ab 1921 war er ständiger Delegierter Rumäniens beim Völkerbund und wurde zweimal, 1930 und 1931, zu dessen Präsident gewählt.

    Iosif Igiroșianu war ein von Nicolae Titulescu entdeckter Diplomat. 1997 interviewte das Zentrum für mündliche Geschichte des rumänischen Rundfunks Igiroșianu. Im Gespräch erläuterte dieser, warum Rumänien eine privilegierte Stellung im Völkerbund genoss und welche Rolle Nicolae Titulescu bei der Erlangung dieser Stellung spielte.

    Rumänien war das einzige Land der Welt, das eine Gesandtschaft beim Völkerbund unterhielt. Und dies wurde von der Schweizer Regierung akzeptiert, um Titulescu einen Gefallen zu tun. Weil Titulescu viel für die Schweizer getan hatte, organisierte er die meisten seiner Treffen und Konferenzen in der Schweiz, weil es in seinem Interesse war. Und all diese Dinge interessierten die Schweizer natürlich, weil er Genf plötzlich in ein außergewöhnliches Licht rückte.

     So wurde der Genfer Vertreter beim Völkerbund in der Struktur der rumänischen Diplomatie noch wichtiger als der Minister in Bern. Der Diplomat in Genf wurde als Unterhändler mit wichtigen Ländern angesehen, während der Diplomat in Bern als Beamter galt, der nur für die Beziehung zur Schweiz verantwortlich war. Vom rumänischen Diplomaten in Genf wurde erwartet, dass er sich mit den wichtigsten Politikern und einflussreichen Diplomaten anfreundete und Verbindungen knüpfte, die er zum Vorteil Rumäniens nutzen konnte.

    Titulescu selbst war mehr als nur der ständige Vertreter Rumäniens in Genf. Einmal wurde er gebeten, eine Aussöhnung zwischen der französischen und der britischen Regierung zu vermitteln. Er war mit dem französischen Premierminister Pierre Laval befreundet und galt als sehr sympathischer Mann, der über ein hohes Maß an Gelassenheit und Taktgefühl verfügte. Der Streit zwischen der französischen und der britischen Regierung war über die Behandlung Deutschlands entbrannt. Im Allgemeinen waren Frankreich und Großbritannien nach dem Ersten Weltkrieg in Bezug auf die Sicherheitsgarantien in Europa einer Meinung gewesen. Die beiden hatten 1925 den Vertrag von Locarno durchgesetzt, der Frankreichs Ostgrenzen garantierte.

    Anfang der 1930er Jahre hatte Großbritannien jedoch eine Aufweichung der französischen Politik gegenüber Deutschland vorgeschlagen, was Frankreich aus Angst vor einem Wiederaufleben des deutschen Militarismus nicht wohlwollend zur Kenntnis nahm. Das britische Misstrauen ging sogar noch weiter – Großbritannien ging davon aus, dass Frankreich versuchen würde, Europa stärker zu dominieren, als Deutschland dazu in der Lage war. In diesem angespannten Klima zwischen London und Paris tauchte die Figur des Titulescu auf. Der Diplomat Iosif Igiroșianu erinnerte sich im Interview mit dem Zentrum für mündliche Geschichte an dessen Rolle als Friedensstifter.

    Die großen Jungs wollten nicht in die Knie gehen und andere anflehen, zu den Treffen zu kommen. Die Kontakte liefen nicht über die Ministerien, sondern über die Regierungschefs oder große politische Persönlichkeiten. Und in diesem Fall brauchten sie Titulescu. Er war lange Zeit Minister in England gewesen, er hatte viele Freunde, und die Franzosen wollten nicht bei den Engländern betteln, und die Engländer wollten nicht bei den Franzosen betteln. Sie wollten, dass alles von einer dritten Partei organisiert wird, die die Mentalitäten und Einstellungen auslotet und mit den einen und den anderen spricht.

     1936 wird Titulescu in Rumänien wegen seines Antifaschismus aus dem öffentlichen Dienst entfernt. Er flüchtet sich ins Exil in die Schweiz und anschließend nach Frankreich. Er stirbt 1941 in Cannes, desillusioniert über den Verlauf der Geschichte.

  • Ausstellung zum Werk von Max Hermann Maxy im Kunstmuseum

    Ausstellung zum Werk von Max Hermann Maxy im Kunstmuseum

    Maxy war eine der wichtigsten Persönlichkeiten der rumänischen Avantgarde, Gründer der Avantgarde-Zeitschrift Integral“ und Direktor des rumänischen Kunstmuseums. Er war eine komplexe und starke Persönlichkeit aber zugleich umstritten und kritisiert, ein Künstler, der in zwei verschiedenen Epochen schuf: im monarchischen Rumänien (bis 1947) und im Rumänien des neuen kommunistischen Regimes (in der zweiten Hälfte seines Lebens). Die Ausstellung präsentiert das Werk des Künstlers anhand von Gemälden, Grafiken, szenografischen Projekten, Kunstobjekten und Magazinen und folgt dabei dem chronologischen Verlauf seiner Biografie. Über die Ausstellung und Maxy sprachen wir mit dem Generaldirektor des Kunstmuseums, Călin Stegerean, dem Kurator der Ausstellung.



    Er war eine au‎ßergewöhnliche Persönlichkeit in der rumänischen Kunst des 20. Jahrhunderts, vor allem als Anführer der Avantgarde-Bewegung in der Zwischenkriegszeit, als Schöpfer einer wichtigen Avantgarde-Zeitschrift und einer Werkstatt für dekorative Kunst, die sich um diese Zeitschrift herum entwickelte. Er war auch ein sehr begabter Bühnenbildner, der mit verschiedenen Avantgarde-Theatergruppen zusammenarbeitete. Nach der Machtübernahme des kommunistischen Regimes bekleidete er führende Positionen im Staatsapparat, zum Beispiel war er Vorsitzender der Gesellschaft Bildender Künstler, und 1950 wurde er Direktor des ersten Nationalen Kunstmuseums Rumäniens, des damaligen <Kunstmuseums der Rumänischen Volksrepublik>. Er unterstützte die Avantgarde-Bewegung, die er zuerst in Deutschland kennenlernte, wo er studiert hatte, und wurde später einer der Organisatoren der gro‎ßen Ausstellungen der Avantgarde-Kunst im Rumänien der Zwischenkriegszeit sowie Mitarbeiter aller Avantgarde-Zeitschriften dieser Periode, die eine Plattform darstellten, auf der die bildenden Künste auf das Schaffen, die Philosophie und alles, was die Erneuerung der künstlerischen Sprache bedeutete, trafen.


    Er war sehr eng mit Marcel Iancu befreundet. Er stand auch Tristan Tzara sehr nahe, oder Ilarie Voronca, Ion Călugăru, mit denen er an der Zeitschrift <Integral> zusammenarbeitete, allesamt Repräsentanten der Avantgarde in Rumänien. Im Grunde gab es eine sehr enge Beziehung, denn die Werte und die Eliten genossen gegenseitige Anerkennung und suchten jeweils die Nähe der anderen. Bereits 1942 wurde Maxy Mitglied der Kommunistischen Partei. Es war eine sehr schwierige Zeit, in der die jüdische Bevölkerung verfolgt wurde, und es waren diese Aktionen, die tatsächlich zum Verschwinden der jüdischen Ethnie führten bzw. führen sollten. Aber die Avantgarde brachte im Allgemeinen Menschen mit linken Überzeugungen zusammen. Der Übergang zum sozialistischen Realismus verlief jedoch etwas anders als bei anderen Künstlern. Er wandte seine Aufmerksamkeit den unterprivilegierten Menschen in Rumänien zu. Die 1930er und 1940er Jahre sind der Beweis für dieses Interesse an den Arbeitern, den Bergleuten, diesen Klassen, die nicht zu den bevorzugten gehörten.


    Das Konzept der Ausstellung trägt der Tatsache Rechnung, dass er in zwei verschiedenen, aber fast gleich langen Epochen tätig war: der Monarchie und der kommunistischen Zeit, in denen er jeweils eine führende Rolle spielte. In der ersten Periode war er natürlich der Förderer einer Erneuerung der künstlerischen Sprache, die unsere Kultur brauchte, zumal sie auch mit einem internationalen Geist verbunden werden sollte. Und im zweiten Teil deutet sich eine gewisse schöpferische Freiheit an, eine gewisse Freiheit der Darstellung, die ihn irgendwie zu den Ausdruckselementen der Zwischenkriegszeit zurückführt. Natürlich ohne den gleichen Umfang, ohne den gleichen Geist, aber die Tatsache, dass dies nach einer Zeit des ideologischen Drucks und des ideologischen Dogmatismus möglich war, war ein sehr starkes Signal an seine Kollegen.“



    Călin Stegerean vom Nationalen Kunstmuseum fasst im Gespräch mit RRI auch die Tätigkeit Maxys als Leiter der Institution zusammen.



    Maxy hat den Schauplatz des Museums im Wesentlichen selbst gestaltet. Sie sollten wissen, dass die besten Gemäldesammlungen jene sind, die Maxy in diesem Museum eingerichtet hat. Er war auch derjenige, der zusammen mit anderen Kollegen die Rumänische Kunstgalerie und die Gallerie der Universalkunst gegründet hat. Er hatte auch die Idee, parallel zu den Ausstellungen Aktivitäten durchzuführen, die auf die allgemeine Bildung des Publikums und die Verbindung der Künste mit dem Leben im Allgemeinen abzielten.



    Während der Eröffnung der Ausstellung sprach der Präsident des Verbands der jüdischen Gemeinden in Rumänien, Silviu Vexler, über Maxy.



    Maxy ist eine der komplexesten Figuren der rumänischen Kunst, aber gleichzeitig ist er einer der prominentesten jüdischen Künstler in Rumänien, zusammen mit Marcel Iancu, zusammen mit Victor Brauner sind sie, wenn man so will, die sichtbarsten und erkennbarsten Symbole für die Präsenz jüdischer Künstler in Rumänien. Gleichzeitig ist Maxy als Künstler eine äu‎ßerst komplexe Figur, deren Schaffen im Kontext der Epochen, die er durchlief, stark variiert. Es ist wichtig, dass bei der Betrachtung seiner Gemälde auch der Kontext, in dem sie entstanden sind und in dem Maxy seine Arbeit ausgeführt hat, dargestellt wird. Obwohl er eine so prominente Figur ist, ist er in der Gesellschaft leider viel zu wenig bekannt, und so ist die Tatsache, dass eine solche Ausstellung im Nationalen Kunstmuseum stattfindet, eine gro‎ßartige Gelegenheit für diejenigen, die sein Werk vielleicht noch nicht kennen.



    Silviu Vexler sprach in seinem Vortrag auch über den Menschen Maxy, jenseits des Avantgarde-Künstlers.



    Ich glaube nicht, dass man Menschen ignorieren kann. Ich denke, man kann einen Punkt erreichen, an dem man versteht, dass es beim künstlerischen Schaffen manchmal nicht um bestimmte negative Seiten von Menschen geht, aber man kann sie nicht völlig auslöschen. Wenn man so will, ist die berühmteste Situation dieser Art bei Wagner zu finden. Und bis heute ist Wagner ein äu‎ßerst umstrittener Künstler, aber nicht nur das, in Israel gab es zum Beispiel, glaube ich, nur ein einziges Wagner-Konzert bis heute. Gleichzeitig kommt man nicht umhin, Wagners Werk als grundlegend für die Opernmusik anzuerkennen.


    Aber ich bin nicht damit einverstanden, dass man versucht, die negativen Aspekte im Leben eines Menschen auszulassen, nur um seiner Schöpfung willen. Meiner Meinung nach ergänzen sich diese beiden Dinge, sollten parallel bekannt sein und in ihrer wahren Bedeutung verstanden werden. Und letztendlich ist es unvermeidlich, dass die Meinung eines Künstlers sein Werk beeinflusst. Deshalb möchte ich betonen, dass der zusätzliche Wert dieser Maxy gewidmeten Ausstellung darin besteht, dass sie alle Facetten seines Lebens beleuchtet. Es wird nicht nur eine Reihe von Gemälden ausgestellt, was natürlich an sich willkommen gewesen wäre, aber der Kontext der Gesellschaft, in der er schuf, die Art und Weise, wie sich sein Leben entwickelte und veränderte und wie dies sein Werk beeinflusste, ist von enormer Bedeutung.

  • Pro Memoria: Die Bukowina in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen

    Pro Memoria: Die Bukowina in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen


    Die Bukowina, auf Deutsch auch Buchenland, ist ein historisches Gebiet im Norden Rumäniens mit einer wechselvollen Geschichte. Vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum Ende des letzten Dakerkriegs (106 n. Chr.) gehörte es zu diversen Dakerreichen. Später wurde sie Bestandteil der Kiewer Rus sowie des ostslawischen Fürstentums Halitsch-Wolhynien. Nach der Verwüstung der Rus durch die Mongolen wurde die Bukowina Teil des Fürstentums Moldau und im 14. bis Mitte des 16. Jh. sogar dessen politisches Zentrum. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hielt einer der bedeutendsten Herrscher der Moldau, Stephan der Große, in der Landeshauptstadt Suceava seinen Hof. Ab 1512 geriet das Fürstentum unter zunehmenden osmanischen Einfluss. 1769–1774 war die Bukowina von Russland besetzt.




    1774 fand die Angliederung des Landes an das habsburgische Herrschaftsgebiet statt. 1918 wurde die Bukowina in das Königreich Rumänien einverleibt. In Folge eines Zusatzprotokolls des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts besetzte die Sowjetunion im Juni 1940 auch den nördlichen Teil der Bukowina. 1941 eroberten rumänische Truppen das sowjetisch besetzte Gebiet zurück. 1944 wurde die Bukowina erneut von der Roten Armee besetzt. Der nördliche Teil gehörte seitdem zur Sowjetunion, später ging er an die zur Ukraine. Der südliche Teil blieb bei Rumänien.




    Die Bukowina hatte und hat eine multiethnische Bevölkerung. Nach der, von den Habsburgern durchgeführten Volkszählung von 1910 zählte die Bukowina 800.198 Einwohner, von denen 39 % Ruthenen, 34 % Rumänen, 13 % Juden, 8 % Deutsche, 4,5 % Polen und 1,3 % Ungarn waren. Der Lehrer Mihai Macsim, aus dem Dorf Vatra Moldoviței, sprach in ein 1998 aufgezeichnetes Interview über den Lebensstandard in der Zwischenkriegszeit in der Bukowina: Dieses Dorf (Vatra Moldoviței) liegt im Unterkarpaten-Gebiet. Es ist eine wunderschöne Region mit fleißigen Bauern, guten Landwirten. In der Zeit zwischen den beiden Kriegen gehörte die Bevölkerung in Moldovița und Vatra Moldoviței verschiedenen Nationalitäten an. Die Beziehungen zwischen den Menschen verschiedener Nationalitäten und Religionen waren so gut, wie sie nur sein konnten. Es gab keine ethnischen, religiösen oder gar politischen Konflikte. Die meisten Menschen waren Waldarbeiter. Andere waren recht wohlhabende Landwirte“.




    Die Einheimischen gingen traditionellen Beschäftigungen nach. Mihai Macsim beschrieb die Gemeinde, in der er als Lehrer tätig war: Die meisten Männer in Moldovita waren Waldarbeiter. Sie wurden Țapinari“ genannt. Das heißt, sie fällten Bäume und bereiteten sie zum Abtransport in die Fabriken vor. In Moldovița lebten recht viele Akademiker – Ärzte, Zahnärzte, Bahnhofsvorsteher, Ingenieure, Lehrer, Professoren, Priester und andere Kategorien. Es war eine entwickelte Gemeinde. Hier befand sich eine der kircheneigenen Fabriken, die als beste Fabrik in dieser Gegend galt. Die Akademiker kamen oft entweder im Rathaus oder in der Fabrik zusammen und diskutierten über Verschiedenes, aber keineswegs über Politik.“




    Mihai Macsim sprach auch über den damaligen Lebensstandard eines Lehrers: Die materielle Situation eines Lehrers in der Zwischenkriegszeit war relativ gut. Ein Vertretungslehrer zum Beispiel, der zum ersten Mal unterrichtete, hatte ein Gehalt von etwa 1.600 Lei im Monat. Für Unterkunft und Verpflegung bezahlte er etwa 800 Lei. Damit blieb ihm die Hälfte seines Gehalts übrig. Ich glaube, dass es den Lehrern nicht schlecht ging, obwohl sie im Vergleich zur Besoldung anderen Beamten etwas vernachlässigt wurden. Aber da die meisten Lehrerinnen und Lehrer bescheiden waren, reichte ihnen das. Viele kauften sich von dem Geld, das ihnen übrig blieb, Bücher. Zahlreiche hatten zwischen den beiden Kriegen hervorragende Bibliotheken.“




    Weil die Lehrerinnen und Lehrer zu den angesehenen Persönlichkeiten zählten, erhielten sie auch von der Gemeinschaft Unterstützung. In der Tat, Lehrer und Schulleiter bekamen einen Anteil vom kirchlichen Holzbestand. Wenn man dann mietfrei in der Schule wohnte und die Schule über ein Stück Land verfügte, wurde das Land verpachtet, und das Geld aus der Pacht wurde unter allen Lehrern der Gemeinde aufgeteilt. Es gab also auch eine angemessene Unterstützung durch die Gemeinschaft. Den heutigen Lehrern würde ich ein Leben wie das in den Jahren 1937 bis 1940 gönnen“.




    Die Zeitzeugnisse sind weit davon entfernt, ein idyllisches Bild zu zeichnen. Sie helfen uns jedoch zu verstehen, wie eine Gesellschaft unter diktatorischen Regimen zerfällt. Die Menschen in der Bukowina erlebte am eigenen Leib beide Diktaturen des 20. Jahrhunderts – den Faschismus und den Kommunismus.

  • Religiöser Pluralismus im Rumänien der Zwischenkriegszeit

    Religiöser Pluralismus im Rumänien der Zwischenkriegszeit

    Rumänien war nach dem Gro‎ßen Krieg ein ganz anderer Staat als der, der 1859 durch die Vereinigung der Fürstentümer Walachei und Moldau gegründet worden war. Das Königreich Rumänien, das gro‎ße Gebiete hinzugewinnen konnte, die früher Teil des Russischen und Österreichisch-Ungarischen Reiches gewesen waren, wurde nach 1918 zu einem multiethnischen Staat, der neue Ambitionen hatte und vor neuen Herausforderungen stand. Während religiöse Minderheiten vor dem Gesetz die gleichen Rechte genossen, verschmolzen in der Realität Minderheiten und die Mehrheit zu einer einzigen Gesellschaft, und ihr Gleichgewicht hing oft vom Funktionieren dieser Gesellschaft ab.



    Das Rumänien der Zwischenkriegszeit, auch Gro‎ßrumänien genannt, war in den letzten Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher Studien und Publikationen zur politischen und diplomatischen Geschichte. In seinem Buch mit dem Titel Sectarism and renewal in 1920s Romania. The Limits of Orthodoxy and Nation-Building“ (Sektierertum und Erneuerung im Rumänien der 1920er Jahre. Die Grenzen des Orthodoxie und die Nationenbildung“), untersucht der Historiker Roland Clark, Professor an der Universität Liverpool, den gesellschaftlichen Wandel, den der religiöse Pluralismus in der rumänischen Gesellschaft in den 1920er Jahren bewirkte.



    Clark stellt fest, dass die Entwicklung der Gesetzgebung und die institutionellen Veränderungen die Entwicklung des demokratischen Lebens in Rumänien in jenen Jahren förderten und das Entstehen eines bürgerlichen Geistes begünstigten. In seinem Buch identifiziert er drei Stimmen, die für den konfessionellen Pluralismus der Zeit charakteristisch sind: die Stimmen der Orthodoxie, des Katholizismus und der neoprotestantischen Konfessionen. Drei Geschichten, die zu einer werden, so Roland Clark:



    Drei miteinander verwobene, voneinander abhängige Geschichten. Denn man kann nicht über die Gründung des orthodoxen Patriarchats in Bukarest diskutieren, ohne über die Katholiken und die Neoprotestanten zu sprechen. Die neoprotestantische Bewegung verdankt ihrerseits viel den Entwicklungen der orthodoxen Kirche, Entwicklungen, die von den orthodoxen Theologen ausgingen, später von einigen Bischöfen schlie‎ßlich sogar vom Patriarchen übernommen wurden und die Türen ihrer Kirche für die Laien öffneten. Es sind in der Tat diese Entwicklungen innerhalb der orthodoxen Kirche, die das Entstehen von Bewegungen wie »Cuibul cu barză« (»Das Storchennest«) in Bukarest oder »Oastea Domnului«, (»Die Armee Gottes«), ermöglichten. Dann der Kalender, der zum Erscheinen der Stilistenbewegung führte und die Innozentisten in Bessarabien ermöglichten. All diese sind Teil einer gro‎ßen Geschichte.“




    Die 1920er Jahre waren die Jahre des Wiederaufbaus nach dem Krieg, aber auch des erneuten religiösen Eifers. Professor Roland Clark ist jedoch der Meinung, dass man das religiöse Phänomen der Zeit nicht studieren könne, wenn man die Ausweitung der politischen Rechte und die Integration der neuen Provinzen in den rumänischen Staat nach 1918 au‎ßer Acht lie‎ße:



    Die Entstehung Gro‎ßrumäniens ist von enormer Bedeutung. Diese Entstehung hat die Demokratie mitgebracht und die Einführung des allgemeinen Wahlrechts — [vorerst nur] für Männer. Es bedeutete die Demokratisierung des politischen Lebens, das früher der Oberschicht vorbehalten war. Die Vereinigung Siebenbürgens, der Bukowina, des Banat mit dem Altreich Rumänien fand symbolisch im Rahmen einer neuen Kirche statt. Eine nationale Kirche mit dem Rang eines Patriarchats wurde gegründet. Wie hätte man die Kirche in Siebenbürgen regieren können, die so viele Laien an ihrer Spitze hatte, aber auch die Kirche in Bessarabien im Kontext der russischen Revolution? Sie bekamen somit das Recht, Teil der neuen Kirchenhierarchie zu sein. Als der Erzbischof Miron Cristea, er selbst ein Siebenbürger, zum ersten Patriarchen der Rumänisch-Orthodoxen Kirche befördert wurde, wollte er die Kirche von Bukarest aus leiten. Aber die einflussreichen Erzbischöfe von Siebenbürgen und Bassarabien stellten sich ihm entgegen. Es waren Machtspiele, bei dem jeder die Präsenz und den Einfluss der eigenen Kirche hervorheben wollte.“



    Aber der konfessionelle Pluralismus hatte auch das Auftreten bestimmter evangelikaler Bewegungen aus dem Westen begünstigt. Sie wurden von der orthodoxen Kirche zwar nicht gutgehei‎ßen, aber die gesetzlich garantierte Religionsfreiheit hatte ihr Erscheinen begünstigt und die Ausübung ihres Gottesdienstes sichergestellt. Und dann hinterlie‎ß jede religiöse Bewegung ihre Spuren bei den anderen. Der Historiker Roland Clark dazu:



    Die neoprotestantischen Kirchen hatte nach 1918 dank ihrer Kontakte zur westlichen Welt Wind in den Segeln. Aber das beunruhigte die dominante orthodoxe Kirche, die sich bedroht fühlte, sich umzingelt sah und die Gefahr witterte, überrannt zu werden. Und dieses Gefühl einer belagerten Festung findet sich in allen orthodoxen Schriften und Publikationen der Zeit wieder. Die Orthodoxen stellten ihren Eifer in Frage und beschuldigten sich selbst, nicht religiös genug zu sein.“




    Die Auswirkungen des religiösen Pluralismus machen sich allmählich auch in den starrsten Strukturen und Konfessionen bemerkbar, wie zum Beispiel in der orthodoxen Kirche, sagt Roland Clark:



    Die orthodoxe Kirche musste sich in den 1920er Jahren weiterentwickeln, wie auch das Christentum. Die Sonntagsmesse, die Pflicht zum Bibellesen, die Einhaltung bestimmter Praktiken in der Öffentlichkeit, anständiges Verhalten, all das hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts und nach dem Ersten Weltkrieg durchgesetzt. Immer mehr Menschen hatten lesen gelernt, und so wurde die Lektüre von religiösen Büchern zugänglich. Gleichzeitig gab es auch ein echtes Wachstum verschiedener Bewegungen, die eine religiöse Erneuerung förderten, die innerhalb der Gemeinschaften entstanden, ohne das Werk der Elite zu sein.“




    Der religiöse Pluralismus, der in den 1920er Jahren im rumänischen Raum herrschte, ermöglichte die Öffnung der rumänischen Gesellschaft für neue Formen der Spiritualität. Es ist eine Gesellschaft, die von neuen Denkweisen und Weltanschauungen durchzogen ist, von alten Bestrebungen, die wieder aufleben, von anderen, die für eine Reform oder eine Integration mit der westlichen Spiritualität eintreten. Aber einige der Gedankenströmungen, die in den 1920er Jahren durch das rumänische Geistesleben liefen, sollten sich im folgenden Jahrzehnt zu radikalen, ja extremistischen Flutwellen entwickeln.

  • Opportunisten und Wendehälse: der politische Glücksritter Constantin Argetoianu

    Opportunisten und Wendehälse: der politische Glücksritter Constantin Argetoianu

    Constantin Argetoianu wurde 1871 in Craiova geboren und stammte aus einer alten Bojarenfamilie. Er studierte Jura und Medizin in Paris, fühlte sich aber mehr von der Politik angezogen und strebte nach hohen Positionen, die er mit fairen Mitteln nicht so leicht erreichen konnte. Seine gesamte politische Karriere stand unter dem Zeichen kontroverser Entscheidungen. Im Jahr 1913 begann seine politische Laufbahn bei der Konservativen Partei — es war die erste einer langen Reihe von Parteien, in der er mitwirkte.



    Der Historiker Ioan Scurtu hat eine Biographie über Argetoianu geschrieben, in der er sich mit dessen politischen Zickzackkurs nach dem Ersten Weltkrieg in Gro‎ßrumänien auseinandersetzt.



    Argetoianu erkannte, dass die Konservative Partei keine Zukunft mehr haben würde. So suchte er seinen eigenen Weg und fand ihn an der Seite von General Averescu, der sich enormer Beliebtheit erfreute, weil er die Schlacht von Mărăşti im Ersten Weltkrieg siegreich geführt hatte. Als der General im April 1919 beschloss, den sogenannten Volksbund zu gründen, gehörte Argetoianu zu seinen engen Freunden. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Förderung des Kults von General Averescu. Als Innenminister zeichnete er sich durch die Verhaftung der Delegierten beim Parteitages der Sozialisten im Mai 1921 aus. Zum Erstaunen des Kabinetts verkündete er nach der Verhaftung der Delegierten, dass er den Kommunismus in Rumänien ausgerottet habe. Natürlich hatte er sich dabei verrechnet, denn bekanntlich waren es die Kommunisten, die ihn vernichtet haben.“




    Nachdem Averescus Popularität schwand, entschied sich Argetoianu, nach einem anderen politischen Partner Ausschau zu halten.



    Er berief einen Kongress der Volkspartei ein, der ihn zum Präsidenten erklärte. Da ihm jedoch nur wenige Leute folgten und seine Partei daher eher irrelevant war, suchte er ein Bündnis mit jemand anderem, um im Kreis der Mächtigen zu bleiben. Und wessen Nähe suchte er? Gerade die von Nicolae Iorga, den er aus seiner Innenminister-Position für langweilig hielt und ihn wütend unterbrach und ihm gedroht hatte, eine in die Fresse reinzuhauen, wenn er weiterredet. 1924 gelang es ihm jedoch, sich bei Nicolae Iorga einzuschmeicheln: Er besuchte ihn zu Hause und konzentrierte sich bei der Unterhaltung auf Iorgas literarisches Werk. Er rezitierte sogar ganze Absätze aus Iorgas Theaterstücken und historischen Werken. Und Iorga war erstaunt über solch ein tiefes Wissen über seine Arbeit,“ beschreibt der Geschichtsprofessor Argetoianus Taktik.




    Argetoianus Kerbholz der Parteien wurde immer grö‎ßer: Nach der Volkspartei kam die Nationalistische Volkspartei dran, dann die Bauernpartei und schlie‎ßlich landete er bei der Partei, die ihm so sehr zuwider war: der National-Liberalen Partei unter der Führung von Ion I.C. Brătianu. Wie Professor Scurtu erklärt, hielt es der mit allen Wassern gewaschene Opportunist auch dort nicht lange aus:



    1930 trat Argetoianu auch hier aus und wurde zum Anhänger von Königs Karl dem II., der sich gegen politische Parteien generell ausgesprochen hatte. Argetoianu führte eine wahrhaftige Kampagne gegen politische Parteien, da er nicht mehr Mitglied einer Partei war. Auch Iorga unterstützte die Idee. Im April 1931 wurde Nicolae Iorgas Regierung gebildet. Als Finanzminister beschloss Constantin Argetoianu, die auch in Rumänien existierende Wirtschaftskrise zu lösen — er stellte einfach die Auszahlung der Gehälter an die Staatsangestellten ein. Natürlich führte das zu extremen sozialen Spannungen, aber Argetoianu war völlig überzeugt, dass seine Lösung perfekt war. Letztendlich musste der König aber im Mai 1932 diese Regierung absetzen.“




    Argetoianu, führt der Historiker weiter aus, gab aber so leicht nicht auf. Er gründete eine neue politische Kraft, die Agrarpartei — mit Null Erfolg. Als König Karl II. sein Autoritätsregime einführte und die Kontrolle über die Regierung an sich riss, gehörte Argetoianu zu den Unterstützern des Königs. Karl II. musste dann zugunsten seines Sohnes Michael abdanken, Marschall Ion Antonescu übernahm die Macht — für dessen Regime war Argetoianu zur persona non grata geworden. Er zog sich aus dem öffentlichen Leben zurück und ging 1944 in die Schweiz, wo er bis 1946 blieb. Doch das ist nicht das Ende der Geschichte, wei‎ß der Historiker Ioan Scurtu.



    Zur Überraschung aller kehrte Argetoianu, der in seinen Schriften einen so klaren und geübten Blick hatte, nach Rumänien zurück. Zwischen 1945 und 1946, nach der Bildung der Groza-Regierung, war es ja eher so, dass altgediente Politiker schnell das Land verlie‎ßen — sie wussten ja, dass ein neues Regime kam und sie die Konsequenzen tragen würden. Argetoianu gab sich jedoch der Illusion her, dass die Führer der UdSSR, Gro‎ßbritanniens und der Vereinigten Staaten daran interessiert seien, dass Rumänien einen erfahrenen Politiker in der Regierung hat. Um eine Machtbasis zu haben, gründete er eine eigene Partei, die Nationale Union für Arbeit und Wiederaufbau. Er selbst wolle sich dann, alt und krank, aus dem politischen Leben zurückziehen, riet seinen Anhängern aber zum Zusammenschluss mit der Bauernfront. Dass muss man sich nur vorstellen — Argetoianus letzte politische Vision war zugunsten der Bauernfront, deren Parteichef Petru Groza als Premierminister das Land auf eine Sowjetisierung zubewegte.“




    Argetoianu sollte die Entscheidung, aus der sicheren Schweiz nach Rumänien zurückzukehren, um es hier noch einmal als politischer Glücksritter zu versuchen, bitter bereuen: Vom kommunistischen Regime verhaftet, starb Argetoianu 1955 im Gefängnis von Sighet im Alter von 83 Jahren.

  • Fotowelten: versunkene Zeiten aus Archiven wieder lebendig gemacht

    Fotowelten: versunkene Zeiten aus Archiven wieder lebendig gemacht

    Fotos erzählen Geschichten — etwa: Es war einmal eine bemalte Schachtel. Die Bilder darauf waren etwas verwischt, denn die Zeit hatte ihre Spuren darauf hinterlassen. Doch öffnet man die Schachtel, so erfährt man die Geschichte einer Familie. Sie enthüllte sich plötzlich dem Auge des Betrachters — wie ein Puzzle aus Urzeiten. Auf den Fotos taucht vielleicht ein Name auf, oder eine Botschaft, eine kurze Mitteilung, die die abgebildete Person in Verbindung mit anderen Familienmitgliedern bringt. Weil sie Fotos lieben, weil sie die Story dahinter zu schätzen wissen, gründeten Cristina Irian und ihr Partner, Dorian Delureanu, den Verein Photo Omnia. Cristina Irian erzählte uns, wie es dazu kam:



    Unsere Geschichte — die Geburt unseres Vereins — startete mit der Entdeckung zweier Fotografie-Quellen. Damit meine ich nicht Fotoarchive, sondern zwei Fotostudios, die während der Zwischenkriegszeit in Betrieb waren — eines in Craiova und das andere in Bukarest. Ihre Bezeichnung war Studio Omnia Photo. So kamen wir auf den Namen unseres Vereins: Omnia Photo. Und wir begannen Fotos zu suchen, die von Fotografen geschossen wurden, die eine Verbindung zu den beiden Studios hatten. So startete unser Projekt. Der Anfang war sehr spannend, denn wir entdeckten zwei verschiedene Fotografie-Arten, zwei verschiedene Tätigkeiten. Ein Studio war viel mehr auf Porträts und Event-Fotografie fokussiert, das zweite legte grö‎ßeren Wert auf Fotografie-Projekte. Eine Wissenschaftlerin erzählte uns, das zweite Studio sei von einer Gruppe von Architekturstudenten in der Zwischenkriegszeit betrieben worden. Allerdings wissen wir nicht, ob das wirklich stimmt.“




    Cristina Irian erzählte uns auch über die Fotoarchive, die sie ausfindig machen konnten:



    Wir nahmen uns mehrere Fotoarchive vor. Wir starteten zwei grö‎ßere Projekte. In einem ging es um Familienarchive und um berufliche Fotosammlungen, im zweiten um Familien- und Reisealben. Wir führten mehrere Pilotprojekte in mehreren Gegenden Rumäniens durch, die meisten fokussierten sich auf Familien- und Reisefotos. Die Fotos brachten Jugendliche und Geschäftsleute in Bukarest, die in der Zwischenkriegszeit gelebt hatten, in den Vordergrund. Die Fotosammlungen, auf die wir stie‎ßen, verbergen viele Geschichten. Sie kamen auf uns zu — könnte ich fast behaupten.“




    Eine der schönsten Geschichten spielt sich in der Ortschaft Gura Humorului ab, etwa zwischen 1897 und 1960. Cristina Irian erzählte uns Folgendes dazu:



    Das erste Archiv umfasst Geschichten aus dem Norden Rumäniens. Auf diese Fotosammlung stie‎ßen wir anlässlich einer Foto-Veranstaltung 2017. Es war eine Veranstaltung, bei der es hauptsächlich um alte und neue Fotos ging — herkömmliche und neue Techniken der Fotografie. Wir versuchten ein Reenactment der Fotografie, zusammen mit Paul Aioanei. Und bei dieser Gelegenheit trafen wir Ioana Brunet, die Besitzerin dieses Fotoarchivs von Gura Humorului. Und es tauchte diese Schachtel mit Fotos auf. Es dauerte eine Weile, bis wir alle Fotos digitalisierten. Doch wir setzten unsere Forschungsarbeit fort und verwandelten das Archiv in ein zweifach digitales Produkt. Und wir verfügen derzeit über eine digitale Karte, die die Laufbahn der Fotos und der abgebildeten Menschen verfolgt. Und darüber hinaus verfügen wir über ein weiteres kleines digitales Produkt, nämlich eine audiovisuelle Präsentation der aufgefundenen Fotografien und Urkunden, vorgetragen von Ioana. Der Vortrag dauert etwa 10–15 Minuten.“




    Hinter jedem Foto steckt eine gesonderte Geschichte. Jedes Foto hat sein eigenes Heim. Wenn man einmal drinnen angekommen ist, enthüllen sich dem Betrachter spannende Lebensgeschichten. Manchmal können sogar zahlreiche Einzelheiten erkannt werden. Eltern, Gro‎ßeltern, Enkelkinder, die Geschichte einer Stadt, eines Landes, Grenzen, die sich mit der Zeit verwischen und die abgebildeten Personen aus einem anderen Blickwinkel erscheinen lassen.




    Auf der Webseite des Vereins können auch noch Bilder von Dacia-Autos gesehen werden. Diese sind Teil eins Jubiläumsprojekts in Bezug auf die Geheimnisse der Stadt Craiova. Cristina Irian erklärte uns, zu welchem Zweck dieses Archiv gegründet wurde:



    Es war ein zweifacher Zweck. Einerseits wollten wir das Archiv und seinen Inhalt an und für sich vorstellen. Wir wollten die Geschichte der Menschen erzählen, die auf den Fotos abgebildet sind. Andererseits wollten wir den Inhalt der Fotografien hervorheben: was für Fotografien es damals gab, wie sich die Leute fotografieren lie‎ßen, die damalige Arbeitsweise und die damaligen Gewohnheiten. Gegebenenfalls wollten wir auch die Namen bedeutender Fotografen der Zeit betonen. Wir fanden in jedem Archiv bedeutende Fotografennamen und seltene, wertvolle Fotos.“




    Ein weiteres Projekt des Vereins ist Analogic 192021. Es ist ein Langzeitprojekt und umfasst Forschung, Digitalisierung, Förderung von analogen Fotografien und Fotosammlungen verschiedener Gemeinden in Rumänien. Das Projekt verläuft in Zusammenarbeit mit mehreren Partnerinstitutionen und verbündeten Vereinen. Im Rahmen des Projekts Analogic 192021 wurden Fotos ausgestellt, die verschiedene Möglichkeiten des Fotoeinsatzes in einer Gemeinde im Kreis Ialomiţa veranschaulichen. Autor der Fotos ist Costică Acsinte. Er sammelte die Fotos im Jahr 2017, in der Gemeinde, aus der er herkommt. Einige seiner Kollektionen sind für Facebook-Nutzer hier zu sehen: https://www.facebook.com/pg/costicaacsinte.

  • Ostern anno dazumal: Feierlichkeiten im traditionellen rumänischen Dorf der Zwischenkriegszeit

    Ostern anno dazumal: Feierlichkeiten im traditionellen rumänischen Dorf der Zwischenkriegszeit

    Zeitgeschichte hat die Besonderheit, ein Alltagsleben wieder aufleben lassen zu können, das heute nicht mehr existiert, das aber unsere Ältesten manchmal gut kannten. Ein solcher besonderer Moment war zweifellos das Osterfest in der Zwischenkriegszeit. Die vom Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des Rumänischen Rundfunks gesammelten Zeugnisse lassen die patriarchalische Atmosphäre wieder aufleben, die die Osterfeierlichkeiten in Rumänien in der Vergangenheit geprägt hat.



    An diese besondere Atmosphäre erinnert sich der Arzt, Professor, Schriftsteller und Übersetzer Constantin Dimoftache Zeletin, Sohn eines Priesters, wenn er an das orthodoxe Osterfest seiner Kindheit zurückdenkt, das er in seiner Heimatgemeinde Burdusaci im nicht mehr existierenden Kreis Tecuci im Osten Rumäniens feierte:



    Ostern war für uns die Mutter aller Feiertage. Wir haben ungeduldig darauf gewartet. Mein Vater war oft weg, weil er die Häuser der Dorfbewohner segnen musste, wie es in unserem Land üblich ist. Und unsere Gemeinde war gro‎ß, mit mehreren über die Hügel verstreuten Dörfern und Häusern. Er ging überall hin, ohne auf das Wetter zu schauen, ob es regnete, ob es schlammig war; er sprach zu allen, er sprach seine Gebete, und für all diese Menschen, die in ihren Hütten, in diesen abgelegenen Dörfern lebten, war dies der Beginn der Osterfeierlichkeiten. Mein Vater war ein gewissenhafter Mann, er brauchte lange Zeit, um alle Häuser zu besuchen. Er kam abends todmüde nach Hause.“




    Die Zubereitung des traditionellen Kuchens, des rumänischen Christstollens namens Cozonac“, gehörte ebenfalls zu den Bräuchen dieses Festes. Es wurde in der Familie zubereitet, alle beteiligten sich daran. Constantin Dimoftache Zeletin erinnert sich:



    Die Zubereitung des Christstollens war ein echtes Ritual. Meine Mutter richtete es irgendwie ein, dass mein Vater zu dieser Zeit verfügbar war, sofern mein Vater überhaupt jemals verfügbar war. Wir hatten einen gro‎ßen Bottich, der zum Kneten verwendet wurde. Fast 20 Kilo Teig. Meine Mutter war die Frau des Priesters, am Ostersonntag kamen viele Leute zu Besuch zu ihr. Ich erinnere mich, dass sie eine Menge Butter in den Teig gab. Hausgemachte Butter, hergestellt aus der Milch unserer Kühe. Das Kneten des Teigs war ein Ritual an sich. Es war fast heilig. Denn die Qualität des Christstollens ist bekanntlich damit verbunden. Und mein Vater, ein eher sportlich aussehender Mann, war für die Durchführung dieses Vorgangs verantwortlich. Er nahm ein Stück des Teigs, hob es fast bis zur Decke und lie‎ß es dann mit einem Schlag fallen. Ich muss sagen, es war ziemlich beeindruckend. In der Zwischenzeit erhitzte meine Mutter die Butter und goss sie in den Teig. Und Sie mussten währenddessen besondere Vorsichtsma‎ßnahmen treffen. Im Raum, wo der Teig geknetet und dann zum Aufgehen gelassen wurde, musste es sehr hei‎ß sein und eine konstante Temperatur herrschen. Der Bottich, in dem der Teig lange Zeit ruhte, wurde mit einem Tuch abgedeckt. Meine Mutter pflegte zu sagen, dass der Teig wie ein Mann ist, der aus der Badewanne kommt. Es darf sich nicht erkälten.“




    Der Höhepunkt der Feierlichkeiten war jedoch die Ostermesse, die in der Kirche stattfand. Und für den damals jungen C.D. Zeletin stellten diese Momente eine Art Gemeinschaft mit Gott dar:



    Ostern ist die Auferstehung. In der Osternacht war alles bereit, meine Mutter nonnte sich vor Müdigkeit und Erschöpfung kaum noch auf den Beinen. Wir waren alle erschöpft. Wir gingen am frühen Abend zu Bett und wachten gegen 23.30 Uhr auf. Die Kirche war ganz in der Nähe, und wir wussten: Der Klang der Glocken würde uns aufwecken. Es war ein merkwürdiger Klang, weil jemand eine gro‎ße Menge Silber in die Legierung getan hatte, die zum Gie‎ßen der Glocken verwendet wurde. Je mehr Silber in der Legierung, desto besser klang sie. Für mich ist dieses Läuten der Glocken gleichbedeutend mit heiliger Kälte. Ich war eiskalt, oder vielleicht waren es Emotionen. Ich hatte ein gewisses Gefühl der Angst, als ich als Kind in die Kirche ging. Ich war ein eher schüchternes Kind. Natürlich hat mich niemand beachtet, die Menschen waren in ihre Gebete, in ihre Gedanken vertieft, und ich fühlte mich wie verloren.“




    In der Zelebrierung des Osterfestes, so wie sie C.D. Zeletin mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in seiner Heimatgemeinde erlebt hatte, schien das Böse, die Welt verlassen zu haben, um allein Hoffnung Platz zu machen:



    Ich habe meine Mutter mit meinen Blicken verfolgt, ich habe sie zu ihr geschaut. Sie würde sich hinsetzen. Sie hatte ihren eigenen Platz in der überfüllten Kirche, den die Leute für sie freihielten. Ihr Platz wartete auf sie, mit einer Blume auf dem Kirchenstuhl. Und wenn meine Mutter ankam, nahm eine Frau die Blume und legte sie beiseite. Meiner Mutter wurde viel Respekt entgegengebracht. Zuerst, weil sie die Frau des Priesters war, dann, weil sie auch Chorleiterin war. Und sie war eine ziemlich gute Sängerin. Es war ihr gelungen, in diesem abgelegenen kleinen Dorf einen vierstimmigen Chor zu organisieren. Und sie wechselte das Repertoire immer. Einmal war es die Liturgie nach Tschaikowsky, ein anderes Mal die Liturgie nach Mandicevschi. Wenn ich zu Ihnen spreche, ist es, als sähe ich sie leibhaftig vor mir, wie sie ihren Chor leitet, manchmal den Kopf zum Altar mit seinen reichlich verzierten Türen hingewandt, wo mein Vater stand und den Ton zum Gesang anstimmte.“




    Es ist sicher, dass Kindheitserinnerungen für immer in unserem Gedächtnis eingeprägt bleiben, manchmal verklärt durch den Lauf der Zeit. Aber sie bleiben kostbar, von Nostalgie durchdrungen, Zeugnisse einer Welt, in der das Feiern religiöser Feste unantastbar war, während diese Feste das Leben der Gemeinschaft selbst regelten und prägten.

  • Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit: Parteiendebakel und Verfolgung durch die Faschisten

    Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit: Parteiendebakel und Verfolgung durch die Faschisten

    Die sozialistischen Ideen erreichten das Land bereits in den 1870er Jahren. 1910 wurde die Rumänische Sozialdemokratische Partei gegründet, auf den Resten der ehemaligen Partei aus dem Jahre 1893. 1918 änderte die Partei ihren Namen in Sozialistische Partei. Gleichzeitig spalteten sich mehrere Dissidenten von ihr ab. 1927 gründeten einige sozialistische Gruppen die Sozialdemokratische Partei, die bis 1945–1948 bestand, als sie von den Kommunisten übernommen wurde.



    Die Sozialdemokraten im Rumänien der Zwischenkriegszeit waren sehr unterschiedlich politisch motiviert. Mira Moscovici, eine der Töchter des sozialdemokratischen Vorsitzenden Ilie Moscovici, sprach über diejenigen, die sich der sozialdemokratischen Bewegung angeschlossen haben. (Die Audioaufnahme entstand 1994 und wurde für das Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des Rumänischen Hörfunks aufgezeichnet.)



    Zu der alten sozialdemokratischen Bewegung kamen die Menschen aus Idealismus. Die Partei hatte nichts zu bieten, es konnte keine Karriere gemacht werden. Es wurde gesagt, dass die Sozialdemokratie eine Krankheit junger Studenten sei. Viele bekannte Intellektuelle standen in ihrer Jugend im Konflikt zu ihren Eltern, zur Gesellschaft, sie waren — bis sie eine Karriere machten — Idealisten, Romantiker, Sozialisten also. Mit der Zeit verging der Idealismus. Entweder traten sie anderen Parteien bei oder sie machten bemerkenswerte Karrieren in ihrem Fach. Viele Schriftsteller, Künstler und Kulturschaffende haben als Studenten der sozialistischen Bewegung angehört. Menschen, die Interessenlos der Bewegung beitraten und vielfach dauerhafte Beziehungen knüpften. Denn es war gefährlich, der Bewegung anzugehören, und so entstand eine Art Solidarität. Ich nenne es menschliche Wärme, die wir dringend nötigt haben.“




    Die wichtigsten Namen der rumänischen Sozialdemokratie aus der Zwischenkriegszeit waren Ion Flueraş, Iosif Jumanca, Constantin Titel Petrescu, Ilie Moscovici, Serban Voinea — es waren Intellektuelle und Sozialaktivisten, die sich für soziale Werte einsetzten und diese in die Praxis umsetzten. Mira Moscovici erinnerte sich an die Freundschaft ihrer Eltern mit Ion Flueraş, einem sozialdemokratischen Abgeordneten im rumänischen Parlament.



    Flueraş war einer der Vertreter der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Bewegung in Siebenbürgen. Er war Abgeordneter und wollte nach Bukarest ziehen. Weil er eine Tochter im schulfähigen Alter hatte, wollte er sie zuerst einschreiben und dann die ganze Familie nach Bukarest bringen. Er konnte sie erst nach mehr als einem Jahr in der Schule einschreiben. Die Tochter von Flueraş wohnte natürlich bei uns, das war normal. Meine Mutter stellte einen Diwan in das Kinderzimmer und behandelte sie genauso wie uns, ohne Unterschiede. Als sie schlie‎ßlich umzogen, zogen sie in die Brutus-Stra‎ße, in der Nähe der Parteizentrale, nahe der Izvor-Brücke. Wir zogen dann auch in diese Wohngegend, wir waren fast Nachbarn und die ganze Zeit zusammen. Als wir ins Vatra-Luminoasă-Viertel zogen, bewohnten wir zwei aneinander gebaute Reihenhäuser. Zu Antonescus Zeiten nahm man uns das Telefon weg, weil wir Juden waren, aber wir konnten Flueraşs Telefon benutzten. Als sie uns illegal evakuierten, brachten wir unser Gepäck, unsere Möbel usw. in die Wohnung der Flueraşs. Die Beziehungen waren sehr herzlich und sehr gut.“




    Menschlichen Beziehungen entstehen auf natürliche Weise und überwinden unterschiedliche Meinungen oder Zugehörigkeiten. Mira Moscovici erinnerte sich an ihren Vater, der kein Hindernis sah, sich an diejenigen zu wenden, die theoretisch seine Gegner gewesen wären.



    Ich möchte noch einmal über die menschlichen Beziehungen sprechen. 1920, als mein Vater nach dem Generalstreik verhaftet wurde, war Hauptmann Vasile Chiru Generalstaatsanwalt der Militärstaatsanwaltschaft. Und sie haben sich angefreundet. Als er Vater aus der Zelle wegen Ermittlungen zu sich bestellte, teilte Chiru dies meiner Mutter mit, damit sie Papa sehen und mit ihm reden könne. Sie besuchte ihn meistens gemeinsam mit meiner Schwester. Chiru wurde zum Oberst befördert, musste aber später selber wegen des Verfahrens gegen den Generalstreik mit Repressalien rechnen, denn er wurde von den Kommunisten verhaftet. Nach den Ermittlungen gegen meinen Vater blieb er mit uns befreundet und arbeitete mit meinem Vater an einer Reihe von Ma‎ßnahmen zur Wiederherstellung des Wirtschaftslebens in Rumänien zusammen. Während Antonescus Zeit war er sogar Zeuge in einem Verfahren, in den es um die Beteiligung meines Vaters am Krieg und um seine militärische Situation ging.“




    Die sozialdemokratischen Juden wurden während des faschistischen Regimes besonders hart verfolgt. Aber selbst dann gab es menschliche Haltungen, die die Härte des Regimes linderten, wie Mira Moscovici sagt.



    Diese Beziehungen funktionierten während der Antonescu-Diktatur und der faschistischen Rebellion der Legionäre gleicherma‎ßen gut. Wir litten unter der Missgunst der Nachbarn, die versuchten, das Haus, in dem wir lebten, zu ergattern, und wir erhielten Unterstützung vom Priester Bedreag von der Iancu-Nou-Bălăneanu-Kirche im Vatra-Luminoasă-Viertel, der uns bei sich zu Hause aufnehmen wollte, damit uns nichts passiert, während da drau‎ßen die faschistischen Legionäre wüteten. Aber es war nicht nötig, denn es gab immer einige Freunde aus der alten Bewegung, die uns nicht alleine lie‎ßen. Ich lernte sogar Menschen kennen, die der Führung der Legionärsbewegung angehörten, wie Radu Mironovici, der sich, aller Härte und seiner Tätigkeit innerhalb der Legionärsbewegung zum Trotz, korrekt verhielt und uns half.“

  • Emil Otto Hoppé und seine Rumänien-Bilder: Land der Widersprüche

    Emil Otto Hoppé und seine Rumänien-Bilder: Land der Widersprüche

    Der britisch-deutsche Fotograf Emil Otto Hoppé (1878–1972) gilt als einer der gro‎ßen internationalen Porträtfotografen aller Zeiten. Er wurde 1878 in der Familie eines Bankiers geboren und studierte Kunst in Paris und Wien. 1900, im Alter von 22 Jahren, zog er nach London, um Finanzen zu studieren, verliebte sich aber hier in die Fotokunst und eröffnete sein eigenes Fotostudio. Er war der beste Porträtist seiner Zeit. Nach einer 50 Jahre langen Karriere verkaufte er 1954 seine riesige Foto-Sammlung an eines der wichtigsten Foto-Archive der Welt mit dem Sitz in London. Für mehr als 60 Jahre geriet diese Sammlung in Vergessenheit und wurde dann vom amerikanischen Kurator Graham Howe wiederentdeckt. Er katalogisierte, konservierte und zeigte sie der Welt. Dabei handelt es sich um etwa 10 Tausend Fotos.



    Emil Otto Hoppé war ein Reisender, der die Welt entdecken und fotografieren wollte. Er besuchte und fotografierte auch in Rumänien. Hier begann er auch gewöhnliche Leute zu fotografieren, nicht nur Persönlichkeiten. Er hatte schon gro‎ße Persönlichkeiten der Kultur und Politik wie König George V. und seine Frau Maria, Schriftsteller wie Henry James, Rudyard Kipling, George Bernard Shaw und Aldous Huxley, den Wissenschaftler Albert Einstein und die Tänzerin Anna Pavlova fotografiert.



    Die Tür zur rumänischen Welt öffnete sich infolge einer einfachen Andeutung, wie der Kurator und Fotografie-Historiker Graham Howe erläutert. Howe kam nach Bukarest, um an der Buchpräsentation mit den Rumänien-Bildern von Hoppé teilzunehmen:



    In London befand sich gegenüber der Wohnung von Herrn Hoppé auf dem Cromwell-Platz die rumänische Gesandtschaft, und dort arbeiteten raffinierte Literaten, die versuchten, Rumänien in Gro‎ßbritannien bekannt zu machen. Diese Schriftsteller und Politiker besuchten Hoppé anlässlich der von ihm organisierten Abendgesellschaften. Ein Tischnachbar fragte ihn mal: »Herr Hoppé, warum kommen Sie nicht nach Rumänien?« Interessant ist es, dass Freunde von Hoppé wie George Bernard Shaw und viele andere Schriftsteller in ihren Werken einfache Menschen beschrieben. Shaw hat zum Beispiel das Stück »Pygmalion« geschrieben, darauf basiert das Musical »My Fair Lady«. Diese Idee der sozialen Mobilität ist im Werk von Hoppé ständig präsent.“




    Gro‎ßrumänien war, wie auch die anderen Staaten in Mittel- und Osteuropa nach 1918, eine Neuigkeit auf der Landkarte. Hoppé besucht diese neuen Gesellschaften und fotografiert sie. Rumänien lockte ihn insbesondere an, weil die rumänische Königin eine Britin war, Königin Maria. Diese war sehr populär, denn sie hatte sich stark um die internationale Anerkennung der neuen Grenzen Rumäniens bemüht. Der Exotismus und die Vielfalt Rumäniens lockten ihn ebenfalls an. Anschlie‎ßend besuchte Hoppé auch die Tschechoslowakei, Polen und dann Afrika, Indien, Asien, den Fernen Osten und Australien. Graham Howe sprach in Bukarest bei der Präsentation des Buches Porträt eines Landes: Gro‎ßrumänien in den Fotos von E.O. Hoppé 1923“ über Entdeckungen, die der Fotograf in Rumänien gemacht hat:



    Er bekommt diese Einladung, Rumänien zu bereisen, und das stellt einen kritischen Punkt in seiner Karriere dar. Seine Foto-Typologien ändern sich. Er wurde nach Rumänien vom König und von der Königin eingeladen, er wird ermuntert, das Königsschloss zu fotografieren. Zugleich fotografiert er aber auch Roma-Siedlungen. Das von ihm 1923 veröffentlichte Buch trug eigentlich den Titel: »In Gipsy Camp and Royal Palace«. Die Reise nach Rumänien verändert Hoppé. Ab nun reist er durch die ganze Welt und fotografiert Menschen aus aller Welt. Er veröffentlichte 27 Bücher. Er hat versucht, die innere Natur des Menschen zu verstehen. Hier zum Beispiel, auf diesem Foto, kann man sich ausmalen, wie erfinderisch dieser Mensch war. Auf diesem Foto ist Prinzessin Elena auf den Treppen des Königsschlosses im Kostüm zu sehen und im selben Jahr sehen wir Anna Pavlova im Kimono im Hampstead Heath in London tanzend. Er bewegt sich zwischen den Kunststilen und den unterschiedlichen Stilen der Kunstgeschichte, um Menschen auf bester, erfinderischer Art darzustellen. Er ist ein gro‎ßer Humanist, er fühlt Verbundenheit zu den Menschen. Das ist ein wunderbares Foto, mit Herrn Hoppé rechts und dem Arzt Enescu links, während sie Melone in Rumänien essen.“




    Porträt eines Landes: Gro‎ßrumänien in den Fotos von E.O. Hoppé 1923“ ist eine Sammlung von Foto-Dokumenten über ein neues Land, das seinen Platz in Europa suchte. Es stellt aber auch die Vision eines Künstlers dar, der das sieht, was bis dahin nicht bemerkt wurde, nämlich die Natürlichkeit der gewöhnlichen Menschen.

  • Nationalitätenverhältnis in Rumänien 1918-38: Pendeln zwischen Toleranz und Konflikten

    Nationalitätenverhältnis in Rumänien 1918-38: Pendeln zwischen Toleranz und Konflikten

    Wer über das Verhältnis der rumänischen Mehrheitsbevölkerung mit den vielen Minderheiten recherchiert, muss die Umstände berücksichtigen, unter denen der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen war. Zwischen den beiden Weltkriegen kann man über den Daumen gepeilt von guten Beziehungen sprechen, sagt der Historiker Ioan Scurtu: Bei der Pariser Friedenskonferenz von 1919-1920 ist man vom Nationalprinzip ausgegangen: Die neuen Staaten, die nach dem Zusammenbruch des Habsburger Reiches und des Zarenreiches entstanden, sollten Nationalstaaten sein. Die Wirklichkeit zeigte aber, dass keiner der neuen Staaten ethnisch rein sein konnte“, so Prof. Scurtu.




    Auch Rumänien war keine Ausnahme, doch gab es gewisse Unterschiede im Vergleich zu anderen Ländern wie die Tschechoslowakei, Polen oder Jugoslawien. Zwar gab es in Rumänien historisch bedingt viele Minderheiten — in der Dobrudscha wurden vom Osmanischen Reich zwischen 1417 und 1878 Türken und Tataren kolonisiert; das Russische Reich kolonisierte Bessarabien mit Russen, Juden, Ukrainern, Bulgaren und Gagausen. Siebenbürgen hatte Sachsen und Szekler, in der Bukowina waren es Deutsche, Juden und Ukrainer, im Banat Deutsche, Serben und andere Minderheiten. Dazu kommt, dass Rumänen verfolgte Minderheiten hier aufnahmen, zum Beispiel Juden, die vor Pogromen aus Polen oder Russland flüchteten. Doch bei all diesem Flickmuster hatte keine einzige Minderheit mehr als 10 Prozent, führt Prof. Scurtu aus. Problematisch war dabei das Spannungsfeld zwischen der ungarischen Minderheit und dem neuen rumänischen Staat, meint er:




    Aufgrund des Vertrags von Trianon hatten einige der Siebenbürger Ungarn — sogenannte Entscheider — die ungarische Staatsangehörigkeit angenommen und siedelten nach Ungarn um. Bei einer Bodenerform waren Gro‎ßgrungbeseitzer enteignet worden, das Land ging an die Bauern. Natürlich wurden auch ungarische Besitzer enteignet, die Mehrheit waren aber rumänische Landeigentümer. Boden bekamen gleicherma‎ßen ungarische und rumänische Bauern, aber auch Ukrainer, Russen, Bulgaren und andere. Die Entscheider fühlten sich unberechtigt und klagten gegen die rumänische Regierung beim Völkerbund.“ Doch alles sei Propaganda des ungarischen Staates gewesen, der der Welt zeigen wollte, dass es ein Siebenbürgenproblem geben würde, meint der Historiker. Durch die Haager Konvention von 1932 wurde schlie‎ßlich festgelegt, dass die Entscheider von dem ungarischen Staat entschädigt werden sollten, das Geld kam aus den Kriegsentschädigungen, die Ungarn an Rumänien zu zahlen hatte.




    Neben der ungarischen Minderheit gab es auch mit den Bulgaren einige Probleme, meint der Historiker Ioan Scurtu. Durch den Vertrag von Bukarest von 1913, durch den der Zweite Balkankrieg zu Ende ging, bekam Rumänien die Region Süddobrudscha (Cadrilater), wo ein beträchtlicher Anteil Bulgaren lebte. Doch es gab keine eigentliche Mehrheit — weder Rumänen noch Bulgaren noch Türken stellten eine absolute Mehrheit. Es war einfach ein Patchwork der Ethnien. Bulgarien forderte nicht nur diese Region zurück, sondern die gesamte Dobrudscha und setzte bulgarische Bauern [als Aufständische] ein, die die Gemüter erhitzen sollten.“




    Wie der Historiker erklärt, gab es einen Schulterschluss zwischen ungarischen und bulgarischen Revisionisten, die auf eine Zerschlagung des rumänischen Staates aus waren — was 1940 auch eintrat. Doch die rumänische Verfassung räumte sowohl Ungarn als auch Bulgaren und anderen Minderheiten Rechte und Freiheiten ein — zum Beispiel eine Vertretung im Parlament.




    Die jüdische Minderheit hatte unter dem politischen Klima der Zwischenkriegszeit am meisten zu leiden — Juden wurden nicht selten auch ermordert. Doch Prof. Scurtu glaubt, dass das Verhältnis bis etwa 1935 normal war: Es wird meiner Meinung nach überspitzt dargestellt, dass es Konflikte oder Progrome gegeben hat. Ich akzeptiere das nicht, und auch dokumentarische Belege gibt es keine. Nach 1934-1935, vor dem Hintergrund des Aufschwungs rechtsextremer Bewegungen, vor allem nach Hitlers Machübernahme in 1933, gab es in der Tat auch ein Erstarken der Nationalisten, die unter dem Motto »Rumänien den Rumänen!« agierten. Was dann nach 1940 geschah, kann nicht mehr als natürliche Entwicklung der rumänischen Gesellschaft betrachtet werden. Unter dem Militärregime von Ion Antonescu wurden 1941 Ma‎ßnahmen zur Massenvernichtung der Juden getroffen. Sie sind zu verurteilen, denn Juden aus der Bukowina und Bessarabien wurden ohne Rechtfertigung nach Transnistrien deportiert“, so der Historiker abschlie‎ßend.

  • Rumänien in der Zwischenkriegszeit: 1927 – das Wendejahr auf dem Weg zum Autoritarismus

    Rumänien in der Zwischenkriegszeit: 1927 – das Wendejahr auf dem Weg zum Autoritarismus

    Die Krisenzeiten der Geschichte lassen niemals die Folgen in ihrem wahren Ausma‎ß vorhersehen. In der ersten Hälfte des 20. Jh. wurde der Fall der Demokratie durch Krisensignale angekündigt. Allerdings behandelten die Menschen diese, auch in der Hoffnung, dass alles wieder normal wird, oft oberflächlich. Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lieferte die Demokratie einige Indizien bezüglich ihrer Feinde. In Rumänien trat die Demokratie im Februar 1938 in eine Krise, als König Karl II. die politischen Parteien auflöste, eine neue Verfassung erarbeitete und sein eigenes Diktaturregime einführte.



    Der Augenblick 1938 ist nicht wie aus dem Nichts entstanden. Die Krise der rumänischen Demokratie begann sich 1927, in einem entscheidenden Jahr für die Politikgeschichte Rumäniens, zu entwickeln. 1927 verstarben zwei gro‎ße Persönlichkeiten der rumänischen Politik: König Ferdinand I. und der visionäre liberale Politiker Ion I. C. Brătianu. Beiden hatte man viel für die Schaffung Gro‎ßrumäniens zu verdanken. Das Zwischenkriegsrumänien hat es niemals geschafft, den Schock dieser Verluste zu beheben. Für die Monarchie bedeutete der Tod Ferdinand I. einen beschleunigten Verlust ihres Ansehens als Institution und für die National-Liberale Partei (PNL), die Partei Brătianus, den Anfang einer Periode voller Unruhen und Spaltungen. Au‎ßerdem brachte das Jahr 1927 ein neues Problem der rumänischen Politik und Gesellschaft auf: die Sicherung der Thronnachfolge, denn Ferdinands Nachfolger war sein Enkelkind, der 5 Jahre alte Mihai.



    Florin Müller, Professor für zeitgenössische Geschichte der Rumänen an der Geschichtsfakultät der Bukarester Universität, stellt uns die Art und Weise vor, wie die Monarchie von dem Tod des Königs Ferdinand I. betroffen wurde.



    Der Tod König Ferdinands I. war in der rumänischen Geschichte lange Zeit von Bedeutung. Nach dem Tod des Königs entsteht das, was man in der Geschichte als die ›geschlossene Frage‹ bezeichnet hat. Es handelt sich um die Urkunde von 4. Januar 1926, wodurch Karl, Ferdinands Sohn, auf seine Erbrechte als Kronprinz verzichtet. Durch den Tod des Königs Ferdinand blieb die Frage des Erben ungelöst. Die Regentschaft war eine provisorische Struktur, eine simulierte Monarchie, die den Inhalt dieser Institution des rumänischen Staates nicht löste. König Ferdinand hatte keinen autoritären Stil wie Brătianu und umso weniger wie der seines Sohnes Karl II. Er hinterlie‎ß allerdings den Eindruck der Beständigkeit und Stabilität der Monarchie. Die Monarchie zu Zeiten Ferdinands verzeichnete keine Abweichungen in Richtung absolute Macht, die es während der Herrschaft Karl des II. gegeben hat. Man kann auch an die Neigungen der Königin Maria zur Autoritarismus erinnern, aber diese stellten nicht den wahren Inhalt der Monarchie Ferdinands dar. König Ferdinand war eine stärkendes Bild der Monarchie, die eine Vertretungsinstitution und keine echte Macht war.“




    Der Tod Brătianu konnte von der National-Liberalen Partei nicht verarbeitet werden, denn es gelang ihr nicht, einen gleichwertigen Ersatz für ihn zu finden. Diese Unfähigkeit kann man auf die Art zurückführen, wie er seine Macht innerhalb der Partei ausübte, glaubt Florin Müller.



    Ion I. C. Brătianu war der erzeugende und ordnende Faktor der liberalen Demokratie. Er gestattete eine beschränkte Demokratie innerhalb des von der PNL geschaffenen Rahmens, in dem Sinne, dass die Reformen auf einer höheren Ebene stattfinden mussten. Die exekutive Staatsgewalt hatte die Beschlusskraft über die Legislative. In den 20er Jahren ist die Hyperpersonalisierung der rumänischen Politik ihr Hauptmerkmal gewesen. Diese sollte auch in den kommenden Jahren noch Wirkung zeigen. Ion I. C. Brătianu konzentriert sehr viel Macht. Die PNL-Führer selbst üben eine gro‎ße Macht im Vergleich zu den Sitten des demokratischen Systems aus. Brătianu gestattete durch seinen persönlichen Stil die Gründung einer liberalen Politikelite im klassischen Sinne des Begriffs nicht. Wir können an I. G. Duca, seinen Nachfolger an der Parteiführung, oder an seinen Bruder Vintilă Brătianu verweisen. Diese kann man allerdings nicht mit ihm vergleichen. Duca näherte sich einigerma‎ßen dem, was Brătianu einst war, doch was andere liberale Politiker angeht, war das nicht der Fall.“




    Von der Krise der Liberalen profitierte die Nationale Bauernpartei (PNȚ), die 1926 als Opposition zum liberalen Regime gegründet wurde. Der Tod Brătianus und die Krise der Liberalen beförderte diese Partei 1928 auf einer Sympathiewelle an die Macht. Diese Partei konnte aber die autoritären Exzesse nicht eindämmen. Die sichtbarsten davon waren jene des künftigen Königs Karl II. Der Historiker Florin Müller erläutert:



    Die politisch-ideologische Ladung der Nationalen Bauernpartei war echt, in dem Sinne, dass deren Mitglieder die Aufmerksamkeit mit vielen Argumenten auf die oligarchische Macht der PNL gerichtet haben. Blo‎ß kam die PNŢ mit einer pseudorevolutionären Linksrhetorik, die den langfristigen Anforderungen der rumänischen Gesellschaft nicht entsprach. Angenommen, dass diesen pseudorevolutionären Neigungen durch die Charakterstärke eines Iuliu Manius ein Riegel vorgeschoben wurde, hatte die PNŢ aber auch ein weiteres Problem: Sie unterstützte die Restauration, die Rückkehr des Ex-Königs Karl ins Land und seine Proklamation zum König. Es entsteht eine parallele Macht zu jener der PNŢ, die im November 1928 die Regierung übernommen hatte, die die PNŢ eigentlich sabotiert. Interessant ist, dass die PNŢ und in erster Linie Maniu eine zweideutige Stellung gegenüber der Restauration haben. Maniu sprach sich, im Unterschied zu Duca und der PNL, für eine Überarbeitung der Urkunde vom 4. Januar 1926 aus. Doch der Führer der PNŢ strebte eine Überarbeitung an, die den demokratischen Sitten, mit der Einhaltung der Demokratie durch den künftigen König entsprechen sollte. Karl hingegen lie‎ß sich niemals auf Verpflichtungen in diesem Sinne ein. Darüber hinaus setzte er niemals den Wunsch Manius um: die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grundsätze.“




    Eine weitere wichtige politische Macht, die sich in der rumänischen Politszene ab 1927 profiliert, ist die Faschistenbewegung Legion der Erzengels Michael“. Mit Umwandlungsbestreben wollten die Legionäre die Gesellschaft von den Übeln des Kapitalismus befreien. 1927 sollte der Augenblick des Übergangs von einer ruhigen zu einer aufgeregten Politik werden. Au‎ßerdem sollte Radikalismus zum kennzeichnenden Begriff für die politische Rhetorik werden.

  • Iosif Berman – der Star-Fotoreporter der Zwischenkriegszeit

    Iosif Berman – der Star-Fotoreporter der Zwischenkriegszeit

    Einer der wichtigsten Fotoreporter und Fotografen der Zwischenkriegszeit in Rumänien war Iosif Berman. Der Künstler jüdischer Abstammung verkehrte in Kreisen der rumänischen Avantgarde, fotografierte für bekannte Tageszeitungen und illustrierte Publikationen, begleitete den Soziologen Dimitrie Gusti während seiner Feldforschung und schaffte es bis zum offiziellen Fotografen des rumänischen Königshauses. Mit den Rassengesetzen von 1938 wurde ihm jede Tätigkeit als Fotograf untersagt. Wenige Jahre später starb der erkrankte Berman in gro‎ßer Verbitterung. In “Pro memoria” gingen wir dem filmreifen Leben Iosif Bermans nach.



    Vor der Erfindung der Fotografie wurden die Zeitungen mit Zeichnungen illustriert. Die Fotografie hat die Presse verändert und ihr mehr Glaubwürdigkeit verliehen. Dadurch entstand auch eine neue Kategorie von Journalisten: die Fotoreporter. In der Geschichte des 20. Jahrhunderts gibt es zahlreiche legendäre Bilder, die eine Mischung von alltäglichem Leben, bildender Kunst, Symbolik, Gesten und Erlebnissen darstellen.



    Einer der ersten rumänischen Fotoreporter war Iosif Berman. Er wurde 1892 im nordrumänischen Dorohoi, in der Familie eines jüdischen Kaufmanns geboren. Sein Vater kämpfte im Krieg für die Unabhängigkeit Rumäniens in den Jahren 1877-1878 und wurde dafür per königlichem Erlass eingebürgert. Bis dahin hatten die Juden in Rumänien keine rumänische Staatsbürgerschaft. Es scheint, dass Berman während eines Besuchs in Czernowitz sein Interesse am Fotografieren entdeckte. Das erklärte zumindest seine Tochter.



    1912 kommt Berman nach Bukarest, um seiner Leidenschaft nachzugehen. Die Journalistin Adina Stefan ist Biographin von Iosif Berman und hat das Foto-Album Iosif Bermans Rumänien“ veröffentlicht. Im folgenden sprach sie über die Anfänge der Karriere des wichtigsten Fotoreporters der Zwischenkriegszeit in Rumänien:



    Seine Kollegen sagten, er habe die Begabung eines amerikanischen Fotojreporters gehabt, dass er sogar besser als diese war. 1912 kam er nach Bukarest und wurde angestellt. Er arbeitete zunächst bei einer illustrierten Zeitung. Später stellte ihn der Journalist Constantin Mille bei den linken Zeitungen »Adevărul« und »Dimineaţa« ein. Dort hat er etwa 20 Jahre lang gearbeitet. Weiter war er Mitarbeiter der Zeitschrift »Realitatea ilustrată« und hat zusammen mit gro‎ßen zeitgenössischen Avantgarde-Künstlern Kunst-Fotos in der Zeitung »Cuvântul liber« veröffentlicht. Berman war ein Star in der Zwischenkriegszeit und leistete nur qualitätsvolle Arbeit. Er führte kein mondänes Leben, war aber eine sehr präsente und unwiderstehliche Person. Er hinterlie‎ß ein paar Dutzend Tausend Fotos.“




    Per Definition muss ein Journalist ein Suchender, eine Person sein, die die Wahrheit und die Menschen liebt. Gerade das trifft auf Berman zu. Der Krieg stellte für Journalisten eine sehr gute Gelegenheit dar, ihre Qualitäten zu beweisen. Im Ersten Weltkrieg hatte Berman die Gelegenheit, seine Begabung und seinen Mut zu beweisen. Während des Ersten Weltkriegs lernte er auch seine zukünftige Frau kennen. Biographin Adina Ştefan:



    1917 wurde Berman mit einem Regiment nach Russland geschickt, um die Kämpfe dort zu fotografieren. Es handelte sich dabei um den Ersten Weltkrieg und um die bolschewistische Revolution. Da setzt er sein Leben aufs Spiel und verliert seine Fotos. Mal schnappen ihn die Wei‎ßen, mal die Roten und zerstören seine Glas-Fotoplatten. Von der Schwarzmeer-Küste, von Odessa, kommt er bis zum Fu‎ße des Kaukasus, bis nach Noworossijsk. Was folgte, ist filmreif: Er geht in ein Café rein, wo sich mehrere junge Leute unterhielten. Ihm werden Essen und Getränke angeboten und ein junger Mann bietet ihm auch Unterkunft an. Berman akzeptiert und wacht am zweiten Tag im Haus einer wohlhabenden jüdischen Familie auf. Auf einem Balkon erblickt er ein schönes Mädchen, das sich gerade die Haare kämmte. Es war Liebe auf den ersten Blick, sie hie‎ß Raissa und war 20 Jahre alt, er war 27 Jahre alt. Sie haben schnell beschlossen, zu heiraten.“




    Bis 1923 haben Berman und seine Frau in Konstantinopel gelebt. Hier war er als Korrespondent für die Zeitungen Dimineaţa“ und Adevărul“ tätig. Berman hat auch eng mit dem Soziologen Dimitrie Gusti zusammengearbeitet und diesen auf seinen Feldforschungsreisen in den ländlichen Gebieten Rumäniens begleitet. Er wurde sehr bekannt und hat auch mit der New York Times“ und mit den Nachrichtenagenturen Associated Press und Scandinavian Newspapers Press zusammengearbeitet. In kurzer Zeit wird er zum Fotografen des Königs Karl II. Adina Ştefan erzählt weiter aus dem Werdegang Bermans:



    Berman war von Anfang an ein innovativer Fotograf. Er fotografierte alles. Er fotografierte das Leben, die Gestalten sind lebendig. Seine Tochter Luiza berichtete, dass er offizieller Fotograf des Königs Karl II. wurde. Ihm gelang es, den König aus allen Winkeln zu fotografieren, und immer sah der König souverän aus. Das gelang den anderen Profi-Fotografen nicht.“




    Der Zweite Weltkrieg, die rumänischen Rassengesetze von 1938 und die antisemitische Verfolgung waren harte Schläge für Berman, der seine Tätigkeit nicht mehr ausüben durfte. Er musste seinen jüdischen Namen ändern, die Zeitungen, für die er arbeitete, mussten ihre Tätigkeit einstellen, sein Studio wurde gesperrt und seine Kameras und seine Fotos wurden beschlagnahmt. Bis 1940 durfte er ab und zu noch arbeiten, danach wurde ihm als Jude die Tätigkeit gänzlich untersagt. Am 17. September 1941 verstarb der verbitterte und nierenkranke Iosif Berman im Alter von 49 Jahren in Bukarest.

  • Kommunisten vor dem Kommunismus – zur Geschichte der rumänischen Kommunisten vor 1945

    Kommunisten vor dem Kommunismus – zur Geschichte der rumänischen Kommunisten vor 1945

    Bevor die Kommunistische Partei die Macht in Rumänien unter sowjetischer Besatzung übernahm, wurden die Anhänger der kommunistischen Ideologie als Idealisten angesehen. In Rumänien hatte der Kommunismus nur wenige Anhänger. Nachdem der Kommunismus in Russland siegte, wurde das bolschewistische Russland zum Hauptfeind Rumäniens. Die rumänischen Kommunisten wurden in der Zwischenkriegszeit und während des Krieges als sowjetische Agenten betrachtet, die gegen die Interessen Rumäniens handelten.



    Der Historiker Adrian Cioroianu hat einen Band mit den Biographien einiger rumänischer Kommunisten vor 1945 koordiniert. 1945 kamen die Kommunisten an die Macht. Vasile Luca, Gheorghe Gheorghiu-Dej, Petre Constantinescu-Iaşi, Ana Pauker, Nicolae Ceauşescu und Petre Gheorghe waren wichtige Namen in Rumänien zwischen 1945 und 1989.



    In der Nachbarschaft der Sowjetunion war die Zahl der Kommunisten relativ klein. Vielleicht war das auch ein Ausdruck der Furcht, die diese Länder vor dem russischen Expansionismus hatten. Da muss man aber auch unterscheiden. Die Lage in Rumänien, wo die Kommunistische Partei schon ab 1924 verboten wurde, war eine andere als in der Tschechoslowakei, wo das Proletariat zahlreicher war und es eine soziale Basis für eine linksorientierte Politik gab. Wichtig ist es, in dieser Periode im öffentlichen Diskurs zwischen der Wahrheit, die von Dokumenten unterstützt wird, und sehr vielen Klischees zu unterscheiden. Im Falle der rumänischen Kommunisten, die vor der Machtübernahme durch die Kommunisten tätig waren, sprechen wir von ein paar Tausend Personen, die aus dem einen oder anderen Grund glaubten, dass diese Version der Linke, die in der Sowjetunion zu finden war, eine Zukunft haben kann. Wir dürfen die 1930er Jahre nicht aus der Perspektive von heute betrachten. Wir müssen die Idee akzeptieren, dass — wie im Falle des Rechtsextremismus, in dem viele anständige junge Leute von der Eisernen Garde verführt wurden — auch im Falle des Kommunismus eine Reihe von Menschen, von Anwälten bis hin zu Arbeitern diese Sympathie hatten. Sie hatten den Eindruck, dass das von der Sowjetunion gebrachte Modell die Tore einer besseren Zukunft öffnen kann.“




    Intellektuelle, Menschen aus der Mittelschicht, Arbeiter, alle, die die Ideologie des Kommunismus angenommen haben, hatten unterschiedliche Motivationen. Adrian Cioroianu dazu:



    Es handelte sich dabei um Menschen, die paradoxerweise die Geschehnisse im West verfolgten. Die Zahl der Kommunisten im Westen war damals steigend. Und es ist überhaupt nicht widersinnig, dass Menschen wie Lucreţiu Pătrăşcanu oder Petre Constantinescu-Iaşi in Kontakt mit dem Kommunismus mittels einer Gewerkschaft aus Frankreich in Berührung kamen. Pătrăşcanu las die Werke mancher Russen auf Französisch. Für einen linksorientierten Rumänen muss es in den 1930er Jahren heikel gewesen sein, zu sehen, wie im Westen, insbesondere in Frankreich, die Zahl der Kommunismus-Anhänger zunahm. Natürlich konnte man sich irrtümlicherweise vorstellen, dass die progressiven Elemente aus dem Westen gegenüber dem, was in Moskau geschah, wohlwollend eingestellt waren. In der Sowjetunion funktionierte die Propaganda-Maschine sehr gut. Heute wissen wir, dass bedeutende westeuropäische Intellektuelle in Frankreich und Gro‎ßbritannien darauf hereingefallen sind; ähnlich war es in Deutschland vor Hitler und in Italien. Das geschah in einem kleineren Umfang auch in Rumänien. Wir dürfen jetzt auch nicht übertreiben, es handelte sich dabei nicht um Hunderttausende oder Dutzend Tausende Menschen. Die Partei wurde 1924 verboten. Wir müssen akzeptieren, dass wir die Register mit den Mitgliedern der Kommunistischen Partei in Rumänien nicht finden werden, als illegale Partei konnten sie diese nicht aufbewahren. Folglich werden wir die genaue Zahl niemals kennen. Der rumänische Geheimdienst hatte das Interesse, eine möglichst geringe Zahl von Kommunisten anzugeben, er lie‎ß sie beobachten, spielte aber ihre Bedeutung herunter. Während des kommunistischen Regimes behaupteten viele, Mitglieder der illegalen Partei gewesen zu sein, vielleicht sogar mehr Leute, als es in Wirklichkeit gewesen waren. Deshalb auch der damalige sinngemä‎ße Spruch: »Am Anfang waren unsereins nur wenige, jetzt sind viele in der Partei geblieben.«




    Kann der Idealismus derjenigen, die den Kommunismus angenommen haben, sie von jeglicher Verantwortung befreien? Der Historiker Adrian Cioroianu:



    Wir schreiben hier die Geschichte einiger sehr bekannter Leute. Das sind etwas bekanntere Fälle und wir wissen heute, dass jeder von ihnen, mit der Ausnahme von Petre Gheorghe, eine Rolle auch nach dem 23. August 1944 gespielt hat. Wenn wir ihre Tätigkeit aus den 1930er Jahren unter die Lupe nehmen, dürfen wir nicht die nachfolgende Periode vernachlässigen. Sie haben von den Prozessen in den 1930er Jahren gegen die Kommunisten profitiert. Sie haben diese in ihre Lebensläufe aufgenommen, sie haben aufgrund dieser eine regelrechte Mythologie des kommunistischen Untergrunds aufgebaut. So auch Nicolae Ceauşescu, der vielleicht spektakulärste Fall von allen. Wir Historiker haben es hier mit einer Gratwanderung zu tun. Einerseits ist es klar, dass es nicht sehr viele Kommunisten gab. Andererseits kommt man zur Schlussfolgerung, dass es auch nicht so wenige, wie wir es uns wünschen würden, waren. Es waren nicht nur 800 oder 1000, wie man so sagt. Unsere Studie zeigt, dass es ein paar Tausend waren. Es ist schwer zu sagen, wieviele Sozialisten waren und wieviele Kommunisten. Während der Prozesse haben viele eine Beziehung zur kommunistischen Bewegung abgestritten. Später, in den 1940er Jahren, nachdem sie an die Macht kamen, forderten alle die Anerkennung ihrer politischen Aktivität vor den Prozessen.“




    Die rumänischen Kommunisten vor der Einführung des kommunistischen Regimes wurden als eine messianische Sekte bezeichnet, als eine subversive Organisation, die trotz ihres Atheismus mystische Neigungen hatte. Zum richtigen Zeitpunkt handelten sie aber auch pragmatisch.

  • Mihail Moruzov – der Geheimdienstler, der überall mitmischte

    Mihail Moruzov – der Geheimdienstler, der überall mitmischte

    Die Boulevardpresse könnte über das Leben von Mihail Moruzov, dem Leiter des Nachrichtendienstes Rumäniens in der Zwischenkriegszeit, schreiben, es sei wie ein Roman. Die Realität ist aber viel interessanter als die Fiktion und das Leben von Mihail Moruzov erweist sich als zu komplex für einen Roman. Mihail Moruzov war ein Mensch von au‎ßerordentlicher Intelligenz, der eine der stärksten Staatsstrukturen führte und dabei einige der wichtigsten Entscheidungen der rumänischen Regierung beeinflusste.



    Geboren wurde Moruzov am 8. November 1887 in einer gro‎ßen Familie mit sieben Kindern, im ostrumänischen Zebil, Landkreis Tulcea, der als Tor zum Donaudelta gilt. Sein Vater, Nicolae Moruzov, war Priester, seine Mutter stammte aus einer ukrainischen Kosakenfamilie, die sich in Rumänien niederlie‎ß. Horia Sima, der Leiter der faschistischen Eisernen Garde, beschrieb Moruzov als einen Mann mit breitem, fast flachgedrücktem slawisch-mongolischem Gesicht“. Sein Nachfolger an der Leitung des Nachrichtendienstes, Eugen Cristescu, zeichnete seinerseits ein realitätsnahes Porträt von Moruzov: Er konnte Russisch und Bulgarisch, Sprachen, die er in seiner Familie gelernt hatte, aber keine westeuropäische Sprache, deswegen stie‎ß er auf gro‎ße Schwierigkeiten in seinen beruflichen und sozialen Beziehungen. Er hatte drei Gymnasialjahre abgeschlossen, dennoch las er kein Buch, sondern nur Zeitungen, die er allerdings sehr oberflächlich las.“



    Mihail Moruzov liebte sein Land und wollte ein treuer Bürger sein. So kann man auch seine erste Mission im Auftrag des rumänischen Nachrichtendienstes rechtfertigen, woran er sich als Volontär beteiligte. Der Historiker Cristian Troncotă beschrieb die Mission wie folgt: 1909 entdeckte und anschlie‎ßend machte er den rumänischen Behörden einen Plan der Bulgaren aus der Dobrudscha bekannt, die einen Aufstand gegen den rumänischen Staat entfachen wollten. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete er für die rumänische Gegenspionage in der Dobrudscha und im Donaudelta und trug somit erheblich zur Abwehr verhängnisvoller Aktionen rumänischer Deseurteure russischer Nationalität, der bulgarischen und deutschen Propaganda innerhalb der russischen Armee und der Aktionen der russischen Diplomaten in Sulina bei. 1920 wird Moruzov beschuldigt, im Auftrag der russischen und bulgarischen Spionage gehandelt sowie Geld geschmuggelt zu haben. Infolgedessen wird er im Jahr 1920 verhaftet, kurz danach wird er dennoch aus Mangel an Beweisen freigelassen.



    Nach 1918 erlebt die Karriere von Moruzov einen furiosen Aufstieg. Für seine Erfolge bei der Informationstätigkeit während des Ersten Weltkriegs wird er befördert. Anschlie‎ßend wird er zum Gründer des Sonder-Nachrichtendienstes 1924. Die Nachbarschaft der Sowjetunion und ihre aggressive Politik hatten die Notwendigkeit des Dienstes deutlich gemacht. In den 1930er Jahren gehört Moruzov zum engeren Umfeld des Königs Carol II. — die Gruppe wurde als Kamarilla des Königs“ bezeichnet, weil sie staatliche Strukturen für politische Raufereien und persönliche Bereicherung ausnutzte. Etwa zur gleichen Zeit entwickelt sich die Beziehung zu den Anführern der Legionäre, insbesondere zu Horia Sima. Das bestätigt der Oberst Traian Borcescu, ehemaliger Agent des Sondernachrichtendienstes, in einem 1996 aufgezeichneten Interview mit dem Zentrum für Mündliche Geschichte des Rundfunks:



    Horia Sima war Moruzovs Agent, denn Moruzov wollte Informationen aus dem nahen Umfeld von Hitler bekommen. Und durch Horia Sima konnte er sich sowohl militärische Informationen über die Wehrmacht besorgen, deren Geheimdienst, die sogenannte »Abwehr«, von Canaris geleitet wurde, als auch politische Informationen über Hitler. Durch Horia Sima gelang eine Annäherung an Himmler und für die Annäherung an die Wehrmacht arbeitete Moruzov auch mit anderen Personen zusammen.“




    Gemä‎ß dem Zeitzeugenbericht von Teodor Aleonte, Offizier im Sondernachrichtendienst, hatten die Legionäre mehrere Informanten und Agenten in der Staatssicherheit als umgekehrt. Traian Borcescu glaubte zu wissen, welche Karten der Legionärsanführer Horia Sima und Mihail Moruzov im Kampf um die Einflusssphären im Staatsapparat spielten:



    Die Freundschafts- und Kooperationsbeziehungen zwischen Moruzov und Horia Sima werden dadurch deutlich, dass König Carol die Bildung einer Legionärsregierung zulie‎ß. Moruzov hatte ihm eingetrichtert, dass Horia Sima auch ihn töten könnte, das versetzte Carol in Angst und Panik. Und jetzt stand Sima kurz bevor, der Regierung beizutreten, obwohl er kurz davor verhaftet und verurteilt werden sollte. Also hat Moruzov Horia Sima gerettet und ihn befördert. Und bestimmt hat er ihm auch ein paar Groschen zukommen lassen. Moruzov kannte die Vergangenheit von Horia Sima, wie er rekrutiert worden war und was er gemacht hatte. Deshalb dachte Moruzov, Horia Sima würde sich bei ihm dafür revanchieren, dass er ihm sein Leben gerettet und ihm zum Aufstieg verholfen hatte. Das sollte aber nicht eintreffen, denn in solchen Situationen werden Wohltäter getötet. In Jilava wurden alle umgebracht, der letzte, der starb, war Moruzov. Nach der Verhaftung und Hinrichtung von Moruzov kam der von Hitler entsandte Canaris nach Rumänien. Das, weil Himmler Hitler über die Entwicklung im Land in Kenntnis gesetzt hatte. Und Canaris ist bei Antonescu vorstellig geworden und hat sich nach Moruzov erkundigt. Da hat Antonescu geantwortet: ‚Es tut mir leid, aber die Legionäre haben ihm den Garaus gemacht.‘“




    Mihail Moruzov ist am 5. September 1940 auf Befehl von Ion Antonescu verhaftet worden. Die Eiserne Garde hatte davor Druck ausgeübt, denn sie wollte ihn für die zahlreichen Gesetzwidrigkeiten an der Spitze des Sondernachrichtendienstes vor Gericht bringen. Auch wenn die Kamarilla von Carol versuchte, auf mehreren Hochzeiten zu tanzen und sich Deutschland anzunähern, scheiterte sie und ihre Mitglieder, einschlie‎ßlich Moruzov, landeten mit wenigen Ausnahmen im Gefägnis. Eines seiner grö‎ßten Vergehen in den Augen der Legionäre war die Beteiligung an den Plänen Carols, die Anführer der Eisernen Garde in den Jahren 1938-1939 zu beseitigen. In der Nacht zum 27. November wurde Mihail Moruzov gemeinsam mit weiteren 63 früheren Amtsträgern in seiner Zelle in der Gefängnisanstalt von Jilava von einer Legionärsgruppe getötet.