Tag: Zwischenkriegszeit

  • Wirtschafts- und Finanzreformen im Rumänien der Zwischenkriegszeit

    Wirtschafts- und Finanzreformen im Rumänien der Zwischenkriegszeit

    Nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurde aus dem Altreich Rumänien Gro‎ßrumänien. Der Sieg der Entente brachte Rumänien die Vereinigung mit Bessarabien, der Bukowina, dem Banat und Siebenbürgen. Gro‎ßrumänien konfrontierte sich aber mit einer schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Lage und musste die neuen Provinzen integrieren. Das ganze Verwaltungssystem des Landes war schwach. Die rumänische Währung hatte an Wert verloren und das Land war verschuldet. Unter der Leitung von Vintilă Brătianu setzte das Finanzministerium einen Wirtschaftskonsolidierungsplan fort, das vom vorigen Finanzminister Nicolae Titulescu eingeleitet worden war. Der Historiker Ioan Scurtu berichtet über die wichtigsten Etappen der Fiskalreform in den 1920er Jahren.



    Nicolae Titulescu war der erste Finanzminister, der ein Gesetz, das das Prinzip der Steuerklassen und die Einkommenssteuer einführte, erarbeitet hat. Es handelte sich dabei um ein komplexes und langes Gesetz, deswegen wurde es zunächst auch nicht gebilligt. Diejenigen, die mehrere Einkommens-Quellen hatten, zahlten eine Steuer für die ganze Summe. Vintilă Brătianu hat die Grundideen von Nicolae Titulescu übernommen. Dank ihm wurde im Februar 1923 ein neues Gesetz erlassen, das grundsätzlich gleich war, aber weniger Einkommens-Kategorien definierte.“




    Die Finanzpolitik von Vintilă Brătianu konzentrierte sich auf die Modernisierung des rumänischen Finanzsystems und auf die Einhaltung eines ausgewogenen Haushalts. Das Gesetz über die direkten Beiträge, das unter seiner Leitung erarbeitet wurde und 1923 vom Parlament gebilligt wurde, hat den Modernisierungs-Anforderungen des rumänischen Finanzsystems entsprochen. Das Gesetz hatte positive Folgen für die Höhe und Struktur der Haushalts-Einnahmen. Die neue Einteilung der Ausgaben war ein wichtiger Schritt für die Konsolidierung der Finanzlage Rumäniens in der Zwischenkriegszeit. Der Historiker Ioan Scurtu:



    Dieses Gesetz führte einen speziellen Schutz für die Einkommen aus Industrie-Geschäften ein. Vintilă Brătianu unterstützte eine Politik der Entwicklung der Wirtschaft und insbesondere der Industrie. Er war der Ansicht, dass infolge des Krieges und der Vereinigung Rumänien seine politische Unabhängigkeit erlangt hatte, aber auch wirtschaftliche Unabhängigkeit brauchte. Vintilă Brătianu glaubte, dass die politische Unabhängigkeit ohne wirtschaftliche Unabhängigkeit unmöglich aufrecht zu erhalten sei. Die erwähnte Reform zielte auf die wirtschaftliche Entwicklung Rumäniens, insbesondere der Industrie des Landes ab. Die liberale Regierungszeit stellte den Rahmen dar. Es war die längste der Zwischenkriegszeit, sie dauerte vier Jahre, von Januar 1922 bis Ende März 1926. In dieser Zeitspanne wurde auch eine neue Verfassung angenommen, die die Verstaatlichung der Boden-Ressourcen vorsah. 1928, zehn Jahre nach der Vereinigung, war die Industrie Rumäniens zweieinhalb Mal so stark wie vor dem 1. Weltkrieg.“




    Der Finanzminister Vintilă Brătianu erkannte die Probleme der rumänischen Wirtschaft. Er war derjenige, der die nationale Energie-Politik ausgearbeitet hat. Er beharrte auf einer bestmöglichen Nutzung der Erdöl-Ressourcen Rumäniens. Die Energie-Nachfrage war sowohl intern als auch weltweit steigend. Der Historiker Ioan Scurtu dazu:



    Die Reform von Nicolae Titulescu war wichtig, weil sie eine Richtung vorgegeben hat. Vintilă Brătianu hat die Reform umgesetzt. Er hat die Verteilung der Haushalts-Gelder festgelegt. Er setzte den Schwerpunkt auf die Investitionen und und nicht auf die Zahlung der Au‎ßenschulden. Er ermöglichte den Menschen, Kredite aufzunehmen, die neue Industrie-Tätigkeiten gründeten und in Rumänien neue Güter produzierten. Wir sprechen hier insbesondere über Maschinenbau. So wurden das Malaxa-Werk und weitere gro‎ße Werke in der Zwischenkriegszeit gegründet. So wurden die Grundsteine der rumänischen Flugindustrie gesetzt.“




    Die Nutzung der Naturressourcen war Finanzminister Vintilă Brătianu für die Entwicklung einer vom ausländischen Kapital unabhängigen Wirtschaft wichtig. Die liberalen Wirtschafts-Politiken haben zwischen 1918 und 1940 auch zur Stabilisierung der rumänischen Währung beigetragen.

  • Der Rumänische Rundfunk zu Zeiten des Faschismus

    Der Rumänische Rundfunk zu Zeiten des Faschismus

    Ende der 1930er Jahre waren die faschistischen und rechts-autoritären Regime überall in Europa an der Macht. Sie nutzten das Radio als Mittel der Propaganda, für ihre Legitimierung und zur Stärkung ihrer Position. Diese Entwicklung erlebte auch die 1928 gegründete rumänische Rundfunkgesellschaft. Die Politisierung war eine der grö‎ßten Hürden für das Radio, die Machtergreifung durch die rechts- und linkstotalitären Regime stellte eine ständige Gefahr für die objektive Berichterstattung.



    Die in den 1990er Jahren nach der Wende vom Zentrum für Mündliche Geschichte des Rundfunks gesammelten Zeitzeugnisse bestätigen die Gratwanderung: Es war unheimlich schwer, ein Gleichgewicht zwischen dem politischen Druck und der Berufsverantwortung zu erreichen. Die bedeutendsten Ereignisse wurden allerdings in den Nachrichtenprogrammen beleuchtet. In der Audiodatei kommen mehrere Zeitzeugen (mit deutschem Overvoicing) zu Wort:



    Der Lehrer Olimpiu Borzea erinnerte sich 2001 an die Ermordung von Corneliu Zelea Codreanu, dem Anführer der rechtsextremen Eisernen Garde im Jahr 1938. Vasile Blănaru arbeitete ab 1938 beim Rundfunk, in der Hörspielredaktion. Danach belegte er verschiedene Führungspositionen. 1999 erzählte er über den Einfluss der Faschisten in der Institution. Ein weiteres wichtiges Ereignis war die Ermordung des Ministerpräsidenten Armand Călinescu am 21. September 1939 durch ein Kommando der Legionäre. Nach der Tat haben die Mörder den Tod Călinescus aus einem Studio des Rundfunks heraus bekanntgegeben. Vasile Blănaru war ebenfalls dabei, als die Legionäre in das Live-Studio stürmten.



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  • Wohlfahrtsvereine im Rumänien der Zwischenkriegszeit

    Wohlfahrtsvereine im Rumänien der Zwischenkriegszeit

    Das kommunistische Regime lie‎ß in Rumänien die philantropische Berufung und die Wohltätigkeit verkümmern. Und dies obwohl das Regime sich selbst als höchster Ausdruck der Menschlichkeit und des Mitgefühls ausgab. Die extreme Verstaatlichung des ökonomischen und politischen Lebens war dabei ausschlaggebend: In den Jahren des Kommunismus hing das Leben in einem derartigen Ausma‎ß von den staatlichen Institutionen ab und die Hilfsinitiativen standen unter einer derartig starken Kontrolle, dass die Menschen nur vereinzelt das Bedürfnis nach Wohltätigkeitsgesten verspürten.



    Aber das war nicht immer so gewesen. Im kapitalistischen Rumänien vor 1945 war der Wohltätigkeitsgeist sehr präsent. Es gab mehrere Arten von Wohltätigkeit und zahlreiche Institutionen aus Wirtschaft, Religion und Politik standen zu ihrer Berufung, Hilfsbedürftige zu unterstützen: Kriegswitwen, Veteranen, Waisen, Arbeitslose, Invaliden. Die gro‎ßen Fabriken hatten eigene Ausbildungseinrichtungen, die Berufsverbände, Gewerkschaften, kleinen Werkstätteninhaber, das Pflegepersonal, die Lehrkräfte, Anwälte und andere boten den Unbemittelten ihre Dienstleistungen kostenlos an. Die Gattinnen vermögender Leute leiteten Stiftungen, Hilfsverbände und andere Schutzeinrichtungen.



    Eine der gro‎ßen rumänischen Wohltäterinnen der Zeit war Maria Brăiloiu. Sie stammte aus der Lahovary-Familie, einer alten Familie von Gro‎ßgrundbesitzern, die innerhalb der Konservativen Partei politisch engagiert war. Gemä‎ß religiösen und konservativen Prinzipien sorgte sich Maria Brăiloiu um elternlose Mädchen. Dina Balş, Nachfahrin einer Bojarenfamilie, berichtete 1996 über eine Episode aus dem sozialen Lebenswerk Maria Brăiloius im Jahr 1919, die sie persönlich miterlebt hatte. Das Interview stammt aus dem Archiv des Zentrums für Mündliche Geschichte des Rundfunks.



    Frau Brăiloiu hatte ein Anwesen in Săruleşti, sie war ein guter Mensch, der nur Gutes tat. Sie war unter anderem bei der ‚Chindia‘, und auch bei der ‚Timişoiu‘. Timişoiu war eine Wohltätigkeitsorganisation für Waisenkinder, für Mädchen ohne Eltern. Sie hatte auf ihrem Anwesen ein Haus gebaut, in dem diese Waisenkinder gro‎ßgezogen wurden. Aber wirklich, bis sie gro‎ß waren. Als sie gefragt wurde, was sie mit den Kindern anstellen wollte, antwortete sie: »Ich will gute Ehefrauen und Mütter aus ihnen machen!« Sie brachte den Mädchen bei, wie man kocht, näht, sich um Kinder kümmert, wie man Kinder wäscht, wie man sich um die Männersachen kümmert, wie man eine Herrenjacke strickt, also wie man halt eine gute Ehefrau und Mutter wird. Und da hat sich eine sehr schöne Szene abgespielt. Zu der Einweihung dieses Heims, das nur aus ihren Geldern finanziert worden war, hatte man auch den Bildungsminister Trancu-Iaşi eingeladen. Danach wurde ein einfaches Essen im Garten von den Mädchen serviert. Und Trancu-Iaşi kam mit einem Ehrenzeichen und wollte es Frau Brăiloiu aushändigen. Sie setzte auf einmal eine eiskalte Miene auf und sagte »Nein!«. »Wie ist das denn möglich, Frau Brăiloiu, sie haben so viel getan… «, sagte der Minister. »Nicht ich habe das gemacht, sondern unser Herr Jesus Christus! Wäre Er nicht gewesen, hätte ich überhaupt nichts getan! Geben sie ihm die Auszeichnung, nicht mir!« Und sie wollte sie auf gar keinen Fall annehmen. Und danach ging Trancu-Iaşi, er steckte das Ehrenzeichen in seine Hosentasche, und unterwegs, im Zug, sagte er: »Die Dame ist interessant, sehr interessant ! Aber was für ein Charakter!«. Er war empört und zugleich bewegt, weil Frau Brăiloiu sich schickte, die Auszeichnung abzulehnen.“



    Es gab aber zur gleichen Zeit auch Gesellschaften, die die Kultur und das nationale Spezifikum förderten. Dina Balş erinnerte sich auch an die Existenz und den Auftrag der Gesellschaft Chindia“.



    Ich kann ihnen noch sagen, warum wir die rumänischen Tänze so gut beherrschten, alle, die es gibt. Dafür waren unsere Eltern verantwortlich, sie hatten eine Gesellschaft gegründet, die genau diesen Auftrag hatte: die rumänischen Volkstänze und die Volksmusik nicht verschwinden zu lassen. Und alle zwei Wochen kamen sie im Richter-Saal zusammen, das war ein Turnsaal in Bukarest, in der Luterană-Stra‎ße. Und die Ausstattung war sehr gut für die rumänischen Tänze, der Fu‎ßboden war mit Holzbrettern bekleidet und natürlich gingen wir mit den absolut authentischen Trachten dahin, um zu tanzen, die Musik dazu spielten Geiger aus mehreren Landkreisen versammelt. Und diese Gesellschaft hatte ebenfalls Maria Brăiloiu auf die Beine gestellt. Wer war alles Mitglied in der Gesellschaft? Alle waren dort, alle guten Leute.“



    Gro‎ße Kulturpersönlichkeiten Rumäniens waren Mitglieder in Kulturgesellschaften, in denen brennende und damals aktuelle Themen besprochen wurden. Eine dieser Gesellschaften hie‎ß Paranteză“ (rum. für Klammer). Dina Balş erklärte im Interview mit dem Zentrum für Mündliche Geschichte des Rundfunks die Herkunft des Namens.



    Es waren der Historiker Goga, Condeescu, Simionescu-Râmniceanu, Paul Prodan und Nona Ottescu. Und sie versammelten sich und hatten sehr interessante Sitzungen, mit sehr unterschiedlichen Themen. Einer begann zu erzählen, und dann kam es zu Abschweifungen der Abschweifungen, also Klammern in Klammern. Deshalb wurde die Gesellschaft auf den Namen ‚Klammer‘ getauft. Weil sie von einem Thema zum anderen wechselten und dabei immer eine Klammer aufmachten. Ihre Treffen fanden regelmä‎ßig statt und waren sehr angenehm, es war eine Freude, nur dabei zu sein und ihnen zuzuhören, unter anderen Goga. Goga war ein sehr angenehmer Mensch. Und immer wenn sie zusammenkamen, egal ob zum Essen oder nicht, waren selbstverständlich auch ihre Frauen dabei.“



    Die Wohltätigkeit ging Hand in Hand mit den sozialen Kontakten. Die rumänische Welt vor 1945 war von einer lebendigen Gesellschaft geprägt. Vor allem die Jahre während der beiden Weltkriege waren von einer beeindruckenden Gro‎ßzügigkeit gekennzeichnet.



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