Tag: Kommunismus

  • “Automobile, Süßigkeiten und andere Geschichten aus Ploieşti”: neuer Band über Stadtgeschichte

    “Automobile, Süßigkeiten und andere Geschichten aus Ploieşti”: neuer Band über Stadtgeschichte

    Stadtführungen, Ausstellungen und vor allem viele Buchveröffentlichungen, unter denen wir einige Bände erwähnen, “Cei pe care i-am uitat”/”Die, die wir vergessen haben. Die kommunistische Unterdrückung in Ploiesti (1948-1964)” und “Kneipen, Kugeln und Paläste. 12 Geschichten von Ploiesti”. Der letzte Titel ist Teil der Sammlung “Memento”. Gegen Ende des letzten Jahres erschien ein weiterer Titel aus dieser Sammlung: “Automobile, Sü‎ßigkeiten und andere Geschichten aus Ploiesti”. Wie bei den anderen Büchern dieser Reihe handelt es sich um einen Sammelband, dessen Autoren unterschiedlichen Alters sich an die Zeit erinnern, in der sie in Ploieşti lebten.



    Der Historiker Lucian Vasile, Leiter des Vereins für Bildung und Stadtentwicklung, gibt nun eine kurze Beschreibung: “Diesmal sind es 15 Autoren. Sie kommen aus Ploiesti, aus anderen Städten des Landes, aus dem Ausland, aus Deutschland und aus Italien. Es handelt sich um einen sehr abwechslungsreichen Band, in dem jeder Leser sicher etwas findet, das mit seinem Universum, seiner Lieblingsepoche oder den Orten, die er liebt, zu tun hat. Die meisten von ihnen haben bereits an mindestens einem der bisher veröffentlichten Büchern mitgewirkt, aber wir haben auch neue Autoren wie Livia Dimulescu oder Emilio Cives. Der letztere hat zudem eine ganz besondere und beeindruckende Lebensgeschichte: Er stammt aus einer italienischen Familie in Ploieşti in der Zwischenkriegszeit und wurde zu Beginn der kommunistischen Zeit praktisch gezwungen, Rumänien zu verlassen. Zu dieser Zeit waren etwa 10 % der Einwohner Italiener, Franzosen, Amerikaner, Briten oder andere ethnische Gruppen neben der rumänischen Mehrheit”.



    Der Band “Autos, Sü‎ßigkeiten und andere Geschichten aus Ploiesti” konzentriert sich auf das 20. Jahrhundert, enthält aber auch Geschichten aus der Zwischenkriegszeit und der kommunistischen Zeit. Es ist praktisch ein Jahrhundert Geschichte, zusammengefasst auf 336 Seiten, sagte Lucian Vasile weiter. “Natürlich gibt es auch Geschichten, die den Leser entspannen, wie zum Beispiel die Geschichten über die Autos in der Stadt von damals, vor allem die, die noch aus der Vorkriegszeit stammten und die in den 1960er und 1970er Jahren auf den Stra‎ßen der Stadt zu sehen waren. Aber es geht auch um die Autos, mit denen die Generation meiner Eltern aufgewachsen ist, d. h. um die Autos aus der Zeit des Kommunismus. Das Wort “Sü‎ßigkeiten” kommt allerdings nicht zufällig im Titel vor. Im Buch sind auch einige Rezepte von Sü‎ßigkeiten zu finden, die in den Häusern der Einwohner von Ploiesti zubereitet waren. Aber es gibt auch eine andere Art von Geschichten, die zum Nachdenken anregen. Und es gibt noch mehr zu erwähnen. Ich möchte nur eine nennen, die von Letzler Penchaș, eines der führenden Mitglieder der jüdischen Gemeinde, der sowohl Opfer, Kollaborateur, Held, Schuldiger war. Ein gutes Beispiel dafür, wie eine ungerechte Geschichte einen in alle möglichen Zustände verwickeln kann.”



  • Fake Maps: Wie das kommunistische Regime Grenzgänger in die Irre führte

    Fake Maps: Wie das kommunistische Regime Grenzgänger in die Irre führte

    Das kommunistische Regime scheute keine Mittel, um Kritiker und Oppositionelle mundtot zu machen. Gegen verzweifelte Menschen, die den Weg der Flucht in die freien westlichen Länder wählen wollten, wurde noch brachialer vorgegangen: Wenn sie nicht auf der Grenze sofort erschossen wurden, steckte man die auf der Flucht Gefassten ins Gefängnis — es folgten Verhöre, Einschüchterung, Erpressung oder sogar Folter. Beim Versuch, den Eisernen Vorhang zu durchbrechen, am bildhaftesten durch die Berliner Mauer verkörpert, wurden Menschen kaltblütig erschossen.



    In ihrem Bemühen, Flucht und Grenzüberwindung zu vereiteln, wandten die kommunistischen Regime jedoch auch subtilere Methoden an. Im September 1965 beschlossen die Ostblock-Staaten auf einer konsultativen Konferenz in Moskau, die Landkarten der sozialistischen Länder künftig mit Ungenauigkeiten, Verzerrungen oder gar falschen Angaben zu drucken. Damit sollten illegale Grenzgänger in die Irre geführt und in die Fänge der Grenzwächter geleitet werden. Fake Maps und Fallen statt aufsehenerregender Schie‎ßereien an der Grenze.



    Den dringendsten Bedarf an Fake Maps meldete die DDR — und die gefürchtete Stasi übernahm die Aufgabe ihrer Verlegung. Doch auch die rumänische Securitate stand ihrem ostdeutschen Pendant in nichts nach und eignete sich diese Praxis geflissentlich an. In Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut in Bukarest hat das rumänische Nationalmuseum für alte Karten und alte Bücher unlängst eine Ausstellung eröffnet, die die Methoden der Stasi und Securitate in der Kartenfälschung beleuchtet. Unter den Stichworten Fake Maps — wie Securitate und Stasi die Menschen in die Irre führten“ dokumentiert die Ausstellung, wie die Geheimdienste mit gefälschten Karten Fluchtversuche vereiteln wollten. Kurator der Ausstellung ist der Historiker Adrian Buga — für ihn sind die Fake Maps aus der Zeit vor 1989 ein Sinnbild für die Unterdrückung der Reisefreiheit:



    Ich würde Landkarten und Erkenntnis gleichsetzen. Wenn man einen neuen geographischen — meinetwegen auch einen au‎ßerirdischen — Raum erschlie‎ßt, ist Wissen essentiell. Wer dieses Wissen hat, in unserem Fall die räumlichen Karten herausgibt, kontrolliert diesen Vorgang. Wenn man jedoch auch die Information kontrollieren und sie dem Feind vorenthalten will, spielt man ihm gefälschte Information zu. Ein weiterer Aspekt der Fake Maps ist die Orientierung. Will man aus einem Raum herausbrechen, braucht man Orientierung aus glaubwürdigen Quellen. Die vom kommunistischen Staat herausgebrachten Landkarten enthielten vorsätzlich eingebaute Fehler oder Falschstellen, um Fluchtwillige in die Irre zu führen.“




    Doch damit nicht genug. Die Fake Maps des kommunistischen Regimes hatten auch die Funktion, die innere Landkarte des Menschen zu manipulieren. Nicht allein die Topographie wurde gefälscht, sondern auch die vermittelte Wahrnehmung der Au‎ßenwelt, erläutert weiter der Historiker und Museograph Adrian Buga:



    Man kann getrost sagen, dass Fake Maps kennzeichnend sind für geschlossene, totalitäre Regime. Wenn der Staat alles kontrollieren, die Menschen unterdrücken und an einem bestimmten Ort festhalten will, dann muss er Grenzen fälschen und die Wahrnehmung des Ortes und der Au‎ßenwelt verzerren. Es gilt, zu vermitteln, wie schlecht es au‎ßerhalb der Matrix sei und wie gut man es im eigenen Staate habe.“




    Doch wie wurden die Landkarten konkret gefälscht? Adrian Buga sagt, dass man im Grunde akkurat hergestellte Karten vorsätzlich verzerrte:



    Es gab natürlich wissenschaftliche Standard-Landkarten, die viel Information über Städte und Ortschaften, Gebäude, Stra‎ßen, Beschaffenheit der Erdoberfläche, Flüsse und Höhenunterschiede enthielten. Doch diese topographischen Standardwerke waren geheim, kaum jemand hatte Zugang zu solchen Landkarten, dafür brauchte man schwer zu erlangende Genehmigungen. Für das breite Publikum waren nur touristische Landkarten erhältlich, auf denen bestimmte Gebiete verzerrt oder auch gar nicht dargestellt wurden. Da stand man dann mit einer herkömmlichen Landkarte an einem bestimmten Ort und musste feststellen, dass gar nichts stimmte: Man fand Abhänge oder Höhenunterschiede, die auf der Landkarte gar nicht markiert waren, oder ein Fluss befand sich in Realität an einer anderen Stelle als auf der Karte dargestellt. Das war so konzipiert, damit Menschen, die sich im Grenzgebiet aufhielten, die genaue Beschaffenheit des Terrains nicht erschlie‎ßen können, und um Fluchtversuche zu erschweren. Und auch, um feindliche Streitkräfte, die in das Land hätten eindringen wollen, in die Irre zu führen.“




    Das Wissen um die Landkarten war dem kommunistischen Regime wichtig, führt der Historiker Adrian Buga weiter aus. Zwar habe die Securitate nicht selber Fake Maps hergestellt, jedoch festgenommene sogenannte Republikflüchtige“ äu‎ßerst genau verhört:



    Wir haben hier in der Ausstellung keine gefälschten Landkarten, sondern Karten mit den üblichen Fluchtrouten. Die Festgenommenen mussten auf Landkarten und in Plänen die genauen Wege ihres gescheiterten Fluchtversuchs einzeichnen. Die Securitate brauchte diese Information über die genaue Topographie der möglichen Fluchtrouten, damit der Staat nachträglich herkömmliche Landkarten entsprechend verzerren konnte, um die Menschen zu entmutigen und weitere Fluchtversuche zu vereiteln. Die üblichen Routen führten über die Westgrenze nach Ungarn und über die Donau nach Jugoslawien, an gewissen Stellen konnte man einen Fluchtversuch wagen. Es gibt viele Zeitzeugen-Berichte darüber, mir fällt z.B. das Buch [des Historikers und Politologen Stejărel Olaru] über die Turnerin Nadia Comăneci und die Securitate ein. Ihre spektakuläre Flucht [im November 1989] über die Grenze zu Ungarn beschreibt sie sehr detailreich. Als Schleuser war ein ortskundiger Hirte herangezogen worden, der aber die genaue Beschaffenheit des Grenzgebiets auch nicht kannte. Und so landeten sie dann mehrmals in Brachen, Böschungen oder an Flüssen, die auch der Schleuser nicht erwartet hatte.“




    Die Erforschung der Archive brachte eine weitere Überraschung ans Tageslicht: Abgesehen von der Praxis der Fake Maps stellte das kommunistische Regime auch individuelle Karten oder — besser gesagt — Karteien her. Zehntausende Oppositionelle oder Regimekritiker wurden anhand sogenannter Bewegungsprofile genauestens überwacht und kartiert. Man kannte Wohnung, Aufenthaltsorte und tägliche Routinen der Überwachten und ihrer Familien auf den Punkt genau.



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  • Rumänische Außenpolitik in den 1960er–70er Jahren: Öffnung gegenüber dem Westen

    Rumänische Außenpolitik in den 1960er–70er Jahren: Öffnung gegenüber dem Westen

    In den 1960er Jahren war Rumänien auf der Suche nach einer eigenen Stimme auf der internationalen politischen Bühne. Nachdem es nach 1945 zusammen mit ganz Osteuropa in den Einflussbereich der Sowjetunion geriet, war es gezwungen, sein politisches und soziales Entwicklungsmodell zu ändern. Davon war auch die Au‎ßenpolitik betroffen, wobei der Abbruch der Beziehungen zur westlichen Welt die erste Direktive aus Moskau war. Von 1948, als das kommunistische Regime vollständig an die Macht kam, bis Anfang der 1960er Jahre dominierten Isolationismus und Feindseligkeit gegenüber dem Westen und der kapitalistischen Welt die Au‎ßenpolitik Rumäniens.



    Stalins Tod 1953, die Verurteilung seiner Politik durch den neuen Machthaber Chruschtschow und die Intervention der Sowjetunion gegen die ungarische Revolution von 1956 waren einige der wichtigsten Ereignisse, die zu einer Veränderung in den internationalen Beziehungen des sozialistischen Blocks führten. Die Sowjetunion begann, ihre Kontrolle über die Staaten, die sie nach 1945 besetzt hatte, abzubauen, während die kommunistischen Führer dieser Länder versuchten, die nach dem Krieg beeinträchtigten Beziehungen wieder aufzubauen. Rumänien versuchte selbst, seine internationale Identität wiederherzustellen. Das Au‎ßenministerium brauchte einen reformorientierten Leiter, und man glaubte, dass Corneliu Mănescu, Rumäniens Botschafter in Ungarn, für diese Aufgabe geeignet sei. 1961 wurde er nach Bukarest berufen und ihm wurde vom Staatsoberhaupt Gheorghe Gheorghiu-Dej höchstpersönlich mitgeteilt, dass er das Amt des rumänischen Au‎ßenministers übernehmen werde.



    Zu dieser Zeit hatte Rumänien diplomatische Beziehungen zu rund 30 Staaten. Mănescu hielt das für lächerlich und eröffnete als erstes den Kontakt zu den Vereinten Nationen, wo Rumänien tatsächlich Freunde fand. Ein solcher Freund war der burmesische Diplomat U Thant, der dritte Generalsekretär der Organisation. So wurde Rumänien 1955 als Mitglied der Vereinten Nationen aufgenommen. 1994 zeichnete das Zentrum für Mündliche Geschichte des Rumänischen Rundfunks ein Interview mit Corneliu Mănescu auf, der damals 78 Jahre alt war:



    U Thant war ein gro‎ßer Freund von Rumänien. Er half uns, ein ehrenwertes Mitglied der Organisation der Vereinten Nationen zu werden und das UN-Zentrum in Bukarest zu gründen sowie bei vielen anderen Dingen. Er tat alles, was er konnte, um uns zu helfen. Im Jahr 1968, als Rumänien von einer [russischen] Invasion bedroht war, war er die erste Person, mit der ich in New York Kontakt aufnahm, und er versprach, eine au‎ßerordentliche internationale Sitzung der Vereinten Nationen abzuhalten, um uns zu unterstützen. Wir schulden ihm also unseren Respekt und unsere Dankbarkeit.“



    Corneliu Mănescu versuchte auch, Rumäniens Beziehungen zum Westen wiederherzustellen, angefangen mit Frankreich:



    1961, als ich das Au‎ßenministerium übernahm, hatte Rumänien fast nur Beziehungen zu den Staaten des Warschauer Paktes. Mit den westlichen Staaten, an deren Seite wir gegen Hitlers Armeen gekämpft hatten, befanden wir uns seit 1945 in einem Beinahe-Kriegszustand. Die Beziehungen waren fast eingefroren. Ab 1961 begannen wir, unsere Beziehungen systematisch auszubauen. Vor allem haben wir die Beziehungen zu Ländern wie Frankreich wiederhergestellt. Im Jahr 1961 waren unsere Beziehungen zu Frankreich fast nicht existent. Ich traf den damaligen französischen Au‎ßenminister Couve de Murville 1961 im ersten Jahr meiner Amtszeit und er lud mich nach Frankreich ein. Ich habe sofort ja gesagt, was nicht üblich war. Es war nicht üblich, dass jemand eine solche Entscheidung alleine trifft. Natürlich habe ich später auch die Zustimmung von zu Hause erhalten.“



    Ein weiteres westliches Land, das Rumänien ins Visier nahm, war Italien:



    Rumänien hatte eine unverzeihliche Haltung gegenüber internationalen Organisationen, es lehnte sie ab, verweigerte Hilfe. Ich werde nie eine Diskussion vergessen, die ich mit dem italienischen Ministerpräsidenten Amintore Fanfani in Bukarest hatte, als ich ihm sagte, dass Rumänien die Hilfe von Industrieländern wie Italien braucht. Und er sagte: ‚Warum haben Sie so lange gebraucht? Wir haben darauf gewartet, dass Sie um unsere Hilfe bitten, aber Sie haben nie gefragt. Also haben wir den Ländern, die darum gebeten haben, unsere Hilfe angeboten, besonders Jugoslawien.‘. Das waren die Worte von Fanfani.“



    Rumänien würde 1967 den gro‎ßen Schritt machen, nämlich die Wiederherstellung der Beziehungen zu Westdeutschland. Der rumänische Au‎ßenminister aus der kommunistischen Ära, Corneliu Mănescu, erinnert sich:



    Ungefähr zu dieser Zeit gab ich einem Reporter von The Christian Science Monitor ein Interview, er hie‎ß Rossi und arbeitete in New York. Er fragte mich nach unserer Haltung gegenüber Westdeutschland, ob wir Beziehungen zu ihnen wollten, ob wir glauben, dass wir eine formalisierte, stabile Beziehung haben sollten. Und er fragte auch, ob ich Deutschland für faschistisch halte, worauf ich kategorisch antwortete: ‚Nein!‘ Dieses Interview löste bei den anderen Ländern des Warschauer Paktes, vor allem in Ostdeutschland, gro‎ße Unzufriedenheit aus, und sie protestierten vehement. Sie fragten mich, welches Recht ich hätte, eine solche Position zu vertreten. Aber das änderte nichts, die Dinge waren geklärt, es war etwas, das getan werden musste.“



    Corneliu Mănescu war ein erfolgreicher Au‎ßenminister und genoss Unterstützung von höchster Ebene. Am 19. September 1967 wurde er zum Präsidenten der 22. Sitzung der UN-Generalversammlung gewählt und war damit der erste Vertreter eines sozialistischen Landes, der diese Position innehatte. Zu dieser Zeit war das Image Rumäniens im Ausland hervorragend, was es in den 1980er Jahren ausnutzen sollte.



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  • Der 10. Mai in der Geschichte Rumäniens

    Der 10. Mai in der Geschichte Rumäniens

    Am 10. Mai 1866 hat der Prinz Carol I. von Hohenzollern-Sigmaringen den Thron in Bukarest bestiegen. Seine Hingabe an sein neues Land und seine 48-jährige Herrschaft, die längste in der Geschichte Rumäniens, ermöglichten es Carol, den kleinen Staat in der Nähe des Balkans durch gründliche Reformen zu einem europäischen Land zu machen. Der 9. Mai ist in erster Linie der Unabhängigkeitstag. Als solcher 1877 vom Parlament proklamiert, markierte er die Abtrennung der Dobrudscha, einer südöstlichen Provinz an Donau und Schwarzem Meer, vom Osmanischen Reich und ihre Eingliederung in das künftige Königreich, die ebenfalls am 10. Mai 1881 proklamiert wurde.



    Carols Erbe, Ferdinand, hat den Prozess der nationalen Einigung am Ende des Ersten Weltkriegs vollendet, als Bessarabien (im Osten), die Bukowina (im Nordosten), Siebenbürgen (im Zentrum), Banat, Crisana (im Westen) und Maramures (im Nordwesten des Landes), Provinzen mit mehrheitlich rumänischer Bevölkerung, die zuvor unter der Besatzung des zaristischen und habsburgischen Reiches standen, unter der Autorität Bukarests zusammengeführt wurden.



    Die Hohenzollern-Sigmaringen Familie verknüpfte ihr Schicksal auch mit dem Sieg über Nazi-Deutschland. Historikern zufolge verkürzte die Entscheidung des letzten rumänischen Königs Mihai I., das Land 1944 aus dem Bündnis mit Hitler auszusteigen und wieder an die Seite der traditionellen Verbündeten, den Anglo-Amerikanern, zu stellen, den Zweiten Weltkrieg in Europa um mindestens sechs Monate und rettete somit Hunderttausende Menschenleben. Der rumänische König wurde vom sowjetischen Diktator Iosif Stalin mit dem Viktoria-Orden dekoriert, er wurde aber kurz danach mit der Undankbarkeit der neuen Verbündeten konfrontiert. Als das Land 1947 unter der Besatzung der sowjetischen Truppen stand, die eine Marionettenregierung einsetzten, war König Mihai I. gezwungen, abzudanken und ins Exil zu gehen. Er kehrte erst in den 90er Jahren nach Rumänien zurück, als er seine rumänische Staatsbürgerschaft, die ihm zuvor von den Kommunisten entzogen worden war, sowie eine Reihe von Besitztümern zurückerhielt.



    Nachdem sie durch den Nachkriegskommunismus zu Terror, Demütigung und Armut verurteilt wurden, konnten die Rumänen nach der Revolution von 1989 und dem EU-Beitritt ihres Landes im Jahr 2007 den Europatag wie einen eigenen Feiertag feiern. Der Europatag feiert den Frieden und die Einheit Europas und erinnert an den Untergang des Nationalsozialismus im Jahr 1945 und an die Erklärung, mit der der französische Au‎ßenminister Robert Schumann 1950 das Projekt der heutigen Europäischen Union ins Leben rief.


  • Kommunismus auf dem Lande: Überwachungsapparat wandte brutale Methoden an

    Kommunismus auf dem Lande: Überwachungsapparat wandte brutale Methoden an

    Die politische Überwachung in Rumänien während des kommunistischen Regimes (1945–1989), war eine der Säulen des Terrors, auf denen das System beruhte. Der Sicherheitsdienst Securitate“, die Miliz (die damalige Polizei) und das Netzwerk von Spitzeln, in Deutschland inoffizielle Mitarbeiter genannt, verfolgten unschuldige Menschen und brachten viele davon ins Gefängnis. Der Apparat der politischen Überwachung und Repression war allgegenwärtig und schreckte auch vor Mord nicht zurück.



    Die politische Überwachung im Kommunismus ist in den Städten gut dokumentiert. In den gro‎ßen städtischen Ballungsräumen, wo die Lebensbedingungen schwierig und das Risiko eines Widerstandes grö‎ßer waren, konzentrierte das Regime mehr Ressourcen. Darüber hinaus gaben dem Regime gerade die Arbeiter, wegen ihrer Fähigkeit zur Solidarität, mehr Grund zur Sorge.



    Aber auch auf dem Lande war der Überwachungs- und Repressionsapparat des Staates vertreten. Die Geschichte der kommunistischen Überwachung und Unterdrückung begann im Grunde genommen auf dem Lande und hörte erst 1989 auf. Der bewaffnete antikommunistische Widerstand, gebildet aus Soldaten und Bauern, die sich gegen die Zwangskollektivierung wehrten, veranlasste den kommunistischen Staat, den Terror zunächst auf dem Lande zu etablieren. Der Staat brauchte Spitzel, um herauszufinden, wer die Partisanen in den Bergen waren, wer die Bauern in den Dörfern und Gemeinden waren, die sie unterstützten, und wie die Netzwerke der Partisanen, Bauern und der städtischen Bevölkerung funktionierten.



    Die Überwachung auf dem Lande war also von gro‎ßer Bedeutung. Spitzel hatten einen wichtigen Beitrag zur Liquidierung der Partisanengruppen, sagen die Geschichtsforscher. In Massengräbern wurden Dutzende Bauern entdeckt, die auf den Feldern, am Waldrand oder an anderen abgelegenen Orten erschossen wurden.



    Der Historiker Gheorghe Miu hat den Überwachungs- und Repressionsapparat in der Region Buzău, im Südosten Rumäniens, erforscht.



    Diese militarisierten Strukturen des kommunistischen Regimes operierten auf dem Lande, in den sozialistischen Dörfern, indem sie die Milizposten der Gemeinden nutzten. Die Securitate hatten gut ausgebaute Informationsnetzwerke mit konspirativen Häusern, inoffiziellen Mitarbeitern und einer Informationsstruktur, wie aus den durch gesichteten Dokumenten hervorgeht. Der Milizposten war eine Informationsquelle. Von dort aus wurden Netzwerke von inoffiziellen Mitarbeitern überwacht und beaufsichtigt. Meistens übernahm der Leiter des Milizpostens auch die Aufgaben des Sicherheitsoffiziers, der für das Gebiet zuständig war. Er gab Informationen an den Sicherheitsbeauftragten weiter, der üblicherweise als operativer Sicherheitsmitarbeiter bezeichnet wurde.“




    Ein Überwachungs- und Repressionsapparat könnte ohne inoffizielle Mitarbeiter nicht auskommen. Diese kamen aus allen Gesellschaftsschichten und bespitzelten aus den unterschiedlichsten Gründen. Einige gaben Erpressung nach, andere erhielten laut den Archiven materielle Vorteile: Sie oder ihre Familienmitglieder bekamen begehrte Arbeitsplätze, erhielten bessere Wohnungen, höhere Gehälter oder finanzielle Belohnungen, wieder andere durften ins Ausland reisen. Aber auf dem Lande gab es keine Belohnungen, die inoffiziellen Mitarbeiter bespitzelten aus Angst, sagt Gheorghe Miu.



    Wir haben unzählige inoffizielle Mitarbeiter entdeckt, die Decknamen trugen. Sie kamen aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. Im Allgemeinen stammten sie aus dem Umfeld der Zielperson, die von der Securitate und der Miliz ins Visier genommen wurde. Sie waren Nachbarn oder LPG-Bauern. Aber wir haben auch Lehrer gefunden, die inoffizielle Mitarbeiter waren. Wir entdeckten sogar einen Bank-Angestellten, der den Bauern die Vorteile der CEC-Bank vorstellen sollte und gleichzeitig einen konkreten Auftrag von den Sicherheitsbeamten hatte. Die Spitzel auf dem Lande erhielten keine materiellen Vorteile. Die Miliz und die Securitate operierten auf dem Lande mit der Methode des Terrors: Sie erzeugten Angst. Die Leute wurden zum Milizposten einbestellt und sagten aus Angst oder aus eigenem Willen aus.“




    Der Historiker Gheorghe Miu erklärt die Arbeitsweise der Securitate am Beispiel seines Gro‎ßvaters väterlicherseits.



    Eine Fallstudie betrifft meinen Gro‎ßvater, Vasile Miu, einen Bauern, der sich der Kollektivierung widersetzte. Er trat bis 1989 nicht der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft bei, musste dafür aber die Konsequenzen tragen. Er wurde vernommen und ihm wurde ein Strafverfahren angehängt. Mein Gro‎ßvater war ein Bauer aus der Mittelschicht, hatte 9 Hektar Land und wurde als Reaktionär, als Feind des kommunistischen Regimes abgestempelt. Unter dem Vorwand eines Briefes, den er an den Vorsitzenden des Volksrates in Padina, Gigel Stoicescu, einen der Köpfe der Kollektivierung in Padina, im Kreis Buzău, schickte, wurde er von der Securitate überprüft und gegen ihn wurde eine strafrechtliche Ermittlungsakte eröffnet. Was darauf folgte, war eine Tortur. Obwohl der Bauer Vasile Miu nicht als politischer Gefangener eingestuft wurde, wurde er für drei Monate inhaftiert, weil er ein Pferd verkauft hatte, das von den kommunistischen Steuerbehörden für anstehende landwirtschaftliche Schulden auf dem Markt beschlagnahmt wurde.“




    Der Überwachungs- und Repressionsapparat des kommunistischen Regimes operierte auf dem Lande mit der gleichen Brutalität wie in den Städten. Und viele Bauern erinnern sich noch gut an die Methoden der Securitate, der Miliz und auch an die Spitzel auf dem Lande.



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  • Antikommunistischer Widerstand in den 1950er Jahren: die  Arnăuțoiu-Gruppe

    Antikommunistischer Widerstand in den 1950er Jahren: die Arnăuțoiu-Gruppe

    Am 14. Februar 1921 wurde einer der Helden des antikommunistischen Widerstands in Rumänien, Leutnant Toma Arnăuțoiu, geboren. Er war der Anführer einer der am längsten bestehenden Partisanengruppen in der Gegend von Muscel, in Zentralrumänien, am Südhang des Făgăraș-Gebirges. Als Entstehungsort der rumänischen Schriftsprache betrachtet, wurde Muscel während seiner Geschichte von freien Bauern mit einer guten wirtschaftlichen Situation bevölkert, und seine Residenz, die Stadt Câmpulung, hat eine wichtige multikulturelle Geschichte. Die Musceler profitierten immer von der Verwaltungsautonomie und hatten enge Beziehungen zum Fürstentum Siebenbürgen jenseits der Karpaten.



    Leutnant Toma Arnăuțoiu war Mitglied der kulturellen Elite der Gemeinde Nucșoara. Er war das dritte Kind eines Lehrers, sein älterer Bruder Ion, ein Kavallerieoffizier, war 1943 auf der Krim gefallen. Elena Florea Ioan war die Schwester von Toma Arnăuțoiu und sie wurde im Jahr 2000 vom Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des Rumänischen Rundfunks interviewt. Dabei betonte sie, dass die Familie des Lehrers Arnăuțoiu eine der angesehensten in der Gemeinde Nucșoara war, mit starken Werten und Prinzipien, die damals allerdings kaum förderlich für die Frauen in traditionellen Familien waren:



    Ich habe eine besondere Dankbarkeit gegenüber meiner Mutter, die uns sehr gut erzogen hat und mich geführt und alles gelehrt hat, so dass ich im späteren Leben wusste, wie man alle Schwierigkeiten angehen kann. Meinen Vater konnte ich mit seiner Sanftmut und Güte nie aus der Fassung bringen. Ich konnte ihn nie ärgern, was ein Beweis dafür war, dass ich auf alles hörte, was er sagte. Und er lie‎ß mich nicht auf die Schule gehen, damit die Jungen zur Schule gehen, lernen und sich weiterbilden können. Und was die Ehe anbelangt, haben meine Eltern tatsächlich meinen zukünftigen Ehemann für mich ausgesucht, und ich konnte nie sagen, dass sie sich geirrt haben. Sie haben mich immer auf den richtigen Weg geführt und mir beigebracht, ehrlich, flei‎ßig und respektvoll zu sein und mich in der Gesellschaft so zu verhalten, dass ich vor niemandem erröten müsste.“




    An der Front verwundet, wurde Toma Arnăuțoiu in den Reihen des Königlichen Gardebataillons aufgenommen, einer militärischen Eliteeinheit. Nach dem Staatsstreich vom 23. August 1944 begann eine weitere bittere Seite in der Geschichte Rumäniens, die die gesamte Gesellschaft umkrempeln sollte: die militärische Besetzung durch sowjetische Truppen und die Einsetzung einer prokommunistischen Regierung am 6. März 1945. 1947 aus der Armee entlassen, ging Toma Arnăuțoiu 1948 nach Bukarest und wurde Student an der Handelsakademie. Dort lernt er den Oberst Arsenescu kennen, und zusammen mit weiteren 30–40 Kommilitonen schmieden sie einen Plan zur Organisation einer Gruppe von Partisanen, die in den Bergen gegen die Regierung kämpfen sollte. Im Jahr 1949 setzten sie ihren Plan um und Toma Arnăuțoiu wurde von seinem jüngeren Bruder Petre begleitet. Elena Florea Ioan beschrieb, wie die von ihrem Bruder angeführten Partisanen von den Einheimischen aus Nucșoara unterstützt wurden. Doch bald beginnen die Zusammenstö‎ße mit den Truppen des Innenministeriums.



    Man schickte ihnen dort, in den Bergen, Lebensmittel und alles, was sie brauchten, aber die Geheimpolizei begann, die Gemeinde zu bewachen, und sie hatten keinen sicheren Ort mehr, an den sie gehen konnten, um sich zu ernähren. Und sie begannen oben in den Bergen zu verzweifeln, denn sie hatten kein Essen mehr, sie hatten nichts. Eines Nachts gingen sie hinunter ins Dorf, zu unserem Haus, und jemand aus ihrer Umgebung, eine Informantin namens Ileana, und ich kann mich an ihren Nachnamen nicht mehr erinnern, setzte die Securitate in Kenntnis. Der Spitzel war ein Dienstmädchen in einer Molkerei. Und dann kam ein ganzes Regiment hinter ihnen her. Es gab einen Zusammensto‎ß zwischen der Securitate und ihnen, und dabei ist ein Unteroffizier der Securitate ums Leben gekommen.“




    Nachdem die Arnăuțoiu-Brüder in die Berge geflüchtet waren, verhaftete die Securitate ihre gesamte Familie — die Eltern, die Schwester, ihren Mann, die Frau von Petre. Elena Florea Ioan wurde auch mehrfach verhört; an eine bestimmte Episode, die sich im Gefängnis in Pitești ereignet hatte, erinnerte sie sich besonders:



    Das zweite Mal wurde ich zu fünf Jahren verurteilt, das galt als Verwaltungsstrafe wegen unterlassener Denunziation. Ich würde wissen, wo sich meine Brüder in den Bergen aufhielten, und würde verweigern, der Securitate zu helfen, sie aufzuspüren und festzunehmen. Sie verhafteten mich immer wieder oder bestellten mich zur Securitate und legten mir nahe, ich solle mich als Schwester bei ihnen einschleichen, um ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Ich beteuerte immer wieder, meinen Brüdern nie geholfen zu haben, was mir die Securitate-Leute bei den Verhören nie abkaufen wollten. Als ich im Gefängnis in Pitești war, kam eines Nachts ein Oberst aus Bukarest und verhörte mich, so gegen 1–2 Uhr nachts. Er zerrte an meinem Hemd, bis die Knöpfe abrissen, sprang auf und fragte mich, warum gerade ich als Schwester meinen Brüdern nicht geholfen haben sollte, wo doch andere rund 100 ‚Bastarde‘ aus dem Dorf ihnen geholfen hätten?“




    1958, nach neun Jahren der Verfolgung durch Securitate-Truppen, wurde die Gruppe der Partisanen in Muscel gefangen genommen. Die Securitate stellte ihnen eine Falle: Durch einen Freund von Toma Arnăuțoiu wurden den Partisanen Pässe und die Erlaubnis versprochen, das Land zu verlassen. Die Anführer der Arnăuțoiu-Gruppe wurden schlie‎ßlich in der Hütte eines Hirten gefasst. Nebst den Arnăuțoiu-Brüdern wurde auch Tomas zweijährige Tochter und ihre Mutter, Maria Plop, festgenommen. Toma Arnăuțoiu Schwester, Elena Florea Ioan, erinnerte sich im Jahr 2000 im Interview mit dem Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des Rumänischen Rundfunks an diesen Moment:



    Dieser [von der Securitate eingewiesene] Freund meiner Brüder kam mit etwas Schnaps, dem Betäubungsmittel beigemischt worden waren, und den Pässen zu ihnen. Und während sie sich unterhielten, bot er ihnen einen Becher Schnaps an. Toma wollte nicht trinken, Petrică trank eine Tasse Schnaps. Und als sie sich dort unterhielten und planten, wie sie flüchten sollten, standen drau‎ßen plötzlich die Securitate-Leute drau‎ßen, sie stürmten herein sund chnappten sich Toma. Er wehrte sich, sie wussten, dass er ein Tütchen mit Gift am Revers trug, damit er nicht lebendig gefangen genommen wird, sollte man ihn erwischen. Sie stürzten sich sofort auf Toma und nahmen ihm das Gift ab. Petrică schaffte es, zu entkommen, während Toma noch mit ihnen kämpfte. Er überquerte einen Fluss und bestieg ein Hügel, wo ihn jemand sah und und der Securitate verpfiff. Sie verfolgten ihn mit einem Hund und fanden ihn mit seinem Gürtel um den Hals, bereit, Selbstmord zu begehen.“




    Nach ihrer Verhaftung am 20. Mai 1958 werden die Mitglieder der Gruppe mehr als ein Jahr lang verhört. In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 1959 werden Toma Arnăuțoiu, sein Bruder Petre und 14 weitere Menschen, die ihnen neun Jahre lang geholfen hatten, erschossen.

  • Hörerpostsendung 21.3.2021

    Hörerpostsendung 21.3.2021

    Liebe Freunde, herzlich willkommen zur Hörerpostsendung von RRI!




    Heute muss ich leider erneut mit einer traurigen Nachricht beginnen. Vor wenigen Tagen erhielten wir einen Anruf von Udo Becker in der Redaktion. Herr Becker teilte er uns mit, dass Fritz Andorf, einer unserer langjährigen Stammhörer, im Alter von 79 Jahren überraschend verstorben ist. Wir waren alle bestürzt in der Redaktion, seine letzte E-Mail mit Feedback zu unseren Programmen hatte ich vor zwei Wochen im Funkbriefkasten verlesen. Herr Andorf war ein bekannter Name in der Szene der Kurzwellenhörer und Mitglied in unterschiedlichen DX-Gemeinschaften; bereits in den 1970er Jahren hörte er viele internationale Rundfunkstationen, darunter auch Radio Bukarest, wie unser Sender damals hie‎ß. Als Gedenken an Herrn Andorf möchte ich jetzt ein kurzes Audiofragment aus unserem Archiv senden, in dem er selbst zu hören ist. 1999 feierte der Rumänische Rundfunk sein 60-jähriges Jubiläum. Am 7. November 1999 strahlten wir zu diesem Anlass eine Sondersendung live aus dem Studio in Bukarest aus und wir nahmen auch Gespräche per Telefon mit Hörern entgegen. Herr Andorf meldete sich kurz in dieser Sendung und erinnerte sich auch an seine Rumänien-Reise im Sommer desselben Jahres, bei der sich u.a. die Gelegenheit ergab, die totale Sonnenfinsternis vom 11. August 1999 zu beobachten. Hören wir das Gespräch:



    Audiotrack Fritz Andorf 1999 (01ʼ17ʼʼ)




    Fritz Andorf in der Sendung vom 7. November 1999, anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Rumänischen Rundfunks. Die Sendung wurde von unseren leider auch verstorbenen Kollegen Svetlana Sterescu und Florin Stoica moderiert. An den überraschenden Besuch von Herrn Andorf in unserer Redaktion im August 1999 kann ich mich noch lebendig erinnern, es war ein hei‎ßer Sommertag, wir waren alle etwas benommen von der Hitze, und ich wei‎ß nicht einmal mehr, ob wir Herrn Andorf ausreichend Erfrischungsgetränke anbieten konnten.



    Im Namen der gesamten Redaktion möchte ich den hinterbliebenen Familienangehörigen und Freunden von Fritz Andorf unser aufrichtiges Beileid aussprechen. Möge er in Frieden ruhen!




    Jetzt kommt mir eine administrative Aufgabe zu. Nächsten Sonntag stellen wir — vielleicht zum letzten Mal — auf Sommerzeit um und wechseln damit auch die Frequenzen unserer Kurzwellenausstrahlungen. Für die Hörer ohne Internetzugang möchte ich jetzt die neuen Frequenzen verlesen, vernetzte Hörer brauchen nicht mitzuschreiben, Sie werden die Angaben auf unserer Webseite finden und ich schicke morgen auch einen Newsletter mit den Frequenzen sämtlicher Sprachdienste per E-Mail heraus. Eine gute Nachricht für DRM-Fans ist, dass wir weiterhin auch die digitale Ausstrahlung beibehalten. In der Zeit vom 28. März bis einschlie‎ßlich 30. Oktober 2021 können Sie uns auf folgenden analogen und digitalen Frequenzen empfangen:










    Zeit (UTC)

    Frequenzen (kHz)

    Zielgebiet

    06.00 — 06.30

    7 325 (DRM); 9 700

    Mittel- u.Westeuropa

    14.00 — 15.00

    9 60011 880

    Mittel- u.Westeuropa

    18.00 –19.00

    7 245 (DRM); 9 570

    Mittel- u.Westeuropa





    Und jetzt zu Hörerzuschriften der letzten Zeit. Dieter Sommer (aus Eisleben, Sachsen-Anhalt) meldete sich Anfang des Monats per E-Mail mit folgenden Zeilen:



    Sehr geehrte Redaktion von RRI,



    ich möchte Ihnen heute wieder zwei Empfangsberichte zukommen lassen.



    Der Empfang war wie immer sehr gut. Hier ist nun der Frühling angekommen und man kann wieder die Sonne, trotz Corona, gut aufnehmen. Ich denke, bei Ihnen ist die Situation ebenso.



    Heute habe ich eine Frage, und zwar gibt es in Rumänien eine Fischfangflotte? Für eine


    diesbezügliche Antwort wäre ich Ihnen sehr dankbar.



    Wie ich hörte, gibt es bei RRI noch alte Stationsaufkleber. Könnten Sie mir bitte einen zusenden? Vielen Dank.



    Viele Grü‎ße und bleiben Sie gesund


    Ihr Hörer Dieter Sommer




    Vielen Dank für Ihre Zeilen, lieber Herr Sommer. Selbstverständlich schicken wir Ihnen nebst QSL-Karten auch einen Aufkleber. Das Wetter ist hier in Bukarest seit Anfang des Monats sehr launisch — mal regnet es, mal scheint die Sonne, aber so richtig warm wird es nicht und am 10. März hatte es nochmal heftig geschneit, aber der Schnee war in zwei Tagen schon geschmolzen. Eigentlich ganz normal für den März in unseren Breitengraden.



    Hinsichtlich Ihrer Frage: Rumänien hatte mal eine Fischfangflotte, die sich zeigen lie‎ß. Schon in den 1960er Jahren wurde ein staatliches Unternehmen mit Sitz in Tulcea gegründet, die ersten Trawler und Frachter mit Tiefkühlräumen bestellte das kommunistische Regime am Anfang in Japan, Deutschland, Polen und der Sowjetunion; später wurden eigene Schiffe in den Werften von Constanţa, Tulcea oder Mangalia gebaut. Bis 1989 bestand die rumänische Fischfangflotte aus über 60 Schiffen, davon 49 Super-Trawler und 12 Tiefkühlschiffe, die alle Ozeane der Welt durchkreuzten. Je nach Quelle [und Eckdaten] befand sich Rumänien damals unter den ersten 5 oder erste 10 Ländern weltweit, was den Umfang der Fischfangflotte anbelangt.



    Vor 1989 arbeiteten rund 6.000 Menschen auf den Schiffen der rumänischen Fischereiflotte. Rumänien betrieb Fischzucht auf circa 90% von den insgesamt 500.000 Ha Wasserfläche, entlang 76.000 km in Flüssen und 1.075 km in der Donau. Die Fischproduktion der Binnenfischerei in Flüssen war in Höhe von 60 Tausend Tonnen jährlich. Aus den Ozeanen kamen über 150 Tausend Tonnen im Jahr. Die meiste Fischmenge wurde frisch verkauft, der Rest wurde in Konservenfabriken in Galaţi, Tulcea, Sulina und Constanţa verarbeitet. Der interne Konsum von Fisch war gesichert, so dass rund 100 Tausend Tonnen Fisch im Jahr exportiert wurden. Das sozialistische Rumänien hatte sich auch Fischfangquoten in den Gewässern einiger afrikanischer Länder wie Angola oder Mauretanien gesichert und exportierte im Gegenzug Industrieerzeugnisse sowie Waffen und Munition in diese Länder.



    Nach 1990 wurde die rumänische Fischfangflotte in mehreren dubiosen Privatisierungsaffären einfach verscherbelt, so dass Rumänien heute keine nennenswerte ozeanische Flotte mehr hat. Schlimmer noch — Rumänien deckt heute seinen Fischbedarf zu über 90% aus Importen. Sicherlich war das kommunistische Erbe in der Fischereiindustrie überdimensioniert, doch die Zerstückelung der Flotte nach der Wende bleibt ein Skandal, der von Anfang an politisiert wurde, ohne das jemand schlie‎ßlich zur Rechenschaft gezogen worden wäre.



    Ich hoffe, Ihre Frage zufriedenstellend beantwortet zu haben, lieber Herr Sommer. Herzliche Grü‎ße nach Eisleben!




    Paul Gager aus Wien hinterlie‎ß uns eine interessante Info im Feedback-Formular:



    Werte Redaktion! Vielleicht ist es von Interesse, was das Wiener Sonntagsblatt“ zu Jeremias von der Walachei schreibt. Er lebte von 1556–1625 und wurde 1983 bekanntlich als erster Rumäne seliggesprochen.



    Er suchte das Land der guten Christen“. Weil ihm seine Mutter Italien als Land der guten Christen“ darstellte, machte sich Johannes Kostist 1573 aus Rumänien auf dem Weg dorthin. In Neapel trat er in den Kapuzinerorden ein, nahm den Ordensnamen Bruder Jeremias von der Walachei an und bemühte sich selbst darum, ein guter Christ zu werden. 40 Jahre lang pflegte Bruder Jeremias Kranke, kümmerte sich um arme, obdachlose und behinderte Menschen, die wegen ihres ungepflegten Zustandes gemieden wurden. Wer krank war, egal welchen Standes oder Alters, bat um einen Besuch von ihm. Einer dieser Krankenbesuche kostete Jeremias schlie‎ßlich das Leben, da er sich bei schlechtem Wetter eine Lungenentzündung geholt hatte.




    Vielen Dank für die Info, lieber Herr Gager. Ich muss zugeben, dass ich von diesem Kapuzinermönch aus der mittelalterlichen Walachei noch nie gehört hatte. Herzliche Grü‎ße nach Wien!




    Aus Überlingen am Bodensee meldete sich Martina Pohl per E-Mail:



    Liebe deutschsprachige Redaktion,



    vielen Dank für die Dezember-QSL-Karte, über die ich mich sehr gefreut habe.



    Ihre Programme und Rubriken sind für mich immer eine gute Informationsquelle. Ich bin froh, dass die Sendungen noch über die Kurzwelle zu empfangen sind.



    Auch bei uns steigen die Infektionszahlen wieder deutlich an. Schnelltests sollen jetzt auch in Super- und Drogeriemärkten zu kaufen sein. Reisepläne haben wir in diesem Jahr keine. Ohne Tests und Impfung wird dies ohnehin nicht mehr möglich sein. Experten sprechen schon davon, dass wir wegen der immer wieder neuen Mutationen sowieso jedes Jahr mindestens zwei- bis dreimal eine neue Impfauffrischung brauchen werden. Mal abwarten, wie sich alles entwickelt. Die Zukunft sieht nicht wirklich rosig aus.



    Ich wünsche Ihnen allen weiterhin viel Gesundheit und verbleibe mit den besten Wünschen



    Ihre Hörerin


    Martina Pohl




    Vielen Dank für das Feedback, liebe Frau Pohl. Die Zukunft sieht momentan wahrhaftig nicht rosig aus und an weitgehende Reisepläne ist tatsächlich nicht zu denken. Und der Impfpass oder das Impfzertifikat wird so oder so kommen, auch wenn sich manche darüber aufregen. Schlie‎ßlich ist es eine Gesundheitsma‎ßnahme, die auch einzelne Länder auf anderen Kontinenten verhängen, man denke da an Reisen in bestimmte Länder in Südamerika oder Afrika. Herzliche Grü‎ße nach Überlingen am schönen Bodensee, liebe Frau Pohl!




    Ralf Urbanczyk (aus Eisleben, Sachsen-Anhalt) fand einen Beitrag in der Geschichtsrubrik Pro Memoria“ interessant. Folgende Zeilen erhielten wir per E-Mail:



    Radio Novi Sad aus der serbischen Vojvodina, welches im Mittelpunkt der heutigen Geschichtsrubrik Pro Memoria“ stand, dürfte nicht nur mir, sondern auch vielen anderen Hörern des deutschen Programms von Radio Rumänien International wegen seines leistungsstarken Mittelwellensenders und seines freundlichen QSL-Services noch gut bekannt sein. Die Reichweite der Mittelwelle 1269 kHz ging bis vor einigen Jahren weit über die Vojvodina und das Banat hinaus. Während der Nachtstunden war der Sender selbst im Norden Deutschlands immer gut zu hören. Allerdings war wegen der Sprachbarriere der Inhalt der Informationsprogramme dieses Senders für mich mehr zu erahnen als zu verstehen. Auf jeden Fall hatte damals die Empfangsmöglichkeit von Radio Novi Sad mein Interesse an der Vojvodina und darüber hinaus an der Geschichte des Banats begründet. Und nun haben Sie mit Ihrer Geschichtsrubrik nicht nur Erinnerungen geweckt und Wissenslücken gefüllt, sondern meinen ganzen Blick auf diesen Sender neu ausgerichtet.




    Am selben Beitrag im Geschichtsmagazin fand auch Peter Vaegler (aus Stralsund) Gefallen:



    In der Sendung am Sonnabend, den 6. März., hat mir besonders der Beitrag über Radio Novi Sad gefallen, denn diese Station habe ich in den 1970ern auch gehört. Damals war auf der Mittelwelle ja noch sehr viel mehr los, so habe ich Bestätigungen von Radio Koper, Sarajevo, Ljubljana, Zagreb, Priština usw. Und auch Bukarest sendete damals das deutsche Programm auf 755 kHz.




    Liebe Freunde, vielen Dank für das Feedback! Jugoslawien und Rumänien hatten in der Zeit des Kalten Kriegs tatsächlich eine interessante Position im Rahmen des sogenannten Ostblocks. Jugoslawien war ja nicht einmal Mitglied des Warschauer Paktes, und Rumänien liebäugelte unter Diktator Ceauşescu auch mit einem gewissen Unabhängigkeitskurs gegenüber der Sowjetunion. Da kann ich mir gut vorstellen, dass die Programme der Auslandssender dieser Staaten durchaus mit Interesse verfolgt wurden, wenn auch in den letzten Jahren des Kommunismus zunehmend Propaganda gesendet wurde.




    Ihnen beiden vielen Dank für das Feedback und herzliche Grü‎ße, liebe Freunde!




    Zum Schluss die Postliste. Postbriefe lagen erst am Freitag wieder bereit, ich hole sie mir nächste Woche von unserer Postabteilung. E-Mails erhielten wir von Michael Willruth, Walter Grube, Dieter Feltes, Gerd Brüschke, Carsten Fenske, Ralf Urbanczyk, Ralf Ladusch, Chris Krebs, Anna und Bernd Seiser und Reinhard Schumann (D) sowie von Andrej Nowgorodskij (Andrey Novgorodsky) aus der Ukraine.



    Die Internet-Formulare nutzten Paul Gager (A) und Simon Heinrich (D).



    Danke fürs Zuhören, bleiben Sie gesund und bis nächsten Sonntag!



    Audiobeitrag hören:




  • Neues Museum thematisiert Zwangskollektivierung der Landwirtschaft

    Neues Museum thematisiert Zwangskollektivierung der Landwirtschaft

    Im Jahr 1951 wurden 80.000 Bauern eingekerkert oder zu Zwangsarbeit an den berüchtigten Donau-Schwarzmeer-Kanal geschickt, weil sie den Beitritt in die Genossenschaften verweigerten. Insgesamt wurden 800.000 Bauern in kommunistische Gefängnisse eingesperrt, weil sie ihr Land nicht freiwillig aufgaben. Nach 13 Jahren der Zwangskollektivierung, in denen Propaganda und Terror Hand in Hand gingen, konnte die Kommunistische Partei die Kollektivierung der Landwirtschaft in Rumänien als abgeschlossen erklären. Das Ereignis wurde im Rahmen einer Sondersitzung der Gro‎ßen Nationalversammlung gefeiert. Sie fand zwischen dem 27. und 30. April 1962 statt. 11.000 Bauern nahmen daran teil. Die damaligen kommunistischen Führer erklärten, der Sozialismus habe sich in der Volksrepublik Rumänien endgültig durchgesetzt.



    Im Dorf Tămăşeni im Bezirk Neamţ wurde zur Erinnerung an diese Ereignisse ein Museum eröffnet. Es stellt typische Gegenstände bäuerlicher Haushalte aus den 1950er Jahren aus. Iulian Bulai, der Projektleiter, erzählte Radio Rumänien davon:



    Heute eröffnen wir die ersten drei Räume des Museums der Kollektivierung. Seit eh und je fragen wir uns schon, warum die Landwirtschaft in Rumänien im Chaos versinkt, warum sich die Menschen nicht wie in anderen Ländern um den öffentlichen Raum kümmern, warum es ein solches Entwicklungsgefälle zwischen ländlichen und städtischen Gebieten in Rumänien gibt und warum es einen solchen Unterschied zwischen den ländlichen Gebieten in Rumänien und dem Westen gibt. Ich habe versucht, diese Fragen zu beantworten. Eine Antwort, die ich fand, war die Kollektivierung. Als soziales und politisches Phänomen wirkte sie sich irreversibel auf das rumänische Dorf aus, in dem Sinne, dass die Beschlagnahmung von Privateigentum zu dem führte, was wir heute auf dem Land sehen — ein enormes Ausma‎ß an Unterentwicklung, das man in westlichen Ländern nicht findet. Bei dem Versuch, diese Fragen zu beantworten, die sich auch auf meine Familiengeschichte beziehen, die ebenfalls von Kollektivierung betroffen wurde, verstand ich, dass wir uns Fragen stellen müssen, um uns selbst besser kennen zu lernen. Wir müssen uns das Drama vor Augen führen, das Millionen von Rumänen während der Kollektivierung in den 1950er Jahren betroffen hat. Ich musste dieses Museum errichten, um die soziale und anthropologische Realität der Gegenwart widerzuspiegeln.“




    Iulian Bulai lie‎ß den Haushalt seiner Gro‎ßeltern in ein Museum verwandeln. Wir fragten ihn, was es dort vorerst zu sehen gebe.



    Wir haben zwei Häuser und einen Anbau. Dies ist ein typischer moldauischer Haushalt, den es seit 100 Jahren gibt und die Kollektivierung durchmachte. Dies ist das Haus meiner Vorfahren, die diesen Prozess in den 1950er Jahren durchliefen. Ihnen wurde das Land, die Werkzeuge, die Mühlen konfisziert. Dieses Haus zeugt von der Geschichte einer Familie, deren Leben von der Kommunistischen Partei entführt wurde, deren Häuser konfisziert und einige von ihnen in Dorfläden verwandelt wurden, wie es hier zwischen 1950 und 1992 geschah, als es an die Familie zurückgegeben wurde. Das ist ein Symbol, das viele Rumänen noch immer erkennen können, denn Millionen von Rumänen ging es ähnlich.“




    Iulian Bulai fuhr fort, das Museum zu beschreiben:



    Dieses Museum stützt sich nur in geringem Ma‎ße auf Gegenstände, die früher meinem Gro‎ßvater gehörten. Diese zeigen zwar, wo wir als ländliche Gesellschaft stehen, die seit den 1950er Jahren, also seit etwa 70 Jahren, sich kaum verändert hat. Doch diese Gegenstände sind nicht der Kern des Museums. Es basiert vielmehr auf Installationen, die Geschichten erzählen und eine wissenschaftliche Sicht auf dieses Phänomen vermitteln. Wir haben aber auch einige Objekte, die eine Geschichte erzählen, landwirtschaftliche Geräte, die hier verblieben sind, seit ich den Haushalt geerbt habe, und die ich in den 17 oder 18 Ausstellungsräumen des Museums ausstellen werde.“




    Iulian Bulai startete diese Initiative aus der Zuversicht heraus, dass sich die Dinge ändern könnten:



    Wir werden uns nur dann als Volk im heutigen Rumänien verstehen können, wenn wir der Vergangenheit aufrichtig entgegentreten und unsere wahren Geschichten erzählen. Auf diese Weise werden wir in der Lage sein, einige traurige Momente unserer Geschichte zu überwinden. Bis jetzt waren wir nicht in der Lage, den Kommunismus in irgendeiner Hinsicht positiv zu deuten und somit eine heilende Wirkung zu erlangen. Da viele Orte der Kultur schlie‎ßen, eröffnen wir einen weiteren. Ich glaube, dies ist ein guter Ausgangspunkt für eine allgemeine Haltung, die wir in diesen schwierigen Zeiten von einem zum anderen weitergeben können.“




    Das Museum soll künftig noch wachsen und die Besucherräume werden erweitert. Auch Veranstaltungen sollen hier stattfinden, sobald es möglich sein wird. Dadurch werden die Gäste die Möglichkeit haben, mit der Vergangenheit in Kontakt zu kommen.

  • Französin mit Adoptionshintergrund auf der Suche nach ihren rumänischen Wurzeln

    Französin mit Adoptionshintergrund auf der Suche nach ihren rumänischen Wurzeln

    Marion Le Roy Dagen wurde 1976 im westrumänischen Aiud geboren, bis im Alter von 6 Jahren wuchs sie in einem Kinderheim in Alba Iulia (Karlsburg) und in Bukarest auf. Die kleine Măriuca war eines der zwei Millionen Kinder, die nach einem Dekret des Diktators Nicolae Ceauşescu aus dem Jahr 1966 geboren wurde, mit dem Schwangerschaftsabbrüche gesetzlich verboten wurden. Măriuca wurde in einem Waisenhaus untergebracht, aber ihr Leben nahm eine entscheidende Wendung, als sie als sechsjähriges Kind von einem französischen Paar adoptiert wurde.



    In Frankreich bekam sie den Namen Marion. Jetzt lebt sie in Toulouse, wo sie in sozialpädiatrischen Zentren für Kinder mit physischen und seelischen Behinderungen arbeitet. 2015 hat sie in Frankreich den Verband Orphelins de Roumanie“ (Waisenkinder aus Rumänien“) gegründet, die adoptierte Kinder aus Rumänien dabei unterstützt, die eigenen Wurzeln zu entdecken. Als Teenager begann Marion sich Fragen über ihre Identität zu stellen und nach der Wende besuchte sie Rumänien, um ihre eigenen Wurzeln wieder zu entdecken.



    Nach der Recherche, die jahrelang dauerte, entstand ein Buch. Neulich stellte sie in Bukarest die rumänische Übersetzung des autobiographischen Romans Das Kind und der Diktator“ vor, den sie zusammen mit Xavier-Marie Bonnot schrieb. Der Band, der 2018 in Frankreich erschien, thematisiert das Leiden eines verlassenen Mädchens und die Suche nach einer gestohlenen Kindheit:



    Was ich mir mit diesem Buch vorgenommen habe, ist, zum einen den rumänischen Lesern meine Erfahrung im Waisenhaus zu erzählen, denn darüber wurde zu wenig geschrieben. Es handelt sich um ein komplexes Thema und gleichzeitig immer noch um ein Tabu. Dieses Thema sollte mit mehr Transparenz behandelt werden, aber so viele Achivdokumente aus jener Zeit wurden leider absichtlich zerstört. Für mich war es sehr wichtig, diese Erfahrung zu teilen, aber das ganze im Kontext der Ceauşescu-Diktatur, um herauszufinden, warum ich in einem Waisenhaus verlassen wurde.“




    Marion Le Roy Dagen ist zum ersten Mal 1994 dank einer Wohltätigkeitsorganisation zurück nach Rumänien gekommen. Damals wusste sie nichts über ihre leiblichen Eltern, man hatte ihr gesagt, dass sie gestorben wären. Sie war 17, sie war hoffnungsvoll und wünschte sich sehr, ihr Heimatland wiederzusehen, ein Land, von dem sie mit ihren Adoptiveltern nur wenig gesprochen hatte. In Rumänien hat sie mit 23 zum ersten Mal ihre biologische Mutter Ana kennengelernt. Eine beeindruckende Geschichte, die sie im Roman Das Kind und der Diktator“ zum Ausdruck bringt:



    Das Treffen mit Ana kam wie ein Schock, denn jede von uns wusste über die andere, sie wäre tot. Als Kind und dann als Teenager war ich ständig auf der Suche nach Antworten, aber es war erfolgslos, was mir ein gro‎ßes Leiden bereitete. Ich brauchte diese Antworten, aber ich schaffte es nicht, mit meinen Adoptiveltern darüber zu sprechen, denn das Thema war tabu für sie. So wie ich im Buch zeigte, war das kommunistische Rumänien für sie auch ein kultureller Schock. Sie wollten darüber nicht sprechen. So entschied ich mich, meine eigenen Antworten selber zu suchen. Dafür musste ich zurück nach Rumänien, wo meine Wurzeln sind. Im Jahr 2000 war ich in Rumänien mit einer franzöischen NGO in der Region Hunedoara, in Siebenbürgen, wo ich geboren wurde, ich kann also sagen, dass im Leben nichts zufällig ist.“




    Marion ist dann oft zurück nach Rumänien gekommen, über ihr Heimatland sagt sie, es wäre ihre dritte Mutter. Rumänien sei ein Ort, der sie inspiriere und wo sie hingehöre. Ihr Roman hat ein gro‎ßes Interesse in Frankreich geweckt, dort gibt es viele Fälle wie jenen Marions. Sie ermutigt alle adoptierten Kinder, ihr Selbstvertrauen aufzubauen und zu stärken und ihre eigenen Wurzeln zu suchen. Sie empfindet keine Verbitterung gegenüber der Vergangenheit, sie ist der Ansicht, dass die Vergangenheit aufgearbeitet werden soll, damit wir dieselben Fehler nicht wiederholen und damit wir die Gegenwart besser verstehen können:



    Ich habe mehrmals von Rumänen gehört, sie fühlen sich schuldig für die Kinder, die in ihrem Land verlassen wurden. Sie sind meiner Anicht nach zu hart gegenüber sich selbst, man muss die Sachen im damaligen Kontext sehen. Was in den Waisenhäusern passierte, war genau das, was im ganzen Land passierte; das Leben war schwer, und mit jedem Tag schwand die Hoffnung. Ich habe kein Recht, über die anderen zu urteilen, denn wir haben eine gemeisame Geschichte, die wir anders erlebt haben. Wir machen keinen Schritt nach vorne, wenn wir die anderen für ihre Entscheidungen kritisieren. Was ich mir mit diesem Buch wünsche, ist, einen Dialog aufzunehmen, über diese Sachen und unsere Vergangenheit zu sprechen und nicht verbittert zu bleiben. Was geschehen ist, ist geschenen, Hauptsache ist, dass wir es verstehen und dass wir es das nächste Mal anders machen.“

  • Arlette Coposu, die leidgeprüfte Frau des „Senioren“

    Arlette Coposu, die leidgeprüfte Frau des „Senioren“

    Über Corneliu Coposu und seine Leidensgeschichte in kommunistischen Gefängnissen ist nach 1989 viel geschrieben worden. Er war ein Vorbild für die Wiederbelebung der rumänischen Demokratie nach 1990 und ein Wahrzeichen dafür, dass man die kommunistische Gefangenschaft mit Würde ertragen kann. In der Zwischenkriegszeit war er persönlicher Sekretär des gro‎ßen christlich-konservativen Politikers Iuliu Maniu (Nationale Bauernpartei – PNŢ). Zwischen 1947 und 1964 wurde er 17 Jahre lang von den kommunistischen Behörden inhaftiert und verbrachte 8 Jahre in Einzelhaft. Im Dezember 1989 baute er mit einigen anderen Überlebenden des kommunistischen Kerkers die Christlich-Demokratische Nationale Bauernpartei (PNŢCD) wieder auf.



    Seine Frau Arlette wurde jedoch weniger Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl diese bemerkenswerte Frau es überaus verdient hätte. Sie erlebte ein noch schlimmeres Schicksal als ihr berühmter Ehemann. Nachdem ihr Mann am 14. Juli 1947 verhaftet worden war, wurde sie aus ihrem Haus vertrieben und musste zur Familie ihres Mannes ziehen. Im Jahr 1950 wurde sie zusammen mit ihrer Schwester France verhaftet und unter dem Vorwurf der Spionage für Frankreich inhaftiert. Ihre Schwester starb im Gefängnis, und Arlette, obwohl sie das Gefängnis überlebte, starb 1966, zwei Jahre nach ihrer Entlassung und der Wiedervereinigung mit ihrem Mann, an Krebs. Corneliu Coposu heiratete nie wieder, und das Paar hatte nie Kinder.



    Sie wurde 1915 als Arlette Marcovici in Constanţa geboren. Ihr Vater war der General Ion Marcovici, und ihre Mutter, Jeanne Huser, war französisch-schweizerischer Abstammung. Aus der früheren Ehe ihres Vaters stammten die drei Schwestern France, Odette und Antoinette. Die Familie Marcovici hatte ein Hotel am Meer, das Französische Hotel“, in dem sie 1941 ihren zukünftigen Ehemann, Corneliu Coposu, kennenlernte. Sie heirateten am 24. Oktober 1942 und waren nur 5 Jahre lang zusammen.



    Corneliu Coposu hat eine wichtige Rolle in der jüngsten Geschichte Rumäniens gespielt. Manche Historiker sagen, dass die Demokratie in Rumänien ohne ihn und sein Überleben unter der kommunistischen Verfolgung und Inhaftierung viel schwieriger wiederaufzubauen gewesen wäre. Um ihn über seine Politik hinaus besser kennen zu lernen, muss man seine Familie und seine Empfindlichkeiten betrachten. Ionuţ Gherasim ist Vorsitzender der Stiftung Corneliu Coposu“. Er zitiert für uns ein Porträt von Arlette, das von Flavia Bălescu-Coposu, ihrer Schwägerin, skizziert wurde:



    Dass Arlette in unser Leben trat, war ebenso überraschend wie unerwartet. Es war im Frühjahr 1941, als wir Flüchtlinge waren, weit weg von zu Hause. Unser Vater kam von einem Treffen mit dem päpstlichen Nuntius, Erzbischof Andrea Casulo, zurück und traf Corneliu, der in Begleitung einer blonden, blauäugigen jungen Frau ankam. Sie sprach die schönste rumänische Sprache, die kultivierteste, ohne jede Spur eines regionalen Akzents. Sie war strahlend und blickte einem direkt in die Augen. Vater sagte uns, er habe das Gefühl, dass sie die Braut von Corneliu sein würde. Zeitlich betrachtet dauerte die Ehe 24 Jahre, aber sie verbrachten nur 6 Jahre miteinander. In unserer kurzen Begegnung, liebten und bewunderten wir sie, weil sie die Verkörperung ihres Namens war, denn Arlette bedeutet »Ehre«. Sie war kompetent, aktiv, freundlich, gro‎ßzügig, aufmerksam, ernsthaft, kreativ und temperamentvoll.“




    Die Historikerin Andreea Mâniceanu ist die Autorin einer Biografie über Arlette Coposu. Sie verbrachte viele Stunden mit Flavia und Rodica Coposu, ihren Schwägerinnen, die ihr anhand von Fotos und Dokumenten aus dem Familienarchiv von der Beziehung ihres Bruders zu ihr berichteten. Das Ergebnis war ein kleiner Abschnitt der Geschichte, auf den die Autorin sehr stolz ist. Besonders stolz ist sie darauf, dass sie eine Heldin der jüngeren rumänischen Geschichte in den Vordergrund gestellt hat, die beispiellosem Übel gegenüberstand und es überlebte, um in die Zukunft zu blicken:



    Dies ist eine Lebensgeschichte, die ich auf ewig zu erzählen habe. Es ist die Lebensgeschichte eines Vorbildes von Würde und Bescheidenheit. Sie war eine au‎ßergewöhnliche Frau mit ungebremstem Mut und starkem Glauben. Auf dem Foto, das am Tag ihrer Entlassung nach 14 Jahren in kommunistischen Gefängnissen aufgenommen wurde, fand sie die Kraft, zu lächeln. Es ist das Foto einer Frau, die nach über einem Jahrzehnt der Qualen die Kraft findet, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Ihre Geschichte sollte der Historie nicht verloren gehen, sei es auch nur deswegen.“




    Die Geschichte von Arlette Coposu ist den Rumänen heute nicht sehr bekannt, aber sie wäre es würdig, Denkmäler wie die ihres viel bekannteren Mannes in Bukarest und im ganzen Land zu haben.

  • Nachrichten 23.08.2020

    Nachrichten 23.08.2020

    Der 23. August, der während des Kommunismus mit Pomp und riesigen Militärparaden gefeiert wurde, ist seit vielen Jahren der Europäische Tag des Gedenkens an die Opfer von Nazismus und Kommunismus. Die entschiedene Verurteilung von Faschismus und Kommunismus sei keine Formalität, sondern eine Notwendigkeit, sagte der rumänische Präsident Klaus Iohannis am Sonntag in seiner Botschaft anlässlich dieses Tages. Vor dem Fall des Kommunismus war der 23. August der Tag, an dem der Ribbentrop-Molotow-Pakt gefeiert wurde; jetzt ist dieser Tag eine Gelegenheit für die jüngeren Generationen, die Schrecken, die Massenunterdrückung und das Leid während der totalitären Regimes in Europa kennenzulernen, sagte Klaus Iohannis. Seiner Meinung nach konsolidiert sich die authentische Demokratie nur in einer Gesellschaft, die ihre Geschichte kennt und annimmt. Präsident Iohannis würdigte auch die mutige Tat des Königs Michael I. und die heroischen Taten der rumänischen Armee, die am 23. August 1944 die Würde der Nation wiederhergestellt und Rumänien auf den Weg zurückgebracht hatten, der vor 76 Jahren zum Sieg der Alliierten führte. Premierminister Ludovic Orban erklärte, dass die Zeugenaussagen über jene schmerzlichen Zeiten ein echtes Plädoyer für die Verurteilung totalitärer und autoritärer Regimes sind. Der am 23. August 1939 unterzeichnete Ribbentrop-Molotov-Pakt hatte zur Folge die Teilung Europas in zwei ominösen Einflusssphären, die nationalsozialistische und die stalinistische, und den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.



    Die Zahl der Coronavirus-Fälle in Rumänien ist am Sonntag auf 78.505 gestiegen, nachdem 961 Neuinfektionen gemeldet worden waren, so die Gruppe für strategische Kommunikation. In den letzten 24 Stunden wurden 39 Todesfälle gemeldet, die Gesamtzahl der Toten erreichte 3272. In Rumänien liegt die Zahl der in die Intensivstation eingewiesenen COVID-19-Patienten bei 480. Fast 35.300 Patienten wurden für geheilt erklärt. Die meisten Infizierungen wurden in Bukarest und in den Landkreisen Mureş und Sibiu registriert. Was die Situation rumänischer Staatsbürger in anderen Staaten betrifft, so wurden 5.920 von ihnen als Träger des neuen Coronavirus bestätigt, die meisten von ihnen in Deutschland, Italien und Spanien, und 124 starben. Mehr als 30 Arbeiter aus Indien, die auf einer Baustelle in Bukarest arbeiten, sind mit dem neuen Coronavirus infiziert; alle 200 Mitarbeiter auf der Baustelle wurden isoliert, so die Behörden. Die territoriale Arbeitsinspektion hat eine Untersuchung eingeleitet, teilte Arbeitsministerin Violeta Alexandru mit.



    Die COVID 19-Epidemie zeigt in immer mehr Ländern Anzeichen einer zweiten Welle, wobei eine Reihe von Ländern in den letzten Tagen die größten Infektionszahlen seit der Frühjahrswelle oder sogar nach dem Ausbruch der Pandemie gemeldet haben. Laut worldometers.info überstieg die weltweite Zahl der Infektionen 23,1 Millionen und 800.000 Todesfälle. Ein Viertel der Gesamtzahl der Fälle, über 5,6 Millionen, wurde in den Vereinigten Staaten registriert, wo etwa 175.000 Menschen durch COVID-19 getötet wurden. Brasilien, das am zweithäufigsten betroffene Land der Welt, meldete am Sonntag 50.000 neue Fälle und fast 900 Todesfälle in den letzten 24 Stunden, insgesamt mehr als 3,5 Millionen Infektionen und fast 114.000 Todesfällen. In Asien bleibt Indien mit 2,9 Millionen Infektionen und 55.000 Todesfällen das am stärksten betroffene Land, während Südafrika auf dem afrikanischen Kontinent 600.000 Infizierungen überschritten hat. Auch in Europa wächst die Furcht vor einer zweiten Welle der Pandemie. In Spanien, Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Italien und der Tschechischen Republik hat die Infektionsrate in den letzten Tagen deutlich zugenommen. Kroatien hat angekündigt, ab dem 24. August wieder einige Beschränkungen einzuführen, um die Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie einzudämmen.

  • Psychologie und Psychiatrie in Rumänien: Fachkonferenz legt Altlasten offen

    Psychologie und Psychiatrie in Rumänien: Fachkonferenz legt Altlasten offen

    Gesundheit ist ein Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“, definiert die Weltgesundheitsorganisation. Körperliche Gesundheit und psychisches Wohlbefinden gehören also zusammen: Wer sich psychisch nicht wohlfühlt, ist weder richtig gesund noch leistungsfähig. Psychische Gesundheit ist eine unverzichtbare Grundlage, um im modernen Arbeitsleben zu bestehen und sich beruflich wie persönlich entwickeln zu können.



    Global Shapers Bucharest Hub ist eine Gruppe enthusiastischer junger Menschen, die unter der Leitung des Weltwirtschaftsforums gemeinsam an Lösungen für lokale, regionale und globale Herausforderungen unserer Gesellschaft arbeiten. In Partnerschaft mit der Capital Medical Studentsʼ Society initiierten die Global Shapers eine Reihe von Gesprächen über das kontroverse Thema der psychischen Gesundheit. Ein erstes solches Treffen fand Anfang Februar an der Carol Davila“-Universität für Medizin und Pharmazie in Bukarest statt. Diana Loreta Păun, Präsidialberaterin im Ministerium für öffentliche Gesundheit, spricht über die Hauptprobleme der Psychiatrie in Rumänien:



    Wir haben Probleme im Bereich der Ressourcen. In der Tat sind das die grö‎ßten Probleme des Gesundheitssystems in Rumänien. Ich beziehe mich in erster Linie auf die Humanressourcen, auf die jungen Menschen, die nach Abschluss ihres Studiums das Land verlassen. Es besteht ein gro‎ßes Defizit im Bereich der finanziellen Ressourcen und der Infrastruktur. Auch der Ansatz gegenüber den psychiatrischen Patienten ist begrenzt. Im Allgemeinen entscheiden wir nach der Diagnose über die medikamentöse Behandlung, aber ein richtiger Ansatz umfasst auch den Bereich der Sozialhilfe, der sozialen Reintegration, der Verhaltenstherapie und der Sozialpsychiatrie, Elemente, die in Rumänien leider nicht gut entwickelt sind.“




    In einer jahrzehntelangen Geschichte des Totalitarismus hat die rumänische Psychiatrie Probleme der Herangehensweise und der Vision entwickelt, die noch immer das Leben einer beträchtlichen Anzahl von Patienten beeinflussen. Viele dieser Patienten bleiben aus den gleichen Gründen leider unerkannt. Weitere Details von Diana Loreta Păun:



    Wir leiden immer noch unter Schwächen und Problemen, die uns die Jahre des Kommunismus auferlegt haben. Ich glaube, dass die Diskriminierung und die Stigmatisierung von Patienten mit psychischen Erkrankungen aus dieser Zeit stammt. Au‎ßerdem leben wir in einer Gesellschaft, in der wir zunehmend unter Stress stehen. Das bedeutet Anpassung, und wir passen uns oft nicht an. Wir entwickeln psychiatrische Störungen, wir entwickeln Depressionen, die zum Selbstmord führen können. All diese Dinge müssen berücksichtigt werden, um den besten Ansatz zu finden. Im täglichen Leben sind die Folgen der mangelnden Selbsterkennung bestimmter psychischen Störungen offensichtlich. Die Patienten gehen nicht zum Facharzt, sie vermeiden es, mit einem Psychologen oder mit einem Psychiater zu reden. Deshalb werden sie nicht diagnostiziert und erhalten keine Behandlung.“




    Es gab jedoch bessere Zeiten für die rumänische Psychiatrie. Waren rumänische Fachärzte vor dem Zweiten Weltkrieg nahe daran, sich den westlichen Tendenzen anzuschlie‎ßen, so blieben Ende der 1970er Jahre die Psychologie und die Psychiatrie in einem vom kommunistischen Regime aufgezwungenen Schatten. Darüber spricht der Psychologe Julien-Ferencz Kiss, Autor der Studie Geschichte der Psychoanalyse in Rumänien“:



    Bis Anfang der 1940er Jahre gab es in Rumänien eine sehr starke Tradition der psychologischen Studien. Der Beweis dafür ist, dass in Bukarest der internationale Kongress der Psychologie organisiert werden sollte, aber er fand wegen des Krieges nicht mehr statt. Es war aber das erste Mal, dass ein Land au‎ßerhalb des Westblocks vorschlug, den Kongress zu organisieren. Selbstverständlich sprechen wir über Psychologie im Allgemeinen, nicht über Psychoanalyse. Die Psychoanalyse hat in Rumänien keine Wurzeln geschlagen. Und was nach 1948 geschah, führte sogar zum Ablehnen, zur Leugnung der Psychologie. Es gab eine Zeit, in der man in Rumänien Psychologie nicht mehr studieren konnte. Im Jahr 1977 wurden die psychologischen Fakultäten abgeschafft, und der Beruf des Psychologen wurde aus dem Berufsverzeichnis gestrichen.“




    Leyla Safta-Zecheria, Soziologin an der West-Universität in Timişoara (Temeswar), hat das Problem der Einrichtungen mit psychologischem Profil aus verschiedenen Epochen Rumäniens untersucht. Leider scheinen sich die prekäre Situation und die negative Wahrnehmung des psychiatrischen Medizinsystems bis jetzt nicht wesentlich verbessert zu haben:



    Trotz der fortschrittlichen Idee, die von Prof. Dr. Alexandru Obregia und von Prof. Dr. Constantin Ion Parhon nach dem Ersten Weltkrieg eingerichteten Infrastruktureinheiten für Psychiatrie zu modernisieren, gab es doch keine Verbesserung in diesem Bereich. Prof. Dr. Constantin Ion Parhon notierte in den 1920er Jahren, dass in Socola (einer psychiatrischen Einrichtung in der Nähe von Iaşi, im Nordosten Rumäniens) die hygienischen Bedingungen jämmerlich waren und dass es Probleme mit der Ernährung der Patienten gab, die nur ein Minimum an Nahrung erhielten. Das waren alte Probleme, die im Laufe der Geschichte immer wieder auftauchten und nie richtig gelöst wurden. Jedes politische System, auch das kommunistische, hat sich vorgenommen, die Situation zu verbessern. Das kommunistische Regime hat zum Beispiel das System der Psychiatrieanstalten ausgedehnt. In den 1940er und 1950er Jahren wurden gro‎ße Psychiatrieanstalten eingerichtet, wo sehr viele Patienten versorgt wurden. Es folgte dann die Erweiterung der allgemeinen Krankenhäuser durch psychiatrische Abteilungen und in den 1970er Jahren gab es zum ersten Mal Gemeinschaftsdienste mit Labors für psychische Gesundheit. In den 1990er Jahren gab es mehrere Berichte, die zeigten, dass es Einrichtungen gab, wo psychiatrische Patienten ihrer Freiheit und der grundlegenden Lebensbedingungen beraubt wurden. Ähnliche Situationen gibt es heute noch.“




    Die aktuellen Weltstatistiken zur psychischen Gesundheit sind alarmierend. Medizinische Systeme aus aller Welt stehen vor einer beispiellosen Herausforderung, und Rumänien muss eine medizinische Tradition wiederherstellen, die im Laufe der Geschichte viel zu oft schwierige Zeiten erlebt hatte. Ştefan Bandol ist der Präsident der Vereinigung ARIPI (FLÜGEL“) für Patienten mit psychiatrischen Problemen und erklärt die Bedeutung dieses Bereichs:



    Es ist ein gro‎ßes Problem, mit dem sich alle Menschen überall auf der Welt konfrontieren. Es geht um Diskriminierung und Stigmatisierung. Statistiken der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass in den 1990er Jahren 25% der Weltbevölkerung mindestens einmal im Leben eine psychologische oder psychiatrische Beratung benötigten. In den 2000er Jahren stieg dieser Prozentsatz auf 33%, und nach 2010 besagen die neuesten Statistiken, dass in Zukunft 50% der Bevölkerung des Planeten mindestens einmal im Leben psychiatrische Fachberatung benötigen werden. Wenn man bedenkt, dass jeder von uns ein Familienmitglied, einen Freund oder einen Kollegen mit psychologischen oder psychiatrischen Problemen hat, so ist praktisch die gesamte Bevölkerung des Planeten direkt oder indirekt von diesem Phänomen betroffen.“




    Das Symposium Romania’s Troubled History with Mental Health“ (Rumäniens problematische Geschichte mit der psychischen Gesundheit“), das am 6. Februar stattgefunden hat, war Teil des Projekts Shaping Conversations: Mental Health“ (Gespräche gestalten: psychische Gesundheit“). Mit diesem Projekt stellt der Global Shapers Bucharest Hub wichtige Themen im Bereich der psychischen Gesundheit in den Vordergrund. Weitere Veranstaltungen gibt es am 5. März — The Reality of Mental Health“ (Die Realität der psychischen Gesundheit“) — und am 9. April — Digital Revolution Meets Mental Health“ (Digitale Revolution und psychische Gesundheit“).

  • Geschichte des Kommunismus: ambivalente Alphabetisierungskampagne

    Geschichte des Kommunismus: ambivalente Alphabetisierungskampagne

    In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte Rumänien eine der grö‎ßten Analphabetenraten in Europa. In den 1930er Jahren waren 43% der Erwachsenen Analphabeten, und im Oktober 1945 gab es in Rumänien noch 4,2 Millionen erwachsene Analphabeten (1,9 Millionen Männer und 2,3 Millionen Frauen).



    Am 23. August 1944 verlie‎ß Rumänien das Bündnis mit Deutschland und Italien und trat den Vereinten Nationen bei. Eine Woche später, am 31. August 1944, zog die sowjetische Armee in Bukarest ein, und dieser Moment markierte einen neuen Wendepunkt in der Zeitgeschichte Rumäniens. Nachdem die Sowjets in Rumänien einmarschiert waren, sprach die kommunistische und prokommunistische Presse über die Notwendigkeit, den Analphabetismus zu beseitigen. Die kommunistische Zeitung Scânteia“ schätzte den Analphabetismus in ländlichen Gebieten und in Kleinstädten auf 49%. Die Autoren der Artikel und später die kommunistischen Führer bezogen sich strikt auf die rumänische Realität und leugneten alle früheren Bemühungen zur Bekämpfung des Analphabetismus. Die Kommunisten beschuldigten die demokratischen Regierungen, sie hätten die unteren sozialen Schichten diskriminiert und die Schulausbildung im ländlichen Rumänien blockiert.



    Durch das Bildungsgesetz von 1948 startete die Regierung der Kommunistischen Partei Rumäniens eine Alphabetisierungskampagne und schaffte den Analphabetismus in Rumänien innerhalb von sechs Jahren fast vollständig ab. Die Kampagne, die wie eine militärische Offensive durchgeführt wurde, umfasste Freiwillige aus dem Bildungsbereich, Lehrer, Professoren und Wissenschaftler, die in den Dörfern unterrichteten. Die Alphabetisierungskampagne richtete sich sowohl an Kinder und Jugendliche, die die Schule verlassen hatten oder nicht mehr besuchten, als auch an Erwachsene bis 55 Jahre. Nach einem oder zwei Jahren sollten sie ein Diplom erhalten, das den 4 Jahren der Grundschule entsprach.



    Der Historiker Cristian Vasile vom Geschichtsinstitut Nicolae Iorga“ in Bukarest erforscht die Alphabetisierungspolitik des kommunistischen Regimes in den ersten Jahren seines Bestehens:



    Seit Ende 1947 war die Kampagne zur Bekämpfung des Analphabetismus für die kommunistische Führung tatsächlich zu einem wichtigen Teil der Kulturrevolution nach sowjetischem Vorbild geworden. Die stalinistische Propaganda behauptete, in der Sowjetunion gebe es keine Analphabeten mehr, und dieser Anspruch wurde auch in Rumänien erhoben. Der Historiker Mihail Roller war damals auch ein Theoretiker der sowjetisch inspirierten Pädagogik. Er schrieb ein Buch über die sowjetische Pädagogik und darüber, wie die pädagogischen Methoden in Rumänien umgesetzt werden sollten.“




    Analphabetismus hindert die Arbeiter daran, an die Führung des Landes zu kommen und den Sozialismus und Kommunismus aktiv aufzubauen. Derjenige, der nicht lesen und schreiben kann, bleibt au‎ßerhalb der Politik“, steht in einem Manifest der Kulturpropaganda, die eine vereinfachende und mystifizierende Rhetorik verwendete. Die Einsetzung der kommunistischen Regierung unter der Führung von Petru Groza am 6. März 1945 öffnete den Weg für die Alphabetisierungspolitik in den rumänischen Dörfern. Das Bildungsministerium und das Kulturministerium sollten sich mit dieser Alphabetisierungspolitik befassen, die unter anderem darauf abzielte, das Schulnetz in den ländlichen Gebieten zu erweitern und alle Kinder einzuschulen. Abgesehen von der Erweiterung der Schulnetze erfolgte die Alphabetisierung durch die Filmkarawanen, durch die visuelle Propaganda und durch die Ausstellung von Kunstwerken, die die Vorteile des Lernens darstellten. Ein äu‎ßerst wirksames Mittel der Alphabetisierung war der Militärdienst. Die Armee hatte auch kulturelle Programme, viele Bauern lernten während des 3-jährigen Militärdienstes zu lesen und zu schreiben. Au‎ßerdem lernten die Mitglieder der Volksminderheiten während des Militärdienstes die rumänische Sprache. Die kommunistische Alphabetisierung bedeutete aber zugleich die Einprägung der Ideologie. Die von der offiziellen Kulturpolitik durchgeführte Alphabetisierung zielte auf die Verbreitung der marxistisch-leninistischen Lehren ab.



    Die Umsetzung der Alphabetisierungsplänen verlief nicht so, wie sich die Beamten vorstellten. In der Praxis gab es Schwierigkeiten, meint der Historiker Cristian Vasile:



    Die Kampagne zur Intensivierung der Alphabetisierung, wie sie von der Führung des Bildungsministeriums konzipiert wurde, stie‎ß auf die Zurückhaltung und sogar die Feindseligkeit einiger Lehrer und Professoren. Es ging aber nicht darum, dass sie der Bourgeoisie angehörten und grundsätzlich gegen die Kommunisten waren; es ging vor allem um triviale Angelegenheiten. Viele Lehrer mussten die städtischen, traditionsreichen Schulen verlassen, was für sie eine Herabstufung bedeutete. Aus politischen Gründen wurden sie in ländliche Gebiete oder in Kleinstädte verlegt, wo es viele Analphabeten gab. In diesen Ortschaften, in die sie willkürlich versetzt worden waren, hatten die Lehrer und die Professoren keine Wohnungen, keinen Komfort, und konnten ihre pädagogische Tätigkeit nicht entsprechend ausüben.“




    Durch den Verteilungsmechanismus zur Anwendung der kommunistischen Parteipolitik wurden junge, unerfahrene Lehrer zwangsweise ins Land geschickt. Die Weigerung vieler Lehrkräfte, zur Arbeit zu erscheinen, führte dazu, dass sie zu Saboteuren erklärt und bestraft wurden. Cristian Vasile dazu:



    Im November 1948, als alle Probleme überprüft wurden, stellte der Chefinspektor der Schulen in Cluj (Klausenburg) in einem Bericht Folgendes fest: ‚In Bezug auf die Alphabetisierung fordern die Lehrer, dass ihnen für diese Kurse Überstunden bezahlt werden. Im Zusammenhang mit diesen Aufgaben, mit diesen Verteilungen, die wir vorgenommen haben, gibt es eine Reihe von Rücktritten aus dem Bildungswesen. Es gibt Lehrer, die mit der Stadt Cluj sehr verbunden sind und in Cluj bleiben wollen, die nicht woanders hingehen wollen. Es gibt ein gro‎ßes Gefälle zwischen der Stadt Cluj und dem Landkreis Cluj. Der Landkreis Cluj ist ein unglücklicher Fall, was die Dörfer und die Kommunikationswege angeht. 600 Lehrer aus der Stadt Cluj wurden in Dörfer geschickt, aber nach kurzer Zeit reichten sie ihren Rücktritt bei uns ein. Ich befinde, dass diejenigen, die aufs Land gehen müssen und sich weigern, dort zu bleiben, die Reform sabotieren. In diesem Sinne beschloss ich, dass sie entlassen werden und keine andere Stelle bekommen.‘“




    Die kommunistische Alphabetisierungskampagne führte zu Störungen im Bildungssystem, zu unbezahlter Freiwilligenarbeit, zu willkürlichen Versetzungen und Entlassungen. Die Historiker sind aber der Meinung, dass infolge der kommunistischen Alphabetisierung auch eine Verbesserung des Bildungsniveaus zu vermerken war. Es gab aber auch Schulen, wo die Lehrer sich nicht an den Lehrplan hielten. Die Studentenrevolten von 1956, an denen sich viele Studenten beteiligten, die aus ländlichen Gebieten stammten, und die Solidarisierung mit der antikommunistischen Revolution in Ungarn waren Beweise dafür, dass die Alphabetisierung auch Aufbegehren gegen die Ideologie und das kommunistische Regimes bewirkte.

  • Internationale der Geheimpolizeien: Wie tickten die kommunistischen Geheimdienste?

    Internationale der Geheimpolizeien: Wie tickten die kommunistischen Geheimdienste?

    Nach 1945, dem Jahr der vollständigen Besetzung Mittel- und Osteuropas durch die Sowjetunion nach der Niederlage Nazi-Deutschlands, begann ein neues Regime in der Geschichte der Region: der Kommunismus. Das kommunistische Regime wurde im Jahr 1917 von einer radikalen marxistischen Gruppe unter der Führung des Russen Wladimir Iljitsch Lenin gegründet und basierte auf Unterdrückung und Terror durch die politische Polizei. Unabhängig davon, ob sie in der Sowjetunion TSCHEKA, NKWD oder KGB, in Ungarn AVH, in Polen SB, in der Tschechoslowakei ŠtB, in der DDR STASI oder in Rumänien SECURITATE hie‎ß, hatte die Geheimpolizei etwa die gleiche Struktur und Mission: jeden Versuch, die Autorität des Regimes zu untergraben, durch das Sammeln von Informationen und durch physische Beseitigung zu unterbinden. Das Modell der grausamen Einrichtung, die für Dutzende Millionen von Opfern in der Sowjetunion verantwortlich war, wurde von dem berüchtigten Feliks Dzierżyński, dem ersten Leiter der politischen Polizei, erfunden und dann in den besetzten Ländern umgesetzt.



    Die Geheimpolizei-Einrichtungen der Länder Mittel- und Osteuropas haben sich mehr als 40 Jahren in gleicher Weise verhalten. Wenn sie sich so lange so ähnlich verhalten haben, was war dann ihr Schicksal nach 1989, als das kommunistische Regime sein wohlverdientes Ende fand? Gab es Unterschiede in den verschiedenen ex-kommunistischen Staaten? Der Historiker Marius Oprea, mit dem wir über die Situation der Repressionsapparate im Ostblock nach 1989 gesprochen haben, ist der Meinung, dass deren Schicksal ähnlich war, mit Ausnahme der STASI in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.



    In allen ex-kommunistischen Ländern gibt es ähnliche Verhaltensweisen der ehemaligen politischen Polizei und der Informationsstrukturen, aber an einigen Orten konnten sich die ehemaligen Geheimdienstler nicht manifestieren oder profilieren. Ein sehr gutes Beispiel ist die ehemalige DDR, wo alle STASI-Offiziere nach Listen bekannt wurden. Gegebenenfalls wurden sie vor Gericht gebracht, aber in jedem Fall arbeiteten sie nicht mehr im System. Auf Einladung von Joachim Gauck studierte ich die STASI-Archive mehr als einen Monat lang zusammen mit dem Politiker und ehemaligen politischen Gefangenen Ticu Dumitrescu. Der Taxifahrer, der mich immer mit dem Taxi vom Hotel zum STASI-Archiv fuhr, war ein ehemaliger STASI-Beamter, der Taxifahrer geworden war. Er kannte also die Strecke dorthin ziemlich gut. Die Situation der Stasi nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung war in Deutschland aber ein nationales Sicherheitsproblem, weil die Westdeutschen wissen wollten, wem Sie in Ostdeutschland trauen konnten.“




    Historiker, die die Zeitgeschichte und den ehemaligen sowjetischen Raum studieren, sprechen von einer Internationale der Geheimpolizeien“ und beziehen sich dabei auf das Konzept des Internationalismus, das die sozialistischen Länder mit Beharrlichkeit gefördert haben. Diese Tschekistische Internationale“, wie der französische Historiker Emmanuel Droit sie nennt, ist das Vorbild, das das Schicksal derjenigen, die Teil der repressiven Strukturen ihrer Länder waren, nach 1989 in etwa gleich aussehen lie‎ß. Die allgemeine Meinung, die die Präsenz ehemaliger Mitglieder der repressiven Strukturen im öffentlichen Leben als Neureiche, Politiker und Meinungsbildner verurteilt, will aber nicht berücksichtigen, dass 1989 alle Bürger frei geworden sind, das hei‎ßt auch die ehemaligen Mitglieder der Geheimpolizei. Marius Oprea, Autor eines erfolgreichen Bandes über die Karrieren der ehemaligen Offiziere der rumänischen Securitate, zeigte, dass in allen ex-kommunistischen Ländern — mit Ausnahme der DDR — die ehemaligen Mitglieder der politischen Polizei und ihre Kinder die neuen Eliten bildeten. Marius Oprea:



    In den ex-kommunistischen Ländern haben die ehemaligen Sicherheitsstrukturen leider mehr oder weniger stark ihre Macht behalten. Genauso wie die Einheit der ehemaligen rumänischen Securitate auseinanderging, war auch die Aktionseinheit der politischen Polizei in den Bruderländern des Warschauer Paktes zusammengebrochen. Vor 1989 gab es zumindest eine formelle Zusammenarbeit zwischen allen Sicherheitsdiensten in den ehemals kommunistischen Ländern. Sie tauschten Informationen aus: Die rumänischen Securitate-Agenten hatten zum Beispiel sehr gute Beziehungen zu Ungarn, sie erhielten Informationen über Dissidenten und politische Gegner. Die rumänische Securitate tauschte auch Technologie mit der DDR und der Tschechoslowakei aus. Die Rumänen entwickelten 1949 das System, mit dem das Telefon als Mikrofon zur Abhörung der Gespräche in der Wohnung verwendet werden konnte, die Securitate konnte alles übers Telefon abhören.“




    Da die Entwicklung der östlichen Hälfte des sowjetischen Europas nach 1945 bis 1989 ähnlich verlief, konnte das, was nach 1989 folgte, nicht anders sein. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Ähnlichkeiten in der Geschichte grö‎ßer sind, als wir denken.

  • Verbrechen des Kommunismus: die unbekannten Opfer der Securitate

    Verbrechen des Kommunismus: die unbekannten Opfer der Securitate

    Die Gründung der kommunistischen Geheimpolizei Securitate erfolgte durch das Dekret Nr. 221 am 30. August 1948. Laut Dekret war die offizielle Aufgabe des Dienstes der Schutz der demokratischen Errungenschaften und die Garantie der Sicherheit der rumänischen Volksrepublik gegen alle äu‎ßeren und inneren Feinde“. Die Mitglieder rekrutierten sich vorrangig aus rumänischen Kommunisten, anfänglich wurden auch viele Agenten der ehemaligen bürgerlichen Geheimpolizei DGPS (Generaldirektion der Polizei für Sicherheit) aufgenommen. Mit einer effektiven Aufstellung von etwa 3000 Kadern verkörperte die Securitate die Essenz des repressiven Systems der kommunistischen Tyrannei als Verkörperung des Bösen. Die Securitate fungierte zusammen mit der Roten Armee, dem Parteiapparat, der Miliz, der Staatsanwaltschaft und den Sicherheitskräften als eine militärische Kraft, als eine Speerspitze im Kampf gegen die Feinde des Volkes, das hei‎ßt gegen alles, was heute, im demokratischen Rumänien, als gut und positiv anerkannt wird: militärische, wirtschaftliche, intellektuelle, ländliche Eliten und einfache Menschen, die keine Erniedrigungen akzeptieren wollten.



    Der Historiker Marius Oprea gründete das Institut für die Erforschung der kommunistischen Verbrechen und begann 2006 mit der Suche nach nicht identifizierten Opfern der Securitate. Seinen Schätzungen zufolge wurden in Rumänien etwa 8000 Menschen hingerichtet, ohne dass ihnen ein Prozess gemacht wurde und ohne dass gegen sie ein Todesurteil verhängt worden wäre. Bislang wurden nur 37 Opfer gefunden. Oprea spricht über einige Tote, die in den 14 Jahren, seitdem er nach unbekannten Opfern der Securitate sucht, identifiziert wurden.



    Auf dem Capsa-Hügel, in einer sehr schönen Gegend im rumänischen Westgebirge, fand ich die Leiche von Nicolae Selagea. Er war einer der letzten Überlebenden eines von Nicolae Dabija geführten Partisanenlagers, das am 2. Februar 1949 von Securitate-Truppen angegriffen wurde. 25 Partisanen wurden umzingelt, 7 von ihnen sind entkommen. Nicolae Selagea gehörte zu den letzten, die gefangen genommen wurden, und er wurde an Ort und Stelle kurzerhand hingerichtet. Dort wurde er auch begraben, unter einer Stra‎ße, die einige Häuser auf dem Capsa-Hügel verbindet. Woher kannte ich diesen Ort so genau? Nachdem sie Nicolae Selagea getötet hatten, zwangen die Securitate-Agenten seinen 6-jährigen Jungen, die Leiche seines Vaters zu bewachen, bis sie Leute schickten, die die Leiche begraben sollten. Die Securitate-Agenten bemühten sich nicht, ihre Opfer zu begraben. Der Junge blieb neben der Leiche seines Vaters, bis am nächsten Morgen Leute aus dem Dorf kamen und seinen Vater dort unter der Stra‎ße begruben. Als ich das Institut gründete, richtete sich der Sohn Nicolae Selageas an uns, er wollte die Leiche seines Vaters ausgraben und ordentlich zur Ruhe setzen. So fand ich Nicolae Selagea. Nach fast 70 Jahren konnte der ehemalige Junge, jetzt ein alter Mann, seinen Vater endlich auf den Friedhof bringen.“




    Jede Geschichte einer summarischen Hinrichtung verbirgt ein zerstörtes Leben und offenbart bis jetzt unbekannte Menschenschicksale. Andrei Meşter ist das zweite Opfer der Securitate, dessen Geschichte von Marius Oprea erzählt wird.



    Andrei Meşter gehörte zur Dorfelite. Er war Kürschnermeister in Sălciua, Kreis Alba, im Westen Rumäniens, und war Taufpate von mehr als 40 Familien im Arieş-Tal. Er war ein sehr respektierter Mann, aber er hatte ein Problem: Er protestierte öffentlich gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild. Daraufhin wurde er vor der Eröffnung des Marktes am Tag der Heiligen Maria von zu Hause abgeholt und erschossen. Seine Leiche wurde am Eingang des Jahrmarkts öffentlich zur Schau gestellt; an der Leiche klebte ein Pappkarton mit der Aufschrift: »Wer es ihm gleich tut, ereilt dasselbe Schicskal.« Die Bauern aus mehreren Dörfern wurden gezwungen, auf den Jahrmarkt zu kommen, um die Leiche zu sehen. Andrei Meşter traf keine Schuld; er hatte sich blo‎ß gegen die Kollektivierungspolitik geäu‎ßert. Nachdem er erschossen und öffentlich zur Schau gestellt worden war, gelang es seiner Ehefrau, seinen Leichnam von den Milizionären, die ihn bewachten, freizukaufen. Die Frau begrub ihren Ehemann im Hinterhof ihres Hauses. Auf sein Grab legte sie das Kreuz nieder, das Andrei Meşter sich schon zu Lebzeiten angefertigt hatte. Unter den damals von der Securitate summarisch Hingerichteten war Andrei Meşter der einzige, der ein christliches Begräbnis bekam. Mehr konnten wir nicht erfahren.“




    Das öffentliche Zurschaustellen der von der Securitate summarisch Hingerichteten hatte nur einen Zweck: die Menschen zu erschrecken. Tatsächlich war die Angst das wichtigste Machtinstrument des kommunistischen Regimes. Marius Oprea dazu:



    Petru Anculia und Gheorghe Urdăreanu waren Partisanen — wie Nicolae Selagea. Sie gehörten zur Gruppe des Oberst Uţă und wurden 1949 hingerichtet. Damals wurden vier Partisanen hingerichtet, aber ich fand nur zwei Leichen, die anderen zwei waren an einem anderen Ort begraben, und wir konnten sie nicht finden. Ich hoffe, dass wir sie eines Tages auch finden werden. Ich habe die beiden relativ schnell gefunden, am Rande des Friedhofs. Die Leichen lagen übereinander in einer etwas unnatürlichen Position, die Arme weit vom Körper gestreckt, und die Knochen der Unterarme waren durchbohrt. Dadurch wurde uns klar, was damals geschehen war. Alle vier Opfer wurden nach ihrer Hinrichtung durch die Securitate-Agenten im Park vor dem Rathaus in Teregova, Kreis Caraş-Severin, im Südwesten Rumäniens, gekreuzigt. 27 Tage lang hingen die Leichen an den Kreuzen. Alle Bewohner der Dörfer in der Gegend wurden gezwungen, hinzugehen, um die Leichen zu sehen. An den Leichen hingen Kartons, auf denen das Wort »Bandit« stand. Petru Anculia war mit Draht und Ketten an den Fü‎ßen gefesselt und trug Opanken (bäuerliche leichte Fu‎ßbekleidungen i. d. R. aus Lederriemen — Anm. d. Red.). Die Opanken waren aber nicht aus Leder, sondern aus Gummiresten von alten Traktorreifen-Gummikammern. Die Securitate-Opfer waren einfache, arme Bauern, die in die Berge geflüchtet waren, um ihre Überzeugungen, ihren Glauben und ihr Land zu verteidigen.“




    Wenn der Historiker Marius Oprea und sein Team summarisch hingerichtete Opfer entdecken, lassen sie zuerst eine heilige Messe halten. Es ist ein letzter Akt der Wiedergutmachung für die Menschen, die es verstanden hatten, aufrecht zu bleiben, wenn alles rundherum zusammenbrach.