Tag: Literatur

  • FILIT: Schriftsteller Mircea Cărtărescu war Ehrengast des renommierten Festivals

    FILIT: Schriftsteller Mircea Cărtărescu war Ehrengast des renommierten Festivals

    Literatur gleicht der Lanze des Achilles, die das Übel zufügte und heilte“, sagte Mircea Cărtărescu in seinem Dialog mit dem Schriftsteller und Journalisten Cezar-Paul Bădescu im Rahmen des Internationalen Festivals für Literatur und literarische Übersetzung FILIT in Iaşi. Die Literatur hilft einem, sich selbst zu begegnen, und eine Begegnung mit sich selbst ist das Unheimlichste, was einem passieren kann.“ Am Anfang des Treffens auf der Bühne des Nationaltheaters in Iaşi forderte Cezar-Paul Bădescu den Autor der Bände Nostalgia“, Levante”, und der Trilogie Orbitor“ (Blendwerk“) mit den Bänden Die Wissenden“, Der Körper“ und Die Flügel“ auf, über die Zeit zu sprechen, als er den Literaturzirkel der Bukarester Universität leitete und zusammen mit seinen Studenten mehrere kollektive Prosa- und Gedichtbände veröffentlichte, darunter Familienbild“. Warum hat er es getan? Mircea Cărtărescu antwortet:



    Dafür hat es zwei Gründe gegeben. Der erste und einfachste Grund war, dass meine Generation etwas geschenkt bekommen hat, und wenn man etwas geschenkt bekommt, sollte man auch etwas weiterschenken. Die Geschenke erhielten wir von den Literaturkritikern Nicolae Manolescu, Ovid Crohmălniceanu, Eugen Simion, Mircea Martin, Ion Pop, und von unzähligen anderen wunderbaren Menschen, die unsere Existenz geprägt haben. Ohne diese Menschen wären wir nicht das geworden, was wir heute sind. Deshalb scheint es mir vollkommen natürlich, dass wir die Erkenntnisse, die theoretischen und moralischen Geschenke, die wir von ihnen bekommen haben, weiterschenken sollten. Und der zweite Grund, warum ich im Literaturzirkel der Bukarester Uni mitgemacht habe, war, dass ich mich als einer von euch fühlte. Ich fühlte, ich gehöre zu euch, und die sechs, sieben Jahre, als ich diesen Literaturzirkel leitete, waren die schönsten Jahre meines Lebens. Es war mir eine Freude und ein gro‎ßes Vergnügen, dass ihr mich in eurem Literaturzirkel aufgenommen habt. Ihr habt mich als einen von euch akzeptiert, auch wenn ich 15 Jahre älter war. Ich habe es genossen, an unseren Büchern mitzumachen. Ich bezeichne sie als ‚unsere Bücher‘, weil es sich um Anthologien handelte, für die ich manchmal die Einleitung schrieb.“




    Literatur war für mich einfach alles, aber ich kann nicht sagen, dass ich ausschlie‎ßlich aus Literatur gemacht bin“, antwortete Mircea Cartarescu auf die Frage, was Literatur für ihn bedeute. Und er fügte noch hinzu:



    Es wäre als ob man mich fragen würde, was für mich die Luft bedeutet, die mich am Leben hält. In einem Brief schrieb Franz Kafka an seine ewige Verlobte Felice Bauer, er sei nichts Anderes als Literatur. Sehr oft dachte ich, was das bedeuten könnte. Was soll es bedeuten, wenn ein Mensch komplett in Literatur übergeht, wenn er sich in Literatur verwandelt. Was für physische oder chemische Prozesse wären notwendig, damit ein menschlicher Körper, ein menschliches Gehirn zu Literatur wird. Das geschah mit Kafka gegen Ende seines Lebens. Kurz vor seinem Tod war Kafka nicht mehr ein Mensch unter seinen Mitmenschen, sondern eine Figur in seinen Büchern. Er war Literatur geworden. Sicher, die meisten von uns kommen nicht so weit. Um so weit zu kommen, bedeutet, kolossale Opfer zu bringen, es bedeutet, das eigene Leben zu zerstören, um es auf eine ganz andere Weise wieder zu gewinnen. Einmal sagte der Dichter Nichita Stănescu: ‚Wir möchten alle wie Eminescu schreiben, aber wer möchte schon sein Leben führen?‘ Das ist eine sehr gute Frage — wer möchte schon das Leben derer führen, die nichts Anderes als Literatur sind? Wenn man sich entscheidet, Literatur zu werden, wird man irgendwie zum Märtyrer.“




    Über das Internationale Festival für Literatur und literarische Übersetzung FILIT in Iaşi sagte Mircea Cărtărescu: Das ist ein Festival von höchstem Niveau. Das Festival FILIT ist nicht nur für das rumänische Kulturleben relevant, es ist auch eines der grö‎ßten, wenn nicht das grö‎ßte Literaturfestival in Osteuropa, und es ist in der Tat ein gro‎ßer Erfolg.“

  • Neustart für Bukarester Literaturgespräche

    Neustart für Bukarester Literaturgespräche

    Letzte Woche ist im Bukarester Literaturcafé Cărtureşti Verona eine Dialogreihe mit bekannten rumänischen Autoren neu angelaufen — diesmal unter dem Titel Wie gehts denn so, Herr Schriftsteller bzw. natürlich Frau Schriftstellerin? (im Original: Ce mai faci, scriitorule?).



    Als erster Gast der Literaturdialoge durfte Iulian Tănase über sich erzählen: Ich bin 41 geworden, die Jahre habe ich mühsam einzeln angehäuft. Ich habe zwei Hände (links und rechts), zwei Fü‎ße (links und rechts), zwei Augen (mal blau, mal rot unterlaufen), zwei Kinder (Adora und Sascha), eine Katze (namens Gogo), zwei Eltern (Mutter und Vater), eine Schwester (Simona), eine Frau (Ioana), ein Gedächtnis (das ziemlich schlecht ist), eine Phantasie (die ziemlich überbordend ist), zwei Uniabschlüsse (BWL und Philosophie), 13 Bücher (zu viele), zwei Preise (einen deutschen für Dichtkunst, einen österreichischen für Prosa), 15 Jahre Arbeit bei Satirezeitschriften am Buckel (13 davon bei der Academia Caţavencu, zwei bei der Kamikaze), fast zehn Jahre Radio (nur bei Radio Guerrilla) plus ein Stückchen Hoffnung — das Gute siegt immer und überall.




    Zu den Büchern von Iulian Tănase gehören: Iubitafizica” (erschienen 2002 im Vinea-Verlag); Inainte / după — 52 de apariţii transvizuale generate de hazard” (herausgegeben mit Gheorghe Rasovszky, Dan Stanciu und Sasha Vlad) im ICARE-Verlag im Jahr 2003); Adora” (veröffentlicht 2009 im ART-Verlag); Cucamonga” – Herg Benet Verlag (2011), Oase migratoare” (Nemira, 2012) und ”Manualul Îmblânzitorului de cafele” (Herg Benet Verlag, 2013).



    Wie der Autor seine Begegnung mit dem Publikum im Literatucafé Cărtureşti empfunden hat, erzählt er selbst: Das war ein sehr nettes Treffen im Cărtureşti; ich habe normalerweise vor solchen Begegnungen enormes Lampenfieber — als Radiomensch bin ich ja alleine vor dem Mikro und keiner sieht mich. Aber das Publikum war super und ich konnte mich schnell entspannen. Au‎ßerdem waren die Gastgeber von Cărtureşti absolute Spitze. Zudem kamen viele Leute, die mich aus dem Radio kennen. Es war ganz nett, wir haben über Bücher geplaudert, über das Leben, über Gott und die Welt. Und wir haben sehr viel gelacht – ich mag das nämlich: Leute zum Lachen zu bringen.”




    Iulian Tănase hat 2002 auch den Sammelband Pentru Gellu Naum / For Gellu Naum” koordiniert, ein Kooperationsprojekt der Verlage Vinea und ICARE und sich auch um die Athanor-Hefte der Gellu Naum Stiftung zusammen mit seinem Kollegen Dan Stanciu gekümmert. Er beteiligte sich 2008 am International Writers Workshop in Hong Kongund im selben Jahr wie auch im Vorjahr am London International Festival of Surrealism. Er veröffentlicht Texte in Zeitschriften und Antologien in Rumänien, Deutschland, Österreich, Gro‎ßbritannien, den USA, Hong Kong, Slowenien, Tschechien. In vielen dieser Länder war er auch Gastlektor.



    Im Moment arbeitet er an einem neuen Buch: Ich schreibe an einem Buch über das Schweigen. Das Buch hat eine komplizierte Vorgeschichte — ich habe damit schon 2008 angefangen, als ich noch Philosophie an der Uni studierte. Am Anfang standen kurze Äu‎ßerungen, ausgehend von der Frage Auf wie viele Arten kann man schweigen?”. Ich war selbst neugierig, wie meine Antworten ausfallen werden. Nachdem ich auf etwa 300 mehr oder weniger durchgedrehte Methoden des Schweigens gekommen war, stürzte mein Rechner ab und war im Eimer. Alles war weg, mit Ausnahme einiger Spickzettel in einem Heft. Ich habe also von vorne angefangen, und auch die Gliederung des Buches abgeändert — so ist daraus eine Collage von Essays, Gedichten, Erzählungen zu jeder dieser vielen Definitionen des Schweigens geworden”.



    Iulian Tănase ist Träger des Hubert Burda Preises für junge osteuropäische Dichter, der ihm in Offenburg im Jahr 2009 verliehen wurde. In Graz gewann er 2011 den ersten Preis des Literaturwettbewerbs 1+1+1=1 Trinitate“ für einen Auszug aus seinem Roman Wandernde Knochen (im Original: Oase migratoare”.

  • Leonid Dimov, der Oneiriker

    Leonid Dimov, der Oneiriker

    Der rumänische Dichter Leonid Dimov (1926 – 1987) hat sich keiner gro‎ßen Popularität erfreut, selbst wenn berühmte Literaturautoren wie Mircea Cărtărescu und Emil Brumaru ihn als ihren Meister bezeichnen. Nun wird sein Werk erstmals systematisch untersucht. Es geht um die Monographie Leonid Dimov. Un oniric în Turnul Babel“ (Leonid Dimov: ein Oneiriker im Babelturm“). Der Band erschien im Verlag Cartea Românească“. Die Autorin Luminiţa Corneanu hat aufgrund der Dokumente des Nationalen Rates für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs (CNSAS) das dramatische Schicksal eines Menschen und Dichters ans Tageslicht gebracht, das von der kollektiven Tragödie Rumäniens im 20. Jahrhundert, vom Juden-Pogrom in den Vierzigern bis zur Verfolgung durch die Securitate während des kommunistischen Regimes geprägt wurde.



    Leonid Dimov wurde für seinen aufrührerischen Geist berühmt, im Jahr 1957 hat er auf Stalins Statue uriniert. Keine Überraschung, dass sein literarisches Werk in keine Schablone passt: Du, Dimov, du machst etwas Erstaunliches, ich könnte sagen, du krempelst die ganze Literatur um“, schrieb ihm im Jahr 1967 der Dichterkollege Emil Brumaru in einem Brief. Das Buch der Autorin Luminiţa Corneanu untersucht das Werk von Dimov sehr nah und erläutert, inwieweit der Dichter die kommenden Generationen von Literaturautoren geprägt hat:



    Zum ersten Mal wurde ich auf das Werk von Dimov als Literaturstudentin aufmerksam, als ich zum ersten Mal mit den theoretischen Schriften der oneirischen Bewegung in Kontakt kam. Später, als ich Lehrerin wurde, war sein Werk in Schulbüchern mit dem Gedicht »Der Werwolf und Clotilda« (eine ironiebeladene Liebesgeschichte zwischen einem Werwolf und einer Tennisspielerin) vertreten. Danach habe ich versucht, seine Gedichte meinen sechzehnjährigen Schülern zugänglich zu machen. Als Thema meiner Doktorarbeit habe ich eine Monographie gewählt, weil solche Instrumente in der rumänischen Literatur eine wesentlich Rolle spielen sollten und leider in Bezug auf das literarische Schaffen während des Kommunismus nicht zu finden waren. Kein Buch war über Dimov geschrieben worden und das fand ich merkwürdig.“




    Luminiţa Corneanu bietet ein äu‎ßerst umfangreiches und glaubwürdiges Bild des Schriftstellers und bringt eine kritische und dennoch anständige Stimme zum Ausdruck, die wir in der rumänischen Literatur mit Sicherheit auch zukünftig hören werden“, schreibt der Literaturkritiker Paul Cornea über die Monographie seiner Kollegin. Luminiţa Corneanu über die Literaturbewegung in deren Mitte sich der Dichter Leonid Dimov entwickelt hat:



    Am Ende der sechziger Jahre, ungefähr 1966-1967, trafen sich die Schriftsteller, die später die Oneirische Gruppe bildeten, im Luceafărul-Kreis, geleitet von Miron Radu Paraschivescu. Sie unterschieden sich von den anderen durch den kämpferischen Geist, sie plädierten für die Ausdrucksfreiheit, für die Freiheit der Schriftsteller. 1968 findet ein Rundtisch statt und Dumitru Ţepeneag legt den Grundstein dieser Gruppe. Es war das erste Mal, als der Begriff »Oneirismus« [abgeleitet vom griechischen ‚oneiros‘ für Traum — Anm. d. Red.] gebraucht wurde. Eine neue Gruppe bildet sich. Leonid Dimov und Dumitru Ţepeneag bleiben die bekanntesten Vertreter dieser Schriftstellergruppe. Sorin Titel, Daniel Turcea, Virgil Mazilescu sind ebenfalls Vertreter der Oneirischen Gruppe, die 10 Mitglieder zählte.“




    Wie diese Schriftsteller es geschafft haben, in einer Periode zu schreiben, in der die Zensur sehr streng war, sagt uns nun die Autorin des Volumens Leonid Dimov. Ein Oneiriker im Babelturm“, Luminiţa Corneanu:



    Gleich nachdem der Oneirismus durch die Theorie von Dumitru Ţepeneag anerkannt wurde, kam die Antwort der offiziellen Schriftsteller, der Favoriten des kommunistischen Regimes. Die Vertreter der neuen Gruppe wurden heftig kritisiert. Die Oneiriker waren nicht am Projekt für die Herausbildung des ‚neuen Menschen‘ beteiligt, sie wollten der Gesellschaft ausweichen, was damals als gravierendes Vergehen angesehen wurde. Die Oneiriker wurden allesamt als Evasionisten, als Entweichler gebrandmarkt, was in Zeiten des Proletkults schlimme Folgen haben konnte. Wenn man keine Kunst für die Arbeiter pflegte, wenn man nicht aktiv an der Gründung der neuen Gesellschaft beteiligt war, wurde man als ein Vertreter des Bürgertums gesehen. Die Gesellschaft bestrafte solche Einstellungen. Leonid Dimovs Erklärungen und Geständnisse sind ein Slalom zwischen seiner Konzeption und jener von Dumitru Ţepeneag über Literatur, Kunst und offizielle Reaktionen auf ihr Schreiben und ihre Einstellung. Die politische Polizei, die sogenannte Securitate, bespitzelte sie wegen ihres Freiheitswunsches, der ganz deutlich ausgedrückt war.“




    Dimov besucht auf Dumitru Ţepeneags Einladung im Zeitraum 20. Juli — 14. September 1971 Frankreich. Im September 1971 werden die beiden Schriftsteller von Radio Freies Europa interviewt. Die Securitate reagierte gleich. Nach seiner Rückkehr in Rumänien wurde Leonid Dimov ständig überwacht und er erhielt Publikationsverbot. Er starb am 5. Dezember 1987 an einem Herzinfarkt. Zwölf Gedichtbände und zahlreiche Übersetzungen bilden sein Werk. Er wurde vom Bukarester Schriftsteller-Verein für die Gedichtbände Dialectica vârstelor“ (Dialektik der Zeitalter“) (1978) und Veşnica reîntoarcere“ (Ewige Rückkehr“) (1982) ausgezeichnet. Der Schriftstellerverband hat ihn 1980 für die Übersetzung der Gedichte von Gérard de Nerval, die 1979 im Bukarester Univers-Verlag veröffentlicht wurde, ausgezeichnet. Dimov war für lange Zeit nur ein Name pour les connaisseurs“.

  • Remember Nina Cassian

    Remember Nina Cassian

    Ein ausgeprägt sensibles Wesen, mit der Miene einer verführerischen Meerjungfrau und eines verängstigten Rehs, mit einem Profil, bei dem gewisse Ähnlichkeiten mit Dante nicht zu leugnen sind, mit au‎ßergewöhnlich eleganten Fingern, die unvergesslich sind, mit der Musik im Blut und der Poesie im Leib, mit einem Gesprächsfaden, so betörend wie ein edler Sekt, eine frenetische Wodka- und Tabakkonsumentin, zynisch und spielerisch, romantisch und melancholisch, zerbrechlich und roh, grazil und kompromisslos, das war Nina.“



    So wurde die Dichterin nach ihrem Tod am 16. April dieses Jahres von dem Historiker Vladimir Tismăneanu beschrieben.



    Renee Annie Cassian kam am 27. November 1924 im ostrumänischen Galatz in einer jüdischen Familie auf die Welt. Sie studierte in Kronstadt und Bukarest und mit 16 Jahren trat sie der Kommunistischen Jugendorganisation bei. Zwei der wichtigsten rumänischen Dichter, Tudor Arghezi und Ion Barbu, ermutigen Cassian zu ersten literarischen Versuchen. Ein unumstrittenes Talent“ wurde ihr von Tudor Arghezi bescheinigt. Wie der Kritiker Alex Ştefănescu berichtet, fühlt sie sich angezogen von der kommunistischen Bewegung, allerdings begegneten die Genossen ihr mit Abscheu, weil sie als ehrgeizig und dominant galt.“



    Nach einigen Proletkult-Gedichten kehrt sie zur authentischen Literatur zurück und schreibt viele Kinderbücher (Prinz Miau, 1957, Die Abenteuer von Rüsselchen, 1959, Der Tölpel, 1961, Regenbogen, 1962, Die Geschichte von zwei Tigerbabys, Ninigra und Aligru genannt, 1969, Die Katze im Fernsehen, 1971, Unter uns Kindern, 1974). Im Jahr 1985 reist Nina Cassian in die USA als Gastprofessorin und Sörös-Stipendiatin, dort soll sie eine Lehrveranstaltung führen. Dort erfährt sie von der Verhaftung und der Ermordung im Gefängnis des Dissidenten Gheorghe Ursu, mit dem sie befreundet war. Die Dichterin beschlie‎ßt, die Rückreise in die Heimat nicht mehr anzutreten. Als Vergeltung beschlagnahmen die rumänischen Behörden ihre Wohnung, ihre Bücher werden verboten und aus den Beständen der Büchereien entfernt — bis zum Fall des Ceauşescu-Regimes im Dezember 1989.



    Die Gedichte der Nina Cassian wurden in den US-Magazinen The New Yorker“, Atlantic Monthly“, New England Review“ und American Poetry Review“ veröffentlicht. Ein Gro‎ßteil ihrer Werke wurde ins Englische, Italienische und Französische übersetzt. Cassian übersetzte ihrerseits zahlreiche Werke von Wladimir Majakowski, Kornej Tschukowski, Margarita Aliger, Yannis Ritsos, Christian Morgenstern, Paul Celan, Bertolt Brecht, Molière, Shakespeare. Zehn Jahre nach ihrer Niederlassung in New York gab Nina Cassian der Dichterin Liliana Ursu ein Interview.



    Am Anfang habe ich gar nichts getan, weil ich mich für jegliche Tätigkeit unfähig fühlte, ich war immun, betäubt infolge der zu vielen wesentlichen Verluste. Ich hatte mich mit der Idee vom Tod bereits sehr angefreundet. Nichtsdestotrotz, ohne jegliche Anstrengung, hatte ich letzten Endes Glück und deshalb kann ich mich auf den ersten Blick als triumphierendes Wesen betrachten. Auf den zweiten Blick bin ich aber ein trauriges Stück Fleisch, ‚helas, la chair est tristeet jai lu tous les livres‘ (das Fleisch ist traurig und ich habe alle Bücher gelesen). Und das ist im Wesentlichen und als Metapher ausgedrückt, was mit mir passiert. In der Tat, die Wirksamkeit, die ich beim amerikanischen und englischen Publikum erreichte, war für mich eine Überraschung und eine Offenbarung. Weil ich mit meinen Worten aus einem anderen Land hier ankam, es waren nicht nur Wörter aus einer anderen Sprache, sondern aus einer völlig unterschiedlichen psychischen und geistigen Struktur. Deshalb hat es mich gewundert, dass das Publikum das so stark aufgenommen hat oder dass ich es so gut überzeugen konnte. Und das Ergebnis ist in der Tat, was wir sehen, es war Liebe auf den ersten Blick.“




    Wie der Kritiker Alex Ştefănescu es prägend beschreibt, war Nina Cassian mit einem scharfen Sinn für Ironie ausgestattet, die einerseits erklärlich ist mit einer spezifischen weiblichen Beobachtungsgabe und andererseits mit jener intellektuellen Nüchternheit, die für die Dichterin später nicht nur eine charakteristische Eigenschaft darstellen wird, sondern auch ein Meditationsthema, eine mit Eifer unterstützte Sache, ein Glaubensbekenntnis“. Nina Cassian gestand selbst:



    Ich bin voller Selbstzweifel, wie jeder Dichter. Wenn einige Monate vergehen, in denen ich nichts geschrieben habe, sage ich mir, dass alles nur eine Empfindung war, dass es mir nur so vorgekommen ist, dass ich Poesie ausstrahle und ich eigentlich keine Dichterin bin! Ich denke, dass ich mir nur ein beliebiges Handwerk angeeignet habe und dass das alles mit einer Trägheit dieses Handwerks einhergeht und hier endet. Aber diese Selbstzweifel sind nicht schlecht. Die Zweifel haben eine kreative Kraft, vorausgesetzt sie übernehmen nicht die Kontrolle und überwältigen dich.“




    Nina Cassian wurde am 21. März 2014 in Venedig geehrt, dem Welttag der Poesie, anlässlich der Veröffentlichung des ersten Gedichtbandes Cè modo e modo di sparire“ in italienischer Sprache. Der Band gilt bei den Verlagen als eine der wichtigsten Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Poesie in Italien. Bei diesem Anlass wurde im Rumänischen Kulturinstitut auch ein Interview mit Nina Cassian vorgeführt, ein Ausschnitt aus der Doku Wir, die Rumänen in aller Welt“, die 2010 von Maria Ştefanache produziert wurde.



    Nina Cassian, die als eine der gro‎ßen Verführerinnen der rumänischen Literatur gilt, wurde von berühmten Schriftstellern geliebt. Ich liebte und wurde geliebt. Ich hatte eine ununterbrochene Schaffenszeit. Ich habe mich einer Anerkennung gefreut, manchmal wurde ich ausgegrenzt, und das eigentlich häufig, auch in diesen Zeiten. Aber all dies gehört zum Gleichgewicht des Lebens!“ — sagte Nina Cassian in einem ihrer letzten Interviews.



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  • Literatur im Kommunismus: Vom sozialistischen Realismus zum sozialistischen Humanismus (1965-1974)

    Literatur im Kommunismus: Vom sozialistischen Realismus zum sozialistischen Humanismus (1965-1974)

    Die Literatur war eine der von den Kommunisten bevorzugten Kunstformen. Die Überzeugungskraft des literarischen Textes, die Profile der rudimentär skizzierten Charaktere, die auf die Instinkte der Menschen einwirkten, verhalfen dem Regime zu viel grö‎ßeren Erfolgen, als es Literaturhistoriker einräumen wollen.



    Die Methode des literarischen Schaffens in den 1950er Jahren wurde als sozialistischer Realismus bezeichnet und von den sowjetischen Kulturagenten eingeführt. Ab 1965 hatte das Regime des jungen Führers Nicolae Ceauşescu die Erneuerung des Landes durch eine vermeintliche Aufhebung der Ideologie geplant. Im Zuge dessen wurde die Literatur von den Zwängen des sozialistischen Realismus befreit. So konnte das Regime einige Intellektuelle zur Zusammenarbeit überreden, die in der Tat dachten, ein neues Zeitalter würde gerade eingeläutet. Allerdings sollten die Hoffnungen derjenigen, die ihre Dienste zur Verfügung gestellt hatten, in den 1980er Jahren zertrümmert werden: Es stellte sich heraus, dass das Regime von Nicolae Ceauşescu nichts Anderes als ein Stalinismus mit verändertem Antlitz war.



    Der Historiker Cristian Vasile vom Nicolae Iorga“ – Institut in Bukarest nennt zwei Fälle von Intellektuellen, die sich dem neuen literarischen Kanon des kommunistischen Regimes von Ceaușescu zwischen 1965 und 1974 angepasst hatten. Das war zum einen der Übersetzer und Literaturhistoriker Alexandru Balaci und zum anderen der Schriftsteller Alexandru Ivasiuc. Über Alexandru Balaci sagte Vasile, er habe als stellvertretender Kulturminister versucht, bei einem Besuch in Bulgarien 1967 die neue literarische Methode des sozialistischen Humanismus in Schutz zu nehmen.



    Balaci hatte auch Treffen mit den Parteiaktivisten in mehreren Städten, mit Kulturpersönlichkeiten, er besuchte unterschiedliche Kultureinrichtungen und, was mir am wichtigsten scheint, er hielt mehrere Konferenzen an der Oberen Parteischule in Sofia. Die rumänischen Quellen erwähnen vier Konferenzen mit Alexandru Balaci in der Hauptrolle, bei denen er nicht weniger als 80 Fragen gestellt bekam. Darunter waren einige Fragen, die ihn vielleicht nicht vor ein Problem stellten, aber immerhin eine aufmerksame, nuancierte Haltung verlangten, begleitet von diplomatischem Geschick und eventuell ausweichenden Antworten. Einige der Fragen bezogen sich zum Beispiel auf die Literatur der mitwohnenden Nationalitäten und den Stand der kulturellen Beziehungen zur UdSSR. Die interessanteste Frage aber lautete wie folgt: ‚Welchen Standpunkt haben die rumänischen Intellektuellen zum sozialistischen Realismus?‘ Die Frage schien einen anachronisch-dogmatischen und irgendwie provozierenden Charakter zu haben, und das aus zwei Gründen: Der sozialistische Realismus war die einzige zulässige Schaffensmethode, die mit dem Stalinismus in Verbindung gebracht und von den Sowjets auferzwungen wurde, dazu standen die bulgarischen Kommunisten dem Kreml noch näher als die Rumänen. Zweitens hatten Nicolae Ceauşescu und die Parteibürokratie zumindest offiziell darauf verzichtet, von den Intellektuellen die Einhaltung des sozialistischen Realismus zu verlangen. Die einzige Schaffensmethode der 1950er Jahre war im Prinzip von dem sozialistischen Humanismus ersetzt worden, ein Begriff, der in den Parteidokumenten und den Vorträgen von Ceauşescu vorkam. Alexandru Balaci hat seine Verwirrung zum Ausdruck gebracht und seine Gesprächspartner gebeten, den sozialistischen Realismus im neuen Kontext zu definieren.“




    Der zweite Fall, der des Schriftstellers Alexandru Ivasiuc, birgt eine viel traurigere Geschichte, wie der Historiker Cristian Vasile erzählt.



    Der spätere Schriftsteller hatte 1956, als Philosophie-Student und vor dem Hintergrund der Revolte in Budapest, den Sinn der Vorlesung »Grundlagen des Marxismus-Leninismus« hinterfragt, eine Vorlesung, die an allen Universitäten zur Grundausbildung gehörte. Ivasiuc lehnte die marxistisch-leninistische Disziplin ab und wurde wegen seiner trotzenden Haltung zu sieben Jahren Haft und Hausarrest verurteilt. Neben der Anfechtung des Studienplans hatte er eine Solidarisierungsaktion der Studenten mit der Revolte in Ungarn geplant. Als Erwachsener erlebt Alexandru Ivasiuc allerdings einen tiefen Wandel. Er wählt eine seltsame Form von Marxismus, die ihm eine Annäherung an das politische Regime ermöglicht, das ihn zehn Jahre zuvor als Feind, Anstifter und Konterrevolutionär bezeichnet und ins Gefängnis geschickt hatte. Obwohl er zwischen 1956 und 1963 allen Erniedrigungen der einsamen Haft und des Hausarrests ausgesetzt worden war, schien er jetzt von den Beziehungen zwischen dem Individuum und der Machthaber besessen zu sein. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre strebte er eine soziale Wiedereingliederung an, die ihn den ideologischen Herrschern näherbringen sollte. Unmittelbar nach Verbü‎ßung der Strafen 1963 wird er zum Beamten in der US-Botschaft in Bukarest. Gleichzeitig widmet er sich der literarischen Arbeit, später wird er in Führungsämter gelangen. Und in derselben Zeitspanne wird die Verwandlung von Ivasiuc bemerkbar, die in seinen Romanen »Intervall«, »Nachtforschung«, »Die Vögel«, »Erleuchtungen« zu spüren ist. Einige Kritiker und Literaturhistoriker haben auf eine bemerkenswerte Tatsache hingewiesen: In der politischen Prosa jener Zeit, den sogenannten Romanen des sogen. ‚eindringlichen Jahrzehnts‘, wurden die von dem Regime bedrängten Personen fiktiv rehabilitiert, während in den Schriften des ehemaligen politischen Häftlings Ivasiuc die Folterer rehabilitiert und die Opfer noch einmal verurteilt werden. Unabhängig der Frage, ob Ivasiuc ein ehrlicher konvertierter Marxist oder lediglich ein Zyniker war, spiegelt sein Fall offenbar den Erfolg der perversen Mechanismen der kommunistischen Pädagogie wider. Viele seiner Ausdrucksformen in der Öffentlichkeit haben den Eindruck hinterlassen, dass sie von einem Menschen stammten, der einen starken inneren Wandel erlitten hat.“



    Der sozialistische Humanismus ist 1989 mit der gesamten Kulturpolitik des Ceaușescu-Regimes verschwunden. Er war lediglich ein weiteres Kapitel der betrügerischen Kunst, die auch mit politischer Unterstützung sich nicht als authentischer Wert etablieren kann.



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  • Literaturauszeichnungen: Der nationale Lyrikpreis „Mihai Eminescu“

    Literaturauszeichnungen: Der nationale Lyrikpreis „Mihai Eminescu“

    Kurz nach der Wende wurde eine Preisverleihung ins Leben gerufen, die in kürzester Zeit zu einem Bezugspunkt für die zeitgenössische Lyrik wurde: der nationale Lyrikpreis Mihai Eminescu“ in Botoşani. Das Projekt entstand aus der Initiative des Dichters Gellu Dorian, der genau wie der Nationaldichter Mihai Eminescu im nordostrumänischen Botoşani geboren wurde. Wie alt war die Idee? Auf diese Frage antwortet der Initiator des Projektes:



    Die ersten Schritte haben wir nach dem antikommunistischen Aufstand unternommen. Es war der Sommer von 1990, im Monat Juni. Im Juni 1989 wurde der 100. Jahrestag des Todes von Eminescu gefeiert. Bis zur Wende waren solche Kulturveranstaltungen der kommunistischen Ideologie untergeordnet. Wir wollten also dieses Format ändern und haben nach der Wende in Botoşani mit Hilfe der Lokalbehörden den nationalen Lyrikpreis Mihai Eminescu ins Leben rufen.“



    Der nationale Lyrikpreis Mihai Eminescu — Opera Omnia“ hat im Laufe der Zeit einen besonderen Wert erlangt. Der diesjährige Gewinner, der Klausenburger Schriftsteller Ion Mureşan, bezeichnete den Preis als Zugangsausweis, der einem erlaubt, im elitären Klub der rumänischen Lyrik weiter zu kommen, da die besten rumänischen Dichter der letzten fünfzig Jahre mit diesem Preis ausgezeichnet wurden“. Der Dichter Gellu Dorian erinnert sich an die Zeit, als das Projekt angesto‎ßen wurde:



    Von Anfang an hatten wir geplant, diesen Preis einem zeitgenössischen rumänischen Dichter für sein gesamtes Werk zu verleihen. Daher der Ausdruck »Opera Omnia« in der Bezeichnung des Preises. Der Preis wird aufgrund der Entscheidung einer nationalen Jury verliehen, Jurymitglieder sind renommierte Persönlichkeiten der rumänischen Literaturkritik und der Literaturgeschichte, Literaturprofessoren von vier der bedeutendsten Kulturzentren Rumäniens: Bukarest, Jassy, Klausenburg, Temeswar. Der damalige Vizepräsident des Schriftstellerverbands, Laurenţiu Ulici, fand die Idee sehr gut, er hat unser Projekt unterstützt, eine Jury gebildet, die 10 Jahre lang diesen Preis verliehen hat und zehn Dichter haben sich durch diesen Preis einer wesentlichen Anerkennung erfreut. Hauptkriterium war der Wert. Im Laufe eines Jahres wählen wir einen Dichter aus zahlreichen, die bereits ein vollständiges Werk haben aus. Dafür führen wir im Voraus eine Umfrage in verschiedenen Bereichen durch: im Sozialbereich, im akademischen Bereich, in Redaktionen verschiedener Zeitschriften und in den grö‎ßten rumänischen Verlagen. Die Werke der ersten zehn Dichter werden anschlie‎ßend von der Kulturstiftung »Hyperion« in Botoşani und von uns beurteilt. Ferner treten fünf oder neulich, seit zwei Jahren, sieben Dichter vor die Jury, die ebenfalls grö‎ßer geworden ist. Sieben renommierte Persönlichkeiten der rumänischen Literatur geben ferner ihre Stimmen ab und der Gewinner steht dann fest. Es ist ziemlich schwer, den Gewinner im Voraus auszumachen. Es handelt sich darum, eine gro‎ße Verantwortung zu übernehmen, denn Rumänien hat zahlreiche Dichter von unbestreitbarem Wert und wir können nicht alle mit diesem Preis auszeichnen. Wir haben ihn bereits 23 wichtigen Namen der rumänischen zeitgenössischen Literatur verliehen.“



    Zu den Dichterinnen und Dichtern, die im Laufe von fünfzehn Jahren mit dem begehrten Preis geehrt wurden, zählen Gellu Naum, Ana Blandiana, Ştefan Augustin Doinaş, Dorin Tudoran, Ileana Mălăncioiu. Die letztere ist Gewinnerin des Preises bei der fünften Preisverleihung und ebenfalls Initiatorin des Debüt-Preises. Seit 1998 wird also der Nationalpreis Mihai Eminescu“ auch in der Kategorie Opera Prima (Erstwerk) verliehen. Zu den Gewinnern der ersten 16 bisherigen Preisverleihungen zählen Doru Mareş, Liviu Georgescu, Răzvan Ţupa, Dan Sociu und dieses Jahr Ştefan Baghiu.



    Unlängst stellte sich der Literaturkritiker Mircea Martin mit Bezug auf diesen Preis eine rhetorische Frage: Wird nach einigen Jahren einer der Gewinner des Debüt-Preises zurück nach Botoşani kehren, um den gro‎ßen Preis zu erhalten?“ Dieselbe Frage haben wir auch dem Initiator des Projektes, dem Dichter Gellu Dorian gestellt:



    Zweifellos befinden sich derzeit alle Dichter, die diesen Preis erhalten haben, auf dem Weg zum Erfolg. Einige sind bereits bekannt geworden, wie Liviu Georgescu, Gewinner der dritten Preisverleihung. Viele seiner Gedichtbände sind bereits veröffentlicht worden. Selbstverständlich ist die Frage von Professor Mircea Martin, langjähriges Mitglied dieser Jury, voll gerechtfertigt und meiner Meinung nach werden wir bei der 20. Preisverleihung auch eine derartige Nominierung einführen.“



    An der 23. Preisverleihung Mihai Eminescu — Opera Omnia“ hat die Jury, deren Präsident der Akademiker Nicolae Manolescu war, den Dichter Ion Mureşan mit dem begehrten Preis geehrt. Jurymitglieder waren Mircea Martin, Cornel Ungureanu, Ion Pop, Alexandru Cistelecan, Mircea Diaconu und Ioan Holban. Weitere Nominierungen erhielten neben Ion Mureşan auch die Schriftsteller Mircea Cărtărescu, Liviu Ioan Stoiciu, Lucian Vasiliu, Constantin Abăluţă, Ovidiu Geraru und Vasile Vlad. Der mit 20.000 Lei dotierte Preis sowie die Trophäe erhielt Ion Mureşan bei einer Sondergala, die aus Anlass der Eminescu-Tage veranstaltet wurde. Der Gewinner wurde — genau wie seine Vorgänger — auch mit dem Titel Ehrenbürger der Stadt Botoşani“ ausgezeichnet.



    Seit der ersten Preisverleihung wird der nationale Lyrikpreis Mihai Eminescu“ jährlich am 15. Januar, dem Geburtstag von Mihai Eminescu, verliehen. Seit 2011 wird an diesem Datum in Rumänien auch der Tag der rumänischen Kultur gefeiert.



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  • Die Woche 11.01.- 17.01.2014 im Überblick

    Die Woche 11.01.- 17.01.2014 im Überblick

    Treffen zwischen Rumäniens Staatschef Traian Băsescu und EU-Ratspräsident Herman van Rompuy in Brüssel



    Rumänien nimmt sich vor, bis Ende des Jahres Mitglied des Schengener Abkommens zu werden. Der angestrebte Termin sei der Monat Oktober, erklärte Rumäniens Präsident Traian Băsescu im Rahmen eines Treffens mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, in Brüssel. Das Treffen fand auf Anforderung des rumänischen Staatschefs statt. Die Hauptthemen des Treffens waren die politische Lage in der Moldaurepublik, der Schengen-Beitritt Rumäniens und die Entwicklung des Süd-Korridors, der Gas direkt vom Kaspischen Meer nach Europa leiten soll. Präsident Băsescu teilte dem EU-Ratspräsidenten, Rumänien habe das Ziel bis Ende dieses Jahres dem Schengen-Raum beizutreten. Der Schengen-Beitritt Rumäniens wurde ursprünglich für 2011 geplant, einige Mitgliedstaaten hatten aber die Annahme Rumäniens mehrmals blockiert, indem sie breite Kritik am Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität übten. Die beiden Politiker haben auch über die Lage in der Moldaurepublik diskutiert, insbesondere über die abtrünnige Region Transnistrien, im Osten der Moldaurepublik.



    Europäisches Parlament bespricht Freizügigkeit der EU-Bürger



    Die Freizügigkeit sei ein Grundrecht des europäischen Konstrukts, über das nicht verhandelt werden könne — so die Sichtweise der Vertreter der grö‎ßten politischen Familien und der Kommission in Brüssel. Das Statement findet vor dem Hintergrund der Spekulationen über einen vermeintlichen Andrang rumänischer und bulgarischer Staatsbürger statt. Sie würden, laut den Meinungen einiger Medienvertreter und Politiker in Westeuropa, es bevorzugen, die Heimat zu verlassen, nur um von den gro‎ßzügigen Sozialhilfesystemen der entwickelten Länder zu profitieren. Alle Europäer haben ausnahmslos das Recht auf Freizügigkeit — betonte in einer Stellungnahme Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Die aktuellen Bestimmungen die Freizügigkeit betreffend, einschlie‎ßlich des Zugangs zu Sozialhilfe, sind korrekt und angemessen. Anlässlich einer Debatte im Europäischen Parlament haben sich Abgeordnete aus Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn, unabhängig ihrer politischen Couleur, für die Einhaltung dieses Grundrechts ausgesprochen. Sie warnten vor der inakzeptablen Unterstellung, dass Staatsbürger aus ihren Ländern sich nur für Sozialleistungen in anderen Ländern niederlassen würden. Die Freizügigkeit bringt gro‎ße Vorteile für die Länder, in denen die Bürger von Region zu Region ziehen, um zu arbeiten. Demzufolge verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution gegen jegliche Tendenzen, die Freizügigkeit europäischer Arbeitnehmer auf dem Gebiet der Union zu drosseln. Darin wird ferner für die Gleichbehandlung aller EU-Bürger plädiert.



    Rumänisches Verfassungsgericht: Änderungen des Parlaments am Strafgesetzbuch sind verfassungswidrig



    Rumäniens Verfassungsgericht hat die Änderungsanträge der Abgeordneten zum Strafgesetzbuch für verfassungswidrig erklärt. Damit reagierten die Verfassungsrichter auf die Klagen des obersten Gerichtshofs und der liberal-demokratischen Opposition. Laut Angaben des Obersten Gerichtshofs seien die vorgeschlagenen Änderungen unvereinbar mit der Rechtsstaatlichkeit. Die liberaldemokratische Partei (PDL) richtete sich gegen das Vorhaben, den Staatschef, die Parlamentsmitglieder und Freiberufler künftig nicht mehr als Beamte im öffentlichen Dienst zu behandeln. Das hätte bedeutet, dass sie für Korruptionsdelikte wie Amtsmissbrauch, Vorteilsannahme oder Annahme von Bestechungsgeldern, bzw. für Interessenskonflikte nicht mehr hätten strafrechtlich verfolgt werden können. Der Präsident Traian Băsescu, die wichtigsten Justizorgane, die Antikorruptionsbehörde DNA, der Oberste Richterrat und die Nationale Agentur für Integrität, sowie einige Botschaften westlichen Länder in Bukarest, kritisierten die geplanten Änderungen entschlossen. Die regierende Sozialliberale Union kündigte danach an, sie wolle die Änderungen im Strafgesetzbuch überdenken.



    Bukarester Exekutive ändert Gesetz zum Verkauf von Agrarflächen



    Vor einer Woche hatte Präsident Traian Băsescu das Gesetz zum Verkauf und Erwerb von au‎ßerörtlichen landwirtschaftlichen Flächen in Rumänien durch Privatpersonen zurückgewiesen. Unter diesen Umständen schlägt die Regierung eine neue Fassung dieser Rechtsnorm vor. Diese sieht unter anderem vor, dass das betreffende Grundstück nicht unter dem Angebotspreis verkauft werden kann. Au‎ßerdem soll die Transaktion der Flächen über 30 Ha von einer speziell dafür gegründeten Behörde genehmigt werden. Gleichzeitig bleibt die Agentur der Staatlichen Grundstücke bestehen und hat beim Erwerb vorrang. Au‎ßerdem soll der Verkauf eines Grundstücks für nichtig erklärt werden, wenn die Transaktion zu einem besseren Preis oder unter besseren Bedingungen erfolgt, als es im Verkaufsangebot steht. Um Klarheit zu verschaffen soll auch der Titel des Gesetzes abgeändert werden. Dieser soll sich auf die au‎ßerörtlichen Landflächen beziehen und sowohl für natürliche, als auch für juristische Personen gelten.



    Referendum zur Verfassungsnovellierung und Europa-Wahlen sollen gleichzeitig stattfinden



    Nach langer Zeit sind der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Ministerpräsident Victor Ponta, und der Chef der Liberalen zusammen gekommen und haben den politischen Aktionsplan der sozial-liberalen Union für 2014 vorgestellt. Der Plan sieht zum Beispiel vor, dass das Grundgesetz bis Ende Mai revidiert wird. Weiter soll eine institutionelle Reform stattfinden und einige verzögerte Gesetze, wie das Bergbaugesetz, das Gesetz betreffend öffentlich-private Partnerschaften und das Gesetz über den Kauf von Agrarfläche gebilligt werden. Die umstrittenste angekündigte Ma‎ßnahme ist gleichzeitige Organisierung der Europa-Wahlen und einer Volksbefragung betreffend die Verfassungs-Novellierung, Ende Mai. Die Volksbefragung werde zwei Tage dauern um ihre Validierungs-Chancen zu maximieren. Mehr als 50 % der Wähler müssen sich an der Volksbefragung beteiligen, damit diese für gültig erklärt wird. Die gleichzeitige Organisierung der Europa-Wahlen und der Volksbefragung werde nicht für Verwirrung sorgen, erklärte der Liberalen-Chef Crin Antonescu. Die liberaldemokratische Opposition und die Vertreter der ungarischen Minderheit meinen genau das Gegenteil.



    Tag der Landeskultur wurde in Rumänien und im Ausland gefeiert



    Am 15. Januar, Jahrestag des Nationaldichters Mihai Eminescu, wird in auch der Tag der rumänischen Kultur gefeiert. Mihai Eminescu lebte nur 39 Jahre, zwischen 1850 und 1889, er hinterlie‎ß aber ein wertvolles Kulturerbe. Während seiner Zeit, bezeichnete der Literaturkritiker Titu Maiorescu Eminescus Werk als Ausgangspunkt zur Entwicklung der künftigen schöpferischen Geisteskraft Rumäniens.

    Mihai Eminescu gilt in der internationalen Literatur als der letzte Vertreter der europäischen Romantik und im publizistischen Bereich als wesentlicher Förderer vom Konservatismus und Nationalismus. Im 20. Jahrhundert wurde Eminescu zu einer äu‎ßerst populären Kulturmarke Rumäniens. 2010 erklärte die Bukarester Legislative seinen Jahrestag zum nationalen Tag der Kultur Rumäniens. Die Befürworter des Gesetzentwurfs erläuterten, am 15. Januar werden alle Rumänen nicht nur den Tag eines bedeutenden Schöpfers feiern, sondern auch seine wesentliche Rolle in der rumänischen Kultur und allen Kulturprojekten vom nationalen Interesse”. Die moldauischen Behörden haben anschlie‎ßend im Zeichen des gemeinsamen Sprach-und Geschichtserbes ebenfalls den 15. Januar zum Tag der moldauischen Kultur erklärt. Nicht nur in Rumänien, sondern auch in der moldauischen Hauptstadt Chişinău und in Brüssel wird in Museen, Konzertsälen, Schulen diesen besonderen Tag gro‎ß gefeiert. Das rumänische Kulturinstitut im Ausland organisiert aus diesem Anlass besondere Veranstaltungen, an denen sich renommierte Persönlichkeiten der rumänischen Kultur beteiligen.

  • Memoiren aus der idealen Bibliothek

    Memoiren aus der idealen Bibliothek

    Memoriile din biblioteca ideală“, Memoiren aus der idealen Bibliothek“ des rumänischen Schriftstellers und Mathematikers Bogdan Suceavă ist eine Essaysammlung zum Thema: Begegnung mit der Mathematik. Für Bogdan Suceavă, Mathematikprofessor an der California State University in Fullerton stellt das ein bedeutungsvolles Thema dar. Der Band wurde im Verlag Polirom veröffentlicht und ist das erste Werk, das einer der grö‎ßten Autoren der rumänischen Nouvelle Vague seinem Beruf widmet. Ich betrachtete mich selbst als jemand, der zuerst und vor allem Mathematik-Probleme löst. Für mich wurde es schnell klar, dass die konkrete und optimale Lösung zu finden, sei es in der Mathematik oder in der Literatur, ein deutlicher Ausdruck der Intelligenz darstellt“, sagte er. Wir haben den Autor der Romane Noaptea când cineva a murit pentru tine” (In der Nacht, als jemand für dich starb“) und Venea din timpul diez“ (in der englischen Übersetzung: Coming from an Off-Key Time“) gefragt, was eine konkrete Lösung in der Literatur eigentlich bedeutet. Bogdan Suceavă antwortet:



    Handelt es sich darum, einen Roman zu schreiben, dann beginnt die Lösung mit der Stimme des Erzählers und mit der konkreten Identifizierung des richtigen Zeitpunkts, wann die ganze Geschichte zu Ende gehen soll, anders gesagt, indem man ein gut geplantes Ende vorbereitet. Der Schriftsteller denkt daran, welche Gestalten in den Vordergrund gebracht werden sollen und wo die Spannung ausgelöst werden soll. Alles hat mit der literarischen Lösung zu tun und alles kann zu kompliziert werden, wenn zu viele Gestalten mitmischen. Diesmal hatte ich die Gelegenheit, zu erzählen, wie bestimmte Sachen, die wir beim Mathe-Studium lernen, sich später als besonders hilfreich auch in anderen Bereichen des Kulturlebens, insbesondere in der Literatur erweisen.“



    Begegnungen mit Ideen einiger verstorbenen Wissenschaftler wie Huygens, Newton, Meusnier, Euler, Sophie Germain, durch Bücher vermittelt, sowie direkte Begegnungen mit Menschen, die seinen Werdegang als Autor stark beeinflusst haben, bilden die Essaysammlung Memoiren aus der idealen Bibliothek“. Der Band richtet sich an den gewöhnlichen Leser, und nicht an den Leser, der bereits in die Mathematik eingeführt wurde.



    Die Geometrie-Schule findet ebenfalls einen wichtigen Platz in der Essaysammlung des rumänischen Schriftstellers. Die Bukarester Schule entwickelte für mehr als ein Jahrhundert ein besonderes akademisches Programm, dem Bogdan Suceavă den Anfang seiner Karriere schuldet. Gheorghe Ţiţeica, Dan Barbilian, Nicolae Teodorescu, Solomon Marcus, Ieronim Mihăilă, Basarab Nicolescu sind nur einige der rumänischen Mathematiker, die Bogdan Suceavă mit seiner Essaysammlung würdigt. Wenn die wahren Mathematiker davon träumen, Theoreme zu beweisen, die ihre Namen tragen, dann war mein grö‎ßter Traum, nicht nur verschiedene mathematische Ideen völlig zu verstehen, sondern auch mehr über ihre Herkunft zu wissen, wie sie überhaupt entstanden sind und wie sie sich entwickelt haben“, schreibt Bogdan Suceavă.



    In den Seiten seiner Essaysammlung sucht der Schriftsteller die passende Antwort auf die Frage: Welcher ist der Sinn der Mathematiker in einer beeilten und oberflächlichen Welt?



    Es gibt auch Ecken in der Welt, wo die Logik eine wichtige Rolle spielt. Die Welt braucht Mathematiker, weil sie Menschen braucht, die ethische Kompromisse nicht eingehen, Menschen, die nüchtern bleiben, wenn andere vom Untergang bedroht werden. Sie sind Menschen, die sich immer Fragen stellen, schwierige Fragen, die intellektuelle Anstrengungen benötigen und die andere in die Richtung einer passenden Antwort führen, die einem alles deutlich macht. In den letzten zwanzig Jahren begegnete ich in Rumänien Vergnügung und Oberflächlichkeit. Wir können aber erneut in unsere Vergangenheit blicken, wir können uns die Frage stellen, was wir noch wiedergutmachen können und was wir noch aus dem öffentlichen Raum retten können.“



    Nach Studiumsabschluss an der Bukarester Universität, wo er sein Diplom in Geometrie erhielt, machte er 2002 die Doktorarbeit-Prüfung an der US-Universität Michigan State University, East Lansing. Das ganze Leben dem Mathematikstudium zu widmen, sei für osteuropäische Forscher sehr schwer, sagt Bogdan Suceavă. Für westeuropäische Forscher stelle das ebenfalls eine Herausforderung dar, da manche von ihnen keinen langfristigen Job finden können:



    Für mich wurde es leichter, als ich lernte, was ich zu tun habe. Alles, was ich unterrichte, steht in diesem Buch. Das ist der inhaltsreichste Teil meiner Biographie. In diesem Buch erwähne ich dennoch nur einige der Geometrie-Themen, mit denen ich mich dank der Professoren der Bukarester Universität und später der Michigan State University befasst habe. Es handelt sich aus dieser Perspektive um ein subjektives Buch. Eine Geschichte der Geometrie aus einem subjektiven Sichtpunkt.“



    Der Band Memoiren aus der idealen Bibliothek“ wurde im Verlag Polirom veröffentlicht und ist Teil der Sammlung “Ego-grafii”. Das Buch ist auch im elektronischen Format zu erhalten.



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  • Das Internationale Literaturfestival FILB 2013 in Bukarest

    Das Internationale Literaturfestival FILB 2013 in Bukarest

    An einem der ersten Dezemberabende begann im sogen. Bukarester Bauernclub, der Kulturkneipe des Bauernmuseums, das Internationale Literatur-Festival. Und es ging los mit dem Roman der israelischen Schrifstellerin Zeruya Shalev, Mann und Frau“, der beim Polirom-Verlag in rumänischer Übersetzung erschienen ist. Die bereits nach ihrem Debütroman ‚Liebesleben‘ international anerkannte israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev bietet uns in ‚Mann und Frau‘ eine Meditation über die Eifersucht, den Schmerz und das Aufgeben, von einer bemerkenswerten poetischen Kraft geprägt“, hei‎ßt es in der Rezension des Library Journal. Auch Publishers Weekly hebt die schriftstellerische Leistung von Zeruya Shalev hervor: Der Roman von Zeruya Shalev ist ein ununterbrochener Gewissensfluss, in dem Gesprächsfragmente, Ehestreits und Liebesgeflüster widergegeben werden.“



    Shalev zählte nebst ihrem Lands- und Ehemann Eyal Megged und dem rumänischen Schrifststeller-Ehepaar Cecilia Ştefănescu und Florin Iaru zu den vier Gästen des Literatur-Festivals in Bukarest. Eine der zentralen Fragen, die ihnen gestellt wurden, war, warum das Unglück eher kreatives Potential birgt als das Glück. Moderatoren der Diskussion waren die Schrifstellerin Adela Greceanu und der Journalist Matei Martin.



    Um auf Shalevs Roman Mann und Frau“ zurückzukommen: Die Hauptfiguren Udi und Naama sind zwei Menschen, die miteinander gro‎ß werden. Allerdings kommt es entlang dieses lebenslangen Weges zu einem Bruch in der Kommunikation. Der gemeinsame Alltag neben der Tochter Noga teilt sich in Eifersucht, Wut und Schuld auf. Langsam wird klar, dass die Ehe auf einer sehr zerbrechlichen Grundlage aufgebaut ist; das Bild der jugendlichen Idylle war nichts anderes als die trügerische Hülle eines unerfüllten Familienlebens. Zeruya Shalev erklärte dem Publikum, warum ihr das Unglück beim Schreiben mehr Potential zum Ausschöpfen bietet als das Glück:



    Das Unglück ist kreativer als das Glück. Das Unglück motiviert uns, es löst Veränderungen aus, es bringt die Dinge in Bewegung. Das ist der Grund, warum ich in vielen meiner Bücher von Krisen erzähle. Aber die Krise ist nur der Anfang. Was sie danach auslöst, ist wichtig, nach einer Krise hast du die Möglichkeit, dich zu verändern, dich zu erholen. Eines meiner Ziele als Schriftstellerin ist es, die Charaktere nicht auf ihrem Weg ins Glück zu begleiten, sondern auf dem Weg zu einer positiven Veränderung.“



    Eyal Megged ist Journalist, Dichter und Prosaautor, Professor für kreatives Schreiben, Träger mehrerer bedeutender Literaturpreise, darunter des Macmillan Prize. In der Bukarester Debatte vertrat er einen anderen Standpunkt als seine Ehefrau.



    Ich glaube nicht, dass das Unglück der Inspiration nützt. Wenn ich unglücklich bin, schreibe ich kaum. Das schönste Kompliment, das mir jemals gemacht wurde, stammte von einer krebskranken Leserin meines letzten Bandes ‚End of the Body‘. Sie schrieb mir, dass sie nach dem Lesen des Buches die Motivation fand, um weiterzuleben. Das bedeutet, dass man manchmal, wenn man eine unglückliche Situation beschreibt, dem Leser nicht Schmerz, sondern Glück vermittelt.“



    Die rumänische Schriftstellerin Cecilia Ştefănescu hatte wiederum eine eigene Antwort auf die heikle Frage. In ihren Büchern begegnet man scheinbar öfter dem Unglück als dem Glück.



    Dramatische Situationen schaffen Konflikte und uns bereitet es Freude, an diesen Konflikten teilzuhaben. Unglückliche Situationen bewegen einen dazu, die Maske runterzurei‎ßen und irgendwie aus sich selbst rauszugehen. Manchmal ist man lächerlich, man ist sauer auf sich selbst, meistens versucht man hilflos, jenen Glücksmoment wiederzufinden. Ich habe nicht all meine Illusionen aufgegeben. Aber die Illusion, dass das Glück anhält, musste ich aufgeben. Das Glück ist eine Momentaufnahme, es hält nicht an. Wir würden ungesund, wir würden schrecklich darunter leiden, ständig glücklich zu sein.“



    Ștefănescus Ehemann, Florin Iaru, teilt dieselbe Ansicht. Beim Schreiben ist das Unglück viel produktiver als das Glück, meint er.



    Es ist eine Sache der Grammatik. In der Grammatik ist das Glück begrenzt, es hat nur Adjektive, nur Eigenschaften. Aber wir suchen unser Glück trotz absolut aller Gegebenheiten. Nichtsdestotrotz, und hier beziehe ich mich vor allem auf die Literatur, ist das Glück statisch, es trägt keine Konflikte, also kann es keinen dramatischen Kern entwickeln. Zweitens konsümieren die Leser Unglück, und das freut sie, das befriedigt sie aus ästhetischer Sicht. Wenn das Publikum das Unglück in Büchern sucht, ist das sehr rentabel, und wir, die Autoren, wissen das sehr wohl.“



    Nachdem jeder der anwesenden Schriftsteller für eine der Varianten argumentierte, wurde die Debatte mit ebenso interessanten Fragen fortgesetzt. Welche Vorteile bringt eine Ehe zwischen Schriftstellern? Welchen Anteil haben das Verständnis, der Wettbewerb oder der Neid an einer Beziehung zwischen zwei Menschen, die schreiben? Welche Traumen kann die Literatur in einer Ehe verursachen? Das Internationale Literatur-Festival in Bukarest (FILB 2013) ermöglichte den Literatur-Liebhabern aus Rumäniens Hauptstadt Begegnungen mit wichtigen Namen der zeitgenössischen Literatur aus Gro‎ßbritannien, Israel, Kroatien, Ungarn, Serbien, Jamaika und Rumänien.



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  • FILIT – 1. Internationales Literatur- und Übersetzungsfestival in Jassy

    FILIT – 1. Internationales Literatur- und Übersetzungsfestival in Jassy

    Über 100 Veranstaltungen, 200 Gäste aus der Welt der Literatur und über 12.000 Zuschauer — so lautet die kurze Bilanz des ersten Internationalen Literatur- und Übersetzungsfestivals im ostrumänischen Iaşi (FILIT), das Ende des Monats Oktober stattfand. Das Festival FILIT brachte berühmte Namen der zeitgenössischen Literatur und renommierte Literaturübersetzer in Iaşi zusammen. Zahlreiche Literaturbegeisterte konnten zudem dabei erfahren, wie ein Roman geschrieben wird und wie man zu einem erfolgreichen Literaturübersetzer wird.



    Das Internationale Literatur- und Übersetzungsfestival hat mit der ersten Auflage seinen Platz unter qualitativ hochwertigen Kulturveranstaltungen weltweit bestätigt, sagte der Gründer und Intendant des Internationalen Literaturfestivals in Berlin, einer der grö‎ßten Kulturveranstaltungen europaweit, Ulrich Schreiber. Das rumänische Publikum war ausgezeichnet, die internationalen Medien waren ein wenig verwirrt, sie hätten nicht erwartet, dass eine solche Veranstaltung in Iaşi, einer Stadt von der sie aus diesem Anlass zum ersten Mal hörten, stattfindet“, sagte Ulrich Schreiber. Der Schriftsteller Dan Lungu, Intendant des Festivals FILIT, erklärte am letzten Abend der Veranstaltung:



    Das Festival hat meine Erwartungen übertroffen, die Institutionen haben eine au‎ßergewöhnliche Solidarität mit unserem Projekt gezeigt, das Publikum war sehr zahlreich, die Presse sehr aktiv. Das ist ein Profi-Festival, das auf ein hohes Niveau abzielt und sich einer gro‎ßen Teilnahme erfreut. FILIT hat nicht weniger anzubieten als die berühmten Festivals dieser Art in Europa.“



    Die Schriftstellerin Florina Ilis hat sich über Leseabende und Treffen mit jungem Publikum gefreut:



    Am zweiten Festivaltag sind wir mit Schülern des Gymnasiums ‚Mihai Eminescu‘ zusammengekommen und in Paşcani fand ein Leseabend mit anschlie‎ßendem Rundtischgespräch zwischen Schülern und dem Schriftsteller Radu Pavel Gheo statt. Selbstverständlich habe ich auch an weiteren Veranstaltungen im Rahmen des Festivals teilgenommen, wollte eigentlich allen Events beiwohnen und es tut mir leid, dass ich es nicht geschafft habe. Es gab sehr viele Veranstaltungen, die sehr gut organisiert wurden, und es fiel mir daher sehr schwer, mir nur einige aus dem breiten Angebot der Veranstalter auszusuchen.“



    Der Dichter Mircea Dinescu beteiligte sich auch am Internationalen Literatur- und Übersetzungsfestival in Iaşi:



    Mich hat besonders das zahlreiche und offene Publikum begeistert, das Publikum reagierte mit tiefster Berührung auf meine Gedichte. Solche Treffen sind üblicherweise langweilig und es gefällt mir nicht, das Publikum mit langen Gedichten zu langweilen, diese sind für Leseabende nicht die beste Wahl. Es gibt verscheidene Arten von Gedichten, einige kann man dem Publikum vorlesen, andere soll man lieber zu Hause lesen. Ich finde ganz gut, dass die Veranstalter verschiedene Dichter mit unterschiedlichen Stilrichtungen eingeladen haben.“



    Auch die Schriftstellerin Adriana Bittel war vom Publikum begeistert:



    Meiner Meinung nach war dieses Festival ein gro‎ßer Erfolg, der sowohl der Qualität seiner Gäste als auch dem Interesse des Publikums zu verdanken ist, das alle meine Erwartungen übertroffen hat. Ich habe mich besonders gefreut, zu bemerken, dass bei zahlreichen Gesprächen und Lesungen ein zahlreiches und sehr unterschiedliches Publikum teilnahm. Literaturbegeisterte, die unterschiedlichen Generationen angehören, haben unserer Veranstaltung beigewohnt, um die Schriftsteller kennenzulernen und ihre Bücher zu kaufen. Meiner Meinung nach empfinden die Schriftsteller die grö‎ßte Genugtuung, wenn das Publikum ihnen Interesse für ihre Bücher entgegenbringt. Die Veranstalter dieses Festivals haben eine ausgezeichnete Arbeit geleistet.“



    Da die junge Generation im Mittelpunkt des Festivals stand, hatte sie auch das letzte Wort: Eine aus Schülern gebildete Jury hat das beliebteste Buch des Jahres 2012“ gewählt. Der mit 3.500 Lei (knapp 800 €) dotierte Preis ging an den Roman Omar cel orb“ (Omar der Blinde“) von Daniela Zeca, herausgegeben vom Verlag Polirom. Weitere Romane, die für den begehrten Preis nominiert waren, sind Ochiul căprui al dragostei noastre“ (Das braune Auge unserer Liebe“) von Mircea Cărtărescu, herausgegeben vom Verlag Humanitas, Luiza Textoris“ von Corin Braga, erschienen im Verlag Polirom, Cronicile genocidului“ (Chroniken des Völkermordes“) von Radu Aldulescu, herausgegeben vom Verlag Cartea Românească, und Toate bufniţele“ (Alle Eulen“) von Filip Florian, erschienen im Verlag Polirom.



    Das Internationale Literatur- und Übersetzungsfestival findet statt, weil es ihm die rumänische Literatur wert ist. Das ist eine besonders gute Zeit für die Werke rumänischer Autoren, genauso wie für die in Rumänien produzierten Filme, die sich trotz der schlechten Wirtschaftslage des Landes derzeit eines Riesenerfolgs in Ausland erfreuen“, sagte der niederländische Übersetzer Jan Willem Bos. Die französische Übersetzerin Laure Hinckel zeigte sich ebenfalls von der Qualität der Veranstaltungen besonders beeindruckt:



    Die Initiative dieses Festivals ist lobenswert. FILIT findet nicht in der Hauptstadt Bukarest statt, es erfreut sich keiner finanziellen Unterstützung, für diese Veranstaltungen haben sich so viele Freiwillige eingesetzt und es enthält zahlreiche Programme, die den Wünschen der Leser, insbesondere der jungen Leser nachkommen.“



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  • Der Surrealist Gherasim Luca

    Der Surrealist Gherasim Luca

    Dieses Jahr wird der 100. Jahrestag der Geburt des Avantgarde-Schriftstellers Gherasim Luca gefeiert. In der monatlichen Kulturzeitschrift Dilemateca“ schrieb der Literaturkritiker Petre Răileanu über einen Text, der den Korpus des rumänischen Surrealismus mit einer seiner wesentlichen Schriften vervollständigt“ — es handelt sich um die Entdeckung des rumänischen Manuskripts von Gherasim Lucas Der passive Vampir“. Bislang ging man davon aus, dass Gherasim dieses Werk ausschlie‎ßlich auf frazösisch geschrieben hatte. Man kannte nur die urprüngliche französiche Fassung: Le Vampire passif, herausgegeben 1945 in Bukarest vom Verlag Editions de l’Oubli“. Das in rumänischer Sprache ausgearbeitete Manuskript trägt eine besondere Wichtigkeit für die Analyse literarischer Werke von Gherasim Luca.



    Der als Salman Locker geborene und später als Gherasim Luca bekannt gewordene Schriftsteller wurde in Bukarest in einer jüdischen Familie geboren. Sein Vater, Berl Locker, war Schneider und starb 1914. Luca war in vier Sprachen flie‎ßend: Jiddisch, Rumänisch, Deutsch und Französich.



    1938 begann er häufig nach Paris zu reisen. Dort schloss er sich schnell der surrealistischen Strömung an. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die darauffolgende Verstärkung des Antisemitismus in Rumänien zwangen den Schriftsteller ins Selbstexil. Im Zeitraum 1945-1947 gründete er in Bukarest eine Gruppe surrealistischer Schriftsteller, der gro‎ße Namen der rumänischen Literatur angehörten: Gellu Naum, Paul Păun, Virgil Theodorescu und Dolfi Trost. Kurz danach beginnen die Schriftsteller, Gedichte in Französisch zu veröffentlichen. Gherasim Luca gilt als Erfinder der Kubusmanie und zusammen mit Dolfi Trost als Autor der berühmten Manifestschrift Dialectica dialecticii/Die Dialektik der Dialektik“. Der Schriftsteller, der in seinem Heimatland Rumänien ständig verfolgt wurde, flieht 1952 aus dem Land und lässt sich in Paris nieder.



    Gherasim Luca begang am 9. Februar 1994 Selbstmord. In den literarischen Kreisen seiner Zeit wurde er auch unter den Namen Zolman Locker, Gherashim Luca, Costea Sar und Petre Malcoci bekannt. In der Weltliteratur bleibt er als renommierter Theoretiker des Surrealismus und Dichter, dessen literarischen Ideen oftmals von Gilles Deleuze und Félix Guattari zitiert wurden. Als junger Schriftsteller schlioss er sich der Avantgardebewegung an und galt als wesentliches Mitglied der literarischen Gruppe Alge“ in den 1930er Jahren. Später schloss er sich in der zweiten surrealistischen Welle der von Gellu Naum, Victor Brauner und Jack Herold gebildeten Gruppe an.



    Gherasim Luca macht aus dem Passiven Vampir ein Wahrzeichen seines lyrischen Universums. Es kommen Vorschläge und Einflüsse aus Autoren zusammen, die in der rumänischen Phase seines Werks ständige und nachdrückliche Referenzen darstellen: Sade, Lautréamont, Rimbaud, Huysmans, Breton. Diese werden mehr oder weniger im Text erwähnt.“ Diese Worte stammen aus der Einleitung zum Band Der passive Vampir von Gherasim Luca, der beim Vinea-Verlag vorbereitet wird. Prof. Dr. Ion Pop, einer der Exegeten von Gherasim Luca, erläutert das späte Leben und Schaffen des Schriftstellers:



    Es ist wahr, dass Gherasim Luca in seinen letzen Lebensjahren mit einigen Lesungen einen sensationellen Erfolg feierte. Er hatte auch ein wahres Vortragstalent, ich habe ein paar Aufnahmen von ihm gesehen und gehört. Da hatte er einen ganz deutlichen rumänischen Akzent. Er veröffentlichte weiter zahlreiche originelle Bücher und setzte auf eine Art Homophonie, auf eine Art Wortspiel, weil die spielerische Seite der Sprache bei ihm stets eine wichtige Rolle einnahm. Gherasim Luca ist einer der wichtigen Namen der französischen Dichtung und der Mensch hatte ein sehr interessantes Leben. Er pflegte seine Beziehungen zu einigen Freunden in Rumänien. Dennoch lebte er in Isolation und wurde deswegen erst relativ spät bekannt.“



    Um seinen 100. Geburtstag zu feiern, hat das Nationale Bauernmuseum in Bukarest dem surrealistischen Dichter Gherasim Luca einen Abend gewidmet. An dieser Veranstaltung nahm auch der Dichter Valery Oişteanu aus den USA teil.



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  • Internationale Literaturerfolge: Der Dramatiker Csaba Székely

    Internationale Literaturerfolge: Der Dramatiker Csaba Székely

    Anfang des Jahres hat der britische Schriftstellerverband den im zentralrumänischen Târgu Mureş geborenen Dramatiker Csaba Székely mit dem Imison-Preis für Debüt eines Dramatikers geehrt. Im Wettbewerb trat Csaba Székely gegen zwei britische Dramatiker an und wurde somit zum ersten Schriftsteller anderer Staatsangehörigkeit als der britischen, der für den Preis nominiert wurde.



    Den begehrten Preis erhielt Csaba Székely für sein Radio-Drehbuch Do You Like Banana, Comrades?“, das 2009 mit dem Preis für das beste europäische Theaterstück bei dem von der BBC veranstalteten Drehbuchwettbewerb ausgezeichnet wurde.



    Hierzulande wurde Csaba Székely als Kurzprosa-Autor bekannt. Do You Like Banana, Comrades?“ gilt als sein erstes Theaterstück. Der Erfolg ermutigte ihn allerdings dazu, ein anderes Theaterstück zu schreiben. Flori de mină / Bergwerkblumen“, das erstmals in Rumänien inszeniert wurde, ehielt 2011 den Vilmos“-Preis beim Nationalen Theaterfestival im ungarischen Pécs. Bergwerkblumen“ wurde daraufhin das erste Theaterstück einer erfolgreichen Trilogie, die au‎ßerdem die Bühnenstücke Beznă de mină / Bergwerkfinsternis“ und Apă de mină / Bergwerkwasser“ umfasst. Die ersten zwei Stücke sind sowohl in Rumänien als auch in Ungarn inszeniert worden, der letzte Teil der Trilogie soll dieses Jahr in Ungarn inszeniert werden, wo das Bühnenstück übrigens den Dramaturgie-Wettbewerb István Örkény“ in Budapest gewann.



    Viele Auszeichnungen innerhalb so kurzer Zeit und somit eine schnelle Anerkennung seines Talents. In der Audiodatei spricht der junge Dramatiker Csaba Székely über den Umgang mit Erfolg, erklärt die Welt seiner Theaterstücke und verrät seine literarischen Vorbilder.



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  • Buchbesprechungen: Nora Iuga, Mihaela Ursa und ihre jüngsten Veröffentlichungen

    Buchbesprechungen: Nora Iuga, Mihaela Ursa und ihre jüngsten Veröffentlichungen

    Himmelsplatz. Ein Küchentagebuch“ von Nora Iuga und Erotikon. Ein Traktat über amouröse Fiktion“ von Mihaela Ursa sind zwei der interessantesten rumänischen Bücher des vergangenen Jahres.



    Mihaela Ursa ist die Autorin der Bücher Die 80er Jahre und die Versprechen des Postmodernismus“ (1999, Verlag Parallelle 45“), Gheorghe Crăciun — eine Monographie“ (2000, Verlag Aula“) und Schriftstellertopia“ (2005 und eine umgearbeitete Fassung 2010, Verlag Dacia“), die vom Rumänischen Schriftstellerverband und von der Rumänischen Gesellschaft für Allgemeine und vergleichende Literatur mit Preisen ausgezeichnet wurden. Jetzt überrascht Mihaela Ursa ihre Leser mit dem Band Erotikon. Ein Traktat über amouröse Fiktion“.



    Im »Erotikon« versuchte ich einen Wiederanschlu‎ß an Urbedeutungen der Literatur als Erfindung einer Welt und als einfacher Genu‎ß; den strukturellen, ästhetischen oder axiologischen Kommentar lie‎ß ich dabei im Hintergrund liegen“, sagte Mihaela Ursa über ihr neues Buch. Der Literaturkritiker Alex Goldiş notierte, der Band sei um so überraschender, da die Leser kaum erwartet hätten, einen Essay über die erotische Fiktion in Westeuropa zu entdecken. Mihaela Ursa über ihr neuestes Buch:



    Es war mir eine Freude, diese Idee zu verwirklichen; nämlich auf die hochgestellte ästhetische Position des Literaturtheoretikers zu verzichten, um die für unsere Beziehung zur Literatur genauso interessanten und relevanten Ansätze zu entdecken — die Lektüre als Identifikation zum Gelesenen, die Lektüre als Genu‎ß, die Lektüre als Wiedergewinnung der Literatur als Leben, die Lektüre als Erleben der Literatur.“



    Die amouröse Fiktion wird nicht gelesen, sondern visuell verfolgt; das ist der Einfall, der für das Erotikon“ der Mihaela Ursa ausschlaggebend war. Vom altgriechischen erotischen Roman bis zu Autoren wie Anais Nin, Marquez, Nabokow, Bruckner oder Beigbeder hat sich nicht so viel geändert, als wir es glauben würden. Zurück aber zum Titel des Buches: Die Autorin ist der Ansicht, da‎ß das Erotikon“ der Literatur eine der besonderen Kräfte verleiht, die für die visuellen Künste spezifisch sind — das Vermitteln einer ganzen Geschichte in einem einzigen Bild. Es handelt sich um ein Kernbild, um das Zentralbild der klassichen erotischen Fiktion. Was mich interessiert, ist, inwieweit die Liebesliteratur, mehr als andere Literaturformen, Gefahr läuft, nicht als Fiktion gelesen zu werden. Sie wird oft als Leben empfunden, und wird anschlie‎ßend als Existenzmodell übernommen. Wir können nicht aufhören, uns in Liebesangelegenheiten von den am wenigsten glaubwürdigen Lehrern beraten zu lasen — von den Literaturgestalten“, meint Mihaela Ursa. Wie hoch ist aber diese Gefahr? Mihaela Ursa antwortet:



    Es handelt sich um eine sehr gro‎ße Gefahr, das stellte ich bei meinen Uni-Vorlesungen und Seminaren fest. Obwohl ich bei fast jedem Seminar klarstelle, das Thema unserer Diskussion sei die Literatur, und nicht das echte Leben, können sich die Studenten, mit denen ich die Texte bearbeite — und das sind beispielhafte Leser! — sie können sich also nicht davon abhalten, immer wieder abzuschweifen, in die alte Falle zu tappen und die Kontexte in der erotischen Literatur als Musterkontexte zu betrachten, Muster, die sie in ihrem alltäglichen Leben übernehmen könnten.“



    Im zweiten Teil ihres Buches gesteht aber Mihaela Ursa, sie hätte sich von der utopischen Ambition überzeugen lassen, das Unmögliche festzuhalten und die amouröse Fiktion zu definieren. Die Autorin bietet uns eine mögliche Definition: Die amouröse Fiktion stellt immer eine Erotologie dar, eine Pseudo-Erklärung oder sogar eine Ideologie des Eros, einen Identifizierungs-Kodex der wahren Liebe oder der Natur der Liebe.“



    Nora Iuga gilt als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der rumänischen Literatur. Sie debütierte in den 1960er Jahren und hat bis heute mehr als 20 Bände veröffentlicht — Gedichte, Prosa und Tagebücher. Für ihre schriftstellerische Tätigkeit wurde Nora Iuga mit den wichtigsten rumänischen Literaturpreisen ausgezeichnet; ihre Bücher wurden in mehreren Sprachen übersetzt und im Ausland veröffentlicht — in Deutschland, Frankreich, Italien, der Schweiz, Spanien, Bulgarien und Slowenien. 2007 erhielt Nora Iuga den Friedrich-Gundolf-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, eine Auszeichnung, die für die Verbreitung der deutschen Kultur in der Welt verliehen wird. Die rumänische Schriftstellerin hat zahlreiche Werke der Weltliteratur Literatur ins Rumänische übertragen, wobei Autoren deutscher Zunge Vorrang genossen. Schriftsteller wie August Strindberg, E.T.A. Hoffman, Friedrich Nietzsche, Knut Hamsun, Elfriede Jelinek, Herta Müller, Ernst Jünger, Oskar Pastior, Günter Grass, Aglaja Veteranyi, Rolf Bossert sind dank Nora Iuga auch den rumänischen Lesern bekannt.



    Himmelsplatz. Ein Küchentagebuch“ wurde zum erstenmal 1985 veröffentlicht — das ist eines der mutigsten, aber paradoxerweise am wenigsten bekannten Bücher Nora Iugas. Im Vorwort des beim Verlagshaus Max Blecher“ erschienenen Bandes schrieb der Verleger Claudiu Komartin: Bei der Erstveröffentlichung hat das Buch nicht die Aufmerksamkeit genossen, die es verdient hätte. Wir könnten sagen, da‎ß die Autorin sich eine etwas zu exotische Formel für ihr Werk ausgesucht hat. Der anfängliche Titel des Buches, Ein Küchentagebuch“, war sowieso provozierend genug, soda‎ß es der Zensur zum Opfer fiel.“ Aus heutiger Sicht sagte Nora Iuga über ihr Buch folgendes:



    Aus diesem Buch hat die Zensur sehr viele Seiten gestrichen, und diese neue Auflage hat schon etwas Besonderes, das die Leser interessieren könnte. Die erste Fassung dieses Buches habe ich der Dichterin Mariana Marin ausgeliehen, mit der ich eng befreundet war. Selbstverständlich wurden die Bücher während des Kommunismus in der Form veröffentlicht, die die Zensur gut hie‎ß, unsere Worte wurden von der Zensur mit anderen Worten ersetzt, aber die Bücher zirkulierten unter Freunden, die sie in der Originalfassung lasen. Mein Verleger Claudiu Komartin dachte, es wäre interessant, das Buch in einer originellen, doppelten Form neuaufzulegen: Die Wörter, die sich die Zensur ausgedacht hatte, werden mit einem Strich versetzt, und obendrauf wird das Originalwort, das ich gewählt hatte, gedruckt. So erscheint nach vielen Jahren mein Buch wieder in der Originalfassung, und die Zensur wird ihrerseits von mir zensiert.“



    Mehrere Welten treffen aufeinander im bescheidenen Raum der Küche, in dem die Dichterin ihre Existenz unter dem Regime der übereinander gestapelten Empfindungen führt. Die Dichtung der Nora Iuga ist ernst-prosaisch, schneidend-hart, aber gleichzeitig weist sie eine seltene Dreistigkeit der Inspiration auf“, schrieb der Kritiker Valeriu Cristea beim Erscheinen des Küchentagebuchs“. Nora Iuga erläutert erneut:



    Es gibt noch einen Grund, warum ich dieses Buch für etwas Besonderes halte. Darin habe ich zum erstenmal ein anderes schriftsellerisches Prinzip umgesetzt, das Prinzip einer anderen Schreibart, vollkommen unterschiedlich von dem, was zu jener Zeit in der rumänischen Literatur üblich war. Es handelt sich um ein ‚totales Buch‘ — wenn der Autor von einem Gemütszustand in den anderen übergeht, ändert er auch seine Stimme. In einer solchen Situation kann es passieren, da‎ß auch die literarischen Genres wechseln. In den Prosafragmenten beschreibe ich des öfteren, was in der Küche so geschieht, und wenn die Empfindungen sehr lyrisch werden, dann lasse ich die Stimme der Poesie erklingen.“



    Zum Schlu‎ß ein Fragment aus dem Band Himmelsplatz. Ein Küchentagebuch“:



    Werde ich wohl die Zeit haben, alles vor diesem Gericht auszusagen, das mich argwöhnisch betrachtet? Werde ich den Mut haben, über meine letzte Zensur hinwegzutreten und alles zu sagen, was sich zum Hören nicht schickt? Habe ich wohl das Recht, meine Gedanken laut auszusprechen, wenn mir die Chance geboten wird, zu schweigen? Meine Herren Geschworenen, wir sprechen nicht dieselbe Sprache. Haben Sie jemals das Heldentum, den Wahnsinn, die Risiken der Freiheit erlebt?“



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