Tag: Literatur

  • Rumänien auf dem Pariser Buchsalon: Über 50 neue Titel vorgestellt

    Rumänien auf dem Pariser Buchsalon: Über 50 neue Titel vorgestellt

    Rumänien, so wie Sie es nie gelesen haben“/La Roumanie, comme vous ne l’avez jamais lue“ — unter diesem Motto stand zwischen dem 16. und dem 19. März die rumänische Präsenz auf dem Pariser Buchsalon. Auf dem Messestand des Rumänischen Kulturinstituts wurden über 50 aktuelle Titel ausgestellt. Die lebendige Literaturszene Rumäniens präsentierte sich auf der internationalen Buchmesse mit über 20 Veranstaltungen. Der Schriftsteller Basarab Nicolescu und Louis Monier, einer der Erfinder der Alta-Vista-Suchmaschine, präsentierten das Album Les Roumains de Paris“ / Die Rumänen in Paris“, erschienen im Verlag Éditions Michel de Maule. Doina Lemny stellte ihre neusten Titel vor: den Briefwechsel zwischen dem rumänischen Bildhauer Constantin Brâncuşi und dem französischen Maler Marcel Duchamp, erschienen im Verlag Éditions Diletca, sowie Brâncusi et Marthe — ou l’histoire d’amour entre Tantan et Tonton“ (den Briefweschel zwischen dem rumänischen Bildhauer und der schweizerischen Tänzerin Marthe Lebherz, erschienen im Verlag Fage Éditeur).



    Auf dem internationalen Buchsalon präsentierte das Rumänische Kulturinstitut auch den jüngsten Roman der moldauischen Schriftstellerin Tatiana Ţîbuleac, der in französischer Übersetzung im Verlag Éditions des Syrte erschien: L’Été où maman a eu les yeux verts“ / Der Sommer, in dem meine Mutter grüne Augen hatte“. Der kleine, aber aussagekräftige Roman setzt eine Prosaautorin in der europäischen Literaturszene durch, von der ich die grö‎ßten Erwartungen habe“, schreibt der Literaturkritiker Radu Vancu über den Roman, der im Verlag Cartier erschien. Über die französische Übersetzung ihres Romans, sagte die Autorin:



    Die französische Übersetzung meines Werkes habe ich nicht nur aus Stolz erwartet. Ich möchte sehen, wie diese osteuropäische Geschichte vom französischen Publikum wahrgenommen wird. Auch die Wahrnehmung durch das brasilianische Publikum weckt meine Neugier, denn bald soll der Roman auch ins Portugiesische übersetzt werden. Weitere ausländische Verlage haben sich ebenfalls bereit gezeigt, den Roman zu veröffentlichen. Jede Übersetzung verleiht meinem Werk ein neues Leben und das bewegt mich sehr. Als ich diese Geschichte zu schreiben begann, wusste ich, dass sie die Form eines Romans annehmen wird. Es handelt sich um die Geschichte einer Frau, die ich vorigen Sommer kennenlernte. Sie hat mich stark beeindruckt. Beim Schreiben stellte ich fest, dass ich nicht mehr aufhören konnte und dass verborgene Ideen, die ich im Kopf hatte, in dieser Geschichte eine Stimme bekommen können. Dann habe ich mir gesagt: Ich muss weitermachen. So viele Sachen wollte ich schon lange zum Ausdruck bringen, hatte aber nie die Gelegenheit. Dieses Buch hat mir die Chance gegeben. Nachdem ich das Buch fertigschrieb, fühlte ich, dass dieses Buch zu schreiben und all diese Sachen zum Ausdruck zu bringen, mir gut getan hat.“




    Die ausgebildete Journalistin lebt seit 2008 in Frankreich. Der Roman Der Sommer, in dem meine Mutter grüne Augen hatte“, der in Paris spielt, habe ihr die Chance gegeben, ein neues Leben zu beginnen. Wir haben die Autorin gefragt, wie sie ihr Verhältnis zu ihrer Muttersprache beurteilt:



    Die rumänische Sprache habe ich, im Gegenteil zu meinem Heimatland, nie verlassen. Selbst wenn ich auf Rumänisch geschrieben habe und das Rumänische als meine Muttersprache betrachte, kann ich sagen, dass ich es erst jetzt besser verstanden und vertieft habe. Jetzt, zehn Jahre seitdem ich mein Heimatland verlassen habe, kann ich sagen, dass ich meine Muttersprache mehr liebe. Mein Heimatland Republik Moldau habe ich eigentlich nie hinter mir gelassen, ich wollte aber, dass meine Romane nicht dort spielen und nicht mehr um moldau-bezogene Themen kreisen. Uns steht als Schriftsteller eine Vielfalt an Themen zur Verfügung.“




    Der Theaterkritiker George Banu hat auf der internationalen Buchmesse mit Marie-Noëlle Semet über seinen Roman Les Portes au coeur de l’intime“ gesprochen. Die rumänische Version des Bandes ist voriges Jahr im Verlag Nemira erschienen. 2015 jährte sich der Geburtstag des Dichters Gellu Naum zum 100. Mal. Das Rumänische Kulturinstitut widmete dem Dichter auch eine Lesung: Gellu Naum 100.

  • Aktionsgruppe Banat: Deutschsprachige Schriftstellergruppierung von Securitate zerschlagen

    Aktionsgruppe Banat: Deutschsprachige Schriftstellergruppierung von Securitate zerschlagen

    Hinter dem Namen Aktionsgruppe Banat“ steckt eine Gruppe deutschsprachiger Literaturschaffender aus Westrumänien. Sie erschien 1972 als Literaturkreis an einem Gymnasium in der Banater Stadt Sânnicolau Mare — deutsch Gro‎ßsanktnikolaus. Der Gruppe gehörten neun Gründungsmitglieder an. Hintergrund war die nach 1960 eingetretene Entspannung der Zensur. Im April 1972 erschien in der deutschsprachigen Neuen Banater Zeitung“ aus Timişoara/Temeswar ein Artikel mit der Meinung junger Schriftsteller über die Literatur und die gesellschaftlichen Zustände sowie die Situation junger Menschen in Rumänien. Sehr schnell etablierte sich die Gruppe als nonkonformistische Vereinigung, die die Gesellschaft — und somit auch das Regime von Nicolae Ceauşescu — kritisch hinterfragte.



    Der Historiker Corneliu Pintilescu vom Geschichtsinstitut George Bariţiu“ in Cluj/Klausenburg findet, dass die Gruppe schon von Anfang Einfluss hatte — die Probleme mit der Zensur waren differenzierter, weil sich die Autoren auf humoristische Weise und aus marxistischer Perspektive ausdrückten. Die Gruppe war in Timişoara und anderen Städten im Banat zwischen 1972 und 1975 aktiv, aber der Nachhall war gro‎ß und erfasste auch die Arbeit von Autorinnen und Autoren wie Herta Müller“, so Pintilescu. Sie und andere Schriftstellerkollegen waren zwar nicht Mitglieder der Gruppe, standen aber unter ihrem Einfluss und erfanden sich unter anderen Labels wieder.



    Besonders an der Aktionsgruppe Banat ist, dass sie sich im westlichen kritischen Marxismus verortete und eine Emulation des 1968er Geistes an den westlichen Universitäten versuchte, sagt der Historiker. In vielen Texten übten sie vor allem durch ausgeklügelte Wortspiele eine verschleierte Kritik am real existierenden Sozialismus im Rumänien der Jahre 1970–1980. Für den Geheimdienst Securitate war der Umgang mit dieser Art von Kritik aus marxistischen Positionen eine sehr komplizierte Herausforderung. Die Agenten behielten die Autoren zwar im Auge, nahmen sie fest und verhörten sie, lie‎ßen aber dennoch eine relativ reiche literarische Tätigkeit zu. Der staatliche Verlag Kriterion veröffentlichte viele ihrer Texte, was auf dieses doppeldeutige Verhältnis zum Regime hindeutet. Und interessanterweise durften sie auch eine Beziehung zu marxistischen Medien in der BRD und in Österreich pflegen. In den 1970er Jahren veröffentlichten sie in vielen linken westlichen Medien. Der Umgang der Geheimpolizei mit der Aktionsgruppe Banat ist sehr aufschlussreich, glaubt der Historiker Corneliu Pintilescu. Es gibt zwar bestimmte Partikularaspekte des Falles Aktionsgruppe Banat, aber insgesamt zeigt er doch klar vor, wie sich der Umgang des Regimes und der Securitate mit den Intellektuellen gestaltete — er widerspiegelt den Wandel der Methode, Technik und Politik der Geheimdienste“, meint Pintilescu.



    Ein gutes Beispiel dafür ist die Situation von William Totok, der heute in Berlin lebt. 1971 wurde er von dem Geheimdienst festgenommen und verhört, weil er einen Brief an Radio Freies Europa geschickt hatte. Doch am Ende der Ermittlungen lie‎ß ihn die Geheimpolizei laufen, weil sie den Vorfall als weniger schwer einstufte. Er musste sich nur die Kritik seiner Kollegen bei einer Sitzung des Jugendverbands der Partei anhören. In den 1980er Jahren kam es bei ähnlichen Verfahren im Zusammenhang mit der Aktionsgruppe Banat dafür schon zu Verurteilungen. Wir haben es also zu tun mit einem Wandel von Samthandschuhen zu repressiven, gewaltsamen Methoden, sagt der Historiker.



    Interessant ist, dass die Geheimpolizei anfangs mit den Texten nichts anfangen konnte — sie heuerte andere Literaten an, um sie zu entziffern. Die Geheimdienste spezialisierten sich auf Literaturdeutung — und Historiker spotteten schon über eine Polizeiästhetik“. Humor konnte schwerer politisch angekreidet werden, so viel kapierte auch die Securitate, die bei Totok die Gelegenheit am Schopf packte, ihn zur Mitarbeit als Spitzel zu überzeugen, berichtet Corneliu Pintilescu. William Totok wurde IM Thomas; er geht durch alle drei Zustände, die jemand im Verhältnis zur Geheimpolizei annehmen konnte. Er wurde überwacht, verhört und akzeptierte, zu bespitzeln“, so Historiker Pintilescu, dessen Einlassung nach die Geschichte komplizierter ist.



    Die Securitate wusste, dass jemand Ende der 1960er Jahre aus Gro‎ßsanktnikolaus Briefe an den Sender Freies Europa schickte — aber sie wusste nicht, wer das war. Sie ermittelte und stie‎ß auf Totok, weil dessen Mutter das in einem Brief an eine Drittperson eröffnete. Totok wurde dann verhaftet, verhört, die Securitate lie‎ß ihn aber danach in Ruhe. Als er Mitte der 1970er Jahre an Begegnungen der Aktionsgruppe Banat aktiv teilnahm, wurde die Securitate wieder auf ihn aufmerksam und drehte ihn zum Spitzel um. Aber er schenkte seinen Kameraden reinen Wein ein, so dass sie wussten, woran sie waren. Die Aktionsgruppe Banat wurde schlie‎ßlich zerschlagen, ihre Mitglieder ins Exil gezwungen. Ihre Mitglieder sind heute noch in Deutschland als Autoren und Übersetzer tätig — und Herta Müller gewann sogar den Literatur-Nobelpreis.

  • Rumänien. Schwerpunktland der Leipziger Buchmesse 2018

    Rumänien. Schwerpunktland der Leipziger Buchmesse 2018

    Die internationale Buchmesse Leipzig ist eines der wichtigsten und ältesten Events der Medien-und Buchbrache. Etwa 2.600 Aussteller aus 48 Ländern präsentieren auf der Internationalen Buchmesse Neuheiten aus der Buchbranche. In der Eröffnungsrede erinnerte der rumänische Au‎ßenminister Teodor Meleşcanu, dass Rumänien auch vor 20 Jahren den Status des Gastlandes auf der internationalen Buchmesse geno‎ßen hatte. 1998, fast zehn Jahre nach dem Sturz des Kommunismus in Osteuropa, war die rumänische Kultur auf der Suche nach einem Weg, den Imageverlust wettzumachen und sich auf der europäischen und internationalen Szene zu behaupten. 2018, wenn Rumänien auch das 100. Jubiläum der Gründung des modernen Staates feiert und im Vorjar des rumänischen Vorsitzes im Rat der Europäischen Union, zeichnet sich die rumänisch-deutsche Beziehung durch einen starken politischen Dialog und eine enge Zusammenarbeit in der EU und NATO aus, sagte im Anschlu‎ß Teodor Meleşcanu.



    Die rumänische Literaturszene präsentiert sich dieses Jahr in Leipzig zwischen dem 15. und 18. März sowohl mit renommierten Autoren wie Mircea Cărtărescu, Norman Manea, Nora Iuga und Filip Florian als auch mit Namen der neuen rumänischen Literatur wie Lavinia Branişte und Bogdan-Alexandru Stănescu. Auf der internationalen Buchmesse vermittelt Rumänien ein lebendiges Bild seiner zeitgenössischen Literaturszene auch mit 40 Neuübersetzungen, die im deutschprachigen Raum mit der finanziellen Unterstützung des Rumänischen Kulturinstituts erschienen sind. Die Kuratorin des rumänischen Programms in Leipzig Ioana Gruenwald erläutert in einem Interview mit dem Kultursender des öffentlich-rechtlichen Hörfunks Radio România Cultural wie die Auswahl der Titel erfolgte, die in Leipzig präsentiert werden: “Wir stellen eine breite Auswahl an Titeln vor, von bekannten Namen der rumänischen Literaturszene wie Gabriela Adameşteanu, Florin Lăzărescu, Matei Vişniec bis neuen Namen der rumänischen Literatur, wie Lavinia Branişte, deren Roman Null Komma Irgedwas in einem kleinen deutschen Verlag erschienen ist.”



    Unter dem Motto “Zoom in: Rumänien in Leipzig” bringt Rumänien mit über 70 Veranstaltungen dem deutschen Publikum seine lebedinge Literaturszene der Gegenwart näher, einige davon Graniţă în raniţă (“Grenze in der Tasche”): die Sängerin und Komponistin Ada Milea stellt im Konzert ihre Lieder vor und die 2009 Nobelpreisträgerin Herta Müller spricht über die poetische und politische Kraft ihrer Texte; mit gro‎ßem Interesse wird auch der rumänisch-deutsche Abend der Poesie mit 12 Dichtern und Dichterinnen, “Die Welt betrachtet durch den Vers” erwartet. Der Abend wird von der Musik von Saşa Liviu Stoianovici und einem Rundtischgespräch über die Zukunft der Literaturübersetzungen begleitet.


  • Dichterin Nora Iuga mit Spiegelungen-Preis in München geehrt

    Dichterin Nora Iuga mit Spiegelungen-Preis in München geehrt

    Ende 2017 hat die Dichterin und Literaturübersetzerin Nora Iuga den deutschen Spiegelungen-Preis für Lyrik erhalten. Die Auszeichnung wurde der rumänischen Literatin vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas verliehen. Die Dichterin nahm den Preis bei der Universität Ludwig Maximilian in München im Beisein eines ausgewählten Publikums in Empfang. Es war nicht zum ersten Mal, dass sich Nora Iuga der Anerkennung des deutschen Publikums erfreute. 2007 erhielt sie den Friedrich-Gundolf-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Damit wurde ihren Beitrag zur Vermittlung der deutschen Kultur im Ausland anerkannt. 2015 wurde Nora Iuga mit dem deutschen Verdienstorden im Rang eines Kavaliers geehrt.



    Die Lyrik Nora Iugas steht sowohl vor als auch nach den siebziger Jahren unter dem Zeichen der Neoavantgarde und ihrer wichtigen Erfahrung in der Lektüre, die es für sie möglich machte, die universelle Lyrik in sich aufzunehmen. Dieser Aspekt ist in ihren älteren Werken leicht erkennbar, die in einem umfassenden Band zusammengefasst werden: »Das Herz wie die Faust eines Boxers«, der Teil der Anthologie »Gefährliche Launen« in der Übersetzung von Ernest Wichner ist. Auch in ihren späteren Werken, »Der nasse Hund ist eine Weide«, »Feier in Montrouge«, »Hör, wie die Klammern weinen« geht sie entschlossen ihren eigenen lyrischen Weg. Sie lässt in unkonventionellen lyrischen Elementen ihre Laune in einem gewissen Moment und gro‎ße Begebenheiten der Welt ineinander verschmelzen; morgens, wenn sie aufsteht, schreibt sie komische Ausdrücke auf, die ihr einfallen, sie wird regelmä‎ßig von frappanten Syntagmen und sinnlosen Lautkombinationen überrascht, sie kann aber sehr gut zwischen Meinung und Realität, zwischen dem Alltag und dem strahlenden Sinn des Symbols unterscheiden“, sagte der Schriftsteller, Literaturhistoriker und Übersetzer Joachim Wittstock in der Laudatio bei der Preisverleihung in München.



    Der neueste Gedichtband von Nora Iuga, netter als dostojewski“, erschien voriges Jahr im Verlag Polirom und wurde von der Dichterin zusammen mit Angela Baciu geschrieben. Wie die Autorinnen sagen, handele es sich weder um Lyrik noch um Tagebuch und Essay, sondern um ein Kaffeekränzchen zwischen zwei Freundinnen. Der Band weist starke Dada-Merkmale auf und kann als ambitioniertes Projekt betrachtet werden, die Avantgarde wiederzubeleben. Nora Iuga:



    Das Wort schafft eigentlich den Gedanken. Das ist, was ich bei der Zusammenarbeit mit Angela Baciu entdeckt habe. Was mich bewog, diesen Band zu schreiben, war die Liebe für Avantgarde. Da ich die Avantgarde erwähnte, möchte ich noch sagen, dass ich einmal in Deutschland zu einer Sendung von Radio Kultur Berlin eingeladen wurde. Der Journalist ging das Thema an, inwieweit sind die rumänischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie die rumänische Literatur in Deutschland bekannt. Ich habe ihn meinerseits gefragt, ob er von Mihai Eminescu gehört habe; er antwortete, Eminescu sei überhaupt nicht bekannt in Deutschland. Genau dasselbe kann man über rumänische Dichter der Zwischenkriegszeit sagen. Wie ich herausgefunden habe, sind in Westeuropa Dichter wie Tristan Tzara, Gherasim Luca und Gellu Naum hingegen bekannt. Dann wurde mir klar, wieviel die rumänische Literatur der Avantgarde verdankt. Zusammengefasst ist das die Geschichte dieses Bandes: Zugrunde liegt meine Liebe und mein Appetit für die Avantgarde. Diesen Band verdanke ich auch dem Treffen mit Angela, die mich dazu ermutigte, mitzumachen.“




    Der zweisprachige Band (rumänisch-englisch erschienen) wird von Ion Barbu illustriert. netter als dostojewski“ besteht aus einem umgangssprachlichen Dialog im schnellen Tempo, in dem die Wortspiele, die politische Satire und die Bemerkungen über den Alltag nicht fehlen.

  • Autor Bogdan Suceavă: „Ganze Menschen brauchen noch Literatur“

    Autor Bogdan Suceavă: „Ganze Menschen brauchen noch Literatur“

    Bogdan Suceavă hat gerade im Prestige-Verlag Polirom in Iaşi einen neuen Band veröffentlicht — Eine Geschichte der Lücken: über verlorene Manuskripte“ hei‎ßt sein neues Buch. Von Aristoteles bis Hemingway gibt es eine ganze Geschichte der endgültig verlorenen Manuskripte, von denen man ausgeht, dass sie eine Revolution in Literatur, Philosophie, Mathematik oder Physik hätten ansto‎ßen können. Wie tragisch ist der endgültige Verlust eines Manuskripts? Was ist, wenn der Autor auch andere unbezahlbare Werke geschrieben hat?”, fragt sich der Mathematiker Suceavă.



    Am Abend des 22. Dezembers 1989, im Kontext der Unruhen, die zum Sturz der kommunistischen Diktatur führten, sah der damalige Mathematikstudent Bogdan Suceavă, wie die Zentrale Universitätsbibliothek in Bukarest in Flammen stand. Niemand wusste, wieso — aber er dachte einfach: So brennt also eine Bibliothek. So muss auch die Bibliothek von Alexandrien gebrannt haben. Das war offenbar ein Auslöser für sein 26 Jahre später erschienenes Buch zum Thema verlorener Manuskripte. Heute ist der Schriftsteller Professor für Mathematik bei der California State University in Fullerton. Bogdan Suceavă hat 13 Prosabücher und mehrere Bände zur Geschichte der Mathematik geschrieben. Dieses Buch brannte ihm anscheinend auf den Fingern:



    Es schien mir, ein notwendiges Buch zu sein — ich wollte in erster Linie mit meinem eigenen Bild der Literatur und mit dem aktuellen Sinn des Romans im Klaren sein. Wir können uns ja fragen, warum wir heute noch lesen, warum wir noch Romane schreiben. Wird die Welt der Zukunft eine sein, in der wir keine Romane mehr lesen? Sterben literarische Genres ganz aus? Geht das Interesse an den klassischen Werten der Literatur zurück? Mir scheint das, kurz gesagt, nicht der Fall zu sein.“




    Denn es wird immer Geschichten und Romane geben, die gebraucht werden, wie auch früher. Bücher, die für unsere Gegenwart relevante Szenen der Vergangenheit nachspielen. Für Suceavă erscheint das Ausfüllen obskurer Momente der Vergangenheit mit gut geschriebenen Geschichten absolut nützlich. Das kann nicht durch Videos oder soziale Medien ersetzt werden. Bestimmte Szenen können nur in Romanen aufgearbeitet werden, glaubt der Schriftsteller. Wenn ein Buch verloren ist, kann vielleicht das Schicksal vom zweiten Teil der Poetik von Aristoteles das vielleicht Beste sein, was dem Stoff passieren kann — dass ein anderer Autor eine Geschichte über die Ruinen der verschollenen Texte schreibt, in diesem Falle Umberto Eco. Die Spekulation über den Hintergrund, vor dem ein Buch verschwunden ist, kann Anlass des Romans sein, schreibt Bogdan Suceavă in seinem Buch.



    Mit den »Namen der Rose« habe ich einfach Glück gehabt, weil ich den Roman mit 17 gelesen habe und erkannte, dass es dort etwas ganz Wichtiges gibt. Und da war noch ein wichtiger Zeitpunkt. Ich bereitete einen Mathematik-Kurs vor und wollte eine Liste der Dinge erstellen, die ich gerne im Kurs behandeln würde. Und da fiel mir auf, wie viele wichtige Werke der Antike fehlen. Ich stellte fest, dass eines der Werke Ciceros fehlt, das St. Augustinus beeindruckte und für den Bildungsweg des jungen Augustinus viel bedeutete. Das tut dann auch weh, auf einem sehr persönlichen Niveau, und man will gerne sehen, was mit dem Gedächtnis der Menschheit passiert ist. Aber das habe ich sehr spät begriffen. Man muss älter werden, um sich die echte Bedeutung dieser Verluste zu vergegenwärtigen. Sie ist mir in den letzten zwei Jahren aufgefallen.“




    Bogdan Suceavă ging in die USA, weil er dort unter einem bestimmten Mentor aus China weiterstudieren wollte. Er promovierte 2002 in Mathematik an der Michigan State University. Doch sein Steckenpferd blieb die Literatur:



    Die Literatur ergänzt uns als Menschen. Ich persönlich brauche sie und es scheint mir, es wäre zu wenig, wenn ich nur technischen Bestreben nachgehen würde. Es wäre so, als ob man verarmen würde. Es gab Jahre, in denen ich nichts geschrieben habe — zwischen 1996-1999, als ich mich für schwere Mathematikprüfungen vorbereiten musste. Es war sehr schwer, drei Jahre lang habe ich nichts geschrieben. Im Mai 1999, ich war 28 Jahre alt, stand ich vor einer schweren Prüfung und befürchtete, nichts mehr pauken und im Kopf behalten zu können. Drei Tage vor der Prüfung fing ich wieder mit dem Schreiben an. Es war ein Moment der Befreiung, ich habe irgendwie gespürt dass ich die Prüfung nicht schaffe, wenn ich nicht den Weg zur Literatur wiederfinde. Ein Befreiungsschlag, wie gesagt — wir müssen ganz sein, und dafür brauchen wir die Literatur.“

  • Matei Vişniec: „Lesen ist wichtig, um kritischen Geist zu bewahren“

    Matei Vişniec: „Lesen ist wichtig, um kritischen Geist zu bewahren“

    Der Ehrenpräsident der Internationalen Buchmesse Gaudeamus, der rumänische Journalist und Dramatiker Matei Vişniec, hat an der Eröffnungsfeier des Buchsalons erklärt, dass Rumänien europaweit auf Kulturebene einen starken Wettbewerber darstellt. Der Schwerpunkt lag dieses Jahr bekanntlich zum ersten Mal bei der Europäischen Union. Bei der Debatte, die beim Messestand Zuhause in Europa“ unter den Stichworten Ein Europa des Theaters und der Schriftsteller — eine wertvolle europäische Kultur als Grundlage Europas“ stattfand, sagte der Dramatiker, Rumänien habe eine Chance und diese Chance hei‎ße Kultur.




    Matei Vişniec wurde in den Achtzigern als Dichter bekannt, dann als Dramatiker, dessen Theaterstücke von der kommunistischen Zensur verboten wurden. 1987 verlässt er sein Heimatland und lässt sich in Frankreich nieder, wo er bei Radio France Internationale als Journalist arbeitet. Seine Theaterstücke in französischer Sprache erscheinen in den Verlagen Actes Sud — Papiers, L’Harmattan, Lansman, Crater, L’Espace d’un instant und sein Name kommt immer öfter auf Plakaten von Theaterstücken in mehr als 30 Ländern vor. In den letzten 30 Jahren wurde Matei Vişniec auch als Prosaautor bekannt. Omul-pubelă. Femeia ca un cîmp de luptă“ (Der Mülleimer-Mensch. Die Frau als Schlachtfeld“), erschienen im Jahr 2006, Cabaretul cuvintelor“ (Das Kabarett der Worte“), erschienen 2012, Sindromul de panică în Oraşul Luminilor“ (Panikstörung in der Stadt der Lichter“), erschienen 2009, Negustorul de începuturi de roman“ (Der Kaufmann für Romananfänge“), erschienen im Jahr 2013, sind nur einige der Romantitel, mit denen Matei Vişniec die internationale Anerkennung als Romanautor gewann. Für die letzteren zwei wurde Matei Vişniec mit dem Preis der Kulturzeitschrift Observator cultural“ und dem Preis Augustin Frăţilă“ für den besten Roman ausgezeichnet. Der Kaufmann für Romananfänge“ erhielt 2013 beim Internationalen Festival für Literatur und Literaturübersetzung (FILIT) im ostrumänischen Iaşi den Preis der Gymnasialschüler für das beliebteste Buch. 2016 erschien der Roman Iubirile de tip pantof. Iubirile de tip umbrelă“ (Liebe in der Art eines Schuhs. Liebe in der Art eines Regenschirms“). Auf der Internationalen Buchmesse Gaudeamus hob der Literaturkritiker Ion Bogdan Lefter die künstlerische Komplexität seines Stils hervor:



    Matei Vişniec ist in erster Linie Dichter, der seine Spur in der europäischen Lyrik hinterlassen und sie auch auf seine dramatischen Werke übertragen hat. Er ist auch Prosaautor vom hohen Rang. Jedes zweite oder dritte Jahr schlägt er einen neuen Roman vor und somit gewinnt er ein neues Publikum für sich. Wenn die Theaterfreunde meistens zahlreicher als die Lyrikfreunde sind, dann bilden die Romanfreunde ohne Zweifel die grö‎ßte Lesergruppe. Ein guter Beweis dafür ist die Veröffentlichung aller Romane von Matei Vişniec in der erfolgreichen Sammlung Top 10+ im Verlag Polirom. Die Prosa von Matei Vişniec trägt ebenfalls das Kennzeichen seines persönlichen Stils, mit dem er in den Achtzigern sowohl in der Lyrik als auch in der Dramaturgie europaweit einen wichtigen Platz einnahm.“




    Auf der Buchmesse Gaudeamus hielt der Dramatiker ein Plädoyer für den Roman:



    Einer der Gründe, warum ich Romane schreibe, ist, dass alle literarischen Genres für mich wie meine Kinder sind, ich liebe alle, egal ob Gedichte, Romane oder Theaterstücke. Mit Gedichten bin ich gro‎ßgeworden, das Theater hat mich gebildet, der Roman hat meinem Werk Stilvielfalt verliehen. Romane habe ich deswegen geschrieben, weil ich mich gewisserma‎ßen frustriert fühlte, dass meine Theaterstücke das Publikum nicht direkt erreichen können, sondern durch irgendwelche Vermittlung. Sie brauchen einen Theaterintendanten, einen Regisseur, Schauspieler und Bühnenbildner. Diese Situation hat mich ein wenig verängstigt, denn es gefällt mir nicht, wenn meine Werke von jemandem abhängen. Ich mag schreiben und somit mein Publikum direkt erreichen. Romane habe ich also auch aus dem Grund geschrieben, eine direkte Verbindung mit meinen Lesern herzustellen.“




    Matei Vişniec hob im Anschluss die bedeutende Rolle der Literatur in der heutigen modernen Welt hervor. In seinem Plädoyer für Lektüre sagte der Dramatiker, die Liebe für Bücher bestimme in starkem Ma‎ße den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft:



    Wer ein Buch in die Hand nimmt, egal ob Gedichte, Theater oder einen Roman, der öffnet in seiner Seele ein Fenster für andere Menschen und der wird selber zum offenen Fenster zur Menschheit, Einbildungskraft und Freiheit. Meiner Meinung nach kann man in jedem Land die Freiheit messen, und ein gutes Messinstrument ist die Fähigkeit der Menschen, die Literatur, die Kunst und das Theater zu lieben. Je mehr Literatur gelesen wird, desto mehr Freiheit spürt man. Wenn wir unsere Kinder von der Notwendigkeit nicht überzeugen, ein Buch zu öffnen und Freunde der Literatur zu werden, gehen wir das Risiko ein, sie in Monster zu verwandeln. Wie ich gerade feststellte, haben viele Lehrer ihre Schüler zur Buchmesse gebracht. Gaudeamus ist eine Buchmesse mit Schwerpunkt auf Bildung und zugleich ein Ort, der uns alle zum Überlegen anregt: Wie werden wir unsere Kinder auch in Zukunft bilden, damit sie Menschen, die denken, bleiben und sich nicht in Verbraucher umwandeln? Heutzutage ist es ganz wichtig, dass wir Bürger mit kritischem Geist bleiben und keine Verbraucher in einer Verbrauchsgesellschaft werden, von der wir lange geträumt hatten, die jetzt aber nicht in die beste Richtung geht.“




    Matei Vişniec ist mehrfacher Preisträger sowohl in Rumänien als auch in Frankreich. In seinem Heimatland wurde er mit dem Preis des Schriftstellerverbands, dem Preis der Rumänischen Akademie sowie des Rumänischen Theaterverbandes UNITER geehrt. In seiner Wahlheimat erhielt er mehrmals den Preis der Presse auf dem internationalen Theaterfestival in Avignon und den Preis des Verbands der Dramatiker (2009). 2016 wurde der rumänische Dramatiker mit dem europäischen Literaturpreis Jean Monnet“ geehrt.

  • Neuer Roman von Florin Chirculescu als Sensation gefeiert

    Neuer Roman von Florin Chirculescu als Sensation gefeiert

    Für viele Literaturkritiker gilt der Roman Der Streik der Sünder“ als einzigartig in der rumänischen Literaturlandschaft. Das 1000-seitige Werk dreht sich um die Geschichte zweier Ärzte, der eine lebt im derzeitigen Bukarest, der andere im Jahr 632. Also das marode Gesundheitswesen Rumäniens gegenüber den orientalischen Düften.



    Einzigartig ist hierbei auch, dass der Autor zum ersten Mal das Buch mit seinem bürgerlichen Namen unterzeichnet, während seine bisherigen Werke unter dem Pseudonym Sebastian A. Corn erschienen sind. Florin Chirculescu unterschreibt allerdings seinen neuesten Roman nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Thorakalchirurg des Universitätskrankenhauses Bukarest. Der Arzt habe laut eigener Angaben den Band als journalistischen Bericht schreiben wollen, nach der drei Jahre langen Arbeit, sei aber ein Roman entstanden:



    Am Anfang wollte ich einen informationsreichen journalistischen Bericht schreiben, dessen Ausgangspunkt die unglücklichen Ereignisse in unserem maroden Gesundheitsbereich darstellen sollten. Das Ganze hat sich aber in eine andere Richtung entwickelt, weil die Figuren, die ich trocken und mit einer gewissen Distanz beschreiben wollte, mit dem Ablauf der Handlung ihr eigenes Leben bekommen haben. So habe ich auch verstanden, dass das soziale Problem, mit dem ich mich befassen wollte nur den Ausgangspunkt für die Beschreibung der gesamten Situation im heutigen Rumänien darstellen könnte. Ich habe nicht lange überlegt, bevor ich mich entschied, ein Bild Rumäniens zu malen, eines Balkanlandes, dessen Schicksal von seiner geographischen Lage stark beeinflusst wurde. Ich habe meine Ruhelosigkeit in Bezug auf die Zukunft meines Landes zum Ausdruck gebracht. Der Roman enthält also eine starke soziale Komponente, die vom Leben als Ganzes nicht getrennt werden kann. Es handelt sich um das politische Leben und um den kulturellen Hintergrund meiner Gestalten. Aus dieser Sicht kann ich jetzt behaupten, dass sich mein Werk von einem journalistischen Bericht in einen Roman über Rumänien umgewandelt hat und im Anschluss sogar darüber hinaus gegangen ist, denn es befasst sich mit aktuellen Themen in Bezug auf Toleranz und die Fähigkeit, Andersdenkende zu akzeptieren.




    In Buchrezensionen wird Der Streik der Sünder“ als mehrstimmiger Roman beschrieben, in dem die Gegenwart als Synonym der Krise und der Korruption vorkommt und in dem der Autor die Vergangenheit des Orients und die Anfänge der modernen Medizin miteinander verschmilzt. Laut dem Autor sei das Buch auch durch das Bedauern nach dem Verlust einer Mentalität entstanden. Florin Chirculescu:



    Ich bin im kommunistischen Rumänien aufgewachsen. Als ich vor der Wende ein Jugendlicher war, bedeutete mir die Hippie-Bewegung Flower Power sehr viel und ich kann sagen, dass sie auch heute meinen Lebensstil prägt. Diese Bewegung bedeutet nicht, sich ständig querzusetzen und sich stets beweisen wollen, dass man besser als die anderen ist und dass man immer Recht hat. Ganz im Gegenteil, die Vertreter dieser Bewegung wollen die anderen und ihre Standpunkte akzeptieren, was leider in der heutigen Gesellschaft ziemlich selten vorkommt. Das trifft nicht nur auf die rumänische Gesellschaft zu und ich spüre eine gro‎ße Angst vor mangelnder Toleranz. Wegen erbitterter Menschen, die andere Meinungen nicht gelten lassen, entstehen folgenschwere Ereignisse. Es reicht, einen Blick zurück in die moderne Geschichte Rumäniens und Europas zu werfen.“




    Sein Prosadebüt gab Florin Chirculescu 1993 in einer in den neunziger Jahren populären Science-Fiction-Zeitschrift: JSF. Als junger Schriftsteller wurde er mehrmals ausgezeichnet: Rund 40 Preise erhielt der Prosaautor, darunter den europäischen Preis für Debüt bei der SciFi Convention Eurocon in Glasgow im Jahr 1995 und zwei Jahre später den gro‎ßen Preis des Verlags Nemira.

  • Internationales Literaturfestival in Temeswar (FILTM): Mittel- und Osteuropa im Rampenlicht

    Internationales Literaturfestival in Temeswar (FILTM): Mittel- und Osteuropa im Rampenlicht

    Zum ersten Mal gab es beim Literaturfestival in Temeswar auch einen Gedicht-Marathon, an dem Autoren aus Mittel- und Südosteuropa beteiligt waren. Und ferner fand auch das sogenannte Literary Death Match statt, zum ersten Mal stieg die Literatur also in den Ring. Die Geschichte zwischen Erinnerung und Fiktion“ lautete eine der von den Veranstaltern vorgeschlagenen Themen bei der gerade abgeschlossenen Auflage des Festivals. Festivalintendant und Dichter Robert Şerban erklärt die diesjährige Themenwahl.



    Ich glaube, dass eigentlich jeder von uns, der schreibt und liest, mit der Geschichte etwas zu tun hat. Es muss gesagt werden, dass dieses Festival den Zusatz »Im Westen des Ostens / Im Osten des Westens« bekommen hat. Und in dieser Region, in Mittel- und Osteuropa gibt es eine Reihe von Geschichten, die wir kennen müssen. Das sind unsere Geschichten, die Geschichten unserer Nachbarn, Geschichten mit denen wir uns auseinandergesetzt haben und es immer noch tun. Geschichten, die uns kulturell, historisch und letztenendes menschlich geformt haben. Rund um Rumänien gibt es Länder, mit denen Rumänien ständig zu tun hatte, mit denen das Land einen ständigen Dialog führte und es ist extrem wichtig, deine Gesprächspartner kennenzulernen. Und ebenfalls sehr wichtig ist es, die Menschen an unserer Seite zu kennen, vielleicht noch wichtiger als die Menschen auf anderen Kontinenten.“




    Am ersten Festivalabend wurde den Literaturfans in Temeswar die Chance geboten, sich mit zwei der wichtigsten rumänischen Schriftsteller unserer Zeit zu treffen: mit der Schrifstellerin Gabriela Adameşteanu, die am meisten übersetzte lebende Autorin aus Rumänien, sowie mit Ion Vianu, dem Schriftsteller, der sein Schicksal zwischen der Schweiz und Rumänien teilt. Er ist einer der besten rumänischen Psychiater der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und einer der angenehmsten Überraschungen der Literatur der 2000er Jahre, wie Festivalintendant Robert Şerban uns erklärte.



    Wir haben am ersten Abend bewährte Schriftsteller zusammengeführt. Bekanntlich sind Gabriela Adameşteanus Werke die am meisten übersetzten Werke einer rumänischen Schriftstellerin. Sie gab Mitte der 1970er ihr Debüt, war in den 1990ern sehr aktiv in den rumänischen Medien, das hei‎ßt unmittelbar nach der Wende leitete sie das Magazin »Revista 22« und gehörte der Gruppe für Sozialen Dialog an. Was Ion Vianu anbelangt — er war einer der wenigen mutigen Menschen in Rumänien während der Ceauşescu-Ära, einer der wenigen, die sich mit dem Dissidenten Paul Goma solidarisch zeigte. Wegen der sich abzeichnenden Vergeltungsma‎ßnahmen ging er anschlie‎ßend ins Exil in die Schweiz. Es war also ein Abend, der diesen Schriftstellern gewidmet war, die über die Geschichte und ihre aktuellen Sorgen gesprochen haben, ein Abend, der von der Schriftstellerin Adriana Babeţi moderiert wurde, eine der Kulturpersönlichkeiten, auf die Temeswar stolz ist.




    Am zweiten Abend des Literaturfestivals in Teweswar standen sich folgende Autoren gegenüber: Serhij Schadan, bekannter ukrainischer Dichter und Veteran des Euromaidans, neben dem deutschen Prosaautoren polnischer Herkunft Matthias Nawrat, der Moldauerin Tatiana Ţîbuleac, Autorin eines der besten Romane vom vergangenen Jahr, und schlie‎ßlich Dan Lungu, der am häufigsten übersetzte junge rumänische Autor. Vor ihrer Teilnahme am Festival in Teweswar, wo sie als Offenbarung der zeitgenössischen rumänischen Literatur vorgestellt wurde“, war Tatiana Ţîbuleac beim Internationalen Literatur- und Übersetzerfestival FILIT in Iaşi zu Gast, wie sie selbst strahlend erzählte.



    Sowohl das Festival in Iaşi als auch das in Temeswar waren für mich Feiertage. Neben der unerwarteten Überraschung, eingeladen zu werden, war es für mich auch eine gro‎ße Freude, soviele Menschen zu treffen, die ich nur aus ihren Büchern kannte und auch zum ersten Mal als Schriftstellerin dabei zu sein. Bislang war ich nämlich immer nur als Journalistin anwesend. Beim Festival in Temeswar, das weniger gut besucht war als FILIT, hat mir die Organisationsarbeit besonders gut gefallen. Die Diskussionsrunden, bei denen ich dabei war und an denen ich mich beteiligt habe, waren wichtig für mich als Schriftstellerin; ich konnte herausfinden, wo ich gerade stehe. Ebenso die Gespräche nach dem Festival mit Ion Vianu, mit Gabriela Adameşteanu. Diese Menschen haben Bücher geschrieben, die als echte Literaturstunden gelten könnten. Als ich unlängst Gabriela Adameşteanus Werke las, stellte ich fest, dass sie vor Jahren von Dingen schrieb, die uns heute neu erscheinen. Deshalb ist es wichtig, an der Literatur und dem Kontext angeschlossen zu sein und zu verstehen, dass die Themen sich wiederholen, nur schreiben wir auf unterschiedliche Art und Weise darüber.“




    Kurz und intensiv, Tatiana Ţîbuleacs herrlicher Roman ist der Durchbruch einer Prosaautorin, an die ich die grö‎ßten Erwartungen stelle“ — schreibt Radu Vancu über den Roman Der Sommer, in dem meine Mutter grüne Augen hatte“, der beim Verlag Cartier erschien. Tatiana Ţîbuleac sprach in Temeswar auch über die Entstehungsgeschichte des Romans:



    Als ich anfing, zu schreiben, dachte ich nicht, dass es ein Buch werden würde. Ich begann die Geschichte einer Frau zu schreiben, die mich vergangenen Sommer beeindruckt hat. Ich habe aber festgestellt, dass je länger ich schrieb, es desto schwieriger wurde, aufzuhören, und dass sehr viele Dinge aus meinem Kopf, die auf einer Art verborgener Regale gestanden hatten, auf einmal in die Geschichte mit einflie‎ßen. Und da habe ich mir gedacht, weiter zu machen, um den Ausgang zu erfahren. Und irgendwann wusste ich, dass in diesem Buch bis ans Ende gehen muss. Es gab viele Dinge, die ich lautstark sagen wollte, aber bislang hatte ich noch nicht die Form oder die Gelegenheit oder den richtigen Zeitpunkt dafür gefunden. Und dieses Buch hat mir die Gelegenheit, den Platz dafür geboten. Und nachdem ich es fertig geschrieben hatte, bin ich mir bewusst geworden, wie gut es auch mir getan hatte, diese Dinge offen anzusprechen.“




    Der Roman von Tatiana Ţîbuleac wird als durchschlagender Publikums- und Kritikererfolg im kommenden Jahr auch beim französischen Verlag Syrtes erscheinen.

  • FILIT 2017: Internationales Literaturfestival in Jassy bei fünfter Auflage

    FILIT 2017: Internationales Literaturfestival in Jassy bei fünfter Auflage

    Vom 4. bis 8. Oktober findet im nordostrumänischen Iaşi das Internationale Festival für Literatur und literarische Übersetzung (FILIT) statt, das dieses Jahr seine 5. Auflage erreicht hat. Ehrengast des FILIT-Festivals 2017 ist der französische Schriftsteller chinesischer Abstammung Gao Xingjian, der im Jahr 2000 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Die Festivalorganisatoren hatten auch einen FILIT-Abend mit Swetlana Aleksijewitsch, der Nobelpreisträgerin für Literatur 2015, geplant, aber sie musste leider aus gesundheitlichen Gründen absagen. Mehr über die diesjährigen FILIT-Veranstaltungen vom Schriftsteller Florin Lăzărescu, einem der Initiatoren des Festivals:



    Ich freue mich sehr, dass all diese gro‎ßen Namen wie ein Publikumsmagnet wirken. Wir haben aber mehr als 100 Veranstaltungen vorbereitet, die sehr viel zu bieten haben. Sie sind genauso spektakulär und interessant. Da wir gerade vom Nobelpreis für Literatur sprechen, möchte ich auch erwähnen, dass bei der diesjährigen Auflage des FILIT-Festivals mindestens drei besonders hochgeschätzte Schriftsteller anwesend sind: Mircea Cărtărescu aus Rumänien, Olga Tokarczuk aus Polen und Nurruddin Farah aus Somalia. Am diesjährigen Festival beteiligen sich sehr viele interessante Autoren, die mit wichtigen Preisen ausgezeichnet und in 30 bis 40 Sprachen übersetzt wurden. Ihre Bücher sind bei den wichtigsten rumänischen Verlagen erschienen. Vesna Goldsworthy aus Serbien und Lisa Strømme, die in England geboren wurde und in Norwegen lebt, sind auch bei FILIT dabei. Ein Liebling des Publikums ist der Engländer Jonathan Coe, der in Rumänien gern gelesen wird. Als wir das Treffen mit Jonathan Coe angekündigt hatten, waren die Leute ganz aus dem Häuschen.“




    Nach der 2013-Auflage des Internationalen Festivals für Literatur und literarische Übersetzung in Iaşi schrieb die spanische Zeitung El Pais, FILIT sei bereits bei seiner 1. Auflage das wichtigste Literaturfestival in Osteuropa, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung war der Ansicht, in Rumänien habe es noch nie ein Literaturfestival von solchem Format und europäischem Niveau gegeben. Dieses Jahr können die Literaturliebhaber im FILIT-Haus mit Simona Antonescu, Ioana Bradea, Ruxandra Cesereanu, Andrei Crăciun, Codrin Liviu Cuţitaru, Tudor Ganea, Adrian Georgescu, Ioan T. Morar, Andrei Oişteanu, Marius Oprea, Dora Pavel, Mircea Pricăjan und Bogdan-Alexandru Stănescu zusammenkommen. Fünf Tage lang werden im Haus der Dichtung Linda Maria Baros, Lavinia Bălulescu, Emil Brumaru, Rita Chirian, Dan Coman, Teodora Coman, Ana Donţu, Vlad Drăgoi, Mugur Grosu, Ştefan Ivas, Claudiu Komartin, Ştefan Manasia, Vlad Moldovan, Andrei Novac, Cosmin Perţa, Tara Skurtu (USA), Robert Şerban, Răzvan Ţupa, Mihail Vakulovski und Paul Vinicius den Poesieliebhabern Rede und Antwort stehen. Die im Ausland lebenden rumänischen Schriftsteller Jan Cornelius und Dana Grigorcea beteiligen sich an Sonderevents. Dieses Jahr gibt es auch eine Neuheit: FILIT eröffnet zwei neue Häuser. Dazu der Festivalmanager und einer der FILIT-Gründer, Lucian Dan Teodorovici:



    Es handelt sich um zwei neue Projekte, das Fantasy-Haus und das Haus der Kindheit. An den Veranstaltungen in den zwei neuen Häusern beteiligen sich mehrere rumänische Autoren. Eine weitere Neuheit ist die Art und Weise, wie wir die Ausstellungen des Nationalen Literaturmuseums Iaşi präsentieren. Das Haus Pogor hat vier Ausstellungssäle, und jedes Jahr werden wir in diesem Haus vier verschiedene Ausstellungen zum selben Thema veranstalten. Für die diesjährige FILIT-Auflage haben wir das Museum für die Geschichte der Juden in Iaşi vorbereitet. Die jüdische Gemeinde in Iaşi hat eine lange, reiche Geschichte — Anfang des 20. Jh. stellte die jüdische Gemeinde in Iaşi ein Drittel der Bevölkerung dar. Es folgte aber die Tragödie der Juden in Rumänien, wofür wir die Verantwortung übernehmen und der wir nun gedenken.“




    Das Festival-Feeling ist aber das Wichtigste beim FILIT, sagte der Schriftsteller und Festival-Initiator Florin Lăzărescu:



    Am FILIT nehmen Zigtausende Menschen teil, die gesamte Gemeinde ist daran interessiert, und das ist einfach gro‎ßartig. Auch letztes Jahr, als unser Festival etwas kleiner war, hatten wir ein Publikum von über 10.000 Menschen. Das ist, meiner Meinung nach, der grö‎ßte Erfolg des FILIT-Festivals — es bildet das Publikum aus. Unser Festival ist eine enorme Kampagne für Lektüre — nach FILIT haben die Leute eine andere Beziehung zu Büchern. Tausendmal habe ich gehört: ›Vor FILIT hatte mein Kind kein Interesse fürs Lesen, und jetzt kauft er sich selbst Bücher.‹ Das geschah, weil die Kinder und die Jugendlichen einen direkten Kontakt mit den Autoren hatten und sie einfach spektakulär fanden. Dieses Jahr bringen wir ein FILIT-Event in ein Gymnasium in unserem Landkreis. Die Lehrerin, mit der wir das organisiert haben, hat uns angerufen und gesagt, die Schüler seien ganz aufgeregt und würden sich darauf freuen, weil sie noch nie einen Schriftsteller gesehen hätten. In Iaşi haben wir bereits eine Art Tradition, wir besuchen zehn Gymnasien, und die Schüler haben schon bescheid gesagt, welche Autoren sie am liebsten treffen möchten. Sie haben sich mit den Schriftstellern angefreundet, sie sprechen auf Skype mit ihren Lieblingsautoren und organisieren die Veranstaltungen, wie es ihnen gefällt.“




    Die 5. Auflage des Internationalen Festivals für Literatur und literarische Übersetzung in Iaşi (FILIT) findet unter der Schirmherrschaft der Vertretung der Europäischen Kommission in Rumänien statt. Nach den Auflagen 2014 und 2016 ist das die dritte Zusammenarbeit, bei der gemeinsame Fachveranstaltungen im Literaturbereich zur Förderung der kulturellen Diversität organisiert werden.




    Deutsch von Daniela Cîrjan

  • Stadterkundungen: Bukarest durch Geschichte, Literatur und Street Art entdeckt

    Stadterkundungen: Bukarest durch Geschichte, Literatur und Street Art entdeckt

    ARCEN und Interesting Times Bureau sind zwei Kulturvereine, die uns einladen, Bukarest mittels Stadtführungen zu entdecken. Dabei erfährt man mehr über die Stadt in der Zwischenkriegszeit, über die Geschichte unterschiedlicher Gebäude und über das Leben im Kommunismus. Edmond Niculuşcă, Vorsitzender und Gründer von ARCEN, dem Rumänischen Verein für Kultur, Bildung und Normalität, glaubt, dass die Menschen sich mehr für die Stadt interessieren würden, wenn sie ihre Geschichten kennen würden. Deswegen wurde auch das Projekt ARCEN ins Leben gerufen, als er noch Schüler der Zentralen Schule in Bukarest war.



    ARCEN versucht die Bewohner näher an ihre Stadt zu bringen, an die subjektive Stadt, an die intime Stadt, an die persönliche Stadt, wie Mircea Eliade sagen würde, durch eine Reihe von kulturellen Routen.“



    Dieses Jahr hat ARCEN zusammen mit dem Französischen Institut in Bukarest die Event-Reihe Eliade 110“ organisiert. Dabei handelte es sich um ein neues Format der kulturellen Route Durch das Bukarest von Mircea Eliade“, ein Projekt, das an ein paar Wochenenden in 2015 mehr als 5000 Teilnehmer zusammengebracht hat. Die von ARCEN organisierten Spaziergänge kombinieren die Architektur und Geschichte alter Bukarester Viertel, die für das Werk und Leben des Schriftstellers Mircea Eliade wichtig sind, mit Geschichten aus seiner Kindheit und Fragmente aus seiner fantastischen Literatur. Edmond Niculuşcă, Vorsitzender von ARCEN, dazu:



    Die Teilnehmer werden in die Geschichte dieser Viertel eingeführt, man erzählt ihnen, wie sich diese bis heute entwickelt haben. All diese Geschichten und Informationen zur Architektur führen wir mit Literatur-Fragmenten, insbesondere mit Fragmenten aus der fantastischen Literatur von Mircea Eliade, zusammen. Wir spazieren zum Beispiel auf der Stra‎ße Popa Soare, da, wo sich die Handlung der Novelle »Im Hof des Dionysos« abspielt und wo Anfang der 1920er Jahre Leana sang. Diese weibliche Gestalt erscheint in vielen fantastischen Novellen von Mircea Eliade.“




    Während sich ARCEN vorgenommen hat, das Erbe und die Geschichten der Stadt aufzubewahren, hat sich Interesting Times Bureau zum Ziel gesetzt, die städtische Kultur und die Stra‎ßenkunst zu fördern. Dafür brauche man ein Publikum, das die Stra‎ßenkunst schon versteht, meint Doru Răduţă von Interesting Times Bureau, und das wären zurzeit überwiegend ausländische Touristen:



    Der Hauptgrund, warum die meisten Gäste ausländische Touristen sind, ist, dass diese die Lektion schon kennen, die interessieren sich, welches das Angebot an Stra‎ßenkunst in einer Stadt ist, und suchen es. Knapp 90% unserer Gäste sind ausländische Touristen. Wir organisieren Stra‎ßenkunst-Führungen auch für Schüler und Studenten, die meisten davon kostenlos, insbesondere währen der Woche — unter den Stichworten »Schule einmal anders«. Natürlich wünschen wir uns ein zahlreiches rumänisches Publikum. Unser Ziel ist es aber, Fonds für Stra‎ßenkunst-Projekte zu sammeln.“




    In Rumänien unterscheiden viele nicht zwischen Graffiti und Stra‎ßenkunst. Das ist auch einer der Gründe, warum die Führungen von Interesting Times insbesondere von ausländischen Gästen geschätzt werden. Andererseits bietet Bukarest ein spezielles Erlebnis im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen. Die Stadt wurde kulturell und touristisch nicht allzu viel gefördert. Durch seine Führung möchte Interesting Times auch die Einstellung der Einwohner und der Behörden ändern. Doru Răduţă berichtet weiter:



    Es ist ein Versuch, Mentalitäten zu ändern, insbesondere die der Menschen, die in Rumänien und, in diesem Fall, in Bukarest wohnen. Zugleich geht es dabei um die Änderung der Mentalität der Unternehmen und der lokalen Behörden. Ich glaube, wir haben zumindest in einem kleinen Ma‎ß an der Änderung dieser Mentalitäten beigetragen. Ich freue mich, dass wir es geschafft haben, in 2017 die Unterstützung einiger Unternehmen zu gewinnen. Zudem haben wir die formelle Unterstützung der lokalen Behörden bekommen, so dass mehr Stra‎ßenkunst entstehen kann. Ich glaube aber, dass wir die Mentalität der Menschen in Bukarest ändern müssen. Ich meine damit zum Beispiel die Hausbesitzer, die Wände zur Verfügung stellen könnten. All diese Sachen brauchen aber Zeit. Ich bleibe jedoch optimistisch und glaube, dass sich die Lage in den nächsten Jahren ändern wird.“

  • Bukarester Buchmesse Bookfest 2017: Politik und Anthropologie im Mittelpunkt

    Bukarester Buchmesse Bookfest 2017: Politik und Anthropologie im Mittelpunkt

    Zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Romans Solenoid“ erschien im Verlag Humanitas ein neuer Band des europaweit berühmten Schriftstellers Mircea Cărtărescu: Landschaft nach Hysterie“ ist eine Sammlung journalistischer Texte, die der Autor in den letzten zehn Jahren geschrieben hatte. Der Roman setzt sich, genau wie ein Briefroman, aus journalistischen Texten zusammen, die aus dem politischen Zusammenhang ihrer Zeit gerissen wurden und heute eine allgemeine, staatsbürgerliche und ethische Bedeutung erhalten. Mircea Cărtărescu erläutert:



    Ich habe es immer schwer bereut, in den sozialpolitischen Journalismus eingestiegen zu sein. Ich habe es damals gemacht, um etwas zu verdienen, denn ich hatte gerade geheiratet und wollte meine Familie unterstützen. In diesen Beruf bin ich dennoch auch aus einem gewissen Komplex eingestiegen: Viele meiner Kollegen waren am Ende der neunziger Jahre schon in diesem Bereich tätig und hatten somit die Möglichkeit, ihre Meinungen frei zu äu‎ßern und Widerstand dem System und der Regierung gegenüber zu leisten, während ich ganz alleine in meinem Elfenbeinturm sa‎ß. Das hat man mir mehrmals offen vorgeworfen, dass ich gegenüber aktuellen Themen, die alle beschäftigten und beschäftigen mussten, kalt und unbeeindruckt blieb. Aus diesem Grund bin ich in diesen Beruf eingestiegen. Schritt für Schritt weckte das soziale und politische Leben des Landes meine Neugier, denn von Natur aus bin ich sehr neugierig und zeige ein gro‎ßes Interesse für zahlreiche Sachen, so zum Beispiel hat mich die vermisste Malaysia-Airlines-Maschine ein Jahr lang beschäftigt. Ich fühlte mich plötzlich vom Gefühl erfasst, unbedingt wissen zu wollen, was geschehen war, spürte das Bedürfnis, die Situation aufklären zu wollen. Dasselbe galt auch für meine Tätigkeit im politischen Journalismus, auf einmal spürte ich ein dringendes Bedürfnis, das ich vorher nie gekannt hatte, denn während des Kommunismus und gleich danach hatte ich eine 100% apolitische Haltung. Danach wollte ich hingegen wissen, was im politischen Leben des Landes passiert.“




    Ein echter Schriftsteller nimmt das Leiden der Menschen auf sich und versucht, es alchemistisch in Schönheit umzuwandeln. Es handelt sich nicht um nutzlose und vergängliche Schönheit, sondern um die Schönheit, die laut Dostoievski »die Welt retten wird«. Der Schriftsteller kann, wie jeder Intellektueller, eine wichtige politische, moralische und soziale Rolle im Leben seiner Gemeinde spielen, er kann und soll ein Fürsprecher des Guten und der Wahrheit sein, gegen die Dämonen kämpfen, die das menschliche Wesen heimsuchen. Als Künstler muss er daraus Schönheit erschaffen. Wenn ein Schriftsteller dabei scheitert, qualitativ hochwertige Werke zu schaffen, kann auch seine Zivilcourage seine Leser nicht mehr erreichen und ihnen nah am Herzen liegen“, schreibt Mircea Cărtărescu in seinem neuesten Band.




    Warum ist Rumänien anders?“ — das ist die Frage, die der Historiker Lucian Boia im Jahr 2013 aufwarf. Sein umstrittener Essay löste unter den rumänischen Intellektuellen heftige Debatten aus. Davon lie‎ß sich Vintilă Mihăilescu inspirieren. Im Band, der dieses Jahr im Verlag Polirom erschienen ist, gibt er dem Historiker eine Antwort, die über die Polemik hinausreicht.



    Oft bleiben Anthropologen, Soziologen, politische Kommentatoren, Historiker und Forscher vor der Besonderheit zurückhaltend, die das rumänische Volk auszeichnet. Im Band, der von Vintilă Mihăilescu herausgegeben wurde, beantworten sie aus Initiative des bekannten Anthropologen die Frage: Warum ist Rumänien anders?“ Vintilă Mihăilescu kommt zu Wort mit Einzelheiten:



    Dieser Band ist aus Unzufriedenheit entstanden. Ich irre mich nicht, wenn ich sage, dass dasselbe für alle Autoren gilt, die ihren Beitrag dazu gebracht haben. Es handelt sich um eine intellektuelle und bürgerliche Unzufriedenheit. Also eine Art ziviler Verantwortung, die jeder Intellektuelle gegenüber der Sichtweise haben soll, die eine Sonderstellung unseres Volkes in einer nihilistischen Überzeugung befürwortet: »Wir können sowieso nichts tun oder ändern, weil wir im Vergleich zu den anderen anders sind.« Also, wenn wir beispielsweise mit einem Taxifahrer ins Gespräch geraten, wird er immer sagen, egal worum es geht: »So sind halt die Rumänen.« Dieses Urteil ist mit der Zeit zum permanenten geistlichen Klima geworden und prägt sehr stark unsere politischen und kulturellen Überzeugungen und Handlungen. Das ist meiner Ansicht nach allgemeinschädigend. So ein Diskurs, der eine ma‎ßgebliche negative Besonderheit des rumänischen Volkes aggressiv betont, gewinnt heutzutage immer mehr an Bedeutung in der Öffentlichkeit. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Universitätsprofessoren diese urbane Legende befürworten.“




    Deutsch von Ana Nedelea

  • Jean-Louis Courriol: „Es ist schwer, rumänische Literatur zu verkaufen“

    Jean-Louis Courriol: „Es ist schwer, rumänische Literatur zu verkaufen“

    Courriol hat letztes Jahr zwei wichtige Auszeichnungen bekommen: die Ehrendoktorwürde der Universität Tibiscus in Timişoara und den Eugen-Lovinescu-Preis des Rumänischen Literaturmuseums. Er ist aber schon mehrmals für seinen Verdienst um die Förderung der rumänischen Literatur im französischsprachigen Kulturraum gewürdigt worden.


    Schon 2015 wurde Jean-Louis Courriol beim Buchfestival Transilvania zum Ehrenbotschafter der rumänischen Literatur in Europa erklärt. Gleicherma‎ßen von Prosa und Dichtung begeistert, hat Courriol klassische und zeitgenössische Autoren ins Französische übersetzt und in Frankreich veröffentlicht. Zu ihnen gehören Mihai Eminescu, Liviu Rebreanu, Camil Petrescu, Marin Sorescu, Marta Petreu, Ion Băieşu oder Augustin Buzura — und einige von ihnen galten zunächst als schwer oder gar nicht übersetzbar. Zum ersten Mal in Kontakt mit der rumänischen Sprache kam Jean Louis Courriol Anfang der 1970 Jahre, als er als noch sehr junger Mensch die Lehramtsprüfung in klassischen Sprachen schaffte. Er bemerkte, dass Rumänisch eine Art modernes Latein ist und wollte das Studium vertiefen. Der französische Staat schickte Courriol als Gastlektor an die Universität Alexandru Ioan Cuza“ in Iaşi: Dort begann er, wie er heute noch scherzt, wie ein Moldauer zu sprechen, der sich als Bukarester aufspielt. Und er übersetzte seinen ersten rumänischen Autor ins Französische. Dass die Wahl auf Camil Petrescu fiel, war kein Zufall: Camil Petrescu war einer der Lieblingsautoren seiner zukünftigen Ehefrau, Florica Ciodaru-Courriol, die ihrerseits eine bekannte Übersetzerin ist.



    Doch welche Autoren haben Jean-Louis Courriol ma‎ßgeblich beeindruckt? Das ist schwer zu sagen, denn es sind viele. Müsste ich mich für einen einzigen Namen entscheiden, dann Mihai Eminescu, klar. Aber eben auch Liviu Rebreanu. Und Marin Sorescu. Oder Cezar Petrescu, der leider in Rumänien selbst als weniger wichtiger Autor betrachtet wird. Die Schriftstellerin Marta Petreu sagte, dass es wichtig sei, die rumänische Literatur aus der Perspektive anderer Kulturen neu zu bewerten — ich tue das aus der Perspektive der französischen Literatur, die ich sehr hoch schätze. Aber es ist nicht so, dass die französische Literatur der rumänischen überlegen ist. Für mich sind sie gleichwertig — genauso, wie ich Rumänisch als zweite Muttersprache empfinde. Das klingt vielleicht stolz — aber ich bin eben so“, sagt Jean-Louis Courriol.





    Für den Übersetzer scheint besonders ein Name wichtig zu sein: Liviu Rebreanu. Nicht weniger als sechs seiner Bücher hat er ins Französische übersetzt, darunter den Wald der Gehenkten“, Madeleine“ oder Metropolen“: Doch das sollte nicht darüber hinweg trügen, dass Courriol auch andere Autoren schätzt: Marin Sorescu ist eine der wichtigsten Begegnungen, denn er ist der Dichter, der mir Mihai Eminescu näher gebracht hat. Ich habe das auch in meiner Rede bei der Verleihung des Ehrendoktors gesagt: Mihai Eminescu schien mir ein fast unerreichbares Monument zu sein, auch deshalb, weil er vielleicht zu hoch gepriesen wurde. Aber als ich von Marin Sorescu ein Gedicht las, das wahrscheinlich die schönste Hommage an Eminescu ist, setzte ich mich immer näher auch mit ihm auseinander. Über Sorescu kam ich zu Eminescu. Aber auch durch Liviu Rebreanu erschloss sich mir Eminescu. Und umgekehrt fand ich wieder zu Rebreanu. Und von ihm wieder zu Marin Sorescu. Das kann ich so beliebig weiterspinnen.





    Neben seiner Übersetzerarbeit unterrichtete Jean-Louis Courriol auch rumänische Sprache und Literatur an der Universität Lyon. Seit dem Jahr 2000 ist er Fellow Professor an der Universität Piteşti im Süden Rumäniens. In der Nähe dieser Stadt hatte Liviu Rebreanu die meisten Werke geschrieben, es passte also bestens, dass die Universität ein Institut mit den Namen des Schriftsteller eingerichtet hat — an diesem Institut unterrichten Jean-Louis und Florica Ciodaru-Courriol literarische Übersetzung und Simultandolmetschen. Courriol findet, dass es nicht leicht ist, die rumänische Literatur zu verkaufen: Es ist sogar sehr schwer, aber es hilft mir, dass ich mit meiner Frau arbeite. Französische und generell ausländische Verleger sind nicht ganz selbstverständlich offen für rumänische Literatur — aber es ist nicht nur ihre Schuld, denn auch die übersetzten Texte haben nicht immer überzeugt. Nicht immer wurden die relevantesten Werke übersetzt. Ich bin überzeugt, dass die rumänische Literatur nicht in andere Kulturräume eindringen kann, wenn man sie nicht von den Ursprüngen an kennenlernt. Wenn man nicht wenigstens teilweise Mihai Eminescu, Liviu Rebreanu, Cezar Petrescu, Camil Petrescu, Lucian Blaga, Tudor Arghezi oder Marin Preda liest. Ich denke, dass es schwer ist, die rumänische Literatur zu fördern, ohne diese Autoren zu kennen. Natürlich kann es mal einen Hit geben mit einem Bestseller von einem zeitgenössischen Autor, aber das ist eben nur ein kurzfristiger Erfolg“, sagt der französische Übersetzer Jean-Louis Curriol.

  • Poet und Rebell: Der Dichter und Verleger Claudiu Komartin

    Poet und Rebell: Der Dichter und Verleger Claudiu Komartin

    Er war bei seinem Debüt nicht einmal 20 Jahre alt: Der 1983 geborene Dichter Claudiu Komartin veröffentlichte 2003 den Poesieband Der Puppenspieler und weitere schlaflose Nächte“. Dafür wurde er mit dem nationalen Mihai-Eminescu-Preis für den besten Debütanten belohnt. Zwei Jahre später bekam der frühreife Dichter für seinen nächsten Band, Der hausgemachte Zirkus“, den Lyrikpreis der Rumänischen Akademiegesellschaft.



    Die letzten zwei Werke Claudiu Komartins, Eine Jahreszeit in Berceni“ (2009) und Kobalt“ (2013), brachten die Anerkennung. Nicht nur eine Bestätigung seines Talents sondern auch seiner Führungsrolle in der 2000er Generation. Zu seinem Ruhm ist Komartin allerdings nicht nur durch seine Gedichte gelangt, sondern auch dank seiner Tätigkeit als Verleger und Übersetzer.



    Das Verlagshaus Max Blecher“ ist ein 2010 von Komartin fast im Alleingang geschaffenes Projekt. Es entstand als Verlängerung der Werkstatt für zeitgenössische Literatur, die auf den Namen Blecher-Institut“ getauft wurde. Die Werkstatt sei allen voran der rumänischen Literatur gewidmet gewesen, zeitgenössischen Autoren, die nicht gerade zu den verwöhnten Schriftstellern der Verlage gehörten, erklärt Claudiu Komartin im Interview mit Radio Rumänien.



    Wir wollten von Anfang an eine Gemeinschaft konstruieren. Die Gemeinschaft besteht einerseits aus Schriftstellern, vor allem Dichtern der Gegenwart, die sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben, und andererseits aus der Leserschaft. Ich wollte, dass das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Geschichte entsteht. Es war eine Geschichte der Integration. Alles begann mit diesem Leseklub 2009, der sich völlig unerwartet weiterentwickelte — damals war ich 26 und hatte nicht unbedingt darüber nachgedacht. Doch irgendwie hat sich dann alles hochgeschaukelt und ich rief den Verlag ins Leben. Ich wollte wertvolle Menschen zusammenbringen, die sich gerne treffen, die sich nicht nur als Autoren sehen, wie das gewöhnlich der Fall ist. Die Verleger hinterlassen den Eindruck, dass die Autoren sich damit zufrieden geben und sich privilegiert fühlen sollten, dass ein bekannter Verlag ihre Werke herausbringt. Für mich reicht das nicht aus, zumal ich bei bestimmten Verlagen sehe, wie einige Autoren veröffentlicht werden, ihre Bücher aber anschlie‎ßend nicht sichtbar sind, nicht gefördert werden. Und das bei den gro‎ßen Verlagen, die ja auch über Werbung und Marketinginstrumente schalten und walten können. Weil die Schriftsteller aber nicht gerade berühmt sind, beschäftigen sie sich nicht damit, wie es sein sollte. Es stimmt schon, heutzutage gibt es kaum noch prominente Schriftsteller, oder nur noch sehr wenige. Etwa Mircea Cărtărescu oder Ana Blandiana. Aber es gibt ganz gewiss 15-20 wertvolle und sehr wertvolle Schriftsteller, die nur von einigen Hundert oder Tausend Menschen gekannt werden. Aber Autoren wie Octavian Soviany, Radu Aldulescu, Mariana Codruţ oder Nichita Danilov kennen nur die Eingeweihten.“




    Claudiu Komartin zeigt sich also offenbar, wie jedes frühreife Talent, auch als Rebell. Wenn es nach ihm ginge, sollten die zeitgenössischen rumänischen Dichter aus dem Untergrund ins Mainstream gelangen. Wie stelle er sich das aber vor, fragten wir ihn.



    Wir können dafür garantieren, dass die von uns herausgebrachten Bücher bei allen Poesie-Festivals des Landes präsent sein werden, bei allen Buchmessen, die einen Namen haben, und dass sie den Kritikern geschickt werden, die über zeitgenössische Literatur schreiben. Das ist der Mindestanspruch, den wir stellen. Darüber hinaus sind wir ständig unterwegs. Wir besuchen Buchläden und Bibliotheken landesweit, gehen aber auch in Kneipen und sonstige unkonventionelle Räume. Wir versuchen auch ein Publikum zu erreichen, das nicht unbedingt aus Kennern oder Literaten besteht. Wir wollten und haben es auch geschafft, Menschen zu erreichen, die sich zufällig dort aufhielten, wohin wir gingen, und die nicht gedacht hätten, dass zeitgenössische Literatur sich so anhören kann wie unsere oder die von uns veröffentlichte Literatur.“




    Genauso wie das Verlagshaus Max Blecher“ als Verlängerung eines Literaturkreises gegründet wurde, ist die Zeitschrift Poesis International“ ihrerseits die Verlängerung des Verlags. Nach ihrer Entstehungsgeschichte erkundigten wir uns bei Claudiu Komartin.



    Das Projekt entstand im Frühjahr 2010 in Sathmar. Der Sathmarer Dichter Dumitru Păcuraru hatte einige Dichter, Schriftsteller und Übersetzer zusammengeführt und ihnen sein Projekt vorgestellt. Drei Jahre lang lief das Projekt dann auch, unter der Betreuung von Herrn Păcuraru, später habe ich dann die Leitung übernommen. Es war wieder so eine von meinen Spinnereien, denn ich hatte keine Ahnung, ob es funktionieren würde oder nicht — schlie‎ßlich hatten wir überhaupt keine materiellen Ressourcen. Aber die Dinge sind in die richtigen Bahnen gelenkt worden und es geht jetzt auch nach weiteren drei Jahren weiter. Die Zeitschrift hatte sich von Anfang an vorgenommen, viel zeitgenössische Literatur aus dem Ausland zu veröffentlichen, nicht nur aus der aktuellen Gegenwart, sondern aus den letzten 50-60 Jahren, in rumänischer Übersetzung. Es ging vermehrt um Poesie, aber auch Prosastücke und Essays kamen ins Heft. Der Grundgedanke dabei war, dass man als Vergleichsgrundlage Erfahrungen aus sprachlichen oder kulturellen Umfeldern vorstellt, die von unserer Welt möglichst sehr verschieden sind. Um zu sehen, wo wir genau stehen. Das Ganze ist dann gewachsen und heute veröffentlichen wir Gedichte aus etwa 20 Ländern, beginnend mit den USA bis hin nach Mittel- und Osteuropa.“




    Das Blecher-Institut, der Literaturkreis, der Claudiu Komartin den Ansto‎ß für die Verlagsgründung gab, existiert auch heute noch. Viele Dichter der Gegenwart — nicht unbedingt aus der Generation 2000 — lesen hier aus ihren Werken vor.

  • Geokritik: Bukarest durch die Augen von Schriftstellern erkundet

    Geokritik: Bukarest durch die Augen von Schriftstellern erkundet

    Andreea Răsuceanu leistet sich eigentlich ein Buchexperiment über die unerschöpflichen Wechselwirkungen zwischen der Stadt und ihrer literarischen Projektion. Sie pendelt dabei zwischen dem Blick des Autors und jenem des Lesers, zwischen den verschiedenen Deutungswelten. Als Geokritik bezeichneten Kollegen Răsuceanus diesen in Rumänien neuartigen Ansatz. Worum es ihr dabei ging, erläuterte die Kritikerin selbst: Mich hat die eigentliche Idee der Stadt interessiert — die Stadt als Konstruktion, als faszinierendes Objekt, als ein zweiter Körper, den wir nicht ignorieren können“, sagt Andreea Răsuceanu. Im Vorwort schreibt sie, dass sie bei dieser Literaturgeografie eine Doppelschiene verfolgt hat: Sie wolle einerseits den Lesern, die von zeitgenössischer Literatur begeistert sind, mithilfe der Texte der sechs Autoren einen neuen Blick auf die Stadt vermitteln. Andererseits war ihr Anliegen, Menschen, die an der Stadt und ihrer Geschichte interessiert sind, die sechs Autoren näher zu bringen.



    Das Buch thematisiert das Bild der Stadt Bukarest im Werk von sechs zeitgenössischen Autoren aus verschiedenen Generationen: Mircea Cărtărescu, Gabriela Adameşteanu, Stelian Tănase, Simona Sora, Filip Florian und Ioana Pârvulescu. Bukarest wird so zur literarischen Figur. Jedem Kapitel geht eine Diskussion der Kritikerin mit den Autoren voran — darin setzen sie sich mit der Betrachtungsweise auseinander, mit der Art und Weise, in der die Autoren ihr Verhältnis mit der Stadt ausleben: Auch dieses Verhältnis des Autors mit dem beschriebenen Raum schien mir interessant zu sein — es ist der Raum, den er täglich wahrnimmt und durch den er sich bewegt, oder der Raum der Vergangenheit. Bei Gabriela Adameşteanu gibt es so ausführliche Beschreibungen von Bukarest vor 1989, dass sie Studienmaterial für Anthropologen sein könnten“, glaubt Andreea Răsuceanu.



    Der Autorin Gabriela Adameşteanu, Jahrgang 1942, gelingen sehr detailreich rekonstruierte Bilder; ihr Werk ist voller Sinnesreize: visuelle, akustische, taktile Anhaltspunkte. Ihre Romanfiguren agieren perfekt im Takt der Stadt, sie reagieren auf die Au‎ßenwelt, auf die sie ihr Innenleben projizieren. Und umgekehrt wirkt die Stadt auf ihr inneres Universum ein. Einer der Autoren, in dessen Werk Bukarest eine vordergründige Rolle einnimmt, ist Mircea Cărtărescu. Er prägte in seiner Prosa, zuletzt im Roman Solenoid“ ein unverkennbares Bild der Stadt: Bukarest als Alter Ego, als Körper, als intuitiv wahrgenommener, entdeckter, mit allen Sinnen erforschter Raum: Mircea Cărtărescu nimmt — von mir unbeabsichtigt — den grö‎ßten Anteil des Buches ein. »Solenoid« erschien zu einem Zeitpunkt, als ich mich für den Schlussstrich meines Buches vorbereitete. Es war völlig unvorhersehbar, ich habe den Roman gelesen und erkannt, dass das Bild von Bukarest darin vervollkommnet wird“, führt die Kritikerin aus.



    In den Romanen von Mircea Cărtărescu erscheint die Stadt am spektakulärsten. Sie ist eine Verlängerung des eigenen Körpers, ein anatomisches Gebilde — verliert sie ein Gebäude, entspricht das einer Amputation vitaler Organe. Die Stadt nimmt dann die Rolle des Alter Egos ein: Am Anfang des ersten Teil des Romans Orbitor“, im Deutschen unter dem Titel Die Wissenden“ erschienen, sieht der kleine Mircea im Fenster der Plattenbauwohnung sein eigenes Spiegelbild, das sich über das Bild der Stadt einblendet. Diese Metapher wird zum Leitmotiv des gesamten Romans.



    Die Kritikerin Tania Radu meint über das Buch ihrer Kollegin Răsuceanu, dass es Bukarest in die Galerie der gro‎ßen postmodernen Städte stellt. Bukarest werde auf der Stelle les- und erschlie‎ßbar. Und liebenswert. Die Stadt erscheint im Menschenbilde, dessen magischer Kern unter überlagerten Schichten erforscht wird. Als Romanfigur per se oder als subjektiv von anderen Figuren erlebt“, schrieb Tania Radu in ihrer Rezension.

  • Die Audiothek der Scheherazade – Literatur im Gefängnis

    Die Audiothek der Scheherazade – Literatur im Gefängnis

    Das Projekt Die Audiothek der Scheherazade“ hat sich zum Ziel gesetzt, Häftlingen den Zugang zur Kultur zu ermöglichen. Das von der Kulturstiftung Vis-à-vis“ gestartete Projekt wendet sich an 5.000 Insassen aus 10 rumänischen Justizvollzugsanstalten, die somit Auszüge literarischer Werke in der Lektüre der Initiatorin Adriana Moca im Gefängnisradio hören können. Die Darstellerin erzählt, wie die Initiative entstanden ist:



    Das Projekt ist auf eine Idee zurückzuführen, die ich vor vier oder fünf Jahren als Produzentin der Sendung »Die Bücher der Scheherazade« hatte. Diese Sendung lief im Kultursender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Radio România Cultural. Ich bin folglich auf den Gedanken gekommen, dass ich sie auch für ein Publikum gestalten könnte, das sonst keine Kultursendung verfolgt. Ich hatte vor, die Sendung auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln in Bukarest ausstrahlen zu lassen, damit die Passagiere während der Bus-, oder U-Bahnreise eine Kultursendung hören können, es war aber leider nicht möglich. Dieses Jahr habe ich erneut probiert, das Projekt habe ich diesmal aus einer Doppelperspektive geplant: Einerseits wollte ich es an ein Zielpublikum richten, das einen eingeschränkten Zugang zu Kultur hatte, so zum Beispiel die Insassen einer Haftanstalt, und zweitens an Kinder in voruniversitären Bildungseinrichtungen. Nach Diskussionen mit Lehrern konnte ich feststellen, dass die Kinder eher zurückhaltend gegenüber Literatur sind. Das ist dadurch zu erklären, dass Literatur nach dem Schulplan unterrichtet wird und die Kinder folglich keinen Zugang zu den wichtigsten Büchern der Weltliteratur haben, weil ihnen keine Zeit dafür übrig bleibt.“




    Die Scheherazade steht für die Bändigung durch Literatur. Die Legende besagt, sie habe die Wut des Königs Schahrayâr besänftigt, der tausende Jungfrauen zum Tod verurteilen wollte. Ich hoffe, dass dieses Projekt vielen Gefangenen dazu verhelfen wird, Kulturkenntnisse und Ausdruckskompetenzen zu erwerben, weil sie sich künftig auf ihr Leben in Freiheit positiv auswirken lassen können“, fügt Adriana Moca hinzu.



    Das Tagebuch der Glückseligkeit“ von Nicolae Steinhardt, De profundis“ von Oscar Wilde, Bei den Zigeunerinnen“ von Mircea Eliade oder Romeo und Julia“ von Shakespeare sind nur einige Titel, die das Projekt den Menschen hinter Gittern innerhalb der nächsten sechs Monate näher bringen wird. Wir haben die Initiatorin des Projektes um weitere Einzelheiten gebeten. Adriana Moca:



    Wir haben eine Liste von 30 Sendungen, also 30 Auszügen aus, meiner Ansicht nach, ausgezeichneten Büchern der Weltliteratur zusammengestellt, die wir zu diesem Zweck ausgewählt haben. Meine Motivation war der Wunsch, diese Menschen und ihre schlechten Taten ins Gute umzuwandeln. Etwas Gutes steckt in jedem von uns, und hinter Gittern stehen auch Menschen, die einfach ein unglückliches Schicksal haben.“




    Zusammen mit der Nationalen Verwaltung der Haftanstalten hat Adriana Moca vor, das Projekt auch nach seinem offiziellen Ablauf Ende Dezember fortzusetzen. Demnächst möchte die Darstellerin eine Liste von literarischen Werken zusammenstellen, die sich an Analphabeten und psychisch Kranken richtet. Im Herbst starten die Stiftung Vis-à-vis“ und die Darstellerin den zweiten Teil des Kulturprojektes Die Audiothek der Scheherazade“ in den Schulen landesweit, mit dem Ziel, Jugendliche auf den Geschmack für Literatur zu bringen.